Das FenKid-Konzept: Kleinkinder liebevoll und achtsam begleiten, ohne die eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren

Eltern-Kind-Kurse sind Coronabedingt in den letzten eineinhalb Jahren leider oft weggefallen. Dabei erhalten junge Eltern hier oft wichtige Tipps und persönlichen Austausch, was in dem verrückten Chaos der ersten Babyzeit sehr gut tun kann. Kennt ihr FenKid? Das Konzept orientiert sich an den Ansichten von Maria Montessori, Jesper Juul, Emmi Pikler und Elfriede Hengstenberg und steht für „Frühe Entwicklung von Kindern begleiten“. Entwickelt wurde es in der Beratungsstelle für natürliche Geburt und Elternsein in München. Kinder können in den Kursen ihren Bewegungsimpulsen folgen, während ihre Eltern thematische Inputs erhalten und die Möglichkeit haben, sich auszutauschen. Wir haben mit Kursleiterin Katharina Mendelin aus Köln gesprochen, um etwas mehr FenKid zu erfahren und darüber was ihr als Familienberaterin und Mutter von drei Kindern im Zusammenleben mit Kindern besonders wichtig ist.

Liebe Katharina, was macht das FenKid Konzept aus deiner Sicht aus und wie unterscheidet es sich zu anderen Kursen für Babies und Kleinkinder, z.B. PeKip?

Das Besondere an FenKid ist für mich, dass das Konzept Eltern bestärken und begleiten möchte, ihren eigenen, für sie richtigen Weg mit ihrem Kind und als Familie zu finden. Es geht nicht um das Vermitteln von irgendwelchen Übungen, Plänen oder Methoden, nach dem Motto „Wenn du es so und so machst, machst du es richtig“. Klar, geht es mir auch darum, wissenschaftlich fundiert Informationen zu vermitteln und meine eigene Haltung zu einem bedürfnis- und bindungsorientierten Umgang mit Kindern deutlich zu machen. Aber es gibt immer unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen zu einem Thema. Mir geht es darum, wahrzunehmen und zu erkennen, dass es einfach total viele verschiedene Familienkonzepte gibt und die Regeln in Familien völlig unterschiedlich sein können. Das kann jungen Eltern schon viel Druck nehmen. Es gibt keine perfekten Eltern und das ist für die Entwicklung unserer Kinder auch gut so.

Es gibt so viele Erziehungsliteratur und Meinungen, die auf junge Eltern bisweilen überfordernd wirken können. Was möchtest du jungen Eltern in ihrer Beziehung zu Kindern vor allem mitgeben?

Ich erlebe viele junge Eltern, die intuitiv vieles, was noch vor wenigen Jahren gang und gäbe war, wie z.B. Schlaf-Trainings, Stillen/Füttern nach Plan, nicht richtig finden. Leider werden sie nicht selten von ihrem Umfeld verunsichert. Sobald man ein Kind hat, weiß ja auf einmal jeder, was man wie am besten machen oder nicht machen soll. Ich möchte Eltern in ihrer Überzeugung stärken, dass sie die Experten für ihr Kind sind und niemand anders.

Gibt es dennoch etwas, dass du in der Kommunikation und in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern als besonders wichtig erachtest?

Es gibt für mich einen Grundsatz für die Gestaltung jeder Beziehung, und zwar „Definiere dich selbst und nicht dein Gegenüber.“ Wenn ich sage, wie es mir mit etwas geht, kann man fast alles ansprechen ohne, dass sich das Gegenüber schlecht oder falsch fühlt. Es macht für mich einen Riesenunterschied, ob ich zu meinem Kind sage: „Du bist zu laut“ oder „Mir ist das zu laut.“ Wenn man diesen Grundsatz in seine Kommunikation integriert dann hat man für die Beziehung zu seinem Kind schon viel gewonnen.

Um eine bessere Vorstellung von FenKid zu bekommen: Könntest du uns zu einigen Punkten etwas mehr sagen, die im FenKid Konzept eine wichtige Rolle spielen?

– Wertfreies Beobachten

Beim Beobachten geht es darum, dass wir uns zurück nehmen und unseren ersten Handlungsimpulsen widerstehen. Viele Eltern sind am Anfang verunsichert, ob und wie sie in die Kontaktaufnahmen der Kinder untereinander eingreifen sollen, zum Beispiel wenn sie sich ins Gesicht greifen. Sie sind dann häufig erstaunt, wie gut die Kinder miteinander ohne ihr Eingreifen klarkommen und für sie stimmige Lösungen finden. Wertfrei bedeutet in der beschriebenen Situation dann für mich, das Kind nicht als rabiat oder aggressiv zu betiteln.

– Anerkennung statt Lob

Für viele Eltern ist der Unterschied zwischen Lob und Anerkennung schwer zu greifen. Für mich ist der entscheidende Unterschied, dass ich bei der Anerkennung inhaltlich und ehrlich interessiert bin. „Das hast du aber toll gemacht“ ist nicht differenziert und wird schnell zur Floskel, was Kinder im Übrigen auch merken. Trotzdem kann es schnell passieren, dass Kinder bei übermäßigem Lob auch ihre intrinsische Motivation verlieren und nur noch auf das Lob des Erwachsenen aus sind.
Außerdem kann man Anerkennung auch für eine Anstrengung geben, ohne schon das Ziel erreicht zu haben! Zum Beispiel beim Klettern: Das Kind möchte in dem gesehen werden, was es geschafft hat, da reicht es einfach zu sagen: „Hej, ich sehe dich“ oder „Wow, du bist aber konzentriert da hoch geklettert. Das ist schon echt ganz schön hoch“.

– Umgang mit negativen Gefühlen

Wir tendieren dazu, negative Gefühle lieber nicht haben oder schnell wegmachen zu wollen. Es lohnt sich, mal genauer hinzuschauen, welche Gefühle bei unserem Kind wir weniger gut aushalten können. Das hat viel damit zu tun, wie früher auf unsere Gefühle eingegangen wurde.
Kinder lernen die Gefühlsregulation von ihren Eltern und da ist es total wichtig, die ganze Bandbreite an Gefühlen zuzulassen und anzuerkennen. Das Kind lernt, dass es negative Gefühle gibt, sie aber auch zu bewältigen sind. Das Gefühl anzuerkennen, heißt dabei keinesfalls, alle Wünsche des Kindes zu erfüllen. Wenn mein dreijähriger Sohn unbedingt „was gucken will“, ich aber entschieden habe, dass ich das heute nicht möchte, kann ich Verständnis für seinen Frust zeigen, ihm Trost anbieten, aber gleichzeitig bei meinem Entschluss bleiben, dass heute nichts geguckt wird.

Es geht bei FenKid neben Impulsen zur kindlichen Entwicklung auch viel um die Gefühle und Bedürfnisse der Eltern bzw. des Paares. Wo siehst du hier besonderen Bedarf?

Ich glaube, dass wir – gerade weil wir heutzutage so bedürfnis- und bindungsorientiert auf unsere Kinder schauen – schnell unsere eigenen Bedürfnisse und erst recht die unseres Partners vergessen oder aus dem Blick verlieren. Natürlich ist es wichtig, dass die Bedürfnisse eines Säuglings möglichst feinfühlig beantwortet werden. Und dafür ist es auch gut, dass wir Erwachsenen unsere Befindlichkeiten für eine gewisse Zeit zurückstellen können. Irgendwann ist es aber auch wichtig, sich selbst und die Partnerschaft wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen und die eigenen Bedürfnisse wahr- und ernst zu nehmen. Selbstfürsorge ist das A und O für ein erfülltes Familienleben: Wenn es den Eltern gut geht, geht es auch den Kindern gut.

Warum fällt es gerade Müttern aus deiner Sicht oft schwer, sich diese Selbstfürsorge zuzugestehen?

Mütter haben da glaube ich häufiger als Väter schnell das Gefühl, egoistisch zu sein, wenn sie sich Zeit ohne die Kinder wünschen oder nehmen. Dabei ist genau das so wichtig: Ja zu sich selbst und seinen Bedürfnissen zu sagen und auch mal ein „nein“ zu den Kindern oder zum Partner zuzulassen, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Es ist zum Beispiel völlig normal, dass ich nicht immer Lust habe, mit meinen Kindern zu spielen. Nach einem netten Abend mit meiner besten Freundin oder einem Wellness-Tag nur für mich kann ich mich doch wieder ganz anders auf meine Kinder freuen und auf ihre Welt einlassen.

Du hast selbst drei Kinder, und arbeitest zusätzlich als Familienberaterin. Was ist dir im Bezug auf das Zusammenleben mit deinen Kindern besonders wichtig und was waren und sind für dich besondere Herausforderungen?

Mir ist es wichtig, das Verhalten meiner Kinder zu verstehen und nicht zu verurteilen. Wenn zum Beispiel meine mittlere Tochter ihren kleinen Bruder immer und immer wieder piesakt, kann es sein, dass sie sich in einer vorangegangenen Situation nicht gesehen oder ungerecht behandelt gefühlt hat. Es bringt dann nichts, sie für ihr Verhalten zu bestrafen oder zu schimpfen. Im besten Fall gelingt es mir, sie mit Verständnis oder auch Nähe und Körperkontakt aus der Situation rauszuholen und herauszufinden, was der Auslöser für ihr Verhalten war. Gespräche über Gefühle und Konflikte sind mir sehr wichtig. Herausfordernd finde ich vor allem, die vielen Bedürfnisse, die in so einer Familie aufeinanderprallen, zu koordinieren. Immer wieder gemeinsam Kompromisse zu finden, abzuwägen, aber möglichst so, dass sich jeder verstanden und gesehen fühlt.

Deine Arbeit ist stark vom dänischen Familientherapeuten Jesper Juul beeinflusst. Auf deiner Website steht ein Zitat von ihm: „Unsere Kinder zu lieben reicht nicht, wir müssen lernen, unsere Liebe in liebevolle Handlungen umzusetzen.”. Was drückt sich in diesem Zitat für Dich aus?

Ich habe mal ein Interview mit Jesper Juul gesehen, in dem er das ungefähr so beschreibt: Wenn ich jemanden liebe, dann hat die Person, auf die sich meine Liebe bezieht, zunächst erstmal nichts davon. Dass ich liebe, hat erstmal nur für mich einen Mehrwert, weil es sich für mich angenehm und schön anfühlt. Die geliebte Person profitiert erst durch eine liebevolle Handlung unsererseits von dieser Liebe, in dem wir ihr etwas Gutes tun. Ich glaube, so gut wie alle Eltern lieben ihre Kinder. Aber nicht alle können das in liebevollen Handlungen ausdrücken. Und genau hier liegt das Problem. Kinder erfahren von ihren Eltern, was Liebe ist. Sie lernen in ihren Familien, wie Beziehungen gelebt und gestaltet werden und das prägt sie meist ein Leben lang.

Vielen Dank!

Katharina bietet wie viele andere Kursleiterinnen neben Präsenzkursen auch Online Kurse an. Mehr Informationen zu ihren Angeboten findet ihr unter: www.katharinamendelin.de. Und hier könnt ihr nachlesen, wo es in eurer Nähe Kurse gibt.
Zum Nachlesen gibt es auch Buch zum Konzept: „FenKid-Buch für Eltern: Kindern von 0-3 Jahren liebevoll Halt geben“ von Angelika Koch und Astrid Drexler.