21st Century Mom: Vom (Un-)Glück des Gärtnerns.

Hach, Kindheitserinnerungen. Diese in purem Glück getränkten Gedanken an eine Zeit, in der man keine Briefe, Mails oder schweren Anrufe bekam. Kindergeburtstag, Weihnachtsmorgen oder barfuß über Gras rennen. Momente, die so schön waren oder sich zumindest in der Erinnerung so anfühlen, dass man sie in eine Kiste packen will, die die eigenen Kinder irgendwann auspacken sollen. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann ist der Geschmack von Liebstöckel sehr zentral. Bei uns hieß es Maggikraut und wenn ich „uns“ sage, dann meine ich meine Oma, ihren Garten und mich. Dort habe ich als Kind viel Zeit verbracht, das war einer der Orte, an dem ich prägende Kindheitserinnerungen sammeln durfte.

Der Wunsch, meinen Kindern ähnlich warme Erfahrungen zu ermöglichen, ist groß.

Meine Großmutter hatte keinen englischen Landhausgarten mit Rosenbögen, einem verwunschenen Teich oder einer moosbewachsenen Bank. Ich glaube, dass sie all diese Landromantik-Zeitschriften albern fand, denn obwohl sie ihr halbes Leben in diesem Garten verbrachte, hatte er kaum ästhetische Ecken. Ihr vorrangiges Ziel war die Versorgung der kompletten Familie. Und wie es bei Nutzgärten so ist, lebten wir von Herbst bis Frühling um einen Acker voller Dreck, der sich im Mai plötzlich in einen blühenden Flagshipstore für Gemüse und Obst mit für mich integriertem Erlebnisbauernhof verwandelte. Bis in den dunkelsten Herbst holten wir aus diesem Garten Kartoffeln, Äpfel, Rüben, anderes Einmach-Gut sowie Samen für die kommenden Jahre heraus. Ich trottete meiner Oma als Kind durch diesen Garten hinterher, setzte geschäftig Schnecken von hier nach dort und snackte Maggikraut, Brombeeren, Johannisbeeren oder wirklich sauren Sauerampfer. Für mich ist diese Kindheitserinnerung so präsent, dass der Geschmack dieser Lebensmittel ein warmes Gefühl von Geborgenheit in mir auslöst. Kulinarisch kann ich mit diesen, für deutsche Supermärkte teilweise untypischen Lebensmitteln sehr viel anfangen, das Problem ist eher der Weg zum Ziel. Die Zahl der Sauerampfersupermärkte hält sich in engen Grenzen.

Mein Mann und ich hatten anfangs eine Wohnung ohne Garten, mit einer Terrasse, die exakt nach Norden ausgerichtet und in jede andere Himmelsrichtung von sehr hohen Mauern gesäumt war. Die Sonne schien dort niemals, keine Sekunde, aus keinem Winkel, an keinem Tag des Jahres. Alles, was auf dieser Terrasse lebte, starb nach wenigen Wochen, sogar Schattengewächse. Ehrlicherweise muss man zugegeben, dass das vielleicht nicht ausschließlich an der fehlenden Sonne lag.

Überhaupt würde ich sagen, dass ich der Gegenentwurf zu einer Person mit grünem Daumen bin.

Ausnahmslos jede Pflanze, die bisher unter meiner Obhut war, schaffte es nicht. Teilweise ging es so schnell und doch so schlimm, dass ich nach und nach in Plastikblumen investiert habe. Davon habe ich inzwischen ein so großes Arsenal, meine Großmutter wäre wirklich wütend. Kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes sind wir umgezogen, an einen Ort mit Garten und Sonne. Seit diesem Umzug war mir klar: Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie so früh wie möglich den Geschmack einer gerade aus der Erde gezogenen Karotte, die Schärfe von nicht in Watte gewachsenen Radieschen und die Säure von wirklich saurem Sauerampfer kennenlernen. Leider starb meine Oma, als ich ein Teenager war und ich hatte keine Möglichkeit mehr, sie in der Gartensache um Rat zu fragen.

Als ich anfing zu recherchieren, stolperte ich schnell über Hochbeete, denen man nachsagt, dass dort wirklich ALLES gelinge. Ich hatte direkt ein Bild im Kopf, wie ich mit meinen Kindern um die Beete stehe, wir fröhlich in der Erde buddeln und sie im besten Fall selbst ein Garteninteresse entwickeln. Also entschied ich mich, überambitioniert wie immer, direkt für drei gigantische Hochbeete, in denen mir endlich „ALLES“ gelingen sollte. Ob ich Spaß am Gärtnern habe? Auf keinen Fall. Ob ich meine Kinder damit entscheidend naturnah prägen werde und sie noch im Erwachsenenalter an die wunderbaren Hochbeete ihrer Mutter denken werden? So ist zumindest der Plan.

Hochbeete also.

Anfang des Jahres fragte ich mich, was man zum Gärtnern eigentlich alles braucht. Einen Wasserschlauch, Erde, eine Schaufel und irgendwelche Samen. In der Vorbereitung habe ich mich erst mal auf das Wesentliche konzentriert, also meinem Sohn und mir matching Glitzergartenschuhe in Lila zu bestellen. So verband uns, neben unserem ähnlichen Wissensstand in Gartenangelegenheiten, auch optisch Einiges. Ende März stand ich das erste Mal im Gartencenter und überlegte, ob ich gleich zwei Packungen Samen für dieses und nächstes Jahr kaufen soll, wer weiß, wann ich wieder dort sein würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass man zum Hochbeet-Gärtnern leicht gleich noch ein weiteres, nicht ganz kostengünstiges Hobby dazubekommt: das „Mehrmals die Woche zum Baumarkt fahren, weil man wieder irgendwas neues braucht“-Hobby.

Zwischen Anfang April und Mitte Mai war ich elf Mal im Baumarkt.

Inzwischen bin ich der festen Überzeugung, dass es praktischer gewesen wäre, die Hochbeete nicht bei uns zu Hause, sondern am Baumarkt zu bauen. Außerdem kostet jeder Besuch dort so lächerlich viel Geld, schon bevor die erste Pflanze in unsere Hochbeete einzog, fing ich an zu rechnen, wie viele Jahre ich mein Gemüse direkt im KaDeWe hätte kaufen können, ach was, kaufen und von befrackten Bediensteten liefern lassen können. Aber man kauft ja auch die Experience und die erforderte umfangreiche Vorbereitung, denn mein Plan war, die Ungeduld meines Sohnes, die tatsächlich noch etwas stärker ausgeprägt ist als meine eigene, zu umgehen. Ich wollte erstmal bis Juni allein loslegen und ihn mit ins Boot holen, wenn es die ersten Erdbeeren oder Zuckererbsen zu holen gäbe. Als ich dann endlich alles besorgt und via YouTube das Weltwissen über Hochbeetpflanzstrategien verinnerlicht hatte, als ich gelernt hatte, welche Pflanzen welche Erde brauchen (Hortensien brauchen zum Beispiel unbedingt Hortensienerde), als ich in Erfahrung gebracht hatte, wer sich mit wem verträgt und warum Petersilie und Schnittlauch unter keinen Umständen nebeneinander leben dürfen, konnte das Gartenjahr endlich starten.

Mein Gartenjahr, bzw. das unserer ganzen Familie.

Vielen Menschen gibt das Gärtnern so viel, dass sie die Zeit vergessen, stundenlang gedankenversunken vor sich hinrödeln und danach völlig beseelt sind vom Gartenglück. Das bin ich leider nicht. Ich habe keine Freude an Hobbys, bei denen man das Ergebnis nicht sofort und überzeugend sehen kann. Joggen, um in 12 Wochen endlich wieder fit zu sein? Meditieren, um nach Monaten etwas entspannter zu werden? Samen aufziehen, um sie dann nach Wochen umzutopfen und die größeren Pflanzen dann nach weiteren Wochen in die Erde zu setzen, um dann hoffentlich im Sommer 2038 das erste Mal Früchte zu haben? Vielen Dank, aber das möchte ich gerne nicht erleben. Um zu ernten, muss man nicht nur säen, sondern auch Geduld haben. Was, wie gesagt, wirklich gar nicht mein Ding ist. Also beschloss ich – eigentlich bevor das Gartenjahr richtig startete, aber leider, nachdem ich schon das ganze überteuerte Equipment gekauft hatte – dass ich keine Gartenfee werden würde. Das Problem war aber, dass mein 22 Monate alter Sohn spätestens seit dem Aufbau der Beete völlig aus dem Häuschen war. Er rannte jeden Morgen aufgeregt an die Türe und wollte sehen, was sich verändert hatte. Welche Blätter die Ameisen angeknabbert hatten und wo wir noch gießen mussten. Inzwischen kann er Erbsenkeimlinge von Gurkenpflänzchen unterscheiden, wofür ich immer noch die Schildchen daneben brauche. Er weiß, dass bei der Erdbeere zuerst die weiße Blüte und erst später die rote Frucht kommt und dass Lavendel toll riecht, wenn man ihn in der Hand zerreibt, aber weniger toll schmeckt, wenn man ihn in den Mund steckt.

Der einzige Grund, weshalb ich dieses Non-Hobby ursprünglich gestartet habe, ist nun leider der einzige Grund, weswegen ich nicht mehr aufhören kann.

Aber was tun, wenn man selbst kaum Freude an ausgerechnet der Sache hat, die dem Kind wichtige Erinnerungen verschaffen? Hat es meinen Eltern große Freude bereitet, hunderte Kastanienmännchen zu basteln, das gleiche Bilderbuch mit mir zweihundert Mal durchzuschauen oder immer und immer wieder auf den gleichen, eigentlich sturzöden Spielplatz zu gehen? Eher nicht, aber ich bin trotzdem froh, dass sie das mit mir gemacht haben. Irgendwie bin ich meinen Sohn inzwischen dankbar für seine Begeisterung, denn sie steckt mich auf merkwürdige Weise an. Ich lerne gerade viel über Schattengewächse, Stauden und Geduld. Fast alle Pflanzen leben noch und wachsen, weil wir sie gießen, auf sie Acht geben und dran bleiben.

Familie und die damit verbundenen Kindheitserinnerungen passieren nicht einfach automatisch, nur weil man Kinder hat. Man muss den Kindern die Möglichkeiten eröffnen, sie selbst entscheiden lassen und dann im Zweifel aktiv aufraffen, das auch umzusetzen.

An den meisten Ritualen für unsere Kinder habe ich große Freude und obwohl ich mir gewünscht hätte, eine Beschäftigung für meinen Sohn zu finden, die mir selbst am Ende auch Spaß macht, verstehe ich meine Oma inzwischen besser. Für einen ästhetischen Ziergarten braucht man Geduld, ein gewisses Händchen und hat am Ende nicht mal was davon im Mund. Viele Nutzpflanzen dagegen wachsen überraschend schnell und mit minimaler Pflege. Und ich merke, warum ich als Kind so viel Zeit bei meiner Großmutter im Garten verbracht habe. Es gibt jeden Tag Neues zu entdecken, man kann in allen Altersstufen gut mithelfen und als Belohnung hat man auch noch die Früchte seiner Arbeit auf dem Teller.

Ich gebe dem ganzen Projekt ne lieb gemeinte 3/10, mein Sohn würde wahrscheinlich noch ein „gerne wieder“ hinterher schieben.

Fotos: Julia Zoooi