We are family! Für die gesellschaftliche Gleichstellung von Einelternfamilien (und allen anderen!)

Wenn man andere Mütter trifft, kommt es oft nach einem kurzen Plausch zum Thema "Und wie lebst du so". Wenn dann nach meinem Partner gefragt wird und ich antworte: "Ich mach das größtenteils allein", gibt es meist zwei Reaktionen: "Oh - (betroffenes Gesicht), das ist ja auch nicht einfach." oder, verwundert: "DU?!". Mir fällt dann oft nichts Weiteres ein, als mit den Schultern zu zucken und zu sagen: "Ja, klar. Why not." Und dann wechsele ich meist das Thema. Warum? Weil ich keine Lust habe, zu erzählen, dass es eigentlich ziemlich ok ist und dass ich meine Situation als total normal empfinde. Ich bin genervt vom "Du-hast-es-bestimmt-schwer-Blick" der anderen. Und doch bin ich jedes Mal ein klitzekleines bisschen verunsichert über den Stempel, den ich da gerade aufgedrückt bekommen habe.

Warum die Verwunderung? Warum das Mitleid? Wird Alleinerziehen als Schicksal(-sschlag) gesehen? Warum nicht als normale Lebensform? Immer wieder wird suggeriert: Irgendwas stimmt doch da nicht – es sollte doch anders sein. Man weicht ab von der Norm. Dabei gibt es über 1,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland. Die Lebensform der Einelternfamilien ist wesentlich mehr als nur eine Randerscheinung. Gefühlt sind in meinem Freundeskreis die Hälfte aller Eltern getrennt. Manche sind schon von Tag eins an alleinerziehend, manche eher Teil-erziehend.

Alleinerziehend oder doch Teil-Erziehend?

Seit einer Weile benutze ich das Wort alleinerziehend für mich allerdings nicht mehr, denn wie vor Kurzem schon ganz richtig in der SZ stand, heißt getrennt nicht gleich alleinerziehend. Papa ist präsent, Papa erzieht auch, wenn auch – wie in vielen Fällen – zeitlich weniger. Die SZ schlägt für beide Elternteile das Wort Teil-erziehend vor. Ich bin also eher Teil-erziehend. Aber viele in meinem Freundeskreis sind komplett, so richtig, alleinerziehend. Und wisst ihr was? Sie sind nicht weniger glücklich oder unglücklich als meine Freunde in Beziehungen. Das mag subjektiv sein. Denn allzu oft ist Alleinerziehend ein Stigma, dass kürzlich erst wieder von der SPD reproduziert wurde: Da loben sie Alleinziehende, die den Alltag meistern als “wonder woman”. Die Zeit schreibt dazu: “Alleinerziehende dafür zu loben, dass sie ihren Alltag bewältigen, ist ungefähr so sympathisch, wie Türken dafür zu preisen, dass sie gut deutsch sprechen. Wer so redet, verleiht Menschen einen Exotenstatus, die überwiegend ein normales bürgerliches Leben führen und so behandelt werden wollen. Auch positive Diskriminierung ist Diskriminierung.

Wonder-WomanWonder-Woman

Selbstbestimmte Entscheidungen

Wie steht es nun also wirklich mit dem Bild der Alleinerziehenden? Sind sie entweder bemitleidenswert oder alles-easy-super-happy Frauen? Oder sind sie vielleicht einfach Frauen, die stolz darauf sind, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen? Ist Alleinerziehen eine Befreiung, wie die Sozialwissenschaftlerin Anita Heiliger schreibt? Sicherlich hat heute nicht jede Frau, die sich von ihrem Partner trennt, einen unterdrückenden Ehemann oder Partner an ihrer Seite gehabt, von dem es sich zu befreien galt, wie Heiliger es vor Jahren dargestellt hat. Trotzdem wird die Entscheidung, sich aus einer nicht funktionierenden Beziehung zu lösen, nicht leichtfertig getroffen. Zu Trennungen, gerade wenn es Kinder gibt, kommt es nicht aus einer egoistischen Laune heraus – sondern weil es einen Leidensdruck gibt, der die Eltern betrifft und deshalb auch das Kind. Und auch die bewusste Entscheidung für ein Kind, das man ohne Partner aufziehen wird, wird nicht mal so eben getroffen.

Leitbild Vater-Mutter-Kind

Klar, ist auch das nicht einfach (wer hat das eigentlich jemals vom Kinderhaben behauptet?), wie Yasmine Orth in unserem Interview mit ihr beschreibt: „Ich denke, ich musste da so durch, um zu erkennen, dass du als Alleinerziehende, ohne Familie und ohne finanzielles Backup (auch nicht durch den Kindesvater) nur zwei Möglichkeiten hast: Hartz IV oder du packst es irgendwie. Und ich stand immer auf der Kippe. Nur durch meine eigene Kraft, Fokus und viel Übung habe ich es geschafft und es ist immer wieder ein Drahtseilakt, denn das Leben steht nicht still.“ Was hier deutlich wird: Wir brauchen Vorbilder wie sie, die motivieren, die einem die Angst nehmen, die inspirieren. Was wir nicht brauchen, ist die negative Berichterstattung und die Stigmatisierung einer Lebensform, die für so viele eine Lebensrealität ist.

Warum aber gilt die alte Leitbild-Familie Vater-Mutter-Kind noch heute als die eigentlich „richtige“ Art und Weise zusammenzuleben? Das traditionelle Familienmodell bedient sich an den unterschiedlichsten historischen Gegebenheiten, bei genauerem Hingucken sah es aber eigentlich schon immer anders aus: Der Soziologe Georg Simmel schrieb schon 1908 von einer „kaum übersehbaren Mannigfaltigkeit der Familienformen.“: Im 18. und 19. Jahrhundert starben Ehefrauen regelmäßig im Kindbett oder Epidemien und Hungerkrisen führten zu hohen Sterberaten, sodass es oft zu fast Patchwork-ähnlichen Familienkonstellationen kam. Der Sozialhistoriker Michael Mittrauer sieht im Mythos der vorindustriellen Großfamilie gar „antiemanzipatorische Ideen hinsichtlich der Stellung der Frau“ und warnt vor „Glorifizierung vermeintlich historischer Familienformen mit starker Autoritätsabhängigkeit“ und der Großfamilie „als dauerhafte Idealvorstellung“.

Sich von Konventionen lösen

An der angeblich glücksverheißenden Kernfamilie wird aber festgehalten und Alleinerziehende im selben Atemzug als „Übriggebliebenende“ deklariert. Ist das noch zeitgemäß? Nein. War es das jemals? Wahrscheinlich nicht. Solange man aber die inadäquaten Wertevorstellungen nicht überdenkt und die positiven Erfahrungen des Alleinerziehens weiterhin negiert, bleiben wir stehen. Denn ohne Zwänge eine eigene Familie aufbauen zu können und ohne die Befürchtung stigmatisiert zu werden – das sollte doch selbstverständlich sein. Alleinerziehend oder Teil-erziehend zu sein ist kein Versagen und auch keine generelle Ablehnung gegenüber konventionellen Lebensmodellen, sondern der gelebte Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben, abseits von Vorwürfen des Egoismus. Vor allem ist es aber ein Einstehen und Kämpfen für das Wohlergehen der Familie, egal in welcher Konstellation.

Happy Family

Und trotzdem wünschen sich viele Kinder, wahrscheinlich sogar die meisten, Mama und Papa zusammen, weil es einfach das Schönste ist, beide geliebten Elternteile gleichzeitig bei sich zu haben. Dass das eben in der Realität manchmal nicht funktioniert – kann man schade finden. Das Glück des Kindes hängt aber nicht (nur) davon ab. Eine Familie ist man, so oder so. Und geliebt wird das Kind, so oder so.