Und täglich grüßt das Murmeltier – ehrliche Gedanken zu Corona-Zeiten
Die erste Woche war hart. Ich wollte es einfach nicht akzeptieren, dass die Kita jetzt für fünf Wochen geschlossen hat. Seit gerade mal vier Monaten war die Kita-Betreuung ein Teil von uns, den ich jetzt auf keine Fall mehr missen wollte. Die Zeit für sich, fürs arbeiten, für Freunde – alles fühlte sich in letzter Zeit so geregelt, leicht und unbeschwert an. Jeden Nachmittag freu ich mich wie verrückt auf meinen Sohn, aufs gemeinsame spielen, kochen, kuschen und Abendbrot, eben weil wir nicht den ganzen Tag schon aufeinander gehockt hatten. Und das soll ich jetzt von heute auf morgen plötzlich aufgeben? Und wieso zum Geier löst das Beklemmungen in mir aus? Schließlich soll ich nicht die nächsten fünf Wochen ohne Nahrung und fließend Wasser alleine in einem Bunker leben, sondern lediglich von morgens bis abends Zeit mit meinem eigenen Fleisch und Blut verbringen. Das sollte ja wohl möglich sein!
Die neue Routine oder täglich grüßt das Murmeltier
Während ich die erste Woche also noch damit verbringe, mir auszumalen, was ich jetzt ohne Kind die nächsten fünf Wochen zu Hause alles machen und schaffen würde, schleicht sich bereits eine neue Routine ein, die für uns als Familie doch ziemlich gut funktioniert und gar nicht mal sooo anstrengend und nervig ist, wie befürchtet.
7:30 Uhr aufstehen, Frühstück, spielen, tanzen, Seifenblasen fangen, turnen, kleiner Snack, malen, weinen, Bücher gucken, Mittag essen, Mittagsschlaf, hier und da ein kleiner Wutanfall, wieder ein Snack, 1-2 Stunden spazieren, weinen, Abendessen, noch mal richtig abtanzen, Bücher gucken (Memo an mich: Unbedingt neue Bücher kaufen!), 20 Uhr schlafen gehen.
Die Tage ziehen ins Land und schneller als ich gucken kann, ist auch die zweite Woche schon so gut wie geschafft. Es muss wieder ein Donnerstag gewesen sein, als ich das bemerkt habe. Aber so ganz hat man das mit den Wochentagen ja eh nicht mehr auf dem Schirm. Was deutlich zu kurz kommt, ist die Arbeit. Da wir kein Arbeitszimmer oder überhaupt einen Raum haben, in dem mein Freund und ich mich zurück ziehen können, arbeiten wir während des Mittagsschlafs oder halt abends, nach acht. Dank freier Arbeit funktioniert das irgendwie. Zumindest zeitweise. So wie das halt alles gerade funktioniert – für eine gewisse Zeit. Wenn Freunde mir erzählen, dass ich mich nicht zu sehr an den fünf Wochen „Hausarrest“ festhalten soll und es easy auch noch viel viel länger so bleiben kann, schnürt es mir die Brust zu. Nein! Bitte nicht! Auf keinen Fall! Und wieder ist es da, das schlechte Gewissen, dass ich mein Kind lieber in der Kita habe, statt ununterbrochen um mich rum. Das Kind wiederum liebt es, Mama und Papa non stop um sich zu haben und braucht für seinen Teil absolut keine Privatsphäre. Lucky you!
Vermissung
Ah ja, by the way, bevor ich es vergesse: natüüüürlich haben wir jede Menge Spaß und ich verbringe auch gerne Zeit mit meinem Sohn. Aber trotzdem gibt es dieses Gefühl von Vermissung. Ich vermisse, duschen zu gehen ohne dass jemand vor der Tür steht und quengelt, ich vermisse morgens im Bett frühstücken und dabei meine E-Mails zu checken. Ich vermisse es, dass die Wohnung von 9-15 Uhr aufgeräumt ist und ich nicht jeden Mittag kochen muss. Ich vermisse den Weg zur Kita und die Vorfreude auf mein Kind, das mit einem breiten Lächeln auf mich zu rennt, wenn ich es abhole. Ich vermisse es, in Ruhe Sport zu machen, ohne dass dabei 12 Kg zusätzlich auf mir rumturnen. Und vor allem vermisse ich den Ausgleich zum Mutter-sein in Form von anderen sozialen Kontakten.
Und gleichzeitig frage ich mich abends, ob ich das jetzt überhaupt noch schaffen würde – soziale Kontakte, weil ich eigentlich todmüde bin. Die Tage sind intensiv, auch wenn sie immer schneller vergehen. Jeden Abend hadere ich mit mir, weil ich eigentlich zeitig ins Bett möchte, um mal wieder richtig ausgeschlafen zu sein, sehe das aber irgendwie nicht ein, weil es doch die einzige Zeit für mich ist. Also gucke ich mir irgendwelche Serien an, einige sind gut, für andere schäme ich mich. Nehme mir für den nächsten Abend vor, ein Buch zu lesen und ende doch wieder bei der peinlichen Serie, die mir aber so schön den Kopf durchpustet, sodass ich nicht daran denke, dass der Tag morgen genau so wie der Tag heute sein wird. Wie kann man gleichzeitig so müde und unterfordert sein?
Luxusprobleme versus Dankbarkeit
Ich weiß, dass ich mit dem Gefühl nicht alleine bin. Hier und da hört man es raus und auch auf Instagram sehe ich, wie andere Eltern die Tage zählen. Einige quälen sich durchs Home-Schooling, andere haben gleich das Vergnügen mit drei oder vier Kindern zu Hause zu sein. Ich freue mich über das bunte Angebot, über Live-Musik-Abende und Bastel-Tipps für Kinder. Aber niemand scheint so richtig zu wissen, was man denn nun mit einem 1,5Jährigen anstellt. Schließlich ist das genau das Alter, in dem die Aufmerksamkeitsspanne etwa 10 Minuten beträgt. Selbst Peppa Wutz, die in den letzten drei Wochen von heute auf morgen bei uns eingezogen ist, scheint nicht länger als eine Folge interessant zu sein. Ist ja auch gut so, räumen wir also lieber zum 13248mal heute die Schublade aus und fangen das Chaos wieder von vorne an. Und was ist schon problematisch an einer ausgeräumten Schublade, wenn man gesund ist, noch weiter arbeiten darf und vor allem ein Dach über den Kopf hat? Klar, ein Garten oder wenigstens ein Balkon wären jetzt natürlich ein Traum.
Genauso wie das geplante Osterfest mit der Familie, das jetzt natürlich ins Wasser fällt. Wünsche, die momentan Luxusprobleme darstellen, aber trotzdem Wünsche bleiben. Und genau so gibt es mal mehr, mal weniger Momente dieser Tage, in denen ich vergesse, wie gut es uns doch eigentlich geht. An denen ich einfach genervt bin. Von der Situation, von zu viel Nähe zu dritt in einer zu kleinen Wohnung, von zu wenig Zeit für mich alleine. Zwei Wochen noch, vielleicht auch mehr.
Und irgendwie weiß ich jetzt schon, dass ich diese Zeit vermissen werde. Ein kleines bisschen.