Let’s talk about: Mut zur Lücke – welche Lücke überhaupt?
“Sie haben da eine Lücke in Lebenslauf.”
Ich : “Was? Wie, Lücke?”
Die Frau beugt sich über ihren plastikweißen Arbeitsamt-Schreibtisch, tippt auf die Nicht-Lücke in meinem Lebenslauf mit dem Titel “Erziehungszeit” und flüstert bekümmert: “Dort, in Ihrer Vita.”
Ich: “Nee, Lücken habe ich keine. Weder in meinem Lebenslauf, noch in meinem Leben. Und die letzten drei Jahre zuhause mit meinen Kindern würde ich als die intensivste und auf jeder erdenklichen Ebene forderndste Etappe meines Lebens einstufen. Klingt krass, ist aber so. Das Gegenteil einer Lücke quasi.”
Lücke?
Zugegebenermaßen hat sich das nicht ganz so zugetragen. Also der Lücken-Kommentar seitens der Arbeitsamt-Sachbearbeiterin schon, meine Reaktion nicht. Eher habe ich verständnisvoll genickt, als würde ich ihr tiefes Bedauern um die naturgegebene Bürde der Frau, neun Monate lang ein Kind austragen zu müssen, das dann auch noch eine Lücke in die Vita frisst, teilen.
Einerseits fällt es mir schwer – zu meinem großen Leidwesen und ja, ich arbeite daran – in solchen und anderen Situationen zu widersprechen. Andererseits will ich um keinen Preis meinen Arbeitslosengeld-Bezug gefährden, der sich nahtlos an meine Elternzeit reiht, weil wir noch immer keinen Kita-Platz für unser jüngstes Kind gefunden haben. Dass nicht mein Mann, sondern ich den Großteil der Betreuung übernehme, liegt dabei ganz einfach daran, dass unsere Familie auf sein vergleichsweise höheres Gehalt angewiesen ist.
Beruflicher Stillstand
Als ich das Gebäude verlassen habe und in der Trambahn auf dem Weg nach Hause sitze, schwingt die Verwirrung über die Hauptaussage des Gesprächs in leichte Empörung um. Ich muss meine Gedanken erst mal sortieren; vielleicht bin ich bei dem Thema auch zu emotional… aber ist das etwas Schlechtes? Und ob die Frau wohl selbst Kinder hat? Macht das hier überhaupt einen Unterschied?
So oder so, in einem Versuch, meine Situation zu objektivieren: Wie kann eine Geburt und die erste, kurze Zeit mit einem Kind eine “Lücke im Leben” ausmachen? Wie kann es sein, dass eine Frau so hart arbeitet, jeden Tag – für das Wohlbefinden des Kindes und für die eigene, neue Identität – und das dann nicht nur heruntergespielt, sondern ihr ganz einfach als “Lücke” aberkannt wird? Im Übrigen bedeutet der befristete Wechsel von Büro-Arbeitsplatz ins häusliche Umfeld wohl kaum, dass Mütter für alles Arbeits- und Fachrelevante plötzlich unempfänglich werden und sich einem vollkommenen beruflichen Stillstand hingeben.
Bedenkt man den in Berlin und vielen anderen Städten wirklich erbitterten Kampf um einen Kita-Platz und den resultierenden, verspäteten beruflichen Wiedereinstieg vieler Frauen. Und die häufig folgende, finanziell unzureichende Teilzeit-Beschäftigung und das mitunter komplett verworrene Vereinbarkeits-Debakel von Job und Familie (verworren für eine Mutter-Vater-Kind-Konstellation; wie um alles in der Welt stemmen das Alleinerziehende?), so kann ich verstehen, wo die Frau vom Arbeitsamt herkommt. Dennoch: Sie sprach von einer Lücke – nicht von etwas, das ungerechtfertigterweise und in unserer, zumindest aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet, Familien-feindlichen Gesellschaft als Lücke angesehen werden könnte.
Vielleicht ist es Zeit für neue Formulierungen!
Bevor mein Rant hier ein allzu einseitiges Ende findet, noch ein paar Zugeständnisse: Natürlich weiß ich, dass die Lücken-Sicht der Beamtin nicht stellvertretend für alle Mitarbeiter der Agentur für Arbeit steht. Auch ist mir klar, dass immer mehr Väter in Elternzeit gehen, manche für länger als ein oder zwei Monate und sich danach teils mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert sehen. Und wer alleinerziehend oder auch in Paarbeziehungen mit zu geringem einfachen Vollzeitgehalt kaum über die Runden kommt, hat natürlich mit wirklich existenziellen Problemen zu kämpfen. Deshalb spreche ich in diesem Text und der folgenden Antwort nur für meine Situation und solche, die mir ähnlich sind: Liebe Frau Beraterin, Sie meinen es sicher gut. Wenn sie auf meine Lücke verweisen und mir listig raten, diese ganz ans Ende meines Lebenslaufes zu schieben. Ja, die Kombination aus Familiengründung und einem vorübergehenden Ausstieg aus dem gewohnten Arbeitsumfeld hat in unserer Gesellschaft meist ungünstige wirtschaftliche Folgen. Wenn Sie Frauen wie mich jedoch umkommentiert und unreflektiert auf diesen Ist-Zustand (Missstand!) hinweisen, dann helfen Sie damit wirklich niemandem weiter.
Stattdessen wäre es vielleicht eine Idee, sich zumindest im Lebenslauf von Arbeitgeber-verschreckenden Begriffen wie Mutterschaftsurlaub und Eltern- oder Erziehungszeit zu verabschieden. Und stattdessen einen weitergefassten Begriff wie „Soziales Jahr“ zu wählen, der wie beim Freiwilligen Sozialen Jahr das soziale Engagement in den Vordergrund rückt und genauso von Frauen wie von Männern beansprucht werden kann. Diese Begrifflichkeits-Verschiebung mag keine bahnrechenden Erfolge erzielen, könnte aber vielleicht dazu führen, dass Frauen sich seltener für ihre Lücke rechtfertigen und Mann sich nicht mehr aus Angst vor ebendiesem Phänomen bei der Elternzeit(-Dauer) zurücknehmen muss.
Oder was meint ihr?