Kinderhaben anderswo: Leila in der Schweiz

Heute schauen wir mal wieder über den Tellerrand – aber gar nicht mal so weit weg. Man sollte denken, dass das Leben als Familie in der Schweiz nicht so viel anders ist, als in Deutschland. Aber ein paar Unterschiede gibt es eben doch! Danke Leila, dass du uns in deinen Alltag schauen lässt!

Über mich und uns

Ich bin in der Schweiz geboren und auch aufgewachsen. Meine Mutter ist Schweizerin, mein Vater kommt aus Mauritius. Kennengelernt haben sich meine Eltern in London, meine Mutter war als Aupair dort, mein Vater zu Weiterbildungszwecken. Nach einigen Jahren in England sind sie zurück in die Schweiz und haben hier auch geheiratet. Aufgewachsen bin ich mit meinen zwei Brüdern in einem kleinen Dorf, etwa 30 Minuten von Zürich entfernt.

Außer ein paar Monaten in England und einem halbjährigen Aufenthalt in Südafrika und Australien habe ich immer in der Schweiz und in Zürich gelebt. Ich liebe diese Stadt sehr! Aktuell planen wir einen längeren Aufenthalt in Mauritius und werden danach nach Zürich zurückkehren.
Seit 2013 bin ich verheiratet und genauso lange sind wir Eltern von unserem großen Sohn. 2016 kam dann unser zweiter Sohn zur Welt. Unsere Kinder sind jetzt knapp 10 und 6.5 Jahre alt. Aus dem Allergröbsten sind wir raus, dafür grüßt bereits die Vorpubertät und oh boy, die ist auch nicht ohne!

Wie wir leben

Wir haben das Glück, in einer großen Wohnung in Zürich zu leben, was während der Pandemie ein wahrer Segen war und auch jetzt immer noch ist! Wir haben genügend Platz, eine große Terrasse und unsere Kinder können selbstständig raus, um zu spielen und Freunde zu treffen. Eine Wohnung zu suchen, ist in Zürich ist mühsam. Es herrscht permanente Wohnungsknappheit, da viele Wohnung sehr teuer sind – und was erschwinglich ist, geht in der Regel unter der Hand oder via Connections weg.

Zürich ist mit 443200 Einwohnern nicht wahnsinnig groß (wenn auch die größte und bevölkerungsreichste Stadt in der Schweiz), daher ist man auch in kurzer Zeit «überall». Bis ins Stadtzentrum benötigen wir ungefähr 17 Minuten mit der Tram. Zu Fuß sind wir in wenigen Minuten am Zürichsee, im Wald und der Natur. Auch in die Berge ist es nicht weit.

Unser Alltag

Der Schulalltag der Kinder und unser Arbeitsalltag bestimmen aktuell weitgehend unseren Tagesablauf. Zudem sind wir auch oft Elterntaxi, um die Kinder zu ihren Hobbys zu bringen, wobei unserer Großer immer selbstständiger wird und gewisse Wege inzwischen auch alleine macht.
Wir verbringen sehr gerne Zeit mit unseren Familien (die Großeltern wohnen beide in der Nähe) und Freunden.
Ich bin eine absolute See- und Wasserfanatikerin, es gibt für mich fast nichts Schöneres, als am See und am Meer zu sein und in diesen Gewässern zu schwimmen. Wir verbringen im Sommer sehr viel Zeit in den Badis (= Schweizer Ausdruck für Freibäder, welche oft direkt an den See anschließen) und meine Buben sind richtige Seekinder. Beide haben früh schwimmen gelernt und lieben das Element Wasser.

Schwanger sein in der Schweiz

In der Schweiz haben die meisten Frauen eine Gynäkologin oder einen Gynäkologen, welcher sie schon länger betreut und dann auch durch die Schwangerschaft begleitet. Normalerweise hat man alle 4-6 Wochen einen Kontrolltermin, bei dem auch ein Ultraschall gemacht wird. Bestehen Auffälligkeiten, ist die Überwachung natürlich engmaschiger. Pränatale Diagnostik ist auch hier ein Thema und wird von vielen Paaren in Anspruch genommen. Ansonsten wird schwanger sein als etwas sehr Normales angesehen, die Frau wird weder speziell geschont noch speziell umsorgt. Es läuft halt einfach so mit… Und damit kommen wir auch schon zu einem großen Unterschied zu Deutschland. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das keinen Mutterschutz vor der Geburt kennt. Die Frau arbeitet so lange sie kann, am liebsten natürlich bis zum Geburtstermin oder so lange, bis der Arzt sie krank oder teilweise krankschreibt, in der Regel aufgrund von Beschwerden. Von Freundinnen weiß ich aber, dass sich viele Ärzte damit schwertun. Was das unter Umständen für ein Stress für die Frauen ist, muss ich nicht erläutern. Auch ich konnte bei beiden Schwangerschaften nicht bis zur Geburt arbeiten, hatte glücklicherweise eine Ärztin, die das erkannt und entsprechend gehandelt hat.

Die Geburt

Die Geburt findet in den meisten Fällen im Krankenhaus statt. Das Krankenhaus sucht sich die Frau selbst aus, wobei natürlich folgende Überlegungen mit einfließen: wie bin ich versichert, bzw. wie werden die Kosten übernommen, ist mein Arzt evtl. Belegsarzt in einem Krankenhaus usw… Im Spital wird man größtenteils von einer Hebamme durch die Geburt begleitet. Der Arzt erscheint erst zum Schluss (sofern keine Komplikationen auftreten) oder schaut ab und an kurz vorbei. Geburtshäuser sind auch beliebt und auch Hausgeburten finden vermehrt statt, sind aber nicht die Norm. Es kommt auch immer mal wieder vor, dass das gewählte Spital belegt ist, wenn es los geht. Das ist mir selbst auch bei der zweiten Geburt passiert. In diesem Fall ist das belegte Spital in der Verantwortung, für die Frau ein anderes Krankenhaus zu suchen, das Kapazität für die Geburt hat.

Zum Versicherungsschutz in der Schweiz

Jede in der Schweiz wohnhafte Person muss eine Grundversicherung abschließen und zahlt dafür einen monatlichen Beitrag. In der Grundversicherung sind die medizinischen Grundleistungen und Medikamente enthalten, solange sie zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Eine Geburt in einem allgemeinen Spital gehört dazu. Möchte man jedoch in ein Halbprivat- oder Privatspital benötigt man eine entsprechende Zusatzversicherung.
Im Wochenbett hat eine Frau Anspruch auf die Besuche einer Hebamme, die einen mehrere Wochen begleitet. Da die meisten Hebammen stark ausgebucht sind, organisieren sich viele die Hebammen schon Monate vor der Geburt. Praktisch alle Frauen nutzen das Angebot der Hebammenbesuche, auch beim zweiten oder dritten Kind.

Mutterschaftsurlaub

Der offizielle Mutterschaftsurlaub in der Schweiz dauert 14 Wochen.
Sehr viele Frauen nehmen danach noch einige Monate unbezahlten Urlaub und sind 6-9 Monate daheim, sofern dies finanziell stemmbar ist. Ich war bei beiden Kindern jeweils 6 Monate zu Hause. Anspruch auf seinen vorherigen Job hat man nicht. Hier ist man auf das Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen, nimmt er einen zurück in der gleichen Jobposition, jedoch in Teilzeit? Bei mir hat es geklappt, es ist aber keine Selbstverständlichkeit!
Aktuell arbeite ich 50%, viele Frauen in der Schweiz arbeiten in Teilzeit und dies eher niederprozentig. Ein Grund dafür ist die Kinderbetreuung.
Seit 2021 haben Väter zudem Anspruch auf einen 10-tägigen Vaterschaftsurlaub. Bis dahin war der Vaterschaftsurlaub mit einem (!) Tag berechnet, welchen mein Mann jeweils im Geburtssaal bei mir verbracht hat. Viele Väter nehmen nach der Geburt Urlaub, um die Frau zu unterstützen. Elternzeit gibt es in der Schweiz nicht. Ja, hier gibt es definitiv noch viel zu tun…

Schweizer Bildungssystem

Dies ist sicher ein großer Unterschied zu Deutschland: der Kindergarten startet in der Schweiz mit 4 Jahren und ist obligatorisch und somit nicht freiwillig. Er läuft auch unter dem Oberbegriff Volksschule. Im ersten Kindergartenjahr besuchen die Kinder nur den Vormittag, dieser dauert in der Regel von 8.25 – 11.55 Uhr, danach kommen sie wieder nach Hause oder besuchen den dazugehörigen Hort. Im 2. Kindergartenjahr kommen noch zwei Nachmittag von jeweils 1.5 Stunden dazu. Auch hier kommen die Kinder über Mittag nach Hause, um zu Essen und gehen um 13.30 Uhr zurück in den Kindergarten.

Ab der 1. Klasse besuchen die Kinder an fünf Vormittagen die Schule und haben an drei Nachmittagen pro Woche Nachmittagsunterricht. Hier sind die Zeiten fast identisch, wie im Kindergarten: 8.15 Uhr – 11.55 Uhr und Nachmittagsunterricht von 13.45 Uhr – 15.25 Uhr.

Sobald der Nachmittagsunterricht vorbei ist, gehen die Kinder in den Hort (kostenpflichtig, je nach Einkommen) oder nach Hause. Dank Homeoffice können sich zwischenzeitlich viele Eltern so organisieren, dass ein Elternteil daheim ist, wenn der Nachmittagsunterricht vorbei ist. Aber natürlich geht das längst nicht bei allen.

Leider ist das Betreuungsmodel immer noch darauf ausgelegt, dass ein Elternteil zuhause ist. Kindergarten und Schulhort gibt es, in ländlicheren Gegenden jedoch ist die Abdeckung ungenügend oder die Kinder müssen weite Wege auf sich nehmen. Das Konstrukt der Ganztagsschulen wird langsam Schritt für Schritt eingeführt. Viele Schulen verfügen aber noch nicht über die entsprechende Lösung, auch die Schule unserer Kinder nicht.
Als Eltern müssen wir also schauen, dass über Mittag jemand daheim ist, wenn wir die Kinder nicht an fünf Tagen in der Woche in den Hort zum Mittagessen schicken möchten (welcher mit zusätzlichen Kosten, je nach Einkommen der Eltern, verbunden ist). Unsere Kinder essen aktuell 1x in der Woche im Hort, 1x bei Schulfreunden (im Gegenzug essen ihre Kinder an einem anderen Wochentag bei uns) zu Mittag, die restliche Zeit kommen sie für das Mittagessen nach Hause.
Auch wenn sich seit meiner Kindheit (damals gab es weder Hort noch Ganztagsbetreuung) Einiges getan hat, es ist immer noch viel zu wenig, damit beide Eltern berufstätig sein können.

Die Betreuung der Kinder bis zum 4. Lebensjahr (bevor sie also in die Volksschule kommen) ist in der Schweiz Privatsache. Viele Eltern geben ihre Kinder in die Krippe, damit beide arbeiten können, doch in den ersten Lebensjahren geht meistens ein komplettes Gehalt für die Kinderbetreuung drauf. Zudem sind Krippenplätze Mangelware, am besten meldet man den Nachwuchs am Tag des positiven Schwangerschaftstest an… Wer die Kinder nicht in der Krippe hat, hat entweder eine Tagesmutter oder Nanny, organisiert sich mit Freunden, Nachbarn, Familie – oder die Großeltern übernehmen einen Teil der Kinderbetreuung.
So war das auch bei uns: wir hatten das Glück, dass unsere Eltern für jeweils zwei Tage die Kinderbetreuung übernommen haben. Das war natürlich ein absoluter Luxus. Mit dem zweiten Kind ging das aber nicht mehr, unserer Großer kam bald in den Kindergarten und wir haben dann eine Nanny eingestellt. Das klingt wahnsinnig elitär… Für uns ist es einfach eine sehr liebe und unterstützende Person, die seit fast 6 Jahren zu unserer Familie gehört, unsere Buben hängen sehr an ihr. Seit der Kleine 6 Monate alt ist, arbeitete sie zwei Tage pro Woche bei uns daheim und wir haben somit auch keinen Bring- und Abholstress, was natürlich angenehm ist. Aktuell arbeitet sie nur noch an einem Nachmittag bei uns, die Kinder sind jetzt größer und entsprechend im Schulalltag eingespannt.

Die Lösungen sind zum Teil also sehr individuell und müssen für die jeweilige Familie schlussendlich aufgehen. So oder so, Kinderbetreuung in der Schweiz ist teuer und Unterstützung vom Staat erhält nur, wer unter einer bestimmten Einkommensgrenze ist.

Gleichberechtigung

Hier ist in den letzten Jahren sicherlich einiges passiert. Trotzdem ist es erschreckend, dass das Frauenstimmrecht erst 1971 eingeführt wurde! Gerade in den städtischen Gegenden erlebe ich es so, dass praktisch alle Frauen neben der Care- auch einer Erwerbsarbeit nachgehen. In ländlicheren Gegenden mag dies anders sein. Väter, die am Elternabend anwesend sind, Kinder von der Kita abholen, etc. sind normal und nichts Besonderes mehr. Ungewöhnlich ist aber immer noch, wenn die Frau hochprozentig arbeitet und der Mann den Großteil der Carearbeit übernimmt.

Freizeit

Das ist so bunt und vielfältig, wie die Menschen selbst. Viele Kinder besuchen Sportkurse, oder sind in einem Verein. Auch Instrumente sind sehr beliebt. Und natürlich Spielen mit anderen Kindern,  oder draußen rumtoben. Viele Familien gehen wandern, biken und Skifahren (die Berge sind nah), auch wir gehen all diesen Freizeitaktivitäten nach. Und im Sommer sind die Badis voll mit Familien.

Essen

Zu erwähnen ist, dass viele Kinder Käse sehr mögen, auch Speisen wie Fondue oder Raclette gehören zum Alltag dazu. Und natürlich Schoggi ( =Schokolade). Die Fabrik von Lindt ist am Ufer des Zürichsees und man kann den Schokoladenduft riechen, wenn man daran vorbei läuft. Wenn dann gerade noch das Schiff der Zürichseegesellschaft vorbei fährt und man die Berge im Hintergrund sieht, ist das alle doch sehr kitschig.

Traditionen/Feiertage

Dazu gehört der Räbenliechtliumzug, der im Herbst stattfindet. Die Kinder schnitzen und verzieren dazu eine Räbe (=Herbstrübe), die ausgehöhlt wird. Darin kommt ein Teelicht (seit neuestem batterienbetrieben :-) und dann findet in der Dunkelheit ein Umzug statt, bei dem man Herbstlieder singt. Eine sehr schöne Tradition, wie ich finde.
Am 6. Dezember besucht zudem der Samichlaus die Kinder und er fährt auch während der ganzen Adventszeit mit dem Märlitram (=Märchentram) durch die Stadt. Der Samichlaus sieht eigentlich aus wie der Nikolaus in Deutschland. An Weihnachten kommt dann klassisch das Christkind.

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