Was einen guten Vater ausmacht (weiß ich nicht)

Zeit für einen Perspektivwechsel: Viele Eltern scheitern gefühlt täglich an der Unvereinbarkeit der Erwartungen ihrer Arbeitgeber*innen, der Gesellschaft, ihrer Partner*innen und sich selbst. Werden Sie denn wenigstens ihren Kindern ausreichend gerecht, was auch immer das heißen mag? Unser Kolumnist Fabian Soethof hat da für sich so seine Zweifel.

Ich fange an mit einer Art Eigenwerbung, die weiß Gott keine sein soll: In den Lesungen zu meinem Buch „Väter können das auch!“ erzähle ich oft davon, dass ich keine Ahnung habe, was einen guten Vater ausmache. Diese Frage könnten nur meine Kinder eines Tages beantworten und mir gewiss vieles vorwerfen – zum Beispiel, dass ich nicht genug Geld für ihre Zukunft, nicht mal meine eigene Rente angespart haben dürfte. Nicht vorwerfen könnten sie mir lediglich, dass ich nie dagewesen wäre. Seit 2017 arbeite ich in Teilzeit, bringe sie fast täglich zur Schule, hole sie ab, kümmere mich um Haushalt, Termine, Freizeitbespaßung und Co. ebenso wie meine Frau es tut. Damit war es lange Zeit für mich getan, „ich tue doch schon so viel“.

Seit geraumer Zeit treibt mich die Frage danach, ob ich ein guter Vater bin, trotzdem wieder um.

Es gibt Dutzende Ratgeber in Büchern und im Internet sowie Coaches, die zu wissen glauben, was einen guten Vater ausmacht. Für einen Artikel auf menshealth.de/dad stellte auch Redaktionsleiter Marco Krahl diversen Männern diese Frage: „Was macht einen guten Vater aus?“ Ich nahm selbst daran teil und antwortete möchtegernschlau: „Ein Vater, der über seine Kinder und seine Rolle spricht. Solange Dinge noch nicht selbstverständlich sind, muss man darüber reden – im Büro, auf dem Spielplatz, im Netz, bei der Familienfeier. Damit auch die Letzten mitkriegen, dass es anders geht, gehen kann, muss und zukünftig wird.“ Nachvollziehbar fand ich fast alle Antworten der anderen Teilnehmenden, etwa die von Moderator Ralph Caspers, dass Humor und Gelassenheit ganz wichtig wären. What’s not to like.

Zum Nachdenken brachten mich aber unter anderem die Worte von Vätercoach, Seminarleiter und Buchautor Carsten Vonnoh. Für ihn ist der Aspekt des Vertrauens und der bedingungslosen Annahme aus seiner persönlichen und seiner Beratungserfahrung am wichtigsten, um eine gelingende Vater-Kind-Beziehung aufzubauen. Deshalb möchte er allen Vätern sagen: „Habt Vertrauen darin, dass eure Kinder so in Ordnung sind, wie sie sind. Dass ihr sie lieben könnt, gerade weil sie so sind, wie sie sind. Wir müssen nichts anderes aus ihnen machen oder sie permanent formen wollen. Sie lernen so viel von uns, ohne dass wir ständig davon reden und gleichzeitig haben sie schon so viel Potenzial in sich, dass wir durch unsere Vorstellungen möglichst wenig zerstören sollten. (…) Vertrauen heißt für mich auch, davon auszugehen, dass das Verhalten unserer Kinder Sinn ergibt, egal ob wir das jetzt gerade verstehen oder nicht. Zum Vertrauen gehört ebenfalls, dass wir Vertrauen in uns selbst haben, dass wir gut genug für unsere Kinder sind und gerade dadurch jeden Tag einen kleinen Schritt mit ihnen wachsen können.“

Das ist leichter gesagt als getan – obwohl es bei Vonnoh vergleichsweise einfach klingt. Habe ich Vertrauen in mich selbst? Jein. Ehrlicherweise glaube ich, dass Elternschaft dem Versuch gleichkommt, diesen Job nicht jeden Tag völlig zu verkacken. Man kann eh nichts richtig machen, dafür vielleicht nicht alles komplett falsch. Habe ich Vertrauen in meine Kinder? „Hell yes!“, würde ich gerne rufen.

Aber warum agiere ich dann immer wieder so alltagsgestresst und druckvermittelnd?

Warum stöhne ich innerlich und zu oft auch äußerlich, wenn die Jungs morgens auch nach drölftem Bitten ihre Schuhe nicht anziehen? Wenn sie Spielsachen in den Ranzen schmuggeln? Wenn sie keinen Bock haben, ein Mü im Haushalt mitzuhelfen? Wenn der eine selbst fünf Minuten Konzentration für seine Mathehausaufgaben verweigert, aber stundenlang Comics liest? Ich „erziehe“ mit Sanktionen – wohlwissend, dass die nur kurzfristig helfen und langfristig das Gegenteil von dem erzielen, was ich aus meinen Kindern „machen“ will. Aber als Arbeitnehmer und Vater brauche ich halt täglich kurzfristige Abhilfe, wenn die Kinder mal wieder nicht so „funktionieren“, wie ich es gerne hätte. Weil auch ich funktionieren muss. Wenn ich zeitreisen könnte, würde mir schon ein Skip der 45 Minuten zwischen Aufstehen und aus dem Haus gehen reichen.

In meiner anderen Kolumne, die ich für den „Tagesspiegel“ schreibe – sorry, nochmal Eigenwerbung – zitierte ich neulich den auf Twitter umhergeisternden Satz „Unser Alltag ist ihre Kindheit“, der oft leider stimmen mag, dem ich aber nichts Gutes abgewinnen kann, weil er Eltern noch mehr Druck als ohnehin schon macht. Sei entspannter, sei nicht gestresst, denk an deine Kinder, blablabla. Als ob ich gerne keine Zeit und Ruhe hätte. Daraufhin schrieb mir eine ältere Leserin eine lange Mail, die ich nicht an jeder Stelle nachvollziehen konnte. An drei Sätzen blieb ich aber hängen: Die Absenderin befand, dass auf ihrem Grabstein lieber stehen sollte, dass es mit Mama immer toll war, als dass es bei Mama immer aufgeräumt und organisiert war. Dass Eltern begeistert am Leben ihrer Kinder teilnehmen sollten. Und dass es ihr Trick gewesen sei, den Standpunkt zu ändern. Darüber dachte und denke ich nach: Sehen meine Kinder mich wohl als den Vater, der „ihnen zuliebe“ (und sich selbst) in Teilzeit arbeitet? Der da draußen über seine Rolle und Rollenbilder spricht und schreibt? Der auch dafür sorgt, dass Essen auf dem Tisch steht und die Wohnung nicht im Chaos versinkt? Oder sehen sie mich – weil sie von alldem ja entweder nichts wissen oder meine tägliche Anwesenheit und Care-Arbeit für sie zum Glück ganz normal ist –, als den Vater, der oft genervt ist? Der keinen Bock hat, mit ihnen schon wieder über ihre Lieblingsserie zu sprechen? Der ihnen nicht jeden Tag neue Sammelkarten am Kiosk kauft? Der ihnen Fernseher oder Videospielkonsole nach zwei Stunden ausmacht, obwohl er ihnen deren Nutzung vorher erlaubt hatte? Der sich im Schwimmbad nach zehnminütigem Mitgeplansche lieber an den Beckenrand setzt und ihnen zuschaut? Oft habe ich das Gefühl, man kann als Vater (oder Mutter) nur verlieren. Auch, weil die eigenen Ansprüche im Alltag ohne ausreichende Prioritätensetzung (und finanzielle Mittel) kaum umzusetzen sind.

Ein paar Beispiele:
Will ich, dass sie musikalisch oder sonst wie musisch werden? Ja. Stelle ich ihnen ein Klavier hin, übe mit ihnen oder bezahle Stunden? Und schalte ich „Radio Teddy“ auch mal aus und lege ein gutes Album auf? Nein.

Will ich, dass sie sich gesund ernähren? Ja. Stelle ich ihnen täglich ausgewogene und frische Mahlzeiten auf den Tisch und verbiete Süßigkeiten? Nein.

Will ich, dass sie in ihrer Freizeit Sinnvolleres anstellen als nur Medienkonsum? Ja. Verbiete ich mir selbst in ihrer Gegenwart alle zwei Minuten den Blick aufs eigene Smartphone oder schalte die Glotze abends erst an, wenn sie fest schlafen? Nein.

Was den Kindern auch nicht hilft und der Familie nur scheinbar: Ich bin eine Erledigungsmaschine. Ich liebe To-Do-Listen, die ich gleichzeitig so verfluche. Damit ich bloß beschäftigt bin und nicht auf dumme oder auf irgendwelche Gedanken komme. Am Ende sind alle erledigt: meine Frau (von meinem Aktionismus), die Kinder (von meiner Planlosigkeit), ich sowieso, mit Glück auch ein paar Aufgaben. Bitte, bitte, liebe Mitlesenden: Sagt mir, dass es Euch auch so geht. Damit ich nicht der einzige Depp da draußen bin. Ein Fazit, um mich selbst mit der Unbeantwortbarkeit der Frage nach einem guten Vater und der Nichtexistenz einer alle Beteiligten befriedigenden Rundumlösung zumindest für den Moment trotzdem zu versöhnen, könnte lauten: Immerhin denke ich über Fragen wie diese nach. Die eine richtige Antwort gibt es darauf ja eh nicht. Und beantworten können sie für mich und für Euch nach wie vor auch einzig und allein: unsere Kinder. Schon jetzt und eines Tages.

Foto: Derek Owen