Ein Plädoyer für den großen Altersabstand

„Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein zweites Kind?“, das liest man oft. Und natürlich gibt es „DEN“ richtigen Zeitpunkt nicht. Aber in meinem Freundes- und Bekanntenkreis und irgendwie einfach gefühlt bei fast allen, die sich Familie und mehrere Kinder wünschen, gilt eine Regel als sicher: Je näher die Kids beieinander sind, je besser. „Dann spielen sie miteinander“ ist so ein Satz, der in diesem Zusammenhang oft fällt. Oder „Ein Aufwasch, viel praktischer!“.

Auch Marie hat sich für einen sehr kleinen Altersabstand zwischen ihren kleinen Kindern entschieden (20 Monate), meine Kinder sind ziemlich genau drei Jahre auseinander – in meinen Augen auch ein recht kleiner Abstand.

Und es macht ja auch sicher für viele Familien einfach Sinn. Wer erst relativ spät Kinder bekommt hat schlicht und ergreifend keine Zeit mehr für große Abstände. Meine Freundin wurde mit 39 zum ersten Mal Mutter, sie wünschte sich zwei Kinder, also kam das zweite natürlich kurz danach. Es gibt auch noch andere Gründe: Oft wird das Elterngeld beim zweiten genauso bemessen, wie beim ersten, insbesondere wenn zwischendurch gar nicht mehr erwerbsgearbeitet wurde, lohnt es sich also oft finanziell. Man ist eh gerade noch im „Baby-Business“, dann kann man auch gleich weiter machen. Ist es ohnehin gewöhnt, zu wickeln, zu schunkeln und so weiter. Hat den ganzen Kram besorgt. Und, ja, manchmal klappt das auch wirklich, dass die Geschwister, die nur wenige Jahre auseinander sind, ein tolles Team werden und ähnliche Interessen teilen.

Jetzt kommt aber mein großes ABER. Denn im Nachhinein verstehe ich selbst nicht mehr, warum ich so schnell wieder ein Kind wollte. Ich glaube, dieses „das macht man so“, „schnell nachlegen, sonst sind sie so weit auseinander und können nichts miteinander anfangen“ hing eben doch ganz schön in meinem Kopf fest. Ich wollte genau drei Jahre Abstand, weil ich dachte, das sei ideal für uns. Und das dachte ich, weil ich so oft gehört und gelesen hatte, dass das so sei.

Es gibt keinen idealen Altersabstand

Dabei ist das alles, alles, alles Quatsch. Es gibt keinen idealen Altersabstand zwischen Geschwistern. Jede Kombination kann Vor- und Nachteile haben. Man kann vorher nicht wissen, wie es läuft. Aber aus meiner heutigen Sicht würde ich sagen: ein kleiner Altersabstand hat viel mehr Nach- als Vorteile. Ein großer Abstand dagegen – etwas, was eher kritisch gesehen wird („Das sind ja dann zwei Einzelkinder!“) – hat meiner Meinung nach viel mehr Vorteile als Nachteile. Für alle Beteiligten!!!

Denn: Ob Geschwister etwas miteinander „anfangen“ können, ob sie gar „miteinander spielen“ – das ist Glückssache. Das kann klappen, sehr oft ist es auch einfach nicht so. Unabhängig davon, wieviele Jahre oder Monate Geschwister trennen. Ich kenne tatsächlich Geschwister-Paare, die sehr eng sind, wo das ältere Kind auf das jüngere aufpasst, wo gespielt wird, wo beide ähnliche Dinge toll finden. ABER: Ich kenne viel mehr Familien, in denen das überhaupt nicht so ist. Da haben sich die Eltern das so vorgestellt, dass sie ab einem gewissen Alter nicht mehr so involviert sein müssen, weil die Kinder ja „sich haben“, sich gemeinsam beschäftigen. Die Realität sieht aber jetzt so aus, dass die Geschwister sehr unterschiedlich sind, keine gemeinsamen Themen haben, nie zusammen spielen. Das sind meist auch die Geschwister, bei denen es eher um Rivalität, als um Teamwork geht. Wo immer alles in exakt der gleichen Ausführung und Farbe zwei Mal gekauft werden muss, sonst kracht es. Wo viel gestritten wird. Immer verglichen wird. Das kann übrigens auch echt anstrengend für die Eltern sein…

Es ist ja auch logisch: Je näher die Geschwister beieinander sind, je eher sind die Kinder Rival*innen. Sie buhlen von Klein auf um die Aufmerksamkeit der Eltern, sie empfinden das Geschwisterchen ganz oft einfach nur als Konkurrenz und nicht etwa als Companion.

Mehr Rivalität als Teamwork…

So ist es auch ganz oft bei uns. Mein Sohn war drei, als seine Schwester kam. Aber die Umstellung war schwer für ihn. Er liebte sie von Anfang an, hatte sich auch so gefreut. Aber er empfand sie extrem als Konkurrenz. Noch heute, sechs Jahre später, buhlen die beiden um meine Liebe und Aufmerksamkeit. Wollen beide gleichzeitig auf dem Schoß sitzen. Streiten, wer auf welche Seite kann, beim Vorlesen. Wer nachts neben mich darf. Um ihren Papa buhlen sie natürlich auch. Sie streiten, wer was haben darf. Wer mehr bekommt, wer diese Farbe, wer jene, wer mehr Medienzeit haben darf, etc. „Das ist UNFAIR!“ höre ich mehrmals täglich. Wir versuchen, das immer gut auszubalancieren, aber es bricht mir das Herz, zu sehen, dass meine Kinder sich selbst so wahnsinnig als Konkurrent*innen wahrnehmen. Sie wissen, dass sie gleich geliebt werden, wir versuchen, ihnen so gut wie möglich genau die gleiche Behandlung zukommen zu lassen, nie zu vergleichen. Aber das kann ja gar nicht klappen. Und wann immer es auch nur ein Mini Bisschen nicht klappt, merken sie es sofort und beschweren sich lauthals. Morgens schenke ich ihnen Orangensaft ein, und das erste Kind schreit: „Warum bekommt sie/er zuerst!!!???“ Dann bemühe ich mich, exakt gleich viel einzuschenken, das zweite Kind beäugt die Gläser überkritisch und schreit: „Warum hat er/sie mehr??!!!“. So ist das bei uns. Und es macht mich immer wieder traurig, auch wenn ich weiß, dass es normal ist und für die Entwicklung meiner Kinder wichtig. Und sie spielen ja auch miteinander, es gibt Phasen, da haben sie das gleiche Hobby, viele Freunde, die sie beide lieben. Und wenn es hart auf hart kommt, dann unterstützen sie sich. Immerhin das.

In den Familien in meinem Umfeld, in denen es fünf, sechs, sogar noch mehr Jahre Abstand gibt – gibt es kaum Konkurrenz mehr. Das kleine Kind wird als das angesehen, was es ist: ein weiteres, kleineres Kind mit ganz anderen Bedürfnissen. Eine Freundin von mir hat nach acht Jahren das zweite Kind bekommen und es ist so wunderbar. Der große Bruder kann sich schon ein bisschen kümmern, er war keine Sekunde eifersüchtig, sondern einfach nur voller Liebe und Freude. Er spielt mit dem Kleinen, macht auch mal ein Fläschchen, passt auf. Es ist SO süß. Eine andere Freundin hat folgende Konstellation. Sie hat zwei Söhne, die 18 Monate auseinander sind, sie sind jetzt 12 und 11. Nun hat sie noch mal ein Baby bekommen. Und das ist so, so schön anzusehen. Vor kurzem haben wir uns im Schwimmbad getroffen und ich war wirklich zu Tränen gerührt, so süß ist das. Die vier kamen angelaufen: Papa schob den Wagen, der Zwölfjährige hatte das Baby auf dem Arm, ganz nah am Körper, das Köpfchen stütze er mit der einen Hand ab. Die Mutter strahlend und ausgeglichen. Den ganzen Tag über kümmerte sich einer der Söhne mit um das Baby, die Jungs achteten darauf, dass es im Schatten lag, kitzelten seine Füßchen, als es auf der Decke strampelte. Die Eltern waren alleine im Wasser, währen die Jungs acht gaben, wenn die Jungs im Wasser waren, konnten die Eltern Dreisamkeit mit Baby genießen.

Richtig große Geschwister: so ein Geschenk

„Es ist wirklich schön“, erzählte diese Freundin. „Ich kann mich so auf das Baby einstellen, kann die Zeit richtig genießen. Bei den anderen Kindern war das nicht so. Beim ersten Kind war ich noch so grün hinter den Ohren und so unsicher, beim zweiten war ich einfach nur völlig gestresst, denn ich hatte einfach nebenbei noch ein Kleinkind zu versorgen. Rückblickend war das die schwerste und schlimmste Zeit meines Lebens. Die Jungs waren auch überhaupt kein Team. Sie haben nur gestritten und sich geprügelt. Die ganze Zeit. Und das ist eigentlich wirklich erst jetzt so richtig besser geworden. Durch das Baby sind sie zum Team geworden! Plötzlich geht es nicht mehr darum, was der andere hat, sondern beide kümmern sich darum, dass es dem Baby gut geht.“

Was meine Freundin anspricht, ist etwas, was in meinen Augen zu wenig thematisiert wird: es ist UNFASSBAR anstrengend, zwei Kinder in kurzer Zeit zu bekommen. Nicht nur für den Körper, auch das. Aber vor allem auf allen anderen Ebenen. Der Schlafentzug. Zwei Kinder wickeln, zwei Kinder tragen. Kinder sind sehr bedürfnisintensiv in den ersten Jahren. Sie brauchen Begleitung, auch nachts. Sie brauchen Körpernähe, sie müssen gefüttert, gewickelt, gewaschen werden. Sie sind oft krank. Das mal zwei – kann unglaublich schlauchen. Vor allem finde ich, man kann das eigentlich unmöglich alleine schaffen

Im Vergleich ist es sogar oft gefühlt mit Zwillingen „einfacher“ (dabei ist es natürlich eine Riesen-Herausforderung mit Zwillingen, die will ich absolut nicht Kleinreden…), denn die haben wenigstens ähnliche Bedürfnisse. Außerdem sind Zwillinge oft wirklich nach kürzester Zeit ein Team (auch nicht immer, klar…). Ein Zweijähriges braucht dagegen etwas ganz anderes, als ein Baby. Es hat andere Schlaf- und Essgewohnheiten, es ist emotional schon ganz woanders, braucht feinfühlige Unterstützung bei Wut- und Traurigkeits-Anfällen. Jeder, der schonmal ein Baby in den Schlaf schunkeln musste und parallel die Wut und Frustration eines Kleinkindes ertragen musste, weiß, wovon ich spreche. Und dann die Nächte… Ich erinnere mich an Nächte, in denen eigentlich nie beide gleichzeitig schliefen. Kaum hatte sich das Baby beruhigt, war das Kleinkind wach. Es war so, so schlimm. Wir waren so müde… Also nochmal: Alleine schafft man das einfach kaum. Oder nur mit großen Abstrichen. Leider ist es in diesem Land aber immer noch die Norm, dass eine Person sich um mehrere Kinder zu kümmern hat. Und das ist fast immer die Mutter. Kein Wunder, dass so viele Mütter erschöpft sind. Ich habe so viele Mütter miterlebt, die einfach nur so fertig waren in den ersten Jahren mit zwei kleinen Kindern. So ging es auch mir – dabei war ich selten alleine…

Mit fünf, sechs Jahren spätestens schlafen dann aber wirklich fast alle Kinder durch. Man merkt in dieser Zeit oft, wie es einem gehen kann, wenn man einfach schläft. Wie leicht das Leben wieder wird, wie gut man sich fühlt. Dann ein weiteres Kind – das ist doch eine gute Idee.

Also, wenn man es einrichten kann, wenn man das erste Kind früh genug bekommen hat und wenn es zum Lebensplan passt: ich finde, ein großer Alterabstand hat für alle Familienmitglieder so, so viele Vorteile. Die Kinder profitieren davon, weil sie nicht so viel Konkurrenzdruck haben. Die Großen lernen Verantwortung. Die Kleinen dürfen einfach klein sein und müssen sich nicht so viel durchsetzten.

So viele Vorteile!

Vor allem aber profitieren die Eltern, insbesondere die Mütter. Der Körper kann sich zwischen den Kinder so richtig erholen und zurückbilden. Schlafentzug mal Zwei spart man sich. Doppelt wickeln auch (wieviel man mit Exkrementen zu tun hat, wenn man zwei Kinder parallel wickeln muss..!), man kann viel besser auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kinder eingehen. Man kann beide Kinder so richtig genießen. Man fällt nicht so viel im Job aus, weil man nicht zwei Elternzeiten hintereinander hat plus die zig Krankentage, die mit kleinen Kindern meist einhergehen, die halbieren sich auch.

Ein Freund von mir, dessen Kinder knapp sechs Jahre auseinander sind, würde mir jetzt aber direkt widersprechen. Er sagt oft, dass er es so anstrengend findet, Aktivitäten zu finden, die für beide passen. Das stimmt sicher, das ist ein Nachteil. Ich kann mittlerweile gut mit beiden ins Schwimmbad gehen und sie finden die gleichen Dinge toll. Auch Filme können sie gut zusammen schauen. Sowieso kann man sicher sagen: nach ein paar Jahren relativiert sich alles. Heute bereue ich es natürlich nicht, zwei Kinder in drei Jahren bekommen zu haben. Es ist mittlerweile meistens entspannt. Sie haben ähnliche Schlaf- und Essens-Gewohnheiten und sogar einige gemeinsame Freund*innen. Aber die ersten Jahre stecken mir auch immer noch in den Knochen…

Ach, es hat halt alles Vor- und Nachteile. Und man kann ganz viele Dinge auch nicht planen. Was ich euch eigentlich sagen will: Wenn bei euch ein kurzer Abstand nicht drin ist, weil ihr euch vom Partner trennt, weil es nicht klappen will, weil ihr es nicht spürt, weil ihr beruflich erstmal rocken wollt. Macht euch keinen Kopp. Vor allem nicht, wenn ihr vom Alter her noch Spielraum habt. Ein großer Abstand zwischen den Geschwistern hat so viel mehr Vorteile, als immer behauptet wird! Es wird so oder so schön. Und herausfordernd und bezaubernd und anstrengend. Wie Kinderhaben halt so ist. Aber  es wird sicher nicht so anstrengend, wie, wenn man zwei hintereinander bekommt!