Let’s talk about: Sind unsere Kinder verwöhnte Bälger?
Aber der Satz saß. Ich reagierte nicht, lachte nur, dann eben die Verabschiedung. Alles nett, war ja sicher nicht so gemeint. Dennoch hat mich hat das getroffen und ich habe danach lange darüber nachgedacht, warum eigentlich.
Ja, meine Kinder sind gut angezogen. Ich mag Kinderkleidung, ich habe ein Faible dafür, ich durchwühle die Sales nach Schnappern, stöbere ständig bei Kleinanzeigen und auf Flohmärkten. Die Kinder tragen Marken und schöne Designs und gute Qualität: viel Bio, natürliche Materialien – ihr wisst schon. Mir macht das Spaß! Und ja, meine Kinder fahren auch teure Räder und sie spielen mit hochwertigem Spielzeug. Sie bekommen Taschengeld und Eis, sie haben Großeltern, die sie gerne beschenken. Ja, doch. Sie sind in materieller Hinsicht auf jeden Fall “verwöhnt”, wenn man so will. Meinte er das überhaupt?
Ich hätte mich auf jeden Fall gerne erklärt, hätte ihm erklärt, dass ich ein Lifestyle-Magazin für Eltern führe und dadurch natürlich permanent mit Kinderprodukten konfrontiert werde. Dass ich NICHT “alles geschenkt” bekomme, wie manche denken. Dass hochwertige Produkte dadurch aber eben eine Rolle in meinem Job spielen und ich sie deshalb auch besitze und kaufe.
Und dass das ein permanenter Konflikt ist, den alle, die an Little Years beteiligt sind, haben: Wir bewerben hier Dinge und arbeiten mit Firmen zusammen und ja, das meiste ist sehr hochwertig und entsprechend hochpreisig. Alle diese Produkte haben ihre Berechtigung, die allermeisten sind wirklich unglaublich durchdacht und toll.
Aber natürlich werden Kinder ganz genauso glücklich und gesund groß, wenn sie keine Wolle-Seide-Mischungen tragen, sondern Baumwolle von C&A, wenn der Roller vom Discounter kommt und das Fahrrad vom Flohmarkt. Wenn der Schulranzen aus dem Kaufhaus ist und die Windeln aus dem Drogeriemarkt. Wenn der Keks nicht Bio-Dinkel ist und das Spielzeug nicht pädagogisch wertvoll. Wirklich brauchen tut man das alles nicht. All diese Dinge sind schöne und gute Luxus-Produkte, aber niemand benötigt sie wirklich, vor allem ändern sie nichts an der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Trotzdem sind sie “nice to have”, wenn man sie sich leisten kann und will.
Wichtiger Punkt: mein Bekannter arbeitet in der IT-Branche, er verdient sicher besser als ich. Aber vielleicht WILL er nicht mitmachen, beim Konsumrausch rund ums Kinderhaben. Und das ist ja auch vollkommen in Ordnung. Aber warum dieser Spruch? Was störte ihn, was wollte er mir sagen?
Mir fiel beim Nachdenken auch auf, dass ich nicht nur meines Jobs wegen gerne schöne und hochwertige Sachen für meine Kinder kaufe. Es ist auch ein bisschen Kompensation für meine eigene Kindheit. Ich komme aus recht einfachen Verhältnissen, meine Mutter war alleinerziehend, mein Vater wohlhabend, aber selten da. Und man hat damals vielleicht auch einfach noch nicht so viel Geld und Geschenke in Kinder gesteckt, kann das sein? Jedenfalls hatte ich gefühlt sehr wenig als Kind. Zwei Steiff-Tiere, die ich gehegt und gepflegt habe, ab und zu mal ein Teil von “Oilily”, das ich gefeiert und täglich getragen habe. Irgendwann einen Game Boy. Aber kein Playmobil-Haus, kein Polly Pocket, keine Barbie. Wenig Klamotten, immer nur ein Paar Schuhe pro Saison. Es fehlte mir an nichts, aber ich sah bei den anderen, dass da durchaus mehr ging und klar war ich darauf neidisch.
Dass ich meinen Kindern jetzt ab und zu auch mal ein Quatschteil kaufe, einfach weil sie es sich wünschen, hat sicher auch damit zu tun. Mein Partner hat das übrigens auch: auch er ist ebenfalls sehr reduziert aufgewachsen und auch er genießt es jetzt, unsere Kinder ab und zu einfach zu verwöhnen.
Ja, und sie sind auch emotional verwöhnt. Sie bekommen viel Raum und Zeit von ihren Eltern. Sie werden gesehen, ernst genommen. Ich unterbreche auch mal eine Unterhaltung, weil ein Kind ein wichtiges Anliegen hat. Ich kuschle auch meinen 6-Jährigen noch permanent. Ich schimpfe nicht viel, und unsere Kinder wissen, dass sie immer zu uns kommen können, egal, was ist. Sie dürfen sich vollsauen, dürfen lange wach bleiben, sie dürfen Pommes und Eis essen, sie dürfen wirklich viel und bekommen auch viel. Der Große darf auch schon viel Freiheit einfordern, er schläft gerade mehrere Nächte pro Woche bei Freunden, bald – da bin ich mir sicher – wird er seine Nachmittage selbst gestalten. Auch hier will ich ihm gerne ermöglichen, worauf er Lust hat: Wenn er Tennis spielen will, oder Klavier: versuche ich das zu organisieren. Wenn nicht: dann nicht.
Am Ende bin ich zu dem Schluss gekommen: Ja, sie sind verwöhnt. Auf ganzer Linie. Aber ich will das auch genau so! Ich will diese Kinder mit Liebe und Sicherheit und auch mit schönen Dingen vollpumpen, so lange es geht. Das bedeutet nicht, dass sie alles bekommen, was sie wollen. Wir halten die Spielsachen gut zusammen und wägen immer ab, was sein muss. Wir sortieren aus, versuchen, nachhaltig zu konsumieren, sprechen mit den Kindern darüber. Aber sie sollen auch nicht das Gefühl haben, dass es ihnen an irgendwas mangelt. Es wird immer Kinder geben, die mehr haben, aber das gehört dazu. Es wird auch immer Kinder geben, die weniger haben und dafür ein Gespür zu entwickeln, finde ich auch wichtig.
Also, ja: es sind verwöhnte Kinder. Aus Gründen.
Bälger sind sie aber nicht. Sie sind höflich und empathisch und freundlich und sozial.
Wahrscheinlich ist es das, was mich an seiner Aussage so verletzt hat. Dass meine Kinder Bälger wären. “Verwöhnt” finde ich bei näherer Betrachtung gar kein wirklich negatives Etikett. “Balg” dagegen schon. Und das sind sie eben auch nicht. Sie sind Kinder. Offene, lebenslustige, fröhliche Kinder. Vielleicht ein bisschen mehr gehegt und gepflegt als wir das früher wurden, aber das macht sie nicht zu egozentrischen Bälgern, im Gegenteil. Sie sind ganz wunderbar. So wie die allermeisten Kinder da draußen.
Was sagt ihr? Schon mal sowas gehört? Ist “verwöhnt” eine schlechte Sache?
Foto Credit: Joel Rhodin für Mini Rodini/Adidas