“Die Vorurteile gegenüber Müttern, aber auch gegenüber Vätern müssen weg.”

Jeden Tag werden Eltern in Deutschland in ihrem Beruf benachteiligt, weil sie Eltern sind. Viele arbeiten in Teilzeit ohne Aufstiegsmöglichkeiten, immer noch gibt es Kündigungen nach der Elternzeit und versuchte Lohnkürzungen. Diese Diskriminierung kann erst aufhören, wenn sich grundlegend etwas ändert. Wir haben darüber mit Karline Wenzel und Sandra Runge von der Initiative #proparents gesprochen- genauso wie über ihr gemeinsames Buch “Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert!“.

Was ist eigentlich eine Diskriminierungserfahrung? Also woher weiß ich, dass ich nicht nur ein blödes Gefühl hatte, sondern dass ich tatsächlich diskriminiert wurde?

Sandra: Leider existiert in unseren Gesetzen noch keine allgemeine Definition zur Elterndiskriminierung. Aber: Nach der Systematik des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), unseres Antidiskriminierungsgesetzes, liegt eine Diskriminierung dann vor, wenn eine Mutter oder ein Vater aufgrund der Elterneigenschaft herabgewürdigt wird, oder schlechter behandelt wird als eine Person, die keine Kinder hat. Die Diskriminierung kann dabei von Vorgesetzen, Kolleg*innen, aber auch durch betriebliche Regelungen, wie zum Beispiel Betriebsvereinbarungen erfolgen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat herausgefunden, dass 64% der befragten Eltern schon eine negative Erfahrung auf Grund ihrer Elternschaft im Berufsleben gemacht haben. Woher kommt das familienfeindliche Klima in so vielen Unternehmen?

Karline: Nahezu alle Elterndiskriminierungen sind quasi auf  eine  Formel zurückzuführen: Frau = Fürsorgearbeit und Mann = Erwerbsarbeit. Uns interessiert hier vor allem die Diskussion, wie wir es hinkriegen, diese stereotypen Schubladen offen zu halten und niemanden dort gleich einzusortieren. Die Vorurteile gegenüber Müttern, aber auch gegenüber Vätern müssen weg. Es darf nicht mehr salonfähig sein, eine Frau einfach aufs Abstellgleis zu schieben, weil ihr Babybauch wächst oder einen Vater in den Keller zum Akten sortieren zu verfrachten, weil er es gewagt hat, einen Teilzeitantrag einzureichen. Dieses Verhalten muss als das benannt werden, was es ist: Elterndiskriminierung. Wir werden erst dann eine diskriminierungsfreie Arbeitswelt haben, wenn Eltern nicht länger automatisch in stereotype Rollen gepresst werden.

Es herrscht im Moment ein Mangel an Arbeitskräften. Haben Eltern nicht vielleicht jetzt bessere Chancen bestimmte familienfreundlichere Strukturen einzufordern?

Karline: Ja, das stimmt. Eigentlich kann sich das heute kein Unternehmen mehr erlauben. Viele Unternehmen werben auch aktiv mit ihrer Familienfreundlichkeit. Leider sieht die Realität oft etwas anders aus. Das größte Problem sehe ich bei der Umsetzung bis ins kleinste Detail. Familienfreundlichkeit muss schließlich von jeder Führungskraft mitgetragen werden. Wie gut das funktioniert, ist in vielen Unternehmen aber von Abteilung zu Abteilung sehr unterschiedlich. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in Deutschland oftmals immer noch ein reines Glücksspiel. Aber bei allem Kopfschütteln sehen wir auch einen großen Hebel in dieser Transformation hin zum Arbeitnehmer*innenmarkt: Arbeitgeber*innen müssen sich nun wirklich bemühen, um gute Mitarbeiter*innen für sich zu gewinnen und zu halten. Das gelingt nur, wenn den schönen Worten auch Taten folgen.

Mal ganz konkret: Kann ich als Mutter jetzt vielleicht flexiblere Arbeitsstunden und Home Office verlangen? Wie kann ich mich jetzt clever aufstellen?

Sandra: Leider besteht ein Rechtsanspruch auf flexible Arbeitszeiten und -orte nur dann, wenn dieser ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart wurde. Daher ist man oftmals auf ein Entgegenkommen des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin angewiesen. Die Corona-Krise hat in vielen Fällen gezeigt, das Home Office und flexible Arbeitszeiten kein No-Go mehr sind, sondern wunderbar funktionieren können. Darauf kann man sich auf jeden Fall berufen. Oftmals besteht kein Vertrauen, weil Vorgesetzte denken, dass man zu Hause nicht 100% bei der Sache ist und nur gut arbeitet, wenn man in Präsenz arbeitet. In diesen Fällen rate ich dazu eine „Probezeit“ zu vereinbaren und die neuen Arbeitsbedingungen erst einmal befristet auszuprobieren. Wenn man sich flexible Arbeitsbedingungen erkämpft hat, sollte man sich diese natürlich auch schnell schriftlich bestätigen lassen!

Mit eurer Kampagne #proparents setzt ihr euch gegen Elterndiskrimierung ein. Was genau fordert ihr?

Sandra: Wir fordern die Aufnahme eines neuen Diskriminierungsmerkmals „Elternschaft“ bzw. „Fürsorgeleistung“ in das AGG. Damit könnten sich Eltern endlich lückenlos auf einen gesetzlichen Diskriminierungsschutz berufen. Vor allem würde dies aber auch Arbeitgeber*innen verpflichten ihre Unternehmen diskriminierungsfrei zu gestalten und betriebsinternen Gremien wie z.B. Betriebsräten den Rücken stärken. Es geht uns nicht darum, Unternehmen verklagt mit Klagen zu überhäufen, sondern gesetzliche Anreize zu setzen, Familienfreundlichkeit nachhaltig umzusetzen.

Damit wir mehr Gleichberechtigung leben können, müssen vor allem auch die Väter mehr ran. Aber viele ArbeitgeberInnen wollen Vätern nicht mal die zwei Monate Elternzeit geben, obwohl das gesetzlich festgeschrieben ist. Wie kann man Väter unterstützen?

Karline: Ja, das stimmt, das zeigt auch die Studie der Antidiskriminierungsstelle ganz deutlich: Männer, die sich für die Familie engagieren, laufen Gefahr, im Job benachteiligt zu werden. Dabei ist die Rolle von Vätern bei der gerechteren Verteilung von Fürsorgearbeit zentral: Eine Studie der University of California hat ergeben, dass vor allem Väter zu Hause bleiben, deren Kollegen, insbesondere deren Vorgesetzte, dies auch taten. Wenn in einer Firma ein Kollege Elternzeit beantragte, stieg laut der Studie die Wahrscheinlichkeit um 11 Prozent, dass auch ein anderer angehender Vater eine Auszeit nimmt. Beim Chef klettert die Zahl sogar auf 30 Prozent. Wir appellieren also immer an die Väter, als Role Models voranzuschreiten und finden es sehr sinnvoll, wenn Unternehmen, wie etwa SAP, die Elternzeit auch für Väter attraktiv macht.

Wie kann man euch unterstützen?

Sandra & Karline: Folgt uns gerne auf unseren sozialen Netzwerken, insbesondere bei Instagram und LinkedIn, teilt unsere Posts, lest alle unser Buch und empfehlt es gerne weiter! Wenn ihr negative Erfahrungen macht, könnt ihr uns gerne schreiben. Es wichtig, diese Fälle zu teilen und darauf aufmerksam zu machen, dass wir ein strukturelles Problem haben, das dringend gelöst werden muss. Wir wollen ja nicht nur die gesetzliche Änderung erreichen, sondern auch eine Diskussion zu der Benachteiligung von Eltern im Job anstoßen. Also jeder und jede, der oder die im Privaten oder Arbeitsleben über unser Thema und unsere Initiative redet, hilft uns auch.

“Glückwünsch zum Baby, Sie sind gefeuert!” von Sandra Runge und Karline Wenzel. Erschienen bei Eden Books.