Papa trägt heute Kleid – Von Geburtstagswünschen und Geschlechterklischees

„Papa, ich wünsche mir zum Geburtstag, dass Du mal ein Kleid anziehst. An meinem Geburtstag. Jungs können auch Kleider tragen. Das ist doch luftiger.”

Diese Bitte ist schon ein paar Monate her. Ich habe “Ja, klar” gesagt. Meine Tochter findet es immer toll, wenn sie mal einen Mann mit Nagellack sieht. Oder mit langen Haaren. Wenn jemand mal nicht “normal” aussieht. Als sie mal einen Typen im Rock gesehen hat, ist sie ausgeflippt vor Freude. Ich dachte, bis zu ihrem Geburtstag vergisst sie ihre Bitte wieder.

Sie hat es nicht vergessen.

Das Kaufen war eigentlich das Schwierigste. Dezent in der Kleiderabteilung schauen, was passen könnte. Mit größter Unauffälligkeit in Richtung Umkleidekabinen schlendern. Ertragen, dass ein Kleid zu eng ist, ein anderes zu kurz, ein drittes einen seltsamen Ausschnitt hat. Den komischen Blick an der Kasse mit stoischer Gelassenheit ignorieren.

Dafür, dass ich meiner Tochter zeigen wollte, dass es für Papas kein Ding ist, ein Kleid zu tragen, war ich dann ganz schön erleichtert über die Rahmenbedingungen: Ein Samstag, kein Kita-Weg, keine U-Bahn, keine Einkäufe bei DM. Ein Tag, trüb und kalt genug, um komplett in der Wohnung zu bleiben. Nur ein paar Freunde und Großeltern als Zeugen. Und viele Diskussionen über die Geschlechterklischees, die ich meiner Tochter trotz bester gegenteiliger Absichten mitgebe.

Denn das ist so.

Mir ist aufgefallen, wie oft ich sie für ihre schönen Kleider lobe, sage, dass sie hübsch damit aussieht. Einem Sohn würde ich bestimmt nicht erzählen, wie schön seine neue Hose ist. Ich bilde mir gerne ein, dass mir Äußerlichkeiten bei meiner Tochter egal sind. Aber das stimmt leider nicht. Die Geschlechterklischees sind uralt, wie sollten sie auch einfach so verschwunden sein.

Dabei ist mein Anspruch, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob ich ein Mädchen oder einen Jungen habe. “Papas Prinzessin” gibt es in meiner aufgeklärten Welt überhaupt nicht. Aus “schönen” Prinzessinnen, die in Grimms Märchen ständig an irgendwelche Prinzen vergeben werden, mache ich beim lesen immer “schlaue” Prinzessinnen, die sich ihre Prinzen selber suchen. Sie kriegt Bücher über Pilotinnen und Superheldinnen-Kostüme.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich damit übertreibe. Aber eigentlich finde ich mich dabei immer ziemlich smart und fortschrittlich. Bis ich dann wegen jeder Kleinigkeit “Vorsicht”, “Achtung” und “Pass auf” rufe – auf dem Spielplatz, unterwegs, zuhause. Ich pfeife meine Tochter zurück, wenn die Söhne von Bekannten gerade erst anfangen, laut zu werden. Und dann ich wundere mich oft, warum Ella ein ziemlich vorsichtiges Kind ist.

Aktionistischerweise habe ich ihr zu Weihnachten nun ein Lichtschwert geschenkt (mit dem wir beide sehr viel Spaß haben). Was nachhaltiger ist: Sie hat mich gebeten, auch an ihrem nächsten Geburtstag wieder Kleid zu tragen. “Jungs können das”, hat sie gesagt. Dann wird sich zeigen, wie viel Mut ich habe, mich für meine Tochter mal wirklich jenseits der Geschlechterklischees anzuziehen. Ihr nächster Geburtstag wird ein Montag sein. Wir werden mit der U-Bahn zur Kita fahren.