Angst statt Freude – ein Überraschungsbaby
Insbesondere wenn man in einer festen Beziehung ist und ein gewisses Alter erreicht hat, dann scheint bei einem positiven Schwangerschaftstest der Tenor zu sein: Freue dich und bekomme das Kind!
So zumindest habe ich den Start meiner für mich sehr überraschenden dritten Schwangerschaft erlebt. Ich habe noch voll gestillt und war mir nicht sicher, ob ich nach Baby Nummer zwei wirklich wieder eine Hormonspirale zur Verhütung nutzen möchte. Dass Stillen allein kein Verhütungsmittel ist, war mir klar und somit auch ein gewisses Risiko birgt, schwanger zu werden. Ich wartete allerdings nach der Geburt unserer zweiten Tochter immer noch auf einen richtigen Zyklus. Bislang hatte ich lediglich einmal meine Periode bekommen, beziehungsweise eine Blutung gehabt – nach der zweiten Covid-Impfung. Trotzdem ärgere ich mich im Nachhinein, nicht einfach früher eine bewusste Entscheidung bezüglich der Verhütung getroffen zu haben, statt sie vor mir herzuschieben.
Mental Null darauf eingestellt
Da ich mental 0,0 auf das Thema “schwanger werden” eingestellt war, habe ich natürlich auch nicht auf etwaige Anzeichen geachtet. Erst als ich mich nach einem Familienwochenende bei meiner Oma vor der Abreise aus dem Nichts übergeben musste, kam mir überhaupt der Gedanke an eine mögliche Schwangerschaft. Tatsächlich hatte ich es sogar kurz zuvor im Italienurlaub nach dem Abstillen noch so genossen, endlich wieder ein Glas Wein zum Essen trinken zu können. Nun war die Sorge groß, damals bereits schwanger gewesen zu sein. Die Vermutung bestätigte sich direkt am nächsten Tag, als ich einen Schwangerschaftstest machte, der positiv ausfiel.
Erstmal habe ich weder in die eine, noch in die andere Richtung etwas gefühlt. Bis ich zu meinem Mann in die Küche gegangen bin. Da brach alles aus mir heraus: der Schock, die Angst, die Trauer. Ich habe geweint und geweint und geweint und zwischendrin „Was machen wir denn jetzt?“ gefragt. Unser zweites Kind war zu diesem Zeitpunkt gerade mal etwas über acht Monate alt und ich einfach überhaupt noch gar nicht dafür bereit, wieder schwanger zu sein.
Meine Verzweiflung schlug recht schnell in Aktionismus um, vielleicht eine Art Coping Mechanismus. Ich wollte Optionen haben und da ich ahnte, dass ich nicht mehr ganz am Anfang der Schwangerschaft stand, vereinbarte ich nicht mal eine Stunde nach dem positiven Ergebnis einen Termin für eine Schwangerschaftkonfliktberatung sowie einen Termin bei meinem Frauenarzt. Bei der Konfliktberatung gab ich all die Sorgen und Probleme an, die mich über einen Abbruch haben nachdenken lassen. Mein Mann sollte bald einen neuen, zeitintensiven Job anfangen, was bedeuten würde, dass ich eigentlich fast alleine mit drei Kindern sein würde. Die beiden Jüngeren wären dann nicht einmal zwei Jahre auseinander. Ich kann meine mentalen und emotionalen Kapazitäten ganz gut einschätzen und wollte nicht, dass meine Kinder unter einer dauerüberforderten Mutter leiden müssten, die keine Kraft und keine Motivation mehr für Vorleseabende, Höhlen bauen oder Wohnzimmerpicknicke haben würde. Ihre Kindheit sollte voller Magie und Glücksmomente sein, nicht voller Selbstbeschäftigung und mieser Laune. Dazu kam: Ursprünglich wollte ich nur ein Kind haben, der Wunsch nach dem Zweiten kam sehr spät – mit drei Kindern habe ich mich nie gesehen. Während mein Mann als Sandwich-Kind immer von der Aussicht auf drei Kids schwärmte, hatte ich mit der Geburt unserer zweiten Tochter meine komplette Erfüllung in Sachen Familienplanung eigentlich schon gefunden. Ein starkes Zweiergespann fand ich super.
Ich bekam das benötige Formular. Meine reflektierten Aussagen wurden nicht weiter hinterfragt. Stattdessen wurde mir gesagt, was für ein Privileg ich hätte, dass ich diese Entscheidung treffen könnte und ich bräuchte mir keine Sorgen machen: die Sache würde nirgendwo auftauchen. Ich kam mir vor wie jemand, der ein Verbrechen plant. Der Satz mit dem Privileg hat mich lange beschäftigt und auf dem Nachhauseweg habe ich um die Frauen geweint, die – Bürokratie hin oder her – keine Wahl haben.
Beim Frauenarzt stellte sich dann mittels Ultraschall heraus, dass ich bereits in der achten Woche war. Ich hatte es ja befürchtet. Er fragte, ob ich hinsehen wolle? Ja, ich wollte. Ob ich das Bild mitnehmen möchte? Ja, möchte ich. „Also 80% der Frauen, die das Bild behalten, entscheiden sich für das Baby…“ Okay. Wir sprachen über die verschiedenen Möglichkeiten eines Abbruchs und ich machte vorsichtshalber einen Termin aus.
Bis dahin könnte ich ja immer noch nachdenken.
Und das tat ich, zusammen mit meinem Mann. Unser Kopf sagte nein, unser Herz konnte sich ein Leben zu fünft durchaus vorstellen. Wir redeten und redeten. Tagelang immer wieder. Ich las Erfahrungsberichte von Familien mit drei Kindern und von Eltern mit Zwei unter zwei. Ich sah mir Bilder von perfekten Großfamilien auf Instagram an. Ich erstellte eine, unsere, Pro- und Contraliste. Neben „Baby“ und „kein Baby“ setzte ich eher unbewusst ein Herz und gebrochenes Herz. Mein Mann meint, dass er da schon wusste, wie wir uns entscheiden werden. Diese Tage waren die schlimmsten meines Lebens. Alle fünf Minuten habe ich etwas anderes gedacht, habe geweint, konnte mich mit dem Gedanken irgendwie anfreunden und dann ging die Zweifelei wieder von vorne los. Ich habe mich Freundinnen anvertraut und Menschen, die sich gegen ein Baby entschieden haben. Trotz der rationalen Bedenken, war ich emotional schon sehr an das Baby gebunden. Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich zu der Sorte Frau gehöre, die dieses Baby auch nach 30 Jahren noch nicht vergessen haben würden. Schon jetzt überlegte ich, wer das da überhaupt in mir war und bei welcher Obstsorte wir – größenvergleichstechnisch – bereits angekommen waren. Himbeere.
Am Tag des Termins für den Abbruch war ich ein reines Wrack. Ein Wrack, das sich am Ende trotz aller Ängste für ein Baby entschieden hat, das eigentlich gar nicht und erst recht nicht jetzt gleich geplant war. Trotzdem setzte mit dieser Entscheidung bei mir keine direkte Freude ein. Es war immer noch alles zu unklar, die allermeisten meiner Bedenken und Probleme haben sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Ich hatte immer noch Angst vor den bald wieder anstehenden Geburtsschmerzen. Da war noch überhaupt kein Raum gewesen, um die letzte Geburt zu verarbeiten. Da war eine Angst, die ich vor den anderen beiden Geburten so nicht kannte. Und ich war irgendwie auch sauer, dass ich schon wieder so lange auf Vieles verzichten werden müsste und mein Körper schon wieder anders aussehen würde nach einem dritten Kind.
Nachdem meinem Mann die Babynews vor der Familie rausgerutscht waren und mich alle am folgenden Tag beglückwünschten, war es mir immer ein Bedürfnis, zu sagen: „Ja, aber ich bin immer noch ganz schön schockiert. Ich muss das erst noch verarbeiten.“ Darauf gab es kaum eine Reaktion. Ich hatte den Eindruck, das wollte niemand hören. Und genau deswegen habe ich meine ganz ehrlichen Gefühle dazu auf Instagram geteilt. Wohlwissend, wie angreifbar ich mich bei einem so emotionalen Thema mache. Aber nur, weil Wenige sich trauen, diese negativen Gefühle im Bezug auf eine Schwangerschaft zuzugeben, heißt es nicht, dass sie nicht existieren. Und ich finde es schrecklich, dass so viele Frauen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie Zeit brauchen, etwas zu verarbeiten. Wenn sie aus Gründen vielleicht sogar nie an den Punkt kommen, an dem sie Glück empfinden können. Oder wenn sie sich – völlig legitim – gegen das Kind entscheiden.
Die nächste Überraschung folgte: es wird ein Junge!
Das hat mich tatsächlich auch nochmal völlig umgehauen hat. Nicht weil Jungs nicht genau so großartig wie Mädchen sind, sondern weil ich einfach nicht damit gerechnet habe. Wir haben zwei Töchter und da ich aus einer reinen Frauenfamilie komme, dachte ich wirklich, dass ich gar keine Jungs kann. Haha! Mittlerweile habe ich mich ganz gut mit unserem doppelten Überraschungsbaby arrangiert, auch wenn mir die Schwangerschaft an sich im Alltag selten bewusst ist. Die Ängste sind mit etwas Zeit zum Verarbeiten der Situation immerhin kleiner geworden. Es ist ja ein bisschen so wie beim Sprung von einem auf zwei Kinder. Erst fragt man sich, wie man die gleichzeitig ins Bett bekommen soll und ein paar Monate später findet man einen Weg und macht es einfach. Wahrscheinlich wird es beim dritten ähnlich, zumal ich endlich verstanden habe, dass ich das nicht alleine schaffen muss. Es gibt Mütterpflegerinnen für die ersten Wochen, das Sozialunternehmen Wellcome, Babylotsen, es gibt Babysitter, Haushaltshilfen und und und. Ich muss es nur nutzen.
Vorher steht aber noch einiges an Veränderungen und Organisation an. Wir möchten umziehen, denn lieber jetzt, als mit einem Säugling, oder? Und wir brauchen definitiv ein neues Auto. Mit dem Umzug geht außerdem eine aufreibende neue Kitasuche für beide Mädchen einher. Natürlich steigern Umzug und Autokauf auch unsere Ausgaben noch mal immens. Ein drittes Kind bedeutet deswegen auch eine viel größere finanzielle Belastung für unsere Familie. Aber das alles schaffen wir jetzt auch noch. Also auf ins Abenteuer Großfamilie! Das wird schon. Irgendwie.
Und nach der Zuversicht, kommt bestimmt auch irgendwann die pure Freude!