Eine “gute” Mutter…
Im Kern gibt es für mich eine ganz einfache Antwort, was eine gute Mutter ausmacht. Und die hat nichts damit zu tun, was genau für eine Mutter sie ist, ob sie den Geburtstagskuchen selber backt, kauft oder ob vielleicht auch einfach mal Papa den Kuchen backt. Ob sie ihre Kinder zur Selbstständigkeit erzieht oder einfach nicht anders kann, als wie ein Helikopter immerzu um sie zu kreisen. Nein, es geht nicht um solche Details. Vielmehr geht es dabei um ein bestimmtes Gefühl.
Dazu muss ich vielleicht etwas ausholen. Und von meiner Mutter erzählen, die unsere Familie durch alle möglichen Höhen und Tiefen navigiert hat. Die Familie zusammengehalten hat, auch, wenn es mal schwer war. Sich viel zu wenig Zeit für sich gegönnt hat, wie so viele Migrantinnen, überhaupt: Wie so viele Frauen ihrer Generation. Für die Pause machen keine Option war, die oft arbeiten musste, wenn sie doch lieber bei mir gewesen wäre. Aber es ging manchmal einfach nicht anders – als mein Vater arbeitslos war, hat sie uns ernährt. Und überhaupt war sie oft diejenige, die die Hosen anhatte und sich darum gekümmert hat, dass alles irgendwie läuft. Für Basteln und stundenlanges Spielen blieb da oft keine Zeit.
Und doch: Meine Mutter war immer der Fels in der Brandung, oder wie man im Englischen so schön sagt: “My mother is my rock”. Aufgeschlagene Knie, verlorene Blockflöten (fragt nicht!), Stress in der Schule oder Liebeskummer – wenn’s hart auf hart kam, wusste ich: Mama ist da. Und das gilt nicht nur für die Kindheit – wenn wir ehrlich sind, hat man doch auch als junger Erwachsener immer wieder diese Momente, in denen man einfach nur gerettet werden will. Was für ein schönes Gefühl, zu wissen, dass Mama immer ans Telefon geht, wenn man zum Hörer greift, weil man Hilfe braucht.
Diese Konstante, die wir alle brauchen
Zum Beispiel in Situationen wie diesen: Als ich Mitte 20 war, lebte ich in Prag. An einem Samstagnachmittag hob ich eine komplette Monatsmiete von meinem Konto ab – meine Vermieterin bestand auf Barzahlung – und stieg in die U-Bahn. Als ich ausstieg, war mein Geldbeutel weg. Ich brach in Tränen aus und rief zu Hause an. Meine Mutter beruhigte mich und setzte sich wenige Stunden später mit meinem Vater, der auch noch einen Gipsfuß hatte, ins Auto. Widerrede zwecklos. Am Abend waren meine Eltern in Prag, führten mich zum Essen aus und spendierten uns allen Drinks gegen den Schock. Am nächsten Tag gab meine Mutter mir das Geld für die Miete. Kein blöder Spruch, dass ich besser auf meine Sachen aufpassen sollte (wobei ich mit meiner Zerstreutheit wohl wirklich oft das perfekte Opfer für derlei Diebe bin).
Das war nur einer von vielen Momenten, in denen Mama die Rettung war. Als mein Vater im Sterben lag und sechs Monate nach seiner Krebsdiagnose schließlich starb, wenige Tage nach Weihnachten, waren wir beide auf unsere Art taub von Trauer. Dieses einzige Mal hatte sie keine Lösung parat, keine Antworten. Zum ersten Mal merkte ich, dass der Fels in der Brandung gar nicht so unverrückbar war, wie ich bislang geglaubt hatte. Dass auch sie ins Straucheln geraten konnte. Aber wenn ich zum Hörer griff und zu Hause anrief, war da ihre Stimme am anderen Ende der Leitung. Ein Anker, der Beweis, dass dieses zu Hause meiner Kindheit noch immer existierte, auch wenn ein riesiges Loch in unseren Herzen klaffte. Sie war meine Rettung, einfach, weil sie da war und mir zuhörte. Das klingt so banal – aber ist es nicht diese Konstante, die wir alle brauchen: Einer, der da ist, bedingungslos, der zuhört, Trost spendet und sich verkneift, zu sagen: “Ich habe es Dir doch gesagt!” oder “Ich kann nicht mehr!”.
Was Geborgenheit ausmacht
Das ist es, was für mich eine gute Mutter ausmacht: Eine Konstante für ihr Kind zu sein. Ein Mensch, auf den es sich immer verlassen kann. Eine gute Mutter zu sein, das ist für mich die Fähigkeit, einem Kind zu vermitteln, dass man sich sorgt, sich kümmert, Lösungen findet.
Jetzt, wo ich Mutter bin, merke ich immer mehr, wie sich in mir etwas verlagert. War meine Mutter früher der Kompass, der mir oft die Richtung gewiesen hat, wenn es neblig und unübersichtlich wurde, bin ich jetzt wirklich und ohne Pause immerzu die, die am Steuer sitzt – und selber durch dieses unübersichtliche Leben navigieren muss. Die nicht mehr gerettet werden muss. Das ist schön, aber es ist natürlich auch der endgültige Abschied von diesem Kindheitsgefühl, dass es da jemanden gibt, der weiß, wo es lang geht.
Und wer weiß das schon, also immer? Ich fühle mich auch mit Mitte dreißig in vielen Fragen ahnungslos, manchmal geradezu verloren – wie jetzt aktuell mit Corona und allem, was diese Krise für uns bedeutet. Aber den Luxus, mich in dieser Unübersichtlichkeit zu sehr zu verlieren, kann und will ich mir jetzt nicht mehr gönnen. Weil ich jetzt der Fels in der Brandung bin. Und merke, dass Bluffen dazugehört. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das alles weitergeht und ja, ich mache mir oft echte Sorgen. Aber das behalte ich für mich. Weil ich glaube, das Alter, in dem man merkt, wie ahnungslos und ohne Orientierung wir Menschen in den großen Fragen sind, kommt noch früh genug. Und das will ich von meinem Kind so gut es geht fernhalten. Weil das für mich ein wichtiger Teil von Geborgenheit und Kindheit ist: Dass man sich zumindest um die großen Dinge keine Sorgen machen muss und mit den vielen anderen Sorgen immer zu seiner Mutter kommen kann.
Und wie genau diese Mutter ihre Rolle füllt, an welche Erziehungsmaximen sie glaubt und wie viel Zeit sie für Basteln und Spielen hat, ist vielleicht wirklich nicht immer so wichtig, wie wir in dem Moment, gefangen in unseren hohen Ansprüchen an uns selbst, glauben. Weil das, was wir WIRKLICH von unserer Mutter brauchen, sehr viel tiefer geht und wir es auch dann spüren, wenn die Dinge ganz anders kommen als gedacht und ja, auch dann, wenn mal keine Energie oder Zeit da ist für Spielen, Basteln oder Kuchen backen.