Die ewige Vereinbarkeits-Debatte. Und die Lösung.

Ich habe mich lange zurück gehalten, aber jetzt muss es einfach mal raus. Zu viel habe ich in den letzten Monaten gelesen über die "Vereinbarkeitslüge". "Geht alles gar nicht". "Schrecklich perfekte Frauen".

Und ich bin genervt. Von dieser unheimlich sinnlosen Debatte. Geht also alles gar nicht. Man kann nicht arbeiten und Kinder haben. Vor allem Frauen können das nicht. Die machen einen auf Powerfrau und kriegen doch nur Burnout. Und was ist dann die Lösung? Davon spricht kaum jemand. Und ein klitzekleines bisschen höre ich immer raus, dass manche doch meinen, es sei vielleicht besser wenn die Frauen (natürlich die Frauen!) wieder mehr zuhause bleiben würden. Wenn wieder alles wäre “wie früher”.

Warum ist eigentlich die Powerfrau hier die Schuldige und nicht die Arbeitswelt, die es irgendwie immer noch nicht eingeplant hat, Menschen mit Familien als Arbeitnehmer zu haben?

Unsere Will-alles-haben-Gesellschaft

Wir leben im Jahr 2015. Frauen sind gut ausgebildet und emanzipiert. Sie wollen arbeiten, Geld verdienen. Sie wollen auch Kinder haben. Und dann wollen die meisten irgendwann weiterarbeiten. Der Staat ist eigentlich auch schön blöd, wenn er sie erst teuer ausbildet und dann für immer oder zumindest für lange Zeit verliert. Männer wollen das übrigens auch alles.

Das “alles auf einmal wollen” ist natürlich auch Teil des Problems. Das Kinderhaben schön aufschieben, bis es mit der Karriere einigermaßen klappt. Und dann muss es schnell gehen und die Karriereleiter soll aber bitteschön keinerlei Knacks bekommen. Man kann nicht erwarten, dass sich durch ein Kind nichts verändert. Dass man weiterackern kann wie vorher und “sich selbst entfalten” wie früher. Man kann nicht alles auf einmal haben! Männer nicht und Frauen auch nicht. Das ist Teil des Problems.

Es ist aber kein unlösbares Problem. Wenn wir alle unsere Erwartungen etwas herunterschrauben, ist es sehr wohl möglich, Kinder und Arbeit (warum eigentlich immer gleich “Karriere”? Vielleicht fangen wir mal mit schlichter Arbeit, die im Idealfall Spaß macht, an) unter einen Hut zu bekommen.

Die Lösung ist NICHT mehr Organisation

Und jetzt sag ich euch, was die Lösung ist. Es ist nicht etwa das perfekte Management (darauf beziehen sich nämlich alle Artikel. Von der Lüge, man müsse ja nur alles gut organisieren, dann würde es schon klappen). Organisation ist schon wichtig in einer Familie, To do Listen schaden nichts. Aber vor allem liegt es an unserem Arbeitssystem. An den Arbeitgebern und deren Einstellung. An der Qualität und der Einstellung zur Kinderbetreuung. An den Kosten für ebenjene. Und nicht zuletzt an uns. An unseren Köpfen, an der zwanghaften Trennung von Arbeit und Familie, die wir selbst auch aufbrechen müssen.

Ich nerve vielleicht schon wieder mit Beispielen aus unseren Nachbarländern. Aber warum sollten wir nicht können, was Dänemark kann, oder Schweden? Oder Holland! Da klappt es doch auch. Sicher haben auch in diesen immer wieder Vorzeige-Ländern nicht alle Familien immer eine Superzeit. Das hat ja niemand. Und es gibt auch sicher immer etwas zu kritisieren. Trotzdem muss ich diese Länder natürlich wieder anführen, wenn ich euch die Lösung präsentiere.

Die Lösung sieht wie folgt aus. Sie beinhaltet 4 Punkte:

1. WIR MÜSSEN ALLE WENIGER (& FLEXIBLER) ARBEITEN

20 Stunden Arbeit gehen sehr gut mit Kindern zusammen. Und auch 30 Stunden sind mit Familie zu vereinbaren, behaupte ich jetzt mal. Wenn wohlgemerkt auch wirklich nach 30 Stunden der Füller fällt. Keine Überstunden! Die Deutschen machen die meisten Überstunden (meist unbezahlt) und das muss aufhören. 40 Stunden mit Familie zu vereinbaren finde ich schwer bis unmöglich, ganz ehrlich. Und zwar für Mütter und Väter – den Teil der Väter, der mehr von ihren Kindern haben will, als einen Gutenachtkuss. Familienministerin Manuela Schwesig hat diesen verwegenen Vorschlag gemacht: 32 Stunden für alle Eltern. Wären wir nicht alle glücklicher, wenn wir weniger arbeiten würden? Natürlich bei einem etwas kleineren Gehalt. Ein kleiner finanzieller Einschnitt und viel mehr Zeit. Hach!

Ich persönlich finde ja alle, nicht nur Eltern, sollten weniger arbeiten. Aber von mir aus können wir gerne bei den Eltern anfangen.

In Deutschland herrscht Präsenzkultur. Wer am längsten bleibt, ist am Fleißigsten. Dass das Humbug ist, erklärt sich von selbst. Dass Menschen, die wissen, dass sie nach Punkt 30 Stunden gehen müssen effizienter sind, ist eigentlich viel logischer. Würden wir alle weniger arbeiten, würde uns also ziemlich sicher nichts an Produktivität flöten gehen. Dafür würden wir effizienter arbeiten. Und wir hätten mehr Zeit für die Familie.

Das ist aber viel zu teuer! sagt ihr. Ach ja? Ich glaube: Depressionen, Burnouts, Kuraufenthalte – die Folgen der überlasteten Gesellschaft. Sind teurer für die Unternehmen und die Allgemeinheit.

Und, wie Renate Schmidt in dem wundervollen Interview “Geld oder Liebe” so richtig sagt: “Untersuchungen zeigen, dass es im Schnitt 25 Prozent Rendite bringt, wenn Unternehmen in familienfreundliche Maßnahmen wie flexible Arbeitsmodelle investieren. 25 Prozent! Aber die meisten Unternehmen wünschen sich immer noch einen rundum verfügbaren Mitarbeiter, dem zu Hause jemand den Rücken freihält.” Einen, der leistet, leistet, leistet. Wir sind aber keine Maschinen. Wir sind Menschen. Und die wollen in der Regel arbeiten um zu leben, und nicht umgekehrt.

2.TEILZEITARBEIT MUSS WERTGESCHÄTZT WERDEN

Mögliche Aufstiegsschancen für Teilzeitler wären auch eine Sache. Es muss sich schon lohnen, zu arbeiten, sonst macht das Ganze ja keinen Spaß. Wer immer nur belächelt wird, weil er um drei geht, ist auch unmotiviert. Die Wirtschaft muss endlich verstehen, dass sich Teilzeitarbeit für sie lohnt. Weil Menschen in Teilzeit meistens mehr leisten, als es die gearbeiteten Stunden aussagen.

Kinder gehören dazu. Zu einer Gesellschaft. Zu Männern und Frauen, zu arbeitenden Männern und Frauen. Es ist Aufgabe der Arbeitgeber, das zu verstehen. Zu verstehen, dass Familienzeit wichtig ist. Dass der Arbeitnehmer im Zweifel auch glücklicher ist, wenn er alles gut schafft. Dass Eltern clevere Multitasker sind, die jedem Unternehmen was bringen. Dass man in 30 Stunden mehr schaffen kann, als andere in 60. Dass mehr Flexibilität und weniger Druck allen helfen.

  • Es ist ein Unding, wenn mir Freunde mit Start-ups erzählen, Frauen im gebärfreudigen Alter würden erst gar nicht eingestellt. Es ist sogar diskriminierend.
  • Oder dass mir eine Leserin schreibt, sie gehe krank ins Büro, weil sie sich die Krankheitstage fürs kranke Kind aufsparen will (und sie wahrscheinlich doof angeschaut wird, wenn sie “SCHON WIEDER” fehlt.)
  • Oder dass eine Mutter ihr fiebriges Kind in die Kita bringt und mir in der Garderobe voll schlechtem Gewissen ins Ohr flüstert, sie kann einfach nicht fehlen. Wer ist da schuld? Die Frau, weil sie arbeitet oder der Arbeitgeber, der sie alleine den Job von drei machen lässt und nicht mal Erstaz da hat, wenn sie fehlt, weil ihr Kind krank ist?

Die meisten Eltern, die wir hier porträtieren, haben sich selbstständig gemacht. Nicht wenige genau aus dem Grund. Weil sie wussten, dass eine klassische Anstellung nicht mit Kindern zusammenpasst. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Arbeitsgesellschaft, oder?

So und hier noch die Beispiele aus den Nachbarländern:

Und es müssen noch weitere Dinge geschehen:

3. GUTE, GÜNSTIGE KINDERBETREUUNG

Der dritte Teil der Lösung liegt natürlich bei der Kinderbetreuung. Eine gute Betreuung für das eigene Kind zu finden ist das A und O. Wie lange, wann und wie – das muss einfach jeder für sich entscheiden. Eines steht fest: es muss günstiger werden (es kann nicht sein, dass man in Bayern 700 Euro monatlich für einen Krippenplatz zahlt, es KANN EINFACH NICHT SEIN!) und die Qualität muss stimmen. Das heißt, wir brauchen gut ausgebildete Erzieher und genug Erzieher pro Kind. Oder Tagesmütter. Oder Nannies. Hier glaube ich aber, dass wir auf einem guten Weg sind. Es wird nur noch ein paar Jahre dauern, bis sich unsere Kinderbetreuung sehen lassen kann. Dass Deutschland VIEL zu spät dran ist, mit dem Kita-Ausbau, mit dem Gedanken, dass Erzieher eventuell wichtig sind und auch mehr bezahlt bekommen sollten, brauche ich hier ja nicht zu sagen, das weiß jeder.

4. GLEICHBERECHTIGUNG & EINFACH KEIN SCHLECHTES GEWISSEN MEHR

Der dritte Teil liegt bei uns. Bei uns Müttern und Vätern. In unseren Köpfen.

Erstens. Ja, wir brauchen immer noch mehr Gleichberechtigung. Es ist ein langer Weg, aber mehr Männer, die Elternzeit nehmen, die sich wirklich und ganz ehrlich und intensiv am Familienleben und allen Verpflichtungen, die dazu gehören beteiligen, sind einfach so wichtig. Wenn die arbeitende Mutter nebenbei noch die Kindererziehung und den Haushalt alleine schmeißen soll, wird sie das niemals glücklich machen. Dann führt das ganze Vereinbarkeits-Ding wieder in die Burnout Hölle.

Zweitens: Die Arbeitgeber müssen ihre Einstellung ändern. Wir müssen aber auch aufhören, uns vorzumachen, es würde sich nichts an unserem Arbeitsleben ändern, wenn wir kleine Kinder haben. Das ganze Leben ändert sich, natürlich macht sich das auch im Arbeitsteil davon bemerkbar. Wir wollen und können weniger arbeiten, wir fallen öfter aus, werden öfter krank. Deshalb sind wir trotzdem unheimlich wichtig für dieses Arbeitssystem und es umgekehrt für uns. Wenn wir selbst nicht aufhören, unser Dasein als Familienmenschen in der Arbeit geheim zu halten, so wie die arbeitende Mutter auf Edition F, die schreibt, sie verheimliche lieber, dass sie ein Kind hat, man denke dann, sie sei nicht flexibel – dann brauchen wir uns nicht wundern. Männer sprechen vermutlich noch weniger über ihre Kinder in der Arbeit. Warum? Sind Menschen, die Kinder zeugen schlechtere Arbeiter? Ist man faul, weil man pünktlich gehen muss? Quatsch. Ich persönlich würde extra viele Mütter einstellen! Mütter sind absolute Supermenschen. Sie können so viele Dinge gleichzeitig handlen, sie sind flexibel, motiviert, halten Belastung aus. Sie können weniger arbeiten, aber besser. Das Gleiche gilt natürlich für Papas, die mit anpacken. Nicht für die, denen der Rücken frei gehalten wird! Das kann ja jeder….

Und dann ist da noch das schlechte Gewissen. Es ist nichts als Mist, wenn eine Mutter morgens ihr Kind in die Kita bringt und dann den ganzen Tag Angst hat, zu versagen. Wenn sie ein schlechtes Gewissen hat, weil sie nicht bei ihrem Kind ist. Wenn sie sich deshalb vielleicht sogar nicht auf die Arbeit konzentrieren kann. Wenn sie Angst hat, dass jemand das merkt. Wenn sie die Tatsache, dass sie Mutter ist, lieber nicht anspricht, damit keiner denkt, sie sei faul oder eine schlechtere Angestellte. Wer macht denn sowas, fragt ihr. Ich glaube, sehr sehr viel Frauen machen das tagtäglich. Die Folge ist wieder Stress, Überforderung, dem perfekten Ideal hinterherrennen und es nie erreichen.

In zu vielen deutschen Frauenköpfen herrscht immer noch das: “eigentlich wäre es ja besser für mein Kind, wenn es nicht in die Kita ginge” vor. Und das ist Blödsinn. Natürlich gibt es Fälle, wo es kein Blödsinn ist. Wo es sich für alle (noch) nicht richtig anfühlt. Dann muss man nach Lösungen suchen, so lange, bis man sich mit der Betreuung wohlfühlt, oder das Elterngeld Plus in Anspruch nehmen. Es gibt so viele Lösungen! Und wenn man sich für eine Betreuungsform entschieden hat, dann sollte man das Kind da abgeben und mit ihm alle Sorgen um das Kind. Das ist ja der Sinn der Sache!

Letztens stand im Aufzug zur Kita eine Mutter aufgelöst neben mir: “Ich bin so spät dran! Ich habe so ein schlechtes Gewissen!” und ich sagte: “aber warum denn? Dem Kind geht es doch gut, es wird es vermutlich nicht mal merken!” So war es auch. Ihr 2-Jähriger lief ihr strahlend entgegen, plappernd, glücklich. Die Viertelstunde Hetze und Stress – hätte sie sich einfach sparen können. Ich kenne das Gefühl von mir selbst, aber Marie und ich haben erst gestern einvernehmlich festgestellt, dass wir mittlerweile sogar fühlen, dass wir den Jungs etwas Gutes tun, wenn wir sie in die Kita bringen.

Das perfekte Ideal und die Rush Hour of Life

By the way: das perfekte Ideal gibt es nicht. Aber es gibt jetzt schon durchaus Frauen, die alles ganz gut gebacken bekommen. Die haben meistens einen tollen Mann, der Lust auf Windeln und Haushalt hat, vielleicht haben sie auch noch genug Geld für eine Haushaltshilfe. Sie haben eine Kita, der sie vertrauen und einen tollen Chef, der sie als Mütter respektiert und das nicht als Makel sieht. Der akzeptiert, dass Menschen und Kinder krank werden und dass das dazu gehört. Der das sogar mit einkalkuliert. Der Frauen gratuliert, wenn sie schwanger sind. Der glückliche Angestellte haben möchte. Der selbst einen großen Teil der Kindererziehung gestemmt hat und immer zuhause blieb, wenn das Kind krank war. Ich habe einen solchen Chef. Chapeau! Es gibt sie also schon…

Ich bin eine von diesen glücklichen Frauen, und ich bin wohl eine, die alle Autoren Lügen straft: Vereinbarkeit ist keine Lüge, sie geht. Mal besser, mal schlechter, auch ich habe Tage, an denen ich denke: scheiße, beim nächsten Kind bleibe ich fünf Jahre lang zuhause! Aber an den meisten Tagen läuft bei uns alles ganz gut.

Eine weitere Sache: ich verstehe nicht, warum man genau in den wenigen Jahren, in denen die Kinder klein sind so reinhauen muss, arbeitsmäßig. Ist das nicht total unlogisch? Wir werden vermutlich alle so um die 80. Viele von uns werden 100 Jahre alt werden. Die Allerwenigsten werden mit Mitte 60 aufhören (wollen), zu arbeiten, warum auch, uns wird es gesundheitlich noch sehr gut gehen und den wenigsten wird warm ums Herz bei der Vorstellung, DREIßIG Jahre lang nichts zu tun. Aber sogar wenn mit Mitte 60 Schluss sein sollte: wir werden alle noch lange arbeiten. Lange lange lange. Warum müssen wir uns also dann genau jetzt, wo die Kinder klein sind, so abschuften? “Weil ich meinen Kindern was bieten will”, sagen da die ehrgeizigen Jung-Papas. Ach ja? Was denn? Ein Auto, eine Eigentumswohnung, die Privatschule, die Markenjacke? Ganz ehrlich, das ist deinem Kind alles noch sowas von egal. Das Wertvollste und Wichtigste, was wir unseren Kindern mitgeben können, zumindest solange sie klein sind, ist: ZEIT.

Ich verlange hier nicht weniger, als eine Revolution, das ist mir schon klar. Aber die einzige Lösung ist nun mal ein Umdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Fangen wir doch mal an, oder was sagt ihr?