“Princess in Training” – Nein Danke! Ein Erfahrungsbericht zur geschlechterneutralen Erziehung

Früher waren alle Legos bunt. Heute gibt es lila-pinke Sets für Mädchen. Auch Überraschungseier werden mittlerweile “für Jungen” und “für Mädchen” angeboten. Jungs kriegen oft die coolen Sachen – Bausets, Experimentierkästen und Co. Mädchen hingegen, so wird uns suggeriert, stehen doch sowieso viel mehr auf Glitzer, Einhörner und Feen. Seitdem ich selbst Mutter bin, hinterfrage ich regelmässig, wie diese geschlechterspezifischen Messages eigentlich unsere Kinder beeinflussen. Warum lassen wir Kinder nicht mehr Kinder sein? Wieso stecken wir sie schon im pre-pubertären Alter in so enge Schubladen?

Als ich mit meiner Tochter schwanger wurde, war ich überzeugt davon, sie geschlechterneutral zu erziehen. Das bedeutete für mich hauptsächlich, Abstand zu nehmen von der penetranten Prinzessinnenkultur in meiner Wahlheimat, den USA. Es bedeutete auch, meine Tochter Spielsachen auszusetzen, die sie vor allem kognitiv anregen – Puzzels, Bauklötze, Bücher und Bastelsachen. Und vor allem bedeutete es kein Pink. Absolut kein Pink. Nun, jetzt ist es nicht so, dass ich die Farbe Pink per se nicht mag. Gegen die Farbe an sich habe ich eigentlich gar nichts. Aber gegen die Assoziation von Pink mit einem gewissen Mädchenbild. Die meisten Menschen gehen nämlich auf Mädchen ganz anders zu als auf Jungs. Während Letztere oft nach Hobbys gefragt werden oder ihre Sportlichkeit kommentiert wird, reduzieren viele Menschen vor allem kleine Mädchen auf ihr Äußeres: “Oh, mir gefällt Deine Haarspange!”, oder “Du hast aber einen tollen Rock an!” Und so weiter und so fort. Auf ein “Ihre Tochter ist aber hübsch. Was für eine Prinzessin!” konterte ich in der Regel mit “Sie ist auch ziemlich klug” oder “Sie kann auch richtig gut klettern”. Konsternierte Blicke. Auf unseren Spielplätzen fallen Mädchen auf, die kein Pink tragen. “Princess in training” las ich letztens an der Kinderzimmertür einer Bekannten. Nein danke.

Kinder sollen Kinder sein

Als Baby trug meine Tochter daher alle möglichen anderen Farben. Und wurde permanent für einen Jungen gehalten. Warum spielt das Geschlecht überhaupt schon in den ersten Monaten so eine große Rolle? Warum setzen Mütter ihren kahlköpfigen Babys rosa Haarbänder auf, damit auch jeder sehen kann, dass es sich bei dem Baby um ein Mädchen handelt? Das verstehe ich bis heute nicht. Ich jedenfalls sah es als Kompliment an, wenn mal wieder eine wildfremde Person mein “Jungen-Baby” bewunderte. Alles, bloß keine Prinzessin, dachte ich.

Es half ungemein, dass meine Tochter zu einem schwedischen Kindergarten ging. Dort waren Kinder noch Kinder und spielten stundenlang draußen, vornehmlich mit Matsche. Als dann der Frozen-Wahn ausbrach (“Let it goooooo…”), sah man überall nur noch als Anna und Elsa verkleidete Mädchen. Ich werde nie vergessen, als ich einer jungen Elsa dabei zusah, wie sie vergeblich versuchte, eine Rutsche hochzuklettern. Polyesterkleid und Plastikschuhe waren dabei einfach im Weg. Wie traurig, dachte ich. Ich weigerte mich, mir solches Merchandise ins Haus zu holen, geschweige denn es an mein Kind zu lassen. Einmal habe ich sogar meiner Tochter ausgeredet, sich zu Halloween als Prinzessin zu verkleiden, aber ich glaube, daran war Frozen Schuld. Irgendwann reicht es einfach mit Prinzessinnen, oder? Sie ging dann als Hexe.
Meine Tochter wuchs also vornehmlich Prinzessinnen-frei auf. Und abgesehen von dem einen besagten Halloween habe ich sie in der Entwicklung ihrer Vorlieben auch nicht groß bevormundet. Autos und Puppen gab es, Barbies allerdings nicht. Es wurde viel gemalt, aber auch gebaut, zum Beispiel mit diesen tollen Sets. Ihre Kleider waren nicht pink, aber dafür ihr Roller, mit dem mittlerweile ihr kleiner Bruder durch die Nachbarschaft düst.

Natur vs. Erziehung

Mittlerweile ist meine Tochter fast neun Jahre alt. Ihr bester Freund ist ein Junge. Was mich allerdings fasziniert ist ihre durch und durch feminine Art. Sie ist nicht nur grazil, sanft und einfühlsam, sondern auch ein Bücherwurm und eine Briefeschreiberin. Mein Sohn hingegen wurde, wie einige Freunde gerne behaupten, als Kerl geboren. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre mit denselben Spielsachen und derselben Einstellung von mir wie meine Tochter, doch das Ergebnis ist ein ganz anderes. Er ist nun drei Jahre alt, denkt er sei ein Superheld, liebt Bälle jeglicher Art, spielt mit Autos und begleitet jedes Spiel mit Soundeffekten.

Wie kann das denn sein, frage ich mich oft, dass beide meine Kinder so geschlechterstereotyp geworden sind, ja, gar so geboren wurden? Und da wären wir wieder bei der unendlichen “Natur oder Erziehung” – Diskussion angelangt. Im Endeffekt ist es doch so, dass wir als Eltern nur bedingt Einfluss haben. Jedes Kind ist eben anders, von Natur aus und auch im Umgang mit seinem Umfeld. Und ist es nicht genau das, zu sehen wie sich diese kleinen Wesen zu großen Persönlichkeiten entwickeln, was das Elterndasein so spannend macht?