Wenn die Geburt zum Trauma wird

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Heute ist Roses Revolution Day – ein Tag, der ins Leben gerufen wurde, um zu verdeutlichen, wie viele Frauen unter der Geburt Gewalt erleben müssen.

Dabei ist Gewalt in der Geburtshilfe natürlich nicht einfach zu definieren, es ist eine Gratwanderung. Was ist medizinisch notwendig? Zudem kann Gewalt während der Geburt physischer, psychischer oder sexueller Natur sein. Man ist nie so vulnerabel wie während einer Geburt. Umso tiefer sitzen die Wunden, die körperliche oder verbale Angriffe anrichten können.
Geburt ist sehr oft eine Grenzerfahrung. Genau deshalb brauchen werdende Eltern während dieses Prozesses viel Unterstützung. Die sie leider oft nicht bekommen. Das Ursprungs-Problem ist in vielen Fällen: Überforderung. Personalmangel. Stress auf den Geburtsstationen. So entstehen Situationen, die Gewalt zur Folge haben. Oder Traumata. Oder beides. Heute erzählt uns Isabella ihre Geburtsgeschichte.

Tatsächlich war bei ihr keine Gewalt im Spiel.

Und trotzdem verdeutlicht Isabellas Geburtsgeschichte so gut, was falsch läuft in deutschen Kreissälen. Sie war mit einem extrem positiven Mindest in die Geburt gegangen. „Ich dachte: Ich bin jung, sportlich, die Schwangerschaft war unkompliziert gewesen – was soll schon schief gehen“, sagt sie heute.

Leider ging Vieles schief. Und die Geburt hat Isabella so mitgenommen, dass sie heute mit einer diagnostizierten posttraumatische Belastungsstörung lebt. Ihre Ehe drohte zwischendurch zu zerbrechen – ihr Mann hatte auch Einiges davon getragen – und mit Familie und Freundeskreis lief es ebenfalls nicht gerade rund. Was war passiert? Das erzählt Isabella am besten selbst.

„Alles ging ganz normal los.

Eines morgens platzte die Fruchtblase – ich wachte auf einem nassen Laken auf, wir fuhren freudig und aufgeregt ins Krankenhaus. Wehen hatte ich keine, ich bekam eine Tablette, die die Geburt einleiten sollte, hatte aber nur leichte Wehen. So ging das einen ganzen Tag lang, und dann noch einen. Immer wieder kam eine neue Hebamme zu uns, schickte mich in die Wanne, wir gingen stundenlang spazieren. Ich war guter Dinge. Konnte zwar zwischendurch wenig schlafen, hatte durchgehend Schmerzen, war sehr sehr müde, aber dennoch immer noch gut drauf.

Es war 2021, Corona war überall, wir hatten aber Glück gehabt, mein Partner durfte mit ins Krankenhaus. Heute denke ich übrigens, dass meine misslungene Einleitung damit zu tun hatte, dass damals kein Cytotec verabreicht wurde – weil das Medikament genau zu diesem Zeitpunkt in der Kritik stand. „Misslungen“ nenne ich die Einleitung deshalb, weil ich auch nach drei Tagen keine wirklich starken Wehen hatte.

An Tag vier war der Muttermund bei vier Zentimetern. Und ich war erschöpft.

Immer wieder wurde der Muttermund untersucht, immer wieder war es unangenehm, schmerzhaft und enttäuschend. Ich habe so viel Personal in diesen Tagen gesehen, insgesamt 24 Hebammen! Alle waren freundlich aber so richtig gekümmert hat sich niemand um mich. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass sich mal jemand mit mir hinsetzt und einen Plan macht. Wie könnten wir die Wehen in Gang bringen? Sollte man einen Kaiserschnitt in Betracht ziehen? Immerhin hatte ich einen Blasensprung gehabt, sollte man danach nicht relativ schnell handeln?

Ich habe durchgehalten, weil ich mich auch einfach nicht auskannte. Es war meine erste Geburt. Ich fand die Schmerzen unangenehm, aber noch aushaltbar, ich wollte vielleicht auch nicht zu viel Alarm machen. Es ging mir ja nie wirklich total schlecht.

Die Herztöne des Kindes waren ebenfalls stabil. An Tag vier wurde mir dann eine vaginale Paste verabreicht, die die Wehen auch endlich in Gang brachte. Erleichterung.

Ich hatte gute Wehen und war komischerweise, obwohl wir schon so lange im Krankenhaus waren und immer noch kein Baby da war, kraftvoll dabei, diese wegzuatmen. Wir kamen in einen Kreissaal. Auch hier kam nur sporadisch mal jemand vorbei. Nach acht Stunden war der Muttermund offen, ich hatte starke Wehen, Presswehen, ein Ende war in Sicht. Die Hebamme sagte, als sie da war: „Ich kann das Köpfchen sehen! Er hat Haare!“ Ich dachte, gleich ist es geschafft.

Doch dann ging auf einmal alles ganz schnell. Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau, ich war einfach so kaputt und wie in einem Delirium. Aber die Werte des Babys wurden schlechter, ich atmete und veratmete und schrie und presste aber irgendwann war klar: Notkaiserschnitt. Und der musste schnell passieren.

Der Anästhesist war wahnsinnig lieb. Er merkte, wie schlecht es mir ging, wie ich zitterte, wieviel Angst ich hatte. Legte seine Hand auf meine und sprach mir gut zu. Ich glaube, in dem Moment habe ich gemerkt, was mir die ganzen Stunden vorher gefehlt hatte.
Wir mussten dann noch ziemlich lange warten, bis ein OP frei wurde, ich habe erst später erfahren, dass alle Säle besetzt waren.

Nach acht Stunden fast alleine im Kreissaal und 96 Stunden im Krankenhaus also der Notkaiserschnitt.

Mein Partner musste hektisch die Papiere unterschreiben, er sagt heute, dass das ein absoluter Albtraum für ihn war. Denn man muss ja dann auch unterschreiben, was alles bei der OP passieren könnte. Da stand also durchaus, was passieren würde, sollte ich sterben und dass man mir in gewissen Fällen die Gebärmutter entfernen müsste – dieser Teil hat ihn besonders fertig gemacht, wir wünschten uns noch mehrere Kinder. Er unterschrieb natürlich dennoch. Ich glaube, da flossen bei ihm schon die ersten Tränen.

Doch es kam noch schlimmer. Den Kaiserschnitt habe ich wirklich als Horrorfilm in Erinnerung. Es wurde der Schnitt gemacht, dann geruckelt und gezogen. Es war irre brutal, ich merkte auch, dass alle im OP immer nervöser wurden. Mein Sohn muss sich im Becken verhakt haben, sie haben ihn nicht rausbekommen. „Wir schaffen es nicht“, hörte ich. Es wurden immer mehr Menschen geholt. An mir wurde gezerrt und gerüttelt, mein Partner weinte wie ein Schlosshund neben mir, ich war dazu überhaupt nicht in der Lage. Ich war völlig erstarrt. Ich dachte die ganze Zeit nur: „Ich gehe ohne Baby nach hause“. Mein Mann war sich ganz sicher, dass auch ich nicht überleben würde.

Sie haben es aber doch irgendwann geschafft. Er war draußen. Aber ich habe ihn nicht gehört, nicht gesehen.

Ich war seit vier Tagen wach und nun sicher, dass mein Baby tot ist.

Ich hätte mir so gewünscht, dass jemand mit mir spricht. Mir sagt, ob mein Kind lebt. Man sprach während der ganzen Geburt natürlich schon immer wieder zwischendrin mit uns. Aber nie wirklich einfühlsam und ausführlich. Alle waren im Stress, es war viel los, das merkten wir die ganze Zeit.

Da lag ich nun, Bauch offen, Kind weg. Ich begann wie wahnsinnig zu zittern, heute weiß ich, dass das eine relativ häufige Reaktion nach einem Kaiserschnitt ist. Damals machte es mir einfach nur Angst. Ich dachte, ich ersticke oder verschlucke meine eigene Zunge. Wieder war der Anästhesist da, ich wurde zugenäht, ich kann mich an diese Minuten nicht mehr erinnern.
Mein Mann durfte irgendwann zum Baby, ich wohl auch, daran kann ich mich aber nicht mehr erinnern, wie das war, unseren Sohn das erste Mal zu sehen. Ich weiß aber noch, dass ein Arzt relativ schnell sagte: Die Werte sind schlecht, das Kind muss auf die Neonatologie. Es war mitten in der Nacht, vier Uhr. Und mein Mann wurde dann nach Hause geschickt. Corona. Das waren die Regeln.

Es war 4 Uhr morgens und ich war alleine.

Ich lag im Zimmer, zitternd, alleine, unter Schock. Man sagte mir kurz und knapp, dass mein Sohn beobachtet werden musste. Um auszuschließen, dass er Schäden davon getragen hatte. Irgendwann fiel ich in einen Dämmerschlaf. Nach ein paar Stunden kam eine Schwester, sagte, ich müsste aufstehen, mich waschen. Ich tat wie befohlen, war wie gelähmt.

Bewusst gesehen habe ich mein Baby das erste Mal am nächsten Mittag, etwa zehn Stunden nach der Geburt. Er lag da in einem Kasten an tausend Kabel angeschlossen. Er war fürchterlich.

Auch in den Tagen danach durfte er nicht zu mir. Ich habe einfach nur funktioniert. Es gab viele, viele Untersuchungen. Eine Stunde am Tag durfte mein Mann kommen. Ich weiß noch, wie ich unter dem Essen gelitten habe, dass ich mich wie eine Maschine gefühlt habe. Eine Woche waren wir im Krankenhaus. Ich habe mehrmals täglich abgepumpt, um das Stillen trotz allem hinzubekommen. Hier muss ich sagen: Das hat tatsächlich geklappt! Ich habe zehn Monate lang gestillt, mein Sohn wurde ein super Trinker, kaum dass wir zuhause waren, er hatte sich aber auch an die Flasche gewöhnt, wir konnten uns also trotz Stillen sehr gut aufteilen. Das ist eine der wenigen Dinge, die richtig gut geklappt haben!

Was nicht gut geklappt hat, war das Bonding. Ich habe die Geburt sogar mit meiner Hebamme danach noch mal in der Badewanne nachgestellt, das ist ein Ritual, das oft gemacht wird, wenn die Geburt nicht so schön war und das Baby nicht direkt auf die Brust konnte. Bei mir hat selbst das kaum etwas ausgelöst. Die Liebe kam lange nicht. Das hat mehrere Wochen gedauert… Und das hat mich natürlich zusätzlich belastet.

Immerhin waren auf der Wochenbett-Station die Schwerstern sehr lieb zu mir und meinem Sohn. Man hatte auch darauf geachtet, dass ich nicht mit einer Frau im Zimmer war, die ihr Baby bei sich hat hat.

Zum Glück hatte ich mir schon im Vornherein eine super Hebamme organisiert, die mich im Krankenhaus betreute und die ziemlich schnell merkte, wie schlecht es mir ging und dass die Geburt ganz schön Spuren hinterlassen hatte.

Die zuständige Psychologin war genau in der Woche nicht da. Meine Hebamme kümmerte sich, sprach mit mir, gab mit Tipps für Selbsthilfe-Gruppen, Therapie. Obwohl ich mich seitdem wirklich jeden Tag darum kümmere, diese Geburt zu verarbeiten, muss ich sagen:

Der schlimmste Horrorfilm begann erst Wochen später.

Dabei hatten wir ein gesundes und fröhliches Baby mit nach Hause nehmen können, das offensichtlich keine Schäden von seinem Start ins Leben davon getragen hatte.
Seine Eltern aber leider schon. Wir waren beide psychisch so belastet, das Erlebte hat uns fast auseinander gebracht.
Bei mir wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, ich bin in psychologischer Beratung, in Trauma-Gruppen, ich mache wirklich viel, um das in den Griff zu bekommen. Auch mein Mann macht Therapie.

Langsam finden wir wieder zueinander. Doch all das hat auch unsere Beziehung, und die zu unseren Familien, sogar Freundschaften schwer belastet. Weil es uns so schlecht ging – und weil keiner das so richtig verstehen konnte. Ich hörte immer wieder: „So sind Geburten eben manchmal“, und: „Hauptsache, das Baby ist gesund, oder?“

Irgendwann habe ich auf Anraten meiner Hebamme den Geburtsbericht angefragt. Dort steht schwarz auf weiß, dass unser Sohn fast gestorben wäre. Geahnt hatten wir das natürlich, aber wenn es dann da steht – das macht was mit einem.

Was ich heute denke? Ich denke, dass die katastrophale Personallage in den Krankenhäusern schuld ist. Sicher, bei einer Geburt kann es Komplikationen geben. Dass ein Baby sich im Becken verkeilt, das passiert. Notkaiserschnitte sind eben manchmal nötig. Aber was mich und uns so kaputt gemacht hat, war dass wir uns nicht gesehen gefühlt haben. Dass man nie mal in Ruhe mit uns gesprochen hat. Dass wir tagelang alleine waren. Dass mir niemand erklärt hat, was da gerade passiert, dass mich nicht ein Mal jemand gefragt hat, wie es mir eigentlich geht.

Ich glaube, unser Fall war einfach mehrere Tage lang „nicht schlimm genug“. Immer war etwas anderes wichtiger, deshalb hat man uns alleine gelassen.

Alle waren die ganze Zeit am Hetzen. Das Personal war freundlich, niemand hat mir Gewalt angetan. Ich mache niemanden persönlich verantwortlich, sondern das System.

Was ich gerne anders gemacht hätte im Nachhinein: Ich hatte vorher den Podcast „die friedlichen Geburt“ gehört. Ich war auf eine ruhige und selbstbestimmte Geburt eingestellt. Ich hatte mich mit Hypo Birthing auseinander gesetzt. Auch im Vorbereitungskurs war ein Kaiserschnitt, oder gar ein Notkaiserschnitt nicht ein einziges Mal ein Thema. Im Nachhinein finde ich das sehr naiv, ich kenne aber viele Frauen, bei denen die Geburtsvorbereitung ähnlich aussah. Dabei ist eine Geburt so oft kein Spaziergang, so oft ist es eine Grenzerfahrung, jede Geburt birgt Risiken. Ich wünschte, ich hätte auch über solche Geburten mehr gewusst.

Was ich mir noch gewünscht hätte? Eine psychologische Betreuung direkt nach der Geburt. Dass mir jemand erklärt, was passiert ist. Es ging so schnell, es war so viel auf einmal. Ich bin heilfroh, dass ich so eine tolle Nachsorge-Hebamme hatte, die mir wenigstens in den Tagen danach helfen konnte, so konnte sie viel auffangen.

20 Monate ist das jetzt her, mein Mann und ich sind seit 13 Jahre zusammen, wir haben echt eine gute Partnerschaft. Aber das hat uns so aus der Bahn geworfen. Jeden Tag wollte ich mich trennen. Jetzt sind wir langsam wieder ein Team. Und auch mir geht es besser. Aber der Schmerz sitzt noch tief. Ich denke, ich werde noch Jahre brauchen, um ihn komplett verarbeiten zu können.“

Wer Ähnliches erlebt hat, kann bei Schatten&Licht e.V. Hilfe bekommen. Es gibt auch ein Hilfetelefon Schwierige Geburt.

Gegen Gewalt in der Geburtshilfe setzten sich unter anderem Mother Hood e.V. und die Initiative für gerechte Geburt ein.