Vier mal positiv – ab in die Familien-Quarantäne

Der Januar war anstrengend. Das ist er immer, aber der Januar 2022 war extrem außergewöhnlich anstrengend. Jeden Morgen schob mein Schulkind sich ein Stäbchen in die Nase. Jeden Morgen zittern, ob ein zweiter Strich erscheint. Jeden zweiten Tag schob auch das Kita-Kind das Stäbchen in die Nase. Bei jedem Fußball-Training, jeder Ballettstunde, jedem Kindergeburtstag, jedem Abendessen mit Freunden, dachten wir: kann man das jetzt noch machen? Ist das Risiko nicht langsam zu hoch?  

Dabei hatten wir, also mein Partner und ich, eigentlich schon im November beschlossen: wir wollen uns nicht mehr so stark einschränken. Wenn die Infektion uns ereilt – dann ist das so. Wir hatten nicht vor, auf riesige Parties zu gehen, aber die Kinder sollten ihr soziales Leben leben können. Auch wir wollten Essen gehen und ins Kino – und das taten wir auch. Meine Corona-App blinkte quasi ständig rot. Viele Kontakte – viel Risiko…

Aber es ging gut. Bis Omikron Berlin überrollte. Und ein Kind Mitte Januar auf einem Kindergeburtstag eingeladen war. Ich hatte ein schlechtes Gefühl – aber das hatte ich ja immer und ich dachte: wieviele Geburtstage sollen noch ohne uns stattfinden? Am Tag nach dem Geburtstag die Nachricht, dass eine Person positiv war. Wir ließen das Kind zuhause, Isolation nach Kontakt – klar. Zwei Tage nach dem Geburtstag die ersten Nachrichten in der WhatsApp-Gruppe: die ersten Kinder mit positiven Schnelltests und Fieber. Wir dachten, wir wären verschont geblieben. Unser Kind war fit wie Harry und die Schnelltests alle negativ. Am vierten Tag haben wir gar nicht mehr getestet – schon blöd. Als wir am fünften Tag zur Teststelle fuhren, um offiziell aus der Kontakt-Isolation “frei zu testen” waren wir sicher, mal wieder ein negatives Ergebnis zu bekommen. So wie die unzähligen Male vorher. Fast zwei Jahre lang. Wir dachten zwischendurch schon: wir bekommen das nicht mehr.

Schock – und Erleichterung

Als dieser Test dann positiv war, war der Schock groß. Und irgendwie auch nicht. Irgendwie war da sogar Erleichterung. Plötzlich war das eingetreten, womit wir fast täglich gerechnet hatten. Hätten sie sich in Schule oder Kita angesteckt, wäre ich vielleicht auch sauer gewesen. Aber sie hatten sich im Privaten angesteckt – und unsere Schule und Kita tut wirklich alles, um die Kinder zu schützen. Wir haben Luftfilter, es wird regelmäßig getestet, in der Kita wurden die Gruppen getrennt. Alle ErzieherInnen und LehrerInnen sind geboostert – ich konnte unseren Einrichtungen wirklich keinen Vorwurf machen. Ich weiß, dass das bei vielen anders ist. Aber unser Umfeld hat wirklich die ganze Zeit über alles gegeben und sehr vernünftig reagiert. Auch die Eltern untereinander waren immer besonnen: man kommunizierte offen, da waren keine Vorwürfe und auch kein Versteck-Spiel.

Wir holten sofort das andere Kind ab. Trafen uns alle zuhause und wussten: jetzt sind wir alle in Isolation. Krass. Jetzt ist es echt passiert! Und obwohl man dieses Szenario so lange vor Augen hatte, hunderte Male in Gedanken durchgespielt hatte, wussten wir nicht ganz genau, was jetzt weiter zu tun ist. Wir informierten Schule und Kita sofort und alle Menschen, die wir in den letzten zwei Tagen gesehen hatten. Anscheinend hatten wir niemanden angesteckt. Puh. Aber selbst wenn: alle Eltern reagierten gelassen. In Berlin waren zu diesem Zeitpunkt in den meisten Bezirken eh schon soo soooo viele Familien infiziert. Niemanden schockte das mehr. Verrückt, oder?

Die Kinder waren zum Glück gut drauf. Sie jubelten sogar: “Ich bin positiv!” – “Ich auch!” – “Nein, du noch nicht offiziell!” – “Aber ich bin sicher auch positiv!”. Ja, genau? Hatten wir uns überhaupt schon angesteckt? Sollten wir das positive Kind jetzt etwa isolieren? Maske tragen, lüften, in getrennten Zimmern schlafen und versuchen, uns nicht anzustecken? Den Platz hatten wir gar nicht… Wir sprachen mit Freunden, die die verschiedensten Szenarien durch hatten: positives Kind isoliert für mehrere Tage, oder: beide Erwachsenen infiziert und dann Maske zuhause getragen und viel gelüftet, denn man will das Kind ja nicht wissentlich infizieren. In unserem Umfeld hatte nur die Variante “Ein Erwachsener isoliert sich” funktioniert. In den anderen Fällen hatten sich immer fast alle angesteckt. Nur eben zeitverzögert. Wir beschlossen: das lohnt sich jetzt nicht mehr. Wir sind wahrscheinlich eh schon alle angesteckt. Wir zweifelten diesen positiven Antigen-Test also keine Sekunde lang an. Schließlich war da ein nachgewiesener Kontakt und hatte das Kind nicht auch morgens mal geniest? In Berlin war zu diesem Zeitpunkt schon die Knappheit der PCR-Tests Thema und wir dachten im ersten Moment: Wir belassen es nun dabei. Warum noch mal mit einem infizierten Kind das Haus verlassen, um etwas zu bestätigen, was wir eh wissen?

PCR – dann doch

Der Kinderarzt belehrte uns eines Besseren: “Das Virus ist meldepflichtig und noch ist das Prozedere, dass man einen PCR-Test machen muss.” (Eventuell ist es jetzt anders, bitte fragt immer nach!). Okay. Zum Glück konnten wir quasi sofort kommen. Wir sollten im Hof warten, es würde dann jemand für den Abstrich kommen. Wir ließen das andere Kind direkt mit testen, denn es war ja sehr wahrscheinlich, dass es auch schon infiziert war. Und uns? Wir Erwachsenen hatten es doch wahrscheinlich auch schon? Uns wollten sie aber nicht mit testen. Ohne Symptome kein PCR. Alles klar.

Es fühlte sich komisch an, noch mal das Haus zu verlassen. Und wirklich wirklich Niemandem zu nahe zu kommen. Wirklich infektiös zu sein. Nachdem wir das so lange geübt hatten. Jetzt war es real – und ich war heillos überfordert damit. Auch das 5-jährige Kind musste eine FFP2-Maske tragen (wir hatten zum Glück noch eine für Kinder zu Hause), mit dem Bus? Auf keinen Fall. Wir fahren mit dem Fahrrad. Nichts anfassen! Nicht im Treppenhaus stehen bleiben! Abstand! “Mama, können wir noch was beim Bäcker holen?” Puh. Okay. Aber ihr wartet draussen! Abstand! Masken anlassen!

Zurück zuhause fiel uns auf, dass wir so gar nicht auf eine Quarantäne vorbereitet waren. Auch das ist irgendwie lustig, oder? Wie oft hatten wir Essen gelagert, Konserven gehortet, waren auf den Worst Case eingestellt gewesen. Nie trat er ein. Jetzt war er plötzlich da – und wir hatten nur noch eine Rolle Klopapier zuhause. Und kaum Lebensmittel.

Unsere Nachbarn fuhren zu DM und stellten uns Tüten mit allem Möglichen vor die Tür. Das war so eine Freude, wie Weihnachten. Wir bestellten Lebensmittel und ließen sie vor der Tür abstellen. Wir versuchten am Anfang noch, die Tage zu planen – und am Ende rauschten wir dann einfach so da durch. Blieben fast den ganzen Tag im Schlafanzug, die Glotze lief (einzige Regel: tagsüber kein Schrott. Das bedeutet: kein Netflix oder so. Nur “gute, lehrreiche” Sachen aus der ARD Mediathek oder richtige Filme), immer wieder kochen, Spülmaschine, irgendwie ein bisschen Ordnung halten. Spülmaschine, Spülmaschine, ständig lüften, Waschmaschine, ständig Wäsche waschen. Irgendwie will man die Viren ja “wegwaschen”!

Das PCR-Ergebnis der Kinder kam direkt am nächsten Tag. Beide positiv. Das war nicht überraschend und trotzdem: ich sah diese unfassbar symptomfreien Kinder an und konnte es nicht glauben. Aber wir hatten zwischendurch ja auch schon Selbsttests gemacht, die zwei dicke Streifen angezeigt hatten. Auch das war irgendwie schrecklich – und doch auch ganz aufregend. Nach zig Selbsttests endlich mal einer positiv. Und dann gleich sowas von. Abends muss ich niesen. Oft und heftig. Mein Hals kratzte. Meine Nase lief. Mein Partner fühlt sich schlapp. Auch sein Hals kratzte. Selbsttest: negativ. Kann doch nicht sein! Dann Google fragen. “Bei Omikron sind die Antigen-Tests oft eher im Hals positiv.” Also machten wir nochmal einen “Spucke-Test” – zack. Positiv. Jetzt waren wir offiziell alle vier infiziert.

Vier Mal Positiv

Am nächsten Tag mit Maske zur Teststelle laufen. Antigen-Test war sofort positiv und auch hier sagte das Personal: Wir machen direkt PCR, noch ist das die Regel. Das positive Ergebnis sollten wir erst viele Tage später bekommen. Aber es änderte ja auch nichts. Kaum zurück vom Testen wurden die Symptome bei beiden Eltern immer stärker. Gliederschmerzen, unendliche Erschöpfung, Schlafen, Nasen zu, Halsweh. Immer wieder war mir eiskalt, meine Füße langen auf einer Wärmflasche und ich fror. Schüttelfrost nennt man das wohl. Meine Beine taten weh. Ich habe richtig gespürt, wie das Virus in jeder Zelle des Körpers wütet. Und wie mein Körper dagegen arbeitet. Die Kinder machten so ihr Ding. Sie sind beide symptomfrei durch diese Woche gegangen – unglaublich. Es war Chaos. Wir hatten Hausaufgaben von der Lehrerin bekommen, die wurden mehr schlecht als recht erledigt, die Kinder durften am iPad spielen und sahen zwei bis drei lange Disney-Filme hintereinander. Die ersten Tage hatte ich noch Bügelbilder mit ihnen gemacht und vorlesen – das war jetzt nicht mehr drin. Kochen auch nicht. Wir bestellten Pizza. Wechselten uns ab. Einer lag vorne bei den Kindern im Wohnzimmer und vegetierte vor sich hin – der andere hinten im Schlafzimmer. Beide Eltern krank. Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten, wenn unsere Kinder noch kleiner gewesen wären…

Glück im Unglück

Zum Glück gingen die Symptome so schnell, wie sie kamen. Ob das mit den ganzen Impfungen zu tun hat? Wahrscheinlich. Aber es gibt wohl auch keine Regeln. Ich bin eigentlich die mit dem schwächsten Immunsystem der Familie, ich erwische immer alle Krankheiten als erstes und am Heftigsten – und ich steckte Omikron besser weg als mein Partner, der wirklich nie krank ist. Nach dem Wochenende fühlte ich mich schon wieder recht fit. Der Mann brauchte einen Tag länger, aber am Dienstag, das war Tag 4 nach unseren positiven Tests, waren wir schon fit genug, um ein Elterngespräch mit den LehrerInnen per Teams zu machen, etwas zu arbeiten und mal wieder ein bisschen Ordnung zu machen. Wir beschlossen, uns zumindest morgens aus dem Schlafanzug zu pellen und wieder ein bisschen Struktur in unser Quarantäne-Leben zu bringen. Klappte so mittel. Der Schlafrhythmus der Kinder hatte sich extrem nach hinten verlagert, Papa ging meist mit Kind zwei zwischen neun und zehn schlafen, ich blieb mit Kind eins wach, wie sahen Filme und Dokumentationen – gingen nicht vor 23 Ihr ins Bett, schliefen morgens bis neun, das Kind sogar noch länger. Es war echt Flodderhausen. Selten habe ich mich so matt und uninspiriert gefühlt. So leer. Ich fand nicht mal eine gute Serie, die mich erheiterte, irgendwie hatte ich auch nur schwere Kost auf dem Bücher-Stapel. Außerdem war ja immer ein Kind wach! Wir sahen uns “Astrid” an und “Welcome to Earth” und unzählige Familienfilme. Ich konnte schlecht schlafen, weil ich so unausgelastet war. Mir fehlte die frische Luft, Bewegung, irgendwas…

Aber obwohl das wirklich nicht schön war, alle vier zuhause und isoliert von der Außenwelt – es ging schnell vorbei. Viel schneller, als erwartet. Aufstehen, Frühstück, Hausaufgaben, Fernsehen, Spielen, Lesen – und plötzlich war es schon wieder dunkel und schon wieder Abend. Wir hatten ein Tischtennis-Set bei Decathlon bestellt, das kam genau, als es uns wieder besser ging. Von da an funktionierten wir den Esstisch zur Tischtennis-Platte um, was wirklich Spaß machte. Die Selbsttests Kinder waren ab Mittwoch schon wieder negativ, arm Donnerstag konnten sie sich “offiziell” freitesten, das war dann Tag 7. An diesem Tag bekamen wir dann auch eine SMS vom Gesundheitsamt. Wir sollten unsere Kontakte informieren und uns in Quarantäne begeben. Haha! Ich mache dem Gesundheitsamt keinen Vorwurf. In vielen Berliner Bezirken waren die Inzidenzen da schon über 3000. Niemand erwartete mehr irgendwas. Alle machten es selbst. Wir konnten nicht mit den Kindern zur Teststelle, aber sie durften kurz mit den Nachbarn raus. Wie ausgeglichen sie danach waren! Ich war richtig neidisch. Wir mussten noch durchhalten, hatten an Tag 6 immer noch leicht zwei Streifen auf den Tests… Im Freundeskreis dauerte es bei den meisten sogar noch länger, viele waren über 10 Tage lang positiv.

Freitesten nach 7 Tagen?

Wir zitterten. Wir hatten keine Symptome mehr, außer leichte Erschöpfung und krasse Augenringe. Wir hatten einen Schnee-Urlaub gebucht, den hatten wir schon einen Tag nach hinten verschoben – mehr ging nicht… An Tag 8 (bei den Kindern Tag 10) fuhren wir morgens alle zur Teststelle – negativ. Alle negativ. Was für ein Glück. Wir waren frei! Fuhren aufs Tempelhofer Feld, einer der besten Orte Berlins, um Freiheit zu spüren. Die Luft tat so gut. Die Weite. Bewegung! Es fühlte sich an wie der erste Frühlingstag nach einem langen, harten Winter. Im Januar! Wir meldeten unsere Freitestung beim Gesundheitsamt. Wir konnten frisch genesen in die Berge fahren. Was für ein Glück.

An alle, die gerade drin stecken: Haltet durch. Es ist schrecklich und unfassbar anstrengend. Vor allem für Alleinerziehende und vor allem in kleinen Wohnungen. Lasst euch von Nachbarn helfen, lasst den Fernseher laufen. Es geht vorbei. Und wenn die Kinder drei Tage Müsli essen – dann ist das eben mal so. Ich bin im Nachhinein froh, dass wir so überrascht und so krank waren, dass wir uns keine Pläne und Vorwürfe gemacht haben. Wir sind da einfach so durchgerauscht. Und wenn die Kinder drei Stunden am Stück spielen und 20 Hörspiele hören und erst um Mitternacht schlafen – dann ist das eben mal so. Bei uns war es so. Es war das reinste Chaos. Aber ich glaube, alles andere wäre auch unrealistisch gewesen. Und wie gesagt: es ging am Ende schneller, als erwartet. Ich bin froh, dass Omikron oft schnell vorbei ist. Und froh über die Möglichkeit, dass man sich nach 7 bzw 10 Tagen freitesten kann. Diese 14 Tage fand ich immer ganz schön furchteinflößend. Über viele andere Dinge und wie sie gelaufen sind, bin ich nicht froh. Es ist unfair, dass es jetzt so viele Familien erwischt. Aber ich bin zu müde, mich aufzuregen. Und erleichtert, dass wir nun erst Mal durch sind…

Und außerdem: Bald ist Frühling! Und dann hat der Spuk vielleicht ein Ende…