Teilen und andere Tugenden – muss man das lernen?
Der übliche Streit ums Spielzeug
Nun kam es aber zu der Situation, dass Quinn (sie ist jetzt ein Jahr alt und immer noch Krabbelkind, sie ist immer das Baby auf dem Spielplatz) ganz dringend etwas haben wollte von einem etwas größeren Kind. Ein Sandspielzeug im Zweifelsfall. Sie schrie und tobte und kämpfte, aber das Kind verteidigte sein Spielzeug vehement. Es wurde richtig brutal. Ich zog meine Tochter aus der Situation und versuchte, sie abzulenken. Ehrlich gesagt suchte ich zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht den Kontakt zu der anderen Mutter, denn was gibt es schon groß zu sagen, solche Dinge passieren eben und ich finde ja, dass Kinder auch ein Nein akzeptieren müssen, wenn der Besitzer sein Hab und Gut nicht teilen will.
Ich redete deshalb beseelt auf mein keifzendes Baby ein: “Schatz, das gehört nun mal dem Mädchen, nicht so schlimm, schau mal hier, auch ganz toll”. Wunderte mich dann aber irgendwann doch ein bisschen, dass von der anderen Mutter GAR nichts kam. Normalerweise sind Eltern von kleinen Kindern ja immer eher überkorrekt bei solchen Dingen, raunen sie oft regelrecht an: “Jetzt gib es ab! Du MUSST teilen, man muss teilen!” (was ich auch immer etwas übertrieben finde). Diese Mutter sagte aber nun gar nichts.
Als sich die Situation entspannt hatte, lächelte ich sie erleichtert an und sagte sowas wie: “Sandspielzeug ist einfach ein leidiges Thema, oder?” Darauf sie: “Meine Tochter muss nicht teilen.” Da war ich dann doch etwas überrascht. Ich sagte: “Nein, natürlich muss sie nicht. Aber man kann ja trotzdem sagen, dass Teilen prinzipiell eine gute Sache ist?”
Ich hasse es, andere Mütter zu kritisieren. Ich versuche es, wann immer möglich zu vermeiden. Ich weiß auch nicht, ob mein Kommentar gemein war, aber ich konnte einfach nicht anders. Das war eine der wenigen Situationen, in denen ich das Verhalten einer anderen Mutter überhaupt gar nicht nachvollziehen konnte. Klar: Abgeben, Teilen, das sind Dinge, die Kinder erst später machen. Mit einem Jahr muss noch kein Kind empathisch sein und seine Sachen teilen. Ich finde es auch Quatsch, wenn Eltern sich da zu viel einmischen, ihrem Kind am besten das Spielzeug aus der Hand nehmen und es dem anderen Kind übergeben. Aber es gar nicht zu thematisieren? Man will doch schon ein paar Werte mitgeben und Nächstenliebe steht da bei mir recht weit oben. Nun gut. Wir verdrückten und jedenfalls ziemlich schnell, und ich sah die Mutter nie wieder. Puh.
Lustigerweise wurde das Thema ein paar Wochen später im Netz rauf- und runtergespielt. Eine amerikanische Mutter hatte sich erdreistet, ihrem Kind zuzugestehen, nicht abgeben zu müssen. Und sie wurde daraufhin beschimpft. Ich muss sagen, dass ich in dieser Sitaution voll bei der Mutter bin. Ich sage auch meinem Kind, dass er nicht teilen MUSS (auch nicht mit seiner Schwester), füge aber immer hinzu, dass Teilen eigentlich schon erstrebenswert ist. Auf freiwilliger Basis! Das besprochene Kind hat dann am Ende auch geteilt, aber eben mit seiner Freundin. Irgendwie völlig verständlich, dass er nicht mit Fremden teilen wollte. Also war mein Kommentar der anderen Mutter gegenüber vielleicht auch etwas übertrieben?
Überkorrekte Eltern
Wie gesagt, normalerweise erlebe ich es immer andersrum. Eltern die intensiv auf ihre Kinder einreden, doch bitte bitte das Spielzeug abzugeben. Da würde ich auch gerne oft sagen: “Ist schon okay. Die müssen nicht teilen!” Vermutlich ist es sogar so, dass Kinder die zum Teilen gezwungen werden, ihren Besitz noch vehementer verteidigen. Oder dass sie irgendwann teilen, nur weil sie denken, dass das von ihnen verlangt wird, was ja auch Quatsch ist. Ich kann dieses “überkorrekte” Verhalten aber so gut nachvollziehen. Diese “Meins! Meins! Meins!” Phase ist hart für uns, denn es ist einfach ein unsympathischer Charakterzug, wenn man nicht abgeben will. Also gar nicht. Wenn man immer Angst hat, dass einem andere die Butter vom Brot klauen könnten. Und unsympathisch wollen wir unsere Kinder natürlich nicht finden! Aber diese Phase ist nun mal ganz normal.
Kinder definieren sich in diesem Alter stark über Gegenstände. Dass sie auch ohne ihr Hab und Gut funktionieren, müssen sie erst lernen. Und es ist wohl auch so, dass es ein Instinkt, ein angeborenes Verhalten ist, Dinge besitzen zu wollen und diese auch zu verteidigen. Teilen und Abgeben ist ein soziales Verhalten, das wir uns quasi erst mal angewöhnen, das wir lernen müssen. Außerdem müssen Kinder in der Lage sein, Empathie zu empfinden. Und das tun sie bekanntlich recht lange nicht. Stattdessen sind sie kleine Egoisten, sehen wirklich nur sich. Das ist nichts Unsympathisches, sondern einfach ganz normal. Und es hört irgendwann auf, wohl spätestens in der Schule.
Meins! Meins! MEEIIINNSSS!
So war es auch bei uns. Bei Xaver war die Meins-Phase recht ausgeprägt. Er war wirklich kein guter Teiler und zwar eine sehr sehr lange Zeit lang. Sicher habe auch ich oft kopflos versucht, auf ihn einzuwirken, habe ihm erklärt, wie schön teilen ist. Wie gut es tut, anderen etwas abzugeben und dass diese anderen einem dann auch lieber helfen, wenn man mal selbst etwas braucht. Ohne Erfolg.
Bis vor ein paar Monaten. Da wandelte sich seine Einstellung radikal. Es war so, als hätte er erst mit knapp vier Jahren so richtig verstanden, was es auf sich hat mit den materiellen Dingen. Dass sie schön sind, aber auch nicht so wichtig. Letztens ist eine Ninjago-Figur in der Kita verschütt gegangen, die einen enormen Wert für ihn hatte. Aber er fand es gar nicht so schlimm.
Es begann damit, dass er das Teilen (und Leihen und Schenken) erst mal “passiv” voll auskostete. Wann immer wir bei Freunden waren, spielte er exzessiv mit dem fremden Spielzeug, und oft fragte er dann: Schenkst du mir das? Leihst du mir das? Kann ich damit spielen? Meistens war die Antwort: JA und mein Sohnemann glücklich. Auf diese Art und Weise hat er übrigens mehrere Spielzeuge ergattert, die ich ihm niemals gekauft hätte – und das weiß er auch ganz genau.
Seit ein paar Wochen ist es jetzt “aktiv” genauso. Er verschenkt, verleiht und teilt wie ein Weltmeister. Bittet morgens um mehr Obst in der Brotbox, weil er abgeben will. Verschenkt im Kindergarten beseelt Playmobil-Figuren und erzählt mir abends mit einem Strahlen im Gesicht davon. “Er hatte nichts dabei am Spielzeugtag da habe ich ihm meine Playmobil-Männer geschenkt. Er hat sich so gefreut. Wir sind jetzt Freunde.” Es ist wirklich so, als würde er jetzt auch merken, wie schön es ist, anderen eine Freude zu machen. Stichwort: Empathie!
Deshalb kann ich an dieser Stelle alle Eltern beruhigen, deren Kinder noch fest in der Meins-Phase stecken.
Es regelt sich wirklich irgendwann von selbst!
Nun stelle ich mir aber gleichzeitig natürlich die Frage: Regelt es sich wirklich von selbst? Hätte Xaver auch so gut angefangen zu teilen, wenn ich nicht immer auf ihn eingewirkt hätte? Wenn ich ihm nicht immer wieder gesagt hätte, dass man das so macht? Wie gesagt, es handelt sich hierbei ja doch um soziales Verhalten, das man sich erst erarbeiten muss. Anders gefragt: Wird die Tochter der Mutter am Spielplatz, die ja dann vielleicht noch nie von einer Bezugsperson gehört hat, dass Teilen etwas Gutes ist, auch irgendwann teilen?
Ich glaube ja schon, schließlich sind das Tugenden, die man auch unabhängig von den Eltern mitbekommt. Im Kindergarten, von den Großeltern, überall.
Außerdem sind wir ja auch jeden Tag Vorbilder. Ich teile so ziemlich alles mit meinen Kindern, ich sorge dafür, dass sie immer von allem genug haben. Auch die Mutter, die ihrer Tochter nicht sagt, das Teilen schön ist, ist sicher ein gutes Vorbild und lebt ihrem Kind das vor, was sie nicht ausspricht.
Oder was denkt ihr?