Eine verdrängte Geburtserfahrung

Nora Imlau kann gut sprechen, sie ist persönlich, sie ist aufrüttelnd, sie mobilisiert. Aber nicht nur wegen ihrer Vortragskünste hat mich "Warum es nicht egal ist, wie wir geboren werden und gebären" bewegt. Denn ich spürte förmlich, wie sich ein schwerer Kloß in meinem Hals formte, meine Augen feucht worden. Dass mir da nicht die ein oder andere Träne die Wange herunterkullerte lag wohl auch nur daran, dass ich beim Female Future Force Day mit Mikro auf der Bühne saß. Am Abend ging ich ins Bett und dachte zum ersten Mal seit Jahren über ein Ereignis nach, welches ich gänzlich verdrängt hatte: die Geburt meines Sohnes.

Als mich mein Sohn vor dem Schlafengehen das erste Mal fragte, wie das so war, als er auf die Welt kam, versuchte ich ihm von der Geburt zu erzählen, ohne es zu blutig und dramatisch auszuleuchten. Mir schossen die Tränen die Augen, nicht weil die Geburt an sich “so schlimm” war, sondern weil ich sehr viel von der Geburt verdrängt hatte, weil vieles davon schmerzhaft war, ja fast beschämend. Aber auch: wunderschön, bewegend, emotional. Zumindest einige Abschnitte. Der Geburtsverlauf an sich ist auch kein spezieller Fall und doch, kann ich mir immer noch keinen Reim darauf machen, was da eigentlich genau passiert ist, ja was schief lief. Wenn man überhaupt von “schieflaufen” sprechen kann, denn Geburten sind ja allgemein nicht dafür bekannt, “glatt” zu laufen. Vor Kurzem teilte mir eine Bekannte aber strahlend mit, wie schön ihre (zweite) Geburt gewesen sei und, wissend, dass wir beide schwierige erste Geburtserfahrungen hatten, etwas leiser: “Man kann auch eine schöne Geburt haben.”.

Die Wehen fingen bei mir am Samstagabend an, ich hatte mich, wie so häufig, kurz davor mit meinem Freund, dem Vater des Kindes, gestritten, bin dann noch richtig aufgebracht am Nachmittag eingeschlafen, und abends mit Wehen aufgewacht. Der Ärger war verflogen, ich war aufgeregt, richtig glücklich. Wohl wissend, dass ich jetzt hier (meine) Geschichte schreiben werde – und die meines Sohnes ihren Anfang nimmt. Das ist ein schönes Gefühl, sich so richtig am Leben zu fühlen. Ich nahm noch ein Bad, fing an zu veratmen, hörte laut Musik. Als die Wehen immer regelmäßiger kamen, rief ich meinen Freund an, er möge nach Hause kommen. Wir fuhren dann in die Klinik, anschnallen konnte ich mich schon nicht mehr, da die Wehen zu schmerzhaft waren, um still zu sitzen. In der Klinik angekommen befand man, dass der Muttermund kaum geöffnet ist und stellte uns vor die Wahl: Nochmal nach Hause oder hier im Hof Runden drehen. Ich entschied mich für den Hof und lief auf und ab – immer noch frohen Mutes. Alles was danach folgte, kann ich nicht mehr recht in die richtige Reihenfolge setzen, CTGs, Untersuchungen, irgendwann ein Zimmer, verschiedene Hebammen, PDA, trotzdem ungeheure Schmerzen, Einlauf, Wehenmittel. Der nächste Tag war da, mein Freund, der sich zum Essen mit Freunden traf, und über dessen Verschwinden ich eigentlich ganz froh war, die beste Freundin, die kam. Sogar mein Vater schaute kurz vorbei. Durchgängig Wehen, das Kind stieß gegen mein Becken, die Schmerzen wurden trotz PDA nicht weniger.

“Eine Geburt tut halt weh”

Es gab mehrere Ärzte, die in mir herumhantierten, und mich teilweise erst im Nachhinein informierten, was sie da gerade getan hatten. Irgendwann wurde auch die Fruchtblase aufgestochen. Ich hatte nun mittlerweile 24 Stunden Wehen, und es gab kaum Fortschritt. Irgendwann schrie und keuchte ich nur noch, es war ein erschöpftes Schreien, denn es bewegte sich ja nichts. Da war keine Hebamme, die Ratschläge hatte, wie ich mich hätte bewegen können oder mir in irgendeiner Form zusprach, und all die Positionen, die man im Geburtsvorbereitungskurs lernte, waren längst nicht mehr abrufbar. Ich hatte das Gefühl, ich würde die Hebamme mit meinen Schmerzen nerven. Und dann fiel auch tatsächlich dieser Satz: “Naja, Frau Zeisler, eine Geburt tut halt weh.”

Alles irgendwie aushalten

An diesem Punkt hatte ich schon fast aufgegeben, es ging mir nicht mehr darum, dieses Kind auf die Welt zu bringen – soweit in die Zukunft konnte ich nicht mehr denken, es ging mir nur noch darum, die Schmerzen irgendwie auszuhalten. Für etwas anderes war kein Raum mehr. Die Ärzte entschieden dann, einen Kaiserschnitt zu machen, da das Kind nicht richtig lag (warum und wie es nicht richtig lag, weiß ich bis heute nicht). Die Hebamme schlug mir vor eine Globuli zu nehmen – eventuell würde sich das Kind ja in der Stunde, die nun noch bis zum Kaiserschnitt blieb, noch mal bewegen. Ich nahm die Globuli, die Hebamme verschwand.

Ich sollte noch über drei Stunden auf den Kaiserschnitt warten müssen, mit starken Wehen und Schmerzen. Als ich dann in den OP-Saal geschoben wurde, zitterte ich am ganzen Körper. Ich konnte gar nicht aufhören zu zittern und hatte unglaublich Angst, dass ich den Kaiserschnitt spüren würde: Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, wimmernd, ängstlich, verzweifelt, erschöpft. Die rationale Annahme, dass ich natürlich nichts vom Kaiserschnitt spüren würde, zumindest keine Schmerzen haben würde, kam bei mir nicht mehr an. Ich war so erschöpft, dass kein klarer Gedanke zu fassen war, dass ich gefühlt nur noch aus Angst und Verzweiflung bestand. Nach 30 Stunden Wehen und fast 48 Stunden ohne Schlaf war ich am Ende. Als sie das blaue Kind aus mir herausholten, es mir kurz zeigten, verschwand das Kind erst mal (wohl für 20 Minuten, und, wie ich später erfuhr, aufgrund von Atemproblemen). Ich lag da ohne Kind, die Zeit kam mir ewig vor. Dann kam der Junge kurz zu mir, auf meine Brust, ich sah ihn an und fühlte erst mal nur Erschöpfung und sonst nichts. Erst etwas später, als ich wieder im anderen Zimmer war, und er mir an die Brust gelegt wurde, spürte ich langsam so etwas wie Freude, Wärme und Aufregung.

Ich lag dann gefühlt ewig in diesem Zimmer, konnte nicht schlafen, wartete darauf, endlich auf die Station zu kommen. Stattdessen bekam ich Besuch.

Ich weiß noch wie die Hebamme, sie hieß auch Marie, mit strengem Blick meinte, Besuch sei jetzt eigentlich nicht angebracht. Ich wollte auch keinen Besuch, ich hatte 48 Stunden ohne Schlaf, mit Schmerzen und viel Geschrei hinter mir. Alles was ich wollte war Ruhe. Der Vater des Kindes sah das anders, so kamen nach und nach Familienmitglieder und Freunde in den Kreißsaal um sich das Baby anzuschauen. Ich hätte Hebamme Marie auf meiner Seite gebraucht, stattdessen, machte sie nur einen bissigen Kommentar nach dem anderen. Auch als sie das Nabelschnurblut in den dafür vorgesehen Behälter legte (um die Stammzellen einzufrieren, macht man so was heute eigentlich noch?), kommentierte sie nur mit “Na, da haben ‘se ja auch viel Geld für bezahlt, ne!” Ich war so erschöpft, so müde, aber auch glücklich mit meinem kleinen Bündel Junge an der Brust. Aber: Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, war auch die Zeit danach nicht unbedingt ein “Baby-Moon”.

Ich verstehe bis heute nicht, was da eigentlich passiert ist. Mir ist klar, dass es nicht “den einen Fehler” gibt, und es bei einer Geburt viele Komponenten gibt, die da mit reinspielen. Eine Geburt ist immer ein überwältigendes Ereignis.

Als ich eine der Ärztinnen drei Jahre später zufällig als Vertretungsärztin meiner Frauenärztin antraf, erkannte sie mich sofort. Erst als sie mich darauf ansprach, dass sie eine der behandelnden Ärzte gewesen sei, erinnerte ich mich an ihr Gesicht. Ich spürte, wie ich ganz klein wurde, fast beschämt, dass sie mich in diesem Zustand gesehen hatte. Wie gern hätte ich sie gefragt, was damals eigentlich passiert ist. Ich habe mich nicht getraut.

In den letzten Monaten habe ich mehrere Male meinen Geburtsbericht beim Krankenhaus angefragt. Bekommen habe ich bis heute nichts.

Foto: Vince Fleming on Unsplash