Ich bin nicht egoistisch – ich bin vernünftig

Ich bekomme immer wieder die bekannte Frage gestellt: Wie bekommst du das hin? Was denn? Naja: zwei Kinder, ein Start-Up, tausend Events. Und eben trotzdem noch genug Zeit für Yoga, ein Abendessen mit Freundinnen, und so weiter. Eben diese magische Vereinbarkeit. Ich denke dann immer zuerst: schaffe ich das überhaupt? Denn es gab viele Zeiten, da war ich auch eine von denen: von den immer erschöpften Müttern. Auch heute noch bin ich oft abends mehr als platt. Aber, nein, dennoch: die Frage ist berechtigt. Nachdem das letzte Jahr völlig überladen war und Vereinbarkeit ein magisches Wort, mit dem ich eigentlich nichts anfangen konnte, so klappt es mittlerweile sehr gut.

Gerade im Moment sogar SEHR gut, ja wirklich. Es ist so, dass alles läuft und dass ich nicht mal das Gefühl habe, das Kartenhaus würde sofort zusammenbrechen, wenn ein Kind krank wird, wenn das Fahrrad einen Platten hat oder wenn plötzlich die Waschmaschine kaputt geht. Es ist gerade so, dass der Job Spaß macht und ich die Kinder genießen kann. Vereinbarkeit geht!! Unter bestimmten Voraussetzungen. Bei uns klappt es gerade so gut, weil die Arbeit viel aber nicht ZU VIEL ist, weil die Kinder gut drauf sind und wir auch ansonsten keine großen Belastungen haben. Wenn emotionaler Stress mit ins Spiel kommt: Beziehungsprobleme, Sorgen um ein Kind oder einen Verwandten, ein Todesfall… Dann sieht gleich alles anders aus. Das kann natürlich immer passieren. Zudem befinde ich mich in der privilegierten Lage, einen Partner zu haben – und dann auch noch einen, der gleichberechtigt denkt, der offen ist für Veränderungen, der das ganze Spiel mitspielt. Aber es gibt noch einen Faktor: ich achte auf mich. Ich antwortete also letztens, als eine Freundin mich genau das fragte: “Es sind mehrere Faktoren, aber ich bin auch einfach sehr egoistisch.”

Danach dachte ich direkt: What? Eigentlich ist das doch total falsch, dass ich das so nenne. Ich bin nicht egoistisch, ich versuche nur, die Dinge umzusetzen, die ich brauche, um gesund, ungestresst und ausgeglichen zu sein. Ich bin also nicht egoistisch, das ist so ein negativ behaftetes Wort. Ich bin eigentlich nur vernünftig!

Hier ein paar Dinge, die ich brauche:

SCHLAF

Klingt banal, aber ist für mich essentiell. Es gibt Menschen, die sind mit sechs Stunden Schlaf produktiv, ich gehöre nicht dazu. Ich brauche viel Schlaf und tiefen Schlaf, ich bin eine wirklich richtig gute Schläferin. Wenn man mich lässt, schlafe ich IMMER durch, und ich schaffe locker 10 Stunden am Stück. Wenn man mich lässt. Die ersten Jahre haben beide Kinder mich nicht gelassen, mittlerweile schlafen sie meistens durch, mindestens ein Kind kommt meist nachts zu uns, das aber leise, so dass ich kaum aufwache. Abends lese ich seit Neuestem immer, keine Bildschirme mehr, dazu Lavendelöl auf die Füße, mmmhhhh. Wenn ich danach tief schlafen kann und mindestens sieben, lieber acht, noch besser neun Stunden bekomme – das ist die beste Vorraussetzung. Wenn nicht, aus welchen Gründen auch immer, dann bin ich nörgelig, habe schlechte Nerven und ich werde schnell krank. Eine Nacht kann ich das noch auffangen – bei zwei hintereinander wird es schon schwierig.

Was ich tue, um den Schlaf zu bekommen? Einmal die Woche gehe ich geplant mit den Kindern ins Bett. In der Regel bedeutet das Schlafen von neun Uhr bis sieben Uhr – heaven. Wenn eine Nacht doof war, steht der Mann oft mit den Kindern auf und ich kann noch mal wegdösen. Er ist die Lerche von uns beiden und deshalb ist das unsere Abmachung: er macht eher den Morgen, ich arbeite dafür abends häufiger noch etwas an Hausarbeit weg. Wenn ein Kind doch mal weint, oder uns anderweitig braucht nachts, dann wechseln wir uns ab. Schlaf ist ein Grundbedürfnis und kein Luxusgut. Und manchmal nervt es mich, wie Mütter ihr Schlafdefizit fast feiern und glorifizieren, als wäre es cool und würde dazu gehören. Natürlich ist es eine Weile so, dass die Babys uns nachts brauchen und mit den Hormonen hält man das auch ganz okay durch. Aber dann ist Schlafentzug auch einfach ungesund. Und es gibt vielleicht doch Wege, sich den Schlaf zurückzuholen. Mit dem Partner Abmachungen machen zum Beispiel, oder früher ins Bett gehen und den Haushalt liegen lassen. Oder oder…

ZEIT ZUM RUMDÜMPELN

Gerade, wenn ich einen langen Tag mit vielen verschiedenen Aufgaben hinter mir habe, mit vielen Gesprächen und Eindrücken, merke ich, dass ich verarbeiten muss. Oft sitze ich dann noch eine Stunde auf dem Sofa, komme runter, lese, daddel rum. Dabei wäre es vernünftiger, ins Bett zu gehen. Dieses Interview fand ich dazu so erhellend. Ein Auszug: “Wir unterschätzen gnadenlos, wie viel Zeit wir für uns brauchen, um uns zu regenerieren. (…) Wir brauchen auch Zeit, um zu verarbeiten, dass wir ein Gespräch mit jemandem geführt haben. Dafür müssen wir Phasen der Passivität haben, um zu reflektieren.” Das ist es, genau das.

“…und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen”, sagte Astrid Lindgren. Ich brauche das total, und mein Mann auch. Verarbeiten, mal nix machen. Wir gönnen uns das oft gegenseitig: einer geht am Samstag mit den Kindern einkaufen, der andere darf dümpeln (und gerne nebenbei ein bisschen Haushalt machen). Einer bringt morgens die Kids, der andere darf zumindest noch kurz, bis er auch aus dem Haus muss, rumlungern. Seit ich mir eingestanden habe, dass ich das wirklich brauche, fällt es mir übrigens viel leichter, es einzufordern. Vorher dachte ich immer: faul sein hat keine Legitimation! Aber die hat es eben doch.

TAGE OHNE DOPPELBELASTUNG

Das, was ich persönlich am Anstrengendsten am Mutter sein finde, ist das “viele Rollen erfüllen”. Tage, an denen ich morgens Mutter bin (Kinder betüdeln, füttern und fertig machen), vormittags Bürokraft (Emails und Texte abarbeiten), oder toughe Chefin (wenn wir Produktionen haben, wenn ich Kundengespräche führe), nachmittags wieder Mutter (Musikklasse, mit anderen Eltern quatschen, dann Abendessen machen, Wäsche, vorlesen, ins Bett bringen), und abends, wenn die Kinder schlafen, vielleicht noch Geliebte, Frau oder sogar Business-Frau (wenn ich auf ein Event muss) sein soll, machen mich richtig mürbe. Das ist SO anstrengend! Wenn ich dagegen einen Tag habe, an dem ich nur Mutter sein kann, ist das gar nicht so wild. Und auch wenn ich einen ganzen Tag arbeiten kann und abends mein Ding machen – dann ist das gar nicht wirklich anstrengend, sondern es gibt mir sogar eher Energie.

Weil es meinem Partner genauso geht, versuchen wir also jetzt, dass jeder von uns etwa zwei Tage pro Woche hat, wo er nach hinten raus sein Ding machen kann. Ich arbeite dann meistens lange und ohne Druck, manchmal treffe ich abends noch eine Freundin oder gehe zum Sport. Wenn ich dann nach hause komme, sind die Kinder schon im Bett, der Mann meistens auch. Dann noch kurz rumdümpeln, siehe oben. Und am nächsten Morgen kann ich den Familien-Alltagswahnsinn dann auch wieder richtig genießen. Ich mag Mama sein und alles, was es mit sich bringt, sehr. Aber ich bin so froh, dass ich meine Kinder nicht JEDEN Abend ins Bett bringen muss. Ich kann eine viel ausgeglichenere Person sein, wenn ich ab und zu diese Freiheiten habe.

KEIN SCHLECHTES GEWISSEN

Meine Kinder sind jetzt aus dem Gröbsten raus – das merke ich daran, wieviel mehr Raum ich für mich habe, und wie sie mich tatsächlich immer weniger brauchen. Der Große ist jetzt oft nachmittags bei Freunden, er übernachtet auch schon auswärts. Früher musste ich ihn nach solchen Aktionen immer tagelang emotional auffangen, einfach weil es ihm eigentlich zu viel war (er wollte es aber unbedingt). Das wird gerade besser. Er ist ein richtig taffes Kerlchen geworden, das immer seltener angekuschelt kommt, schnief. Und die Kleine ist jetzt drei. Sie ist natürlich immer noch sehr klein und bedürftig, aber ich habe mittlerweile kein schlechtes Gefühl mehr dabei, sie auch mal bis 16:30 in der Kita zu lassen, oder sie nachmittags bei Freunden zu haben. Einfach weil es ihr dabei gut geht!

In den ersten Jahren habe ich beide Kinder körperlich vermisst, wenn wir länger getrennt waren. Ich konnte nicht gut abgeben, ich hatte auch das Gefühl, dass sie oft ganz viel Mama brauchen. Das wird gerade weniger und es fühlt sich toll an. Ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen, sie weniger zu sehen – einfach weil ich ihre Bedürfnisse immer noch auf dem Schirm habe, weil ich sie mir täglich ansehe und sehe, wie gut es ihnen geht. Und wie gesagt – ich bin auch eine bessere Mutter, wenn ich sie nicht 24/7 bei mir habe. Unsere Kinder sind also auch mal länger in der Kita. Oder bei Oma, oder bei Freunden. Letztens saß der Große bei mir im Büro auf meinem Schoß und hat ein Hörspiel gehört, während ich gearbeitet habe. Sie bekommen täglich unsere Arbeit mit und ja, sie müssen auch viel mitspielen. Aber sie werden gesehen und wenn ein Kind nicht in die Kita will oder andere Themen hat, versuchen wir, darauf einzugehen. Meistens klappt das.
Und ich habe auf jeden Fall das Gefühl, sie genug zu sehen. Sogar mehr als das. Ich finde, wir haben richtig viel Familienzeit. Morgens ein paar Stunden, mehrmals pro Woche der ganze Nachmittag. Die Abende – sie gehen ja spät ins Bett. Und die Wochenenden. Und die Ferien komplett!

GLEICHBERECHTIGUNG

Man liest es schon raus: Dass wir eine gleichberechtigte Beziehung führen ist für mich der Schlüssel zum Glück. Wir sind gleichberechtigt, insofern dass wir Freuden und Pflichten möglichst fair teilen. Unsere Arbeit ist gleichberechtigt, unsere Bedürfnisse sind gleichberechtigt.

Nach der Geburt von Quinn habe ich zwei Jahre Elternzeit genommen. Der Mann ist mir in dieser Zeit beruflich davongelaufen, ich hatte immer mehr Haushalts- und Kinder-Tasks an mich gerissen. Wir waren wirklich nicht mehr 50/50. Jetzt sind wir es wieder, zumindest so einigermaßen. Ich habe nicht mehr den ganzen Mental Load alleine an der Backe, wir teilen den Haushalt, wir sprechen uns ab. Und es ist so befreiend für mich, dass er in allen Lagen mitdenkt. Dass er das Geburtstagsgeschenk für die Kinder aussucht. Dass er einkaufen geht. Dass ich keine Anleitung schreiben muss, wenn ich mal zwei Tage weg muss, weil er einfach nahtlos übernehmen kann. Dass nicht automatisch ich zuhause bleibe, wenn die Kinder krank sind, sondern wir auch das gerecht aufteilen. Dass ich entspannt ausgehen, Sport machen, arbeiten kann und weiß: die drei haben eine gute Zeit. Auch dass er die Nerven behält, wenn ich mal einen schlechten Tag habe, eine kurze Zündschnur und die Kinder anmotze. Dann fühle ich mich manchmal nicht wie eine besonders gute Mutter und weiß aber: immerhin haben sie noch den Papa, der macht es wieder wett. Und dass ich auch mal krank sein kann und er übernimmt einfach meinen Part.

Das mit dem krank sein ist übrigens gerade meine liebste Metapher für die Ungerechtigkeit in vielen Haushalten. Frauen beschweren sich über die Männer, die mit Männergrippe nach hause kommen und sich “erstmal hinlegen müssen”. (Mich nervt das auch immer kolossal). Aber es ist eben auch gesund! Genau so sollte man es machen: Man fühlt sich krank, also braucht der Körper Ruhe. Viele Frauen machen einfach weiter. Mama kann nicht krank werden. Oft auch, weil keiner die vielen Aufgaben, die Mütter täglich leisten, übernehmen kann. Wenn der Vater das kann – kann man auch mal liegen bleiben. Und siehe da, dann ist man auch meistens schneller gesund.

PRIVILEGIERT – ABER VIELLEICHT DENNOCH EINE INSPIRATION

Wie gesagt, ich argumentiere aus einer privilegierten Position heraus. Alleinerziehende können sicher nur müde lächeln. Sie haben oft emotionalen Stress (nach einer Trennung ist das ja oft der Fall…) und ALLES alleine zu wuppen. Ich wünsche mir so sehr, dass Alleinerziehende mehr Unterstützung von außen bekommen, bis dahin kann ich nur meinen Teil beitragen und ihre Kinder ab und zu nach der Kita mitnehmen, oder anders meine Hilfe anbieten.

Ich weiß auch, dass viele von euch in weniger gleichberechtigten Konstrukten leben und es muss auch nicht sein, es führen ja viele Wege zum Glück. Aber einige kleine Dinge kann man vielleicht dennoch einfordern, besprechen, Kompromisse finden. Auf die eigenen Bedürfnisse achten. Das ist nicht egoistisch. Das ist vernünftig! Weil man gesünder ist, produktiver, ausgeglichener. Und weil das einer der Schlüssel zur Vereinbarkeit ist.

Ich glaube, dass viele Frauen da draußen zu wenig an ihre eigenen Bedürfnisse denken. Dass die Kinder, die Familie, das Gesamtwohl oft vorgehen. Und das ist sicher auch ein Grund, warum so viele Mütter überlastet sind. Sich um seine Bedürfnisse kümmern ist wichtig. Und nicht egoistisch.

PS: Natürlich spielen bei uns noch andere Faktoren mit rein: Wir haben kurze Wege, keine großen Kredit-Belastungen (die Druck machen), wir sind beide keine Ordnungs- und Sauberkeitsfreaks, unsere Kinder sind selten krank, wir haben eine Oma in der Stadt und ein tolles Netzwerk aus Freunden, und: wir arbeiten beide recht flexibel. Wobei ich ziemlich stringent drei Tage kurz (6-7 Stunden) und zwei Tage lang (8-9 Stunden) arbeite und ein- bis zweimal pro Woche am Abend ein bis zwei Stunden. Der Mann arbeitet manchmal eine Woche durch, dann kann er wieder viele Nachmittage übernehmen.
Nach einer Woche, in der ich jeden Morgen und Nachmittag alleine war, spreche ich auch anders über Vereinbarkeit. Aber meistens pendeln wir uns dann wieder ein. Und ich bin eben überzeugt davon, dass es bei uns auch so gut geht, weil die Bedürfnisse aller Familienmitglieder gleich wichtig sind.

PPS: Das ist auch das, was ich gut finde, an dem Trend, den ich kürzlich kritisiert habe. Ich finde es NICHT gut, wenn man die Überlastung wegatmet oder glorifiziert. Aber Meditation, Achtsamkeit, Yoga – das kann auch viel mit Selbstfürsorge und Selbstliebe zu tun haben. Und davon können sehr viele Frauen da draußen eine gute Portion gebrauchen. Und noch mal: daran ist nichts egoistisch.