So gut wie unsichtbar: Mütter mit Depressionen

Mütter und ihre geistige Gesundheit – besonders der so genannte „Baby Blues“ und postpartale Depression – das ist ja, beklagen wir gern, ein Tabu-Thema. Aber eben ein Tabu-Thema, das im gesellschaftlichen Diskurs mittlerweile doch schon so mainstream geworden ist, dass wir mit coolen Anglizismen darüber „fachsimpeln“, das so dahinsagen - und damit die ganze Sache schon wieder kleinreden…

Weniger präsent ist definitiv das, was wirklich dahinterstecken kann: Eine reale depressive Episode. Noch schlimmer klingt: eine depressive Störung. Eine echte Erkrankung, unter der die Mutter leidet – nicht („nur“) kurz vor, während oder vorübergehend nach einer Schwangerschaft. Sondern vielleicht schon vor dem Kind, vielleicht noch, wenn es längst aus dem Haus ist.

Kein Platz in den Medien

Depression klingt so hart und pathologisch und passt irgendwie nicht in den Instagram-Feed. Da sehe ich zwar mittlerweile immer mehr Mütter mit Dehnungsstreifen, fettigen Haaren, tiefen Augenringen und der obligatorischen Tasse Kaffee in der Hand. Die besonders Mutigen bekennen sich auch zu anfänglichen Still- oder Bindungsproblemen, zur postnatalen Depression oder gar dem totalen psychischen Zusammenbruch. Der ist dann aber – Gott sei Dank! – überstanden und sie können nun als noch stärkere Frauen und Mütter weiter schaffen, schaffen, schaffen.
Was ich nicht sehe, sind: Mütter in abgedunkelten Räumen auf staubigen Böden, die die kindliche Geräuschkulisse mit dröhnender Kopfhörer-Musik übertönen. Sie trinken keinen Kaffee, nicht mal kalten, denn es fehlt die Kraft zum Kochen. Sie können keine gefälligen Texttafeln hochhalten und dabei schon gar keine Selfies knipsen. Wäre ja auch zu dunkel im Zimmer.

An dieser Stelle kurz: Ich zähle wohl eher zur zweiten Gruppe – die der Mütter, die selten auf hyggeligen Home-Fotos, dafür immer mal wieder auf fusseligen Fußböden zu finden sind. Obwohl, Boden trifft es nicht. Wenn es mir wirklich schlecht geht, falle ich viel tiefer. Wäre es also an mir, meine Ups und Downs zu teilen und so zu einer realistischeren öffentlichen Wahrnehmung von Müttern und Mental Health beizutragen?

Oder sollten die glücklichen, problemlosen – gibt’s die überhaupt? – und all jene Mütter, die ihre Probleme souverän meistern, fiese Schwierigkeiten für Social Media erfinden? Wohl kaum. Fakt ist aber: Depression ist eine weit verbreitete Krankheit, die natürlich auch, nein ich denke – ganz besonders – Mütter trifft. Weil die erste Zeit mit Kind depressiv-machende Gefühle der Über- und Unterforderung zusätzlich verstärkt. Und dass darüber so wenig und oft verharmlosend gesprochen wird, finde ich kontraproduktiv: für alle Mütter, die heute depressiv sind, die es morgen sein werden und genauso für ihre Partner und Kinder. Für depressive Väter gilt das natürlich auch!

Depression ist eine Volkskrankheit

Und da so viele Menschen unter Depressionen leiden, können wir kaum von einer Minderheit sprechen und diese somit auch nicht als Grund für den fehlenden medialen Dialog vorschieben. Beziehen wir leichte, mittlere und schwere Formen der Depression und Angstzustände mit ein, dann sind in Deutschland jährlich 25 % der Bevölkerung betroffen. Die Hälfte der Menschen mit Depressionen erhält keinerlei Form der Behandlung. Und mindestens 15 % der Betroffenen sterben durch Suizid, wenn sie keine Hilfe erhalten. Zurück zum Fokus des Artikels: Frauen erkranken etwa doppelt so häufig an Depressionen wie Männer.

Einseitige mediale Betrachtungsweise

Das heißt nicht, dass die Thematik in den Medien komplett übergangen würde. Doch dort, wo das Thema Mutter auf das Thema Depression prallt, scheint es mir, als würde sich in der Berichterstattung der Fokus verschieben: von der Mutter hin zum Kind. Wo vorher die Mutter vielleicht sogar für den offenen Umgang mit ihren kleinen Unzulänglichkeiten gefeiert wurde, tritt die ersthaft depressive Mutter dann plötzlich in den Hintergrund. Stattdessen im Fokus: das Kind, das unter der psychischen Krankheit und potentiell lebenslang an den Folgen der beeinträchtigten Mutter-Kind-Beziehung leidet. Typische Stichworte dazu: Entwicklungsverzögerung, verringertes Sprachniveau, Entwicklung von Schuld- und Schamgefühlen. Siehe zum Beispiel dieser, dieser und dieser Artikel. In dieser vereinfachten Darstellung der Dynamik ist das Kind das Opfer, wobei der depressiven Mutter damit ja irgendwie die Rolle der Täterin nahegelegt wird.

Ein Plädoyer für mehr Verständnis

Wer diesen Artikel liest, denkt wahrscheinlich ohnehin nicht: Depressive Mütter schaden ihren Kindern. Also warum sollte man dann Verständnis und Hilfsbereitschaft zeigen? Falls doch, wäre meine Gegenfrage: Wenn Depression eine weit verbreitete, obendrein nicht ansteckende Krankheit ist, warum sollten wir Betroffenen dann NICHT helfen? Außerdem: Die Erkrankung bzw. die Diagnose bestimmt nie den Charakter des betroffenen Menschen. Denn einerseits ist sie bei jedem Betroffenen anders ausgeprägt und andererseits geht jeder auf unterschiedliche Weise damit um. Pauschale Ablehnung und Schuldzuweisungen sind also vollkommen unsinnig. Und: Hat ein Kind mit liebevollen Eltern, die ihre depressiven Symptome gut unter Kontrolle haben, wirklich einen Nachteil gegenüber einem Kind, dessen Eltern zum Beispiel besonders narzisstisch sind? Oder übermäßig leistungsorientiert? Rassistisch? Gefühlskalt? Es gibt sicherlich viele psychische Facetten, die sich potentiell negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken…

Das Potential einer umfassenderen Betrachtung & Berichterstattung

Eine umfassendere Betrachtung, die Risiken und Chancen nicht nur auf der Seite des Kindes, sondern auch auf der des depressiven Elternteils aufzeigt, fände ich persönlich sehr sinnvoll und sie sollte aktiv gefördert werden. Anders als bei Social Media Influencern würde ich den klassischen Medienschaffenden da eine Verantwortung zuschreiben, die in der jetzigen Berichterstattung für mich nicht hinreichend wahrgenommen wird. Eine facettenreiche, mediale Darstellung, jenseits von Tabus und Stigmata, würde sich dann wahrscheinlich auch nicht nur auf die unmittelbare Leserschaft, sondern in der Folge auch auf die von Influencern verbreiteten Inhalte und die damit verbundenen Reaktionen ihrer Follower auswirken.

Betroffene Mütter würden von der umfassenderen Berichterstattung insofern profitieren, als dass sie statt zusätzlichen Schuld- und Schamgefühlen Zugang zu fundierten Informationen und Hilfsangeboten bekämen. Seitens Nichtbetroffener könnten Ängste und Unsicherheiten abgebaut und, im Idealfall, Verständnis und Hilfsbereitschaft aufgebaut werden.

Hilfe durch offene Kommunikation

Ich will mögliche Risiken hier nicht klein reden. Wenn eine Mutter wirklich jeden Tag nur auf dem Boden sitzt und ihre Kopfhörer-Musik die Stimmen ihrer Kinder übertönt, wenn ihr nicht nur die Kraft zum Kaffee-Kochen, sondern auch für die Zubereitung des Abendessens fehlt, dann haben ihre Kinder ganz sicher Nachteile gegenüber ihren Altersgenossen. Und das ist schlimm und darf nicht übersehen werden. Weil es aber eben nicht immer so läuft und es auch in den wirklich schlimmen Fällen nur dann besser werden kann, wenn offen darüber gesprochen wird, ist die beidseitige, die Betroffenheit von Mutter und Kind einbeziehende Betrachtung unerlässlich. Ein umfassender öffentlicher Dialog und wachsendes Verständnis könnten zu einer Verbesserung der Symptome führen und mögliche Risiken für die Kinder reduzieren – stattdessen würden Mütter (und auch Väter!) ermutigt, ohne Angst vor Verurteilung psychologische und therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und an einem produktiven und offenen Umgang mit ihren Gefühlen zu arbeiten. Und dieser Umgang wird dann im Idealfall auch noch direkt von ihren Kindern übernommen.