So war es für uns, Geflüchtete aus der Ukraine zuhause aufzunehmen

Die Situation in der Ukraine lässt niemanden kalt. In den letzten Wochen haben uns so viele Nachrichten erreicht: Wie können wir helfen? Sollen wir als Familie jemanden aufnehmen? Habt ihr da Erfahrungsberichte? Heute erzählen uns Sandra und Lena, wie es für sie war, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. Lena lebt mit ihrem Partner in Potsdam, sie ist hochschwanger und hat das baldige Kinderzimmer freigeräumt, Sandra lebt mit Partner und zwei Kindern in Köln. Die Erfahrungen der beiden sind natürlich sehr individuell - jede Familie ist anders und natürlich weiß man auch nicht, wen man schlussendlich bei sich aufnimmt. Aber vielleicht helfen euch die Berichte der beiden bei der Entscheidung, ein Zimmer für eine geflüchtete Familie bereitzustellen.

Sandras Erfahrungen:

Wir hatten uns gleich zu Beginn des Krieges bei verschiedenen Plattformen zur Aufnahme von Geflüchteten registriert. Am Freitag, 11.März, ging es dann ganz schnell und ich habe eine Mama mit ihrer Tochter abgeholt – von der Kontaktaufnahme bis zur Abholung vergingen keine zwei Stunden! Wir wohnen mit unseren zwei Kindern (sechs und vier Jahre alt) in Köln in einem Haus zur Miete. Unser Arbeits- und Gästezimmer haben wir so gut es geht freigeräumt und unser kleines Duschbad nutzen nun nur die beiden Gäste. Wohn- und Essbereich, Küche und Garten nutzen wir alle gemeinsam.

Direkt nach der Ankunft ging es darum, Kleidung und Dinge des täglichen Bedarfs für die beiden zu besorgen. Sie sind nur mit zwei kleinen Taschen angekommen, da sie nur zehn Minuten Zeit hatten, um zu packen – sie kommen aus der Nähe von Mariupol. Die Hilfsbereitschaft von unserem Netzwerk aus Freunden und KiTa-Eltern war aber riesig und so kam ziemlich schnell alles Nötige zusammen.

Ihr seid willkommen

Dann war wichtig, sie erstmal ankommen zu lassen und ihnen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Denn es ist der Mutter wahnsinnig unangenehm, auf Hilfe angewiesen zu sein. Sie hatte in der Ukraine eine Eigentumswohnung und war Managerin im Einzelhandel – sie war also völlig autark. Und hier ist sie auf 100%ige Unterstützung angewiesen. Man kann sich vorstellen, wie sich das anfühlt.

Natürlich helfen wir bei allen organisatorischen Dingen, bei den Ämtern und so weiter – und mittlerweile haben wir zwei weitere Freunde mit Kindern von ihr bei Freunden von uns untergebracht.

Wir hatten uns die Aufnahme vorher gut überlegt, aber mich hat es in den ersten Tagen emotional doch überwältigt. Der Krieg und das Leid, das damit verbunden ist, rückt mit der Aufnahme von Flüchtenden in den eigenen Alltag und das muss man erstmal zulassen in seinem zuvor sorgenfreien Leben. Wir bekommen nun 24/7 mit, was ihre Sorgen sind, was mit ihrer Mutter passiert, die in der Ukraine geblieben ist und wie sie um ihren Vater bangt, der im Krieg ist.

Und natürlich fühlt man sich für die beiden verantwortlich. Neben Job, Kindern und dem sonstigen Alltagskram kommt damit eine weitere zeitliche und emotionale Belastung hinzu.

Bereichernd finde ich dagegen, dass man nochmal sehr real vor Augen geführt bekommt, dass die eigene vegane-Bio-Elektro-Bubble nicht das Non-Plus-Ultra ist und es sehr viel Wichtigeres gibt. Außerdem finde ich es schön, unseren Kindern mitzugeben, dass es ganz natürlich dazugehört, jemandem zu helfen, der in Not ist. Ich hoffe, dass sie das mitnehmen für ihre Zukunft.

Gut eingespielter Alltag

Was das Zusammenleben betrifft, hat es sich irgendwie ziemlich schnell und gut eingespielt. Abends essen wir immer gemeinsam und am Nachmittag spielen die Kinder miteinander. Abends verschwinden unsere Gäste dann meistens in ihrem Zimmer.
Unter der Woche gehen mein Mann und ich ganz normal unserer Arbeit nach und die Kinder sind im Kindergarten – da waren unsere Gäste dann in den ersten Tagen auf sich alleine gestellt. Alleine rausgewagt haben sie sich aber nicht. Für die Tochter haben wir total problemlos einen Schulplatz bekommen. Ich bin ganz erstaunt, wie unkompliziert deutsche Bürokratie sein kann. In der Klasse sind zwei Mädchen die Russisch oder Ukrainisch sprechen. Die Kleine hat sich deswegen direkt wohl gefühlt.

Auch mit unseren Kindern läuft es super. Kinder sind der Knaller. Es hat zehn Minuten gedauert und ab dann haben sie sich einfach auf ihren jeweiligen Sprachen unterhalten. Sie reden miteinander, obwohl sie sich rein theoretisch nicht verstehen können. Wahnsinn. Von Kindern kann man so viel lernen dabei. Kein Wunder, dass Kinder so schnell neue Sprachen lernen.
Unsere Kinder haben auch total schnell akzeptiert, dass unsere Gäste jetzt für eine unbestimmte Zeit bei uns bleiben. Wir haben ihnen vorher altersgerecht erklärt, dass ein böser Mann in der Heimatstadt von den beiden alle Häuser kaputt macht und dass sie deswegen bei uns wohnen, bis sie eine neue Wohnung gefunden haben. Seitdem gab es keine weiteren Fragen dazu.

Ich habe aber auch schon gehört, dass es für Kinder schwer sein kann, ihr Zuhause zu teilen und dass Kinder sich nicht immer automatisch verstehen. Ich denke, das ist normal, aber das muss man einkalkulieren und dann natürlich entsprechend begleiten. Ich bin froh, dass das bei uns so gut klappt.

Die Sprachbarriere

Wir dagegen haben natürlich eine etwas größere Barriere. Wir sprechen weder Russisch noch Ukrainisch und sie spricht weder Deutsch noch Englisch. Wir kommunizieren über eine Translation App, was erstaunlich gut funktioniert. Diese hat uns aber schon einige Male ordentlich zum Lachen gebracht. Wenn so Dinge rauskommen wie „ich koch jetzt das Baby“ oder „ich melke die Nudeln“ oder „die Kinder sind auf Mayonnaise“.

Generell klappt es trotz fehlender gemeinsamer Sprache sehr gut. Mein Mann und ich waren schon mehrfach für längere Zeit im Ausland, natürlich unter ganz anderen Umständen, aber wir können uns deswegen zumindest was die sprachliche Schwierigkeit angeht, sehr gut in sie hineinversetzen.

In den ersten Tagen dachte sie, dass sie in ein paar Wochen wieder zurückgehen würden, aber mittlerweile ist ihr klar, dass das so schnell nichts wird. Deshalb sind die nächsten Schritte jetzt einen vernünftigen Deutschkurs für die Mama und mittelfristig eine Wohnung für die beiden zu finden.

Wir wissen nicht, wie lange sie bei uns bleiben werden. Wir gehen aber schon davon aus, dass es noch ein paar Monate dauern kann, denn eine Wohnung in Köln zu finden ist schon unter normalen Umständen eine Katastrophe. Wir möchten die Mama aber auf jeden Fall dabei unterstützen, dass sie sich ein unabhängiges Leben für die Zeit hier in Deutschland aufbauen kann, wenn sie das möchte.

Was ich anderen Familien raten kann, die sich das auch überlegen? Erstmal würde ich sagen, wenn man sich sicher ist, helfen zu wollen, dann kriegt man es auch hin. Wir dachten vorher, unser Leben sei so voll wie nie und wir haben keine Zeit für nix. Aber als der Krieg losging, war das irgendwie eine intuitive Entscheidung.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich der eigene Alltag für die Zeit des Aufenthalts ändert. Man braucht Geduld, was die Sprache angeht und am besten schafft man sich ein Netzwerk aus Helfern und Helferinnen, die Sachspenden bringen aber auch mal einen Gang zum Amt übernehmen können.

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Lenas Erfahrungen

Wir haben für kurze Zeit eine ukrainische Mutter und ihren 15-jährigen Sohn aus Charkiw bei uns aufgenommen. Der Kontakt kam über eine gute Freundin zustande, die selbst aus der Ukraine stammt. Ihr hatte ich gesagt, dass wir zur Zeit ein freies (Gäste- und Arbeits-, zukünftig Kinder-) Zimmer haben, wo vorübergehend Verwandte, Freund*innen, oder andere Bekannte von ihr unterkommen können. Der Kontakt kam also privat, nicht über eine der (tollen!) Plattformen zustande.

Die beiden waren nach Kriegsanfang noch eine Woche in Charkiw geblieben, haben mehrere Nächte im Keller verbracht und von dort die Explosionen gehört. Dann haben sie entschieden, dass Mutter und Kind fliehen. Der Vater durfte als unter-60-Jähriger nicht ausreisen. Er ist in Charkiw geblieben. Sie telefonieren jeden Abend.

Wenig Hilfe benötigt

Unsere Situation war vielleicht insofern besonders, als dass die beiden selbst eine Verwandte haben, die vor sechs Jahren zum Studium nach Berlin gekommen ist. Diese spricht fließend Deutsch und hat sich um vieles gekümmert (SIM-Karten, Registrierung, eine langfristigere Unterkunft usw.), konnte die beiden aber selbst nicht in ihrem WG-Zimmer aufnehmen. Es ging also in erster Linie darum, dass sie einen Ort haben, wo sie – unmittelbar bei ihrer Ankunft in Deutschland/Berlin – unterkommen können.

Mein Freund und ich leben in einer Dreizimmerwohnung in Potsdam. Wir erwarten in circa zwei Wochen unser erstes Kind. Das dritte Zimmer wird im Moment als Arbeits- und Gästezimmer genutzt, perspektivisch irgendwann als Kinderzimmer. Damit die beiden einen Raum für sich haben, hat mein Freund seinen Arbeitsplatz ins Wohnzimmer verlegt.

Angesichts des nahenden Geburtstermins hatten wir mit unseren Gästen bzw. deren Verwandten in Berlin verabredet, dass die beiden erst einmal zwei Wochen bei uns bleiben könnten. Im Wochenbett die Wohnung zu teilen, das schien uns doch recht herausfordernd – für uns als Neueltern, für den Familienzuwachs, aber vor allem auch für unsere Gäste. Aber natürlich hätten wir sie nicht einfach vor die Tür gesetzt. Tatsächlich hat sich dann sehr schnell eine Möglichkeit für eine langfristigere Unterbringung in Berlin aufgetan, sodass sie letztendlich nur wenige Tage bei uns waren. Langfristig in Berlin bleiben wollen sie aber eigentlich nicht. Sobald es wieder sicher ist, hoffen sie, zurückkehren zu können, möglicherweise neu anzufangen, weil die Wohnung und das Unternehmen des Ehemannes zerstört sind, und in der Ukraine wieder zur Schule zu gehen.

Möglichst nicht auffallen

Beide waren extrem bemüht, möglichst keine Umstände zu machen. Fast kann man sagen: nicht aufzufallen. Für uns war das gar nicht so einfach. Wir hatten uns darauf eingestellt, sie erst einmal mit zu versorgen – und weil sie am Samstagabend ankamen, schonmal großzügig eingekauft. Trotzdem – und das kann ich gut verstehen – wollten sie am Samstagabend dann selbst noch ein paar Lebensmittel besorgen, z.B. die Lieblingscornflakes für den 15-Jährigen. Am nächsten Tag haben wir gemeinsam gefrühstückt. Die Mutter hat dabei viel von der Flucht und ihrer Sorge, um den Ehemann, aber auch ihrer Angst vor einer weiteren Eskalation, und von dem, was sie verloren haben, berichtet. Wir haben nicht nachgebohrt, eher war es so, dass sie von sich aus jedes Gesprächsthema schnell wieder auf die Situation in der Ukraine gelenkt hatte. Wir konnten uns ausschließlich über die Google Übersetzer App austauschen. Das hat aber überraschend gut funktioniert. Vor allem dank Spracherkennung ist fast so etwas wie ein Gespräch möglich. Die folgenden Tage haben die beiden vor allem in ihrem Zimmer verbracht. Einmal haben sie Bekannte aus Charkiw, die ebenfalls geflohen waren, in Berlin getroffen.

Bereichernd und gleichzeitig belastend ist in jedem Fall die Erfahrung, unmittelbar (mit-) betroffen zu sein vom Krieg in der Ukraine. Mir fiel es leichter, mich zu informieren mit dem Gefühl nicht ganz oder zumindest nicht in allen Bereichen so ohnmächtig zu sein. Gleichzeitig ist es natürlich belastend, so unmittelbar mit den Sorgen und Ängsten, auch mit dem Verlust der Geflüchteten konfrontiert zu sein. In den Gesprächen, die die Mutter von sich aus gesucht hat, habe ich mich oft sprachlos gefühlt. Direkt nach ihrer Ankunft hat sie mich gefragt, ‚Warum macht ihr das, warum nehmt ihr uns bei euch auf?‘. Ich weiß noch, dass ich völlig perplex war.

Eine Tür zum Zumachen

Was ich anderen raten würde? Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, dass Geflüchtete sich zurückziehen und wortwörtlich die Tür hinter sich zumachen können. Viele wissen vielleicht aus Erfahrung, wie anstrengend es sein kann, beim Besuch von Freunden auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer unterzukommen. Wie viel schwieriger ist es da, wenn man die Gastgeber*innen nicht kennt und im Zweifelsfall auch nicht versteht, wenn man eigentlich keine Umstände machen will und die Erfahrungen der Flucht und die Sorge um die Zurückgebliebenen verarbeiten muss. Es ist wichtig, auch einen geschützten Ort zu haben, um mit z.B. dem Partner in der Ukraine telefonieren zu können. Und auch um zu Weinen. Das Bedürfnis Geflüchteter, sich zurückzuziehen sollten Gastgeber*innen respektieren und dem, soweit möglich, auch räumlich begegnen können.

Ich würde auch raten, Angebote zu machen, die die Menschen – ohne nachfragen zu müssen – nutzen können. Denn Nachfragen kostet im Zweifelsfall Kraft und Überwindung, zumal wenn man keine gemeinsame Sprache hat. Z.B. kann man im Zimmer eine Packung Taschentücher und eine Flasche Wasser mit Gläsern bereitstellen. Man kann auch eine Liste zusammenstellen mit Angeboten, wo Geflüchtete in der Nähe kostenlos Essen bekommen können, und/oder wichtige Informationen zur Registrierung etc. auf Ukrainisch und Russisch (z.B. von der Bundesregierung) ausdrucken. Außerdem sind aus unserer Erfahrung ein eigener Wohnungsschlüssel und frei geräumter Platz im (Kühl-, Schuh- und/oder Bad-) Schrank eine gute Idee. Das signalisiert: Ihr seid willkommen, es ist wirklich genug Platz da.

Zuletzt: Versucht euch in die Menschen hinein zu versetzen. Macht Angebote, aber seid auch okay damit, wenn die nicht angenommen werden. Z.B. hatten wir für den ersten Abend extra viel gekocht, weil wir nicht wussten, ob unsere Gäste vielleicht Hunger haben würden. Letztendlich haben sie dankend abgelehnt und sich lieber zurückgezogen. Das ist kein Zeichen von Undankbarkeit, sondern nur zu verständlich.

Danke für euere Erfahrungen!

Anmerkung: Beide haben jeweils eine Mutter mit Kind aufgenommen, wir hören aber immer wieder, dass es gerade an kurzfristigen Unterkünften für mehrere Personen mangelt – oft wollen die Familien nicht getrennt werden oder Frauen haben sich zusammengetan – und möchten ebenfalls zusammen bleiben. Das nur als Hintergrund-Info. 

Wer jemanden aufnehmen kann und möchte, kann sich zum Beispiel hier registrieren:
Warmes Bett
Unterkunft Ukraine
I Can Help

Weitere Informationen: Geflüchtete privat aufnehmen: Die wichtigsten Fragen im Überblick (Süddeutsche)

Praxisleitfaden “Traumasensibler und empowernder Umgang mit Geflüchteten” des Bundesfamilienministeriums.

Eine Trauma-Expertin erklät, was No-Gos sind, wenn man Menschen aufnimmt. (Focus)

“Man sollte nicht unterschätzen, was es heißt, Menschen aufzunehmen” (Zeit Online)

Hier bei Refugees Welcome findet ihr auch noch weitere Informationen