“Sie sind so klein!” – ja, genau!

Wir senden manchmal Bilder unserer Kids an die entfernte Familie, denn Familientreffen sind leider sehr selten und die Verwandten wollen ja auch sehen, wie die Kinder sich so entwickeln. Eine Tante schreibt immer, wirklich immer zu Quinns Bildern: sie ist so klein, so süß!

Und ich finde das zwar etwas übertrieben, aber eigentlich ist es doch eine nette Abwechslung zu dem ewigen “Wie groß sie schon sind!”.

Denn, ja sie sind groß, sie werden jeden Tag größer. Aber eigentlich sind sie noch so klein. Meine Tochter wird in ein paar Wochen drei, sie kann mittlerweile gut sprechen, viele Dinge alleine machen. Aber sie ist noch so klein! Das halte ich mir oft vor Augen. Wenn sie die weiße Wand ankritzelt, wenn sie einen Wutanfall hat, wenn sie eine Jammer-Stunde hat. Wenn sie für eine kleine Sache ewig braucht, wenn sie wegen einer anderen kleinen Sache in den Verweigerungsmodus geht. Dann denke ich: sie ist noch so klein! Sie muss das alles noch nicht können. Sie hat noch kein Zeitgefühl, sie versteht noch nicht, dass die Welt sich nicht um sie dreht. Sie hat ihre vielen Emotionen noch kein bisschen im Griff und das muss sie auch nicht, denn: sie ist noch so klein.

Ehrlicherweise wünschte ich, ich hätte ihren großen Bruder auch öfter mit diesen Augen gesehen. Dadurch, dass er mit etwa drei Jahren großer Bruder wurde, musste er oft “größer” sein, als er eigentlich war. Wir haben immer versucht, nie zu sagen: du bist jetzt der Große, oder gar: Reiß dich zusammen, du bist doch schon so groß. Aber er durfte dennoch viel seltener einfach so klein sein, wie er eben noch war. Weil da ein brüllendes Baby war, weil es keinen Kinderwagen mehr für ihn gab, weil das Baby schon auf dem Arm war, weil die Nerven zu dünn waren. Er hat das wahnsinnig gut gemeistert! Und weil ich das mittlerweile weiß, sehe ich ihn, seit die Kleine auch aus dem Gröbsten raus ist, oft ganz bewusst wieder oft mit diesem “Er ist noch Klein” im Hinterkopf. Er muss sich nicht jeden Tag alleine die Schuhe binden. Er darf auch noch nachts zu uns kommen, wenn ihm danach ist. Auch er muss seine Gefühle noch nicht immer im Griff haben, auch er darf bitte bitte noch angekuschelt kommen, wenn der Schuh drückt. Er ist erst sechs, gerade geworden. Sechs Jahre, das ist keine lange Zeit! Ich habe es in diesem Artikel auch schon mal angesprochen, ich versuche gerade sogar ganz besonders, ihm zu vermitteln, dass alle Gefühle erlaubt sind, alle Sorgen, alle Unsicherheiten. Denn gerade bei Jungs passiert es vielen Eltern, dass sie ab einem gewissen Altern in vielerlei Hinsicht sehr streng werden, weil sie unterschwellig befürchten, der Junge könnte “zu weich” werden.

Das will ich tunlichst vermeiden. Kein Kind muss “abgehärtet” werden, Freundlichkeit und Empathie und Emotion machen einen kleinen Menschen doch noch liebenswerter, auch in der Gemeinschaft. Deshalb: Er ist so klein, sie ist so klein. Ja, sie sind noch so klein! Und diese Gedanken helfen mir auch oft, die Nerven zu bewahren, wenn es mal wieder stressig ist und die Kinder einfach nicht funktionieren wollen. Müssen sie auch nicht, weil sie sind ja eben noch so klein!

Ehrlicherweise schläft mein Großer mittlerweile ohnehin fast immer durch, er kommt seltener zum Kuscheln, er macht kleine Wege schon alleine, er übernachtet auswärts und weiß ganz genau, wie er seine Selbstständigkeit durchsetzt. Wurzeln und Flügel. Die Flügel breiten sie also von ganz alleine – und meistens eher (gefühlt) zu früh als zu spät! – aus, um ihren eigenen Weg zu gehen.