Noch eine kleine Geburt?

Unsere kleine Geburten-Serie habe ich ehrlich gesagt fast gänzlich ignoriert, ja, einmal habe ich mich sogar bei Isabel beschwert, es ginge jetzt ja immer so traurig zu auf unserer Seite. Letzte Woche habe ich mir alle Berichte durchgelesen. Und das hat gut getan. Ihr ahnt es vielleicht schon, aber auch ich gehöre jetzt zu den vielen vielen Frauen, die mal eine Schwangerschaft verloren haben. Ich schreibe hier Schwangerschaft, weil es mir schwer fällt, Achtung Wortspiel, das Kind beim Namen zu nennen. Ich tue mich auch schwer mit dem Begriff 'kleine Geburt'. Lieber habe ich in den letzten Tagen von einem Abgang gesprochen, oder auch von einem Abort. Weil das so schön nach medizinischen Fachtermini klingt, distanziert. Und das brauchte ich: Die Distanz zum Geschehenden.

Euphorie und Wahnsinn

Die Schwangerschaft kam überraschend und schlug mit voller Wucht ein. Gewünscht, aber nicht geplant. Nach dem ersten Moment des Innehaltens kamen die Vorfreude, die Hormone und das Gefühl, dass alles genau so wie es ist, richtig ist. Alles ein bisschen wahnsinnig, aber auch wahnsinnig gut. Obwohl mein Freund und ich uns noch nicht allzu lange kannten, entschieden wir uns relativ schnell dafür, das gemeinsam zu machen. Da ich schon einmal eine sehr unkomplizierte Schwangerschaft hatte, ging ich auch einfach und ganz selbstverständlich davon aus, dass diese es auch sein würde, wird schon alles glatt laufen. Dass nun wieder ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Und so erzählte ich auch aufgeregt allen Freunden davon, war zuversichtlich und glücklich.

Als die Blutung ganz schwach in der siebten Woche anfing, telefonierte ich mit Freundinnen. Natürlich sind das nur Zwischenblutungen. Alles wird gut. Ich kenne die und die, die hatte das auch so. Aber ich hatte da so ein Gefühl – ich spürte, wie ich mich “weniger schwanger” fühlte. Der Schwindel war weg, ich war Abends nicht mehr so müde. Als ich bei einer Freundin in der Küche saß und wir über unsere Pläne fürs nächste Jahr sprachen, benutze schon den Satz: “…also, wenn diese Schwangerschaft bleibt, dann…” Ich klopfte auf den Holztisch.

Am nächsten Tag wurden die Blutungen stärker. Es war ein Wochenende, mein Sohn war bei seinem Vater, ich verbrachte das Wochenende bei meinem Freund. Die Nähe tat uns gut. So langsam dämmerte es wohl uns beiden, dass das keine Zwischenblutungen sind. Jede Frau, die so etwas mal erlebt hat, kennt das Gefühl, wie man die Beine überkreuzen möchte und denkt: Bitte, bitte. Bleib da drinnen.

Am Sonntag hielt mich dann nichts mehr. Ich brauchte Gewissheit und wir fuhren in die Klinik, wo sich bestätigte, was ich eigentlich schon wusste: Da war kein Kind mehr. Zuhause trank ich ein großes Glas Wein mit meinem Freund und rauchte all die Zigaretten, auf die ich in den letzten Wochen Schwangerschaft verzichtet hatte. Ich fühlte mich leer, so wie wenn ich auf einer rauschenden Party bin und von einer Sekunde auf die andere keiner mehr da ist und die Musik nur noch in Endlosschleife vor sich hin spielt. Nur ich sitze noch da, und weiß nicht so recht wohin mit mir.

Die Traurigkeit kommt in Etappen

Die Tage danach verbrachte ich in einem seltsamen Zustand. Ich war schon traurig, aber nicht für mich. Ich war traurig für meinen Freund. Ich musste die Traurigkeit erst einmal als meine eigene annehmen. Dass das nicht jemand anderem passiert ist, sondern mir. Traurig sein für jemand anderen, das fällt irgendwie leichter. So kann ich das Geschehende von mir abspalten, so als ob die Gefühle nicht zu mir gehören würden. Aber dann kam sie doch, die unmittelbare Traurigkeit, die sich plötzlich wie ein dunkles Tuch über mich spannte. Und dann hilft weinen, und reden, auch über Begrifflichkeiten. Irgendwie möchte ich von einer Fehlgeburt sprechen, und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, das stünde mir nicht zu. Wir hatten ja noch nicht mal einen Herzschlag gesehen. Was da weg gegangen ist, war das ein Kind? Existierte das Kind nicht viel eher in unseren Köpfen, als Zukunftsversion, als in meinem Bauch?

“You let somebody in, and you make room. And then they go – and yet – the room is still there.”

Traumatische Erfahrungen erlebt nicht jeder gleich, genauso wie auch der Verarbeitungsprozess hochindividuell ist. Kareen spricht bei Aborten von “kleinen Geburten”. Ich glaube ich freunde mich gerade eher mit dem Begriff “Fehlgeburt” an. Im Sinne einer fehlenden Geburt,  denn, es wurde eben nicht geboren. Es gab nur Blut, und davon viel.

Die Reaktionen des Umfelds waren überwiegend warmherzig und mitfühlend. Und trotzdem mag ich noch immer nicht hören, “vielleicht besser so”, “wird schon seine Gründe haben” oder gar “everything happens for a reason”. Ich glaube manchmal stimmt das nicht. Ich glaube manchmal passieren einfach Dinge, die passieren, ohne Grund, so sehr man sich auch Mühe gibt einen hinein zu interpretieren. Und das ist ok so.

Aber: Ich war und bin nicht alleine damit und das ist schön. So war sogar der Klinikbesuch bei aller Dramatik auch: romantisch. Und das ist es auch, was alles irgendwie erträglich macht, trotz der Leere im Bauch: Mein Herz ist voll. Voller Liebe für meinen Sohn, für das Wir und für das kleine Etwas, das wir verloren haben.