Ich habe drei Kinder und alle drei Kinder haben zu anderen Zeiten und unter anderen Umständen ihre Windel abgelegt. Die Lehre daraus? Es gibt keine!
Aus der Windel raus – ein Abenteuer in drei Teilen
Ich bin sowas von froh, den Vergleich durch meine drei Kinder zu haben. Denn sonst hätte ich mir wohl sehr viele Vorwürfe gemacht.
Man sagt ja, so mit drei Jahren sollten sie aus der Windel raus sein, zumindest tagsüber. Mein erstes Kind war ziemlich genau zwei Monate nach seinem 3. Geburtstag windelfrei – sogar nachts! Ich hatte alles richtig gemacht, da war ich mir sicher. Anreize gegeben, das Töpfchen angeboten, hier ein Kinderkacka-Buch, da ein pädagogisch wertvolles Kacka-Hörspiel, das ich nicht guten Gewissens jemandem empfehlen kann, weil es nicht unbedingt ein Höhepunkt in meiner Elternschaft darstellt. Pipi, Kacka und Pupsi machen sich da auf ins Pipi-Kacka-Land, und das ist alles sehr geräuschvoll und authentisch nachvollzogen (als ich das Hörspiel das erste Mal auf Spotify entdeckte, dachte ich, es wäre Satire).
Ich war mir sicher, dass all das dazu beigetragen hat, dass mein erstes Kind termingerecht die Windel ablegte. Und mutmaßte: Andere Eltern machen das falsch, sie üben zu viel Druck aus oder geben sich nicht genug Mühe. Ja, wahrscheinlich lassen sie es einfach schleifen und zack, versagt.
Da gibt es Kinder, die noch mit fünf nur Kacka in der Windel machen können, meine Güte, was läuft denn da falsch.
Als mein mittleres Kind zwei wurde, verteilte ich zwei Töpfchen in der Wohnung. Anreize bieten, dachte ich. Es ist ja schnell und gut entwickelt, wahrscheinlich legt es auch bald die Windel ab. Das Kind fand das auch ganz interessant, und siehe da, es klappte auch ein oder zweimal mit dem Pipi im Töpfchen. Aber die Windel ablegen? Auf keinen Fall. Nun gut, dachte ich. Zwei ist ja auch recht früh. Auch die Kita betonte damals, das Kind sei noch nicht so weit. Ich war mir nicht so sicher, ob das Kind noch nicht so weit war, oder die Kita keine Kapazitäten hatte, beim Prozess zu unterstützen. Der Sommer, in dem das Kind drei wurde, kam und ging. Die Windel blieb. Die Oma rümpfte ein wenig die Nase. Eine Bekannte fragte mich, ob wir denn tatsächlich alles versucht hätten. Ich stresste mich. Hatte ich versagt? Was hatten wir anders gemacht? Und warum soll das jetzt der Indikator dafür sein, was für Eltern wir sind? Es war Quatsch, aber es fühlte sich wirklich so an. In einigen Momenten dachte ich: ok, vielleicht nun doch etwas Druck beim Kind machen. Gleichzeitig wollte ich auf keinen Fall, dass mehr Druck das Gegenteil bewirkte (wer schon mal ein Kleinkind mit Verstopfungen hatte, weiß, wie schlimm das sein kann.)
Das Kind wurde vier. Die Windel war noch da. Ich schämte mich, und ich schämte mich dafür, dass ich mich schämte. Ich hatte doch ein wunderbares Kind! Das so weit, so toll in so vielen Dingen war, warum gönnte ich ihm nicht noch die Windel? Im Spiegel las ich ein Interview mit einem Experten, der meinte, auf keinen Fall Druck ausüben, bis fünf sei es nicht problematisch noch eine Windel zu tragen. Also thematisierten wir die Windel wieder eine Weile nicht. Bis der Tag kam, an dem sich nun doch ein Leidensdruck beim Kind einstellte. Es war ihm peinlich, vor allem vor den anderen Kindern. Die Kita teilte die Meinung des Spiegel-Experten nicht, sie sprach davon, dass eine Windel mit vier Jahren bedeutete, dass das Kind sich “einkotete”. Mich erschreckte dieser kühle Begriff. Als das Kind viereinhalb war, überlegten wir, nun doch einmal medizinisch alles durchchecken zu lassen. Wir hatten bereits einen Termin gemacht, auch beim Kinderpsychologen, als ich einen letzten Versuch wagte. Ich erzählte dem Kind etwas vom windelfreien Wochenende. Das sei so ein Termin, die ganze Stadt mache mit, ob er nicht auch wolle. Nach kurzem Widerstand war die Windel weg. Wir zogen das durch. Hatten immer die Plastiktüte mit Wechselsachen dabei. Es ging einige Male daneben. Aber: Nach zwei Wochen lief es gut. Nur noch nachts gab es noch eine Windel.
Manche sagen, die Windeln heutzutage seien einfach zu bequem. Sie würden die Feuchtigkeit so gut weghalten, dass Kinder gar nicht den Drang verspüren, die Windel anzulegen. Manche erzählen, Mädchen würden schneller aus der Windel rauswollen, als Jungs. Manche sagen, man müsse unbedingt einen Zeitplan einhalten, sonst verpasse man den Punkt, an dem das Kind bereit sei.
Das dritte Kind legte die Windel kurz nach dem zweiten Geburtstag ab. Die Töpfchen standen ja schon in der Wohnung rum, der Toilettenaufsatz war auch immer interessant. Ohne, dass wir es viel thematisierten, ging das dritte Kind aufs Töpfchen. Nach drei Kindern, die alle einen unterschiedlichen Trocken-Werden-Weg gewählt haben, kann ich nur sagen: Es tut mir leid, für die Familien, die ich verurteilt habe. Kinder sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Entwicklungstempos, unterschiedliche Voraussetzungen. Mein zweites Kind wird bald fünf, und wir sind immer noch nicht windelfrei. Es sah zeitweise ganz gut aus. Dann brauchten wir doch wieder nachts eine Windel. Haben wir etwas anders gemacht? Ich würde sagen: Nein.