Starke Jungs oder: Man haut doch nicht!

Zu einer der instinktivsten Handlungen eines Menschen, würde ich mal behaupten, zählt das Handgreiflichwerden.

Besonders als ich schwanger war, hormongeladen und mich ganz schnell über Kleinigkeiten aufgeregt habe, hatte ich, um ehrlich zu sein, öfter mal gewisse Gewaltfantasien. Keine Angst! Ich habe niemanden verletzt, aber der ein oder andere hat mich zur Abwechslung mal hysterisch erlebt (beispielsweise weil das Paket, wie so oft vom DHL-Boten nicht ausgeliefert wurde – ich wohne im 5. Stock).

Aber zurück zum Hauen. Früher habe ich Mütter, deren Kleinkinder sie gehauen haben, so angeschaut, als hätten sie erziehungstechnisch schon komplett versagt. Ich würde es nie zulassen, dass mein Kind sich traut mir eine zu wischen! Auch hier mal wieder weit gefehlt. Mein Sohn haut schon manchmal zu, es wird immer weniger, aber es passiert noch. Allerdings ist es eher ein “rhetorisches” Zuschlagen: Er tut es mit einem ganz ernsten Gesichtsausdruck, erwischt mich aber nicht richtig, weil er genau weiß, dass er das eigentlich nicht darf. Für ihn ist es oft das letzte Mittel, wenn ich etwas verbiete. Ich versuche ihm dann klar zu sagen, dass Hauen falsch ist. Gleichzeitig versuche ich aber auch ein nicht zu großes Drama darum zu machen, um dem Hauen nicht noch mehr Bedeutung zu geben.

Grenzen austesten

Oft habe ich das Gefühl, dass Junio so aber auch seine Grenzen austestet: Was darf ich, was nicht. Wie weit kann ich gehen? Oder es ist ein Ventil für seinen Trotz (davon haben Kleinkinder in den “terrible twos” ja genug). Letztens kam es auch zu dem Gespräch, von dem ich gehofft hatte, es würde nie stattfinden: Die Kita-Erzieherin sprach mich darauf an, dass Junio andere Kinder haue – ja sogar beiße. Wie ist aus meinem kleinen, sensiblen Baby-Jungen jetzt plötzlich ein Schläger-Typ geworden?! Nun ja, so ganz stimmt das nicht. Sein Verhalten ist wohl normal – er hatte einfach einen nicht so guten Tag. Reicht das aber schon als Erklärung?

So manches Gerangel in der Kita ist aber doch mehr ein körperliches Grenzen austesten. Den einen Grund fürs Hauen gibt es leider nicht. Oft sind die Ursachen individuell. Fehlendes Einfühlungsvermögen beim Kind, Eifersucht oder Unsicherheit – um nur Einige zu nennen.

Andere Kinder hauen

… ist natürlich doof. Aber gehört es nicht doch auch ein wenig zum Entwicklungsprozess dazu? Ich denke da zum Beispiel an manche Spielplätze im Prenzlauer Berg, bei denen Kinderstreitereien gleich in diplomatische Krisen ausarten. Da will Louis den Bagger von Oskar und schon geht’s los. In Sekundenschnelle flitzen die Eltern zum Unglücksort und versuchen panisch zwischen den Kindern zu vermitteln. Nun ja, den Kids ist das oft egal. Aber der Druck wirkt bei mir: Wie oft saß ich schon daneben und habe Junio ganz vorbildhaft das Teilen erklärt und dachte mir innerlich, dass sie das eigentlich unter sich selbst klären sollten. Natürlich gibt es Dinge, die wirklich nicht gehen (kratzen, beißen, kleine Kinder hauen etc.), da muss dann auch mal eingeschritten werden. Aber irgendwie glaube ich daran, dass man Kinder oft auch einfach mal spielen und Konflikte austragen lassen muss.

Mädchen sind doch oft anders

Auch wenn typische Verhaltensunterschiede nicht genetisch festgelegt sind (FAS), erlebe ich Mädchen in Junios Alter definitiv als anders. Es wird einfach weniger gehauen, weniger umhergerannt, weniger Monster gespielt. Junio ist irgendwie Energie-geladener, wilder, territorialer. Da muss alles und jeder Fleck verteidigt werden. Für mich lässt das eine gewisse Unsicherheit erahnen, während Mädchen mehr bei sich sind. Klar, das ist meine subjektive Wahrnehmung, und doch habe ich mich vom Interview des Hirnforscher Gerald Hüther in der FAS  bestätigt gefühlt.

Starke Jungs

Seine These: Weil Jungs schwächer aufgestellt sind als Mädchen,ihnen fehlt das zweite X-Chromosom, brauchen sie mehr Halt: “Wegen ihrer schwächeren Konstitution begeistern sich schon Jungs für alles, was ihnen Erfolg, Status und Geltung verschaffen könnte (…) Wenn ein Kind konstitutionell schwächer ist, muss es mehr tun, um Stabilität zu finden. Nicht umsonst haben Jungs diese Affinität zu allem, was gewaltig und stark aussieht.” Das erklärt doch eine Menge. Aber wie wird er jetzt zu einem starken Jungen, der sich nicht ständig hauen zu muss? Er braucht Liebe, Aufmerksamkeit und Verständnis. Und viele männliche Figuren in seiner Umgebung. Gar nicht so einfach für die kleinen Jungs, wenn Papa viel arbeitet und es auch in den Kitas hauptsächlich weibliche Erzieherinnen gibt. Eine gute Vaterfigur ist aber ungemein wichtig.

Jungs-Mama sein ist toll (wie Isabel schon ein mal geschrieben hat), aber ich bin auch unheimlich froh, dass Junio einen Papa hat, mit dem er sich so richtig raufen kann. Ich habe manchmal das Gefühl, mir fehlt es da an Energie – und er braucht Dinge, die ich ihm nicht geben kann. Gut, dass es dann auch die Papa-Zeit gibt, wo Monster herauf beschwört werden, und (auch große) Jungs mal wieder richtig Jungs sein können.