Mein Schwangerschaftsabbruch: Zytomega – what?
Mein Freund und ich waren seit fünf Jahren zusammen, wir kannten uns bereits seit dem Kindergarten. Wir waren sehr glücklich miteinander und vor allem wünschte er sich schon lange Kinder. Da ich drei Jahre jünger bin, wollte ich nach meinem Studium erstmal ein paar Jahre in die Berufswelt hineinschnuppern. Mein Freund hat das zum Glück total verstanden, denn uns beiden war klar, dass ich in einer zukünftigen Mutterrolle total aufgehen würde – und den Beruf dann erstmal ein paar Jahre hinten anstellen würde. Gesagt, getan. Nach fünf Jahren Festanstellung beschlossen wir gemeinsam: Es wird nicht mehr verhütet! Einmal den Entschluss gefasst war ich sofort Feuer und Flamme und sah nur noch Babyklamotten, glückliche, schwangere Frauen und meine Gedanken kreisten sogar schon um mögliche Namen. Natürlich habe ich gewusst, dass es normalerweise nicht sofort klappt mit dem Schwanger-werden, nur weil man ein Mal nicht verhütet… Zumal ich nicht einmal genau wusste, wann ich meinen Eisprung habe. Aber was für ein Wunder: Ich war sofort schwanger. Die zwei Streifen auf dem Test bestätigten meine Vermutung und ich konnte es kaum aushalten, die Freude darüber nicht durch die ganze Stadt zu schreien! Ich habe meine Frauenärztin angerufen, die gab mir für die siebte SSW einen ersten Termin. Wie aufregend! Dort wurde im ersten Ultraschall geschaut, ob das Ei sich gut eingenistet hat und es einen Herzschlag gibt. Bingo! Dann wurden noch ein paar Standardtests gemacht (Toxoplasmose & CMV) die ich selbst bezahlen musste, weil die Krankenkasse das nur bei einem positiven Testergebnis übernehmen würde. Meine Ärztin gratulierte mir und meinte gleich, dass ich mit meinen 27 Jahren, einem sehr gesunden und sportlichen Lebensstil und keinerlei Beschwerden bestimmt eine super Schwangerschaft haben werde. Was haben wir uns gefreut über den kleinen Punkt auf dem Ultraschallbild, welches sofort im Schlafzimmer aufgehängt wurde.
Ernüchterung
Zwei Tage später kam dann der Anruf aus der Praxis: Der Zytomegalie (CMV) Test ist positiv ausgefallen, ich soll in den nächsten Tagen nochmal vorbeikommen, damit nochmal Blut abgenommen werden kann, um diesen Wert genau zu prüfen. Und noch der Hinweis, ich solle das auf keinen Fall googeln, nur 1% der Schwangeren stecken sich damit wirklich frisch in der Schwangerschaft an. Wie gerne hätte ich sofort gegoogelt, aber der Anruf kam direkt vor einem Erstgespräch mit einem neuen, vielversprechendem Kunden. Während ich also neben meinem Chef in High Heels auf den Aufzug wartete ging das Kopfkino los.
Keine vier Stunden später entschuldigte ich mich für den Rest des Tages und saß zur Blutabnahme bei meiner Frauenärztin. Sie redete mir wieder gut zu und machte mir Hoffnung, denn die Statistik sprach für mich. Über‘s Wochenende hieß es also Abwarten… und Googlen. Da ich jedoch für dieses Wochenende bereits ein Theaterbesuch inkl. Hotelübernachtung mit meiner Mama geplant hatte, war klar, dass ich meiner eigenen Mama nichts vormachen konnte. Als sie mich im Restaurant nach Weiß- oder Rotwein fragte, gab ich ihr ein Bild von sich selbst und auf der Rückseite stand „Nur die besten Mamas werden Oma!“ und erzählte ich ihr mit Freude und Angst vom aktuellen Stand.
Am Montagvormittag (jetzt SSW8) klingelte mein Handy, wieder meine Frauenärztin, dass ich diese Woche nochmal vorbeikommen soll. Wir würden einen Ultraschall und einen noch größeren Bluttest machen, da der Test leider wirklich positiv ausgefallen sei und der Wert dafür spricht, dass ich mich erst vor kürzester Zeit angesteckt habe.
Also nochmal hin: Meine verständnisvolle Ärztin war so feinfühlig und nett, erklärte mir allerdings nichts, was ich nicht schon durch meine Internetrecherchen wusste. Leider änderte es nichts an dem Fakt, dass ich zu den 1% der Schwangeren gehörte, die sich mit Zytomegalie in der Schwangerschaft anstecken. Je früher man sich in der Schwangerschaft damit ansteckt, desto gefährlicher für das ungeborene Kind. Meine Tränen konnte ich da schon lange nicht mehr zurückhalten. Meine Frauenärztin vereinbarte für mich in der darauffolgenden Woche einen Termin in einer Praxis für Pränataldiagnostik.
So viele Statistiken…
Im Zentrum für Pränataldiagnostik angekommen (SSW9) saß mir leider eine unsympathische Frau gegenüber, die sich meine Blutwerte genau ansah und dann eine halbe Stunde lang über Statistiken sprach… Ich erinnere mich noch an folgende Zahlen, wobei es insgesamt viiiiiel mehr waren: Zu 70% wird ihr Kind gesund auf die Welt kommen und keine Folgeschäden haben. Sollten doch die anderen 30% eintreffen, dann wird es ziemlich ausgeglichen, entweder bereits mit schweren Organschäden auf die Welt kommen und dadurch eine kurze Lebenserwartung haben oder nur „leichte Schäden“ (zB. Blind- oder Taubheit, leichte geistige Behinderung) aufweisen oder zu nur ca. 5% bereits vor der Geburt im Mutterleib versterben. Sie machte uns zwar immer wieder klar, dass das nur statistische Zahlen sind und sie mir keine konkrete Aussage geben kann (bis eine Fruchtwasseruntersuchung möglich wäre), jedoch war das für mich enorm viel zu Verdauen und ich schluchzte und heulte während dem ganzen Termin. Ihr Tipp: Erstmal darüber nachdenken und in zwei Wochen nochmal einen Ultraschalltermin bei meiner Ärztin vereinbaren, um zu schauen, ob sich alles normal entwickelt. Sollten extreme Fehlbildungen bzw. Anlagen durch die Infektion vorliegen, würde es von alleine in den nächsten Tagen abgehen.
Als wir vom Termin nach Hause fuhren, war mein Freund ganz still und ich sagte ruhig und entschlossen zu ihm: „Bitte verurteile mich jetzt nicht, aber ich möchte ein gesundes Kind und kann mir nicht vorstellen, mein Leben einem behinderten Kind zu widmen und darin so aufzugehen, wie ich es immer wollte.“ Das klingt hart, aber es waren meine ehrliche Gefühle und Ängste.
Seine Antwort: „Aber die Statistik spricht doch für uns! Es wird bestimmt alles gut gehen.“
Ich: „Aber mein Bauchgefühl spricht dagegen!“
Und damit hatte ich es (im Nachhinein betrachtet) wahrscheinlich schon entschieden…
Ich hoffte so darauf, dass die Ärztin Recht hatte und ich einen Abgang haben würde, damit die Natur selbst und nicht ich entscheiden musste. Also joggte ich mir fast die Seele aus dem Leib. Tränenüberströmt rannte ich durch den Englischen Garten zur Theresienwiese und zurück wie eine Gestörte. Es passiert allerdings nichts…
Mein Entschluss stand fest.
Ende SSW10 hatte ich nochmal einen Kontrolltermin bei meiner Ärztin, diesmal mit meiner Mama im Schlepptau. Es gab einen kurzen Ultraschall, ein langes Gespräch und wieder viele Tränen. Danach stand mein Entschluss: Abbruch. Meine Ärztin wies mich darauf hin, dass sie mir dafür keine medizinische Indikation ausstellen könne, da die höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass es ein gesundes Kind ist und ich deshalb gesetzlich verpflichtet bin, davor bei einem Beratungsgespräch zu sitzen UND ich dadurch den Eingriff selbst zahlen müsse. Außerdem gab sie mir eine Liste mit drei Telefonnummern an die ich mich wenden konnte, die so einen Eingriff durchführen. Sie erzählte mir von Dr. Stapf und seiner Praxis, die auch auf der Liste war und warnte mich, dass davor manchmal Personen demonstrieren und dumme Schilder mit Sprüchen gegen Abtreibung hochhielten. Ich versuchte es also zuvor bei den anderen beiden Nummern und bekam einmal die Antwort, dass dort nur Abbrüche bis zur SSW10 durchgeführt werden und bei der anderen, dass kein Termin frei sei. Also doch zum „Abtreibungsarzt“. Dort hatte ich ein paar Tage später einen Vorstellungstermin um den Eingriff und die Methode zu besprechen (SSW11).
Zum Glück war an diesem Tag keine Demo. Und zum Glück war die Dame bei profamilia freundlicher und verständnisvoller als die Ärztin bei der Pränataldiagnostik.
Am Abend vorher schluckte ich, wie besprochen, die Pille mit Prostaglandin, ein Hormon, das den Muttermund weich und dehnbar macht. Am nächsten Vormittag begleitete mich meine Mama zum Arzt. Es war der 9. November 2016 und Donald Trump wurde zum Präsident gewählt. Ein Scheißtag, ich hasste den Typen eh schon und jetzt noch mehr.
Ich weinte schon beim Praxiseingang wie ein Schlosshund und bekam deshalb (auf meinen Wunsch hin) sogar Beruhigungsmittel, bis ich endlich unter Vollnarkose eine Absaugung hatte. Danach hatte ich Bauchschmerzen und wehenartige Krämpfe. Ich verschanzte mich fünf Tage in meiner Wohnung, heulte mich abends in den Schlaf und wusste dennoch, dass ich für mich und für uns die richtige Entscheidung getroffen hatte. Bis heute verfolgt mich der Gedanke an mein verlorenes Kind, für welches ich nicht genug Hoffnung und Zuversicht aufbringen konnte – dennoch habe ich meine Entscheidung nie bereut.
Mir ist bewusst, dass man niemals eine Garantie auf gesunde Kinder hat und dass man ein behindertes Kind genauso lieben kann und lieben wird. Aber für mich hätte sich ein Fortführen der Schwangerschaft angefühlt wie mit vollem Bewusstsein ins offene Messer zu laufen.
Bis heute weiß kaum jemand etwas von meinem Abbruch. Manchmal bin ich kurz davor zu platzen, wenn Freundinnen sich darüber echauffieren, dass eine Bekannte ihre Schwangerschaft in den ersten Wochen verheimlicht hat. Oder wenn es um die Sinnhaftigkeit von Pränataltests und entsprechende Kosten geht.
Ich bin so dankbar, genug Geld zu haben, mir jeden Test kaufen zu können, und dass ich die Abtreibung auf eigene Kosten durchführen lassen konnte. Auch dafür, meine verständnisvolle Familie an meiner Seite gehabt zu haben. Mein Freund ist mittlerweile mein Mann und ich bin froh, dass er mir die komplette Entscheidung überlassen hat.
Ein Jahr später bin ich – sofort beim ersten Versuch – wieder schwanger geworden und ich habe es in vollen Zügen genossen nach der 14.SSW all meinen Freunden und meiner Familie davon zu erzählen. Mit diesem absoluten Wunschkind heilte meine traurige Erinnerung an diese belastende Zeit noch ein kleines bisschen mehr. Seitdem achte ich aber penibel darauf, nicht mehr zu fragen: „Oh, bist du zum ersten Mal schwanger?“ Oder „Oh, die erste Schwangerschaft ist was ganz Besonderes!“ zu sagen, sondern beglückwünsche und drücke beide Daumen für eine sorgenfreie, angenehme Schwangerschaft!