Let’s talk about …. Paartherapie – „Ich glaub wir müssen mal reden!“

Wenn wir Rückenschmerzen haben, gehen wir zur Massage. Wenn wir müde und erschöpft sind, gönnen wir uns eine Runde Power-Yoga. Und was tun wir, wenn die Beziehung aus dem Gleichgewicht gekommen ist? Meistens nichts. Wir sitzen es aus. Bis es sich wieder besser anfühlt. Sich als Paar Hilfe von außen zu holen, klingt anstrengend, zeitintensiv und ist irgendwie auch immer ein bisschen schambehaftet. Denn wenn es richtig rund laufen würde, dann bräuchte man ja schließlich auch nicht darüber reden, oder? Ich habe eine Weile gebraucht, mich genau davon frei zu machen und sehe die Therapie nun als eine absolute Bereicherung - von der ich gerne erzähle, anstatt mich dafür zu schämen.

Sind wir noch ein Paar oder schon eine Wohngemeinschaft?

Irgendwie ist bei uns der Wurm drin. Kein großer Wurm, der dafür sorgt, dass man sich jeden Tag anschreit, gemein zueinander ist oder nur noch genervt. Eher so ein ganz kleiner, unscheinbarer. Einer, mit dem wir ganz wunderbar als Eltern funktionieren und eine gute Zeit als Familie haben, aber als Paar die Nähe zueinander verloren haben. Wahrscheinlich ziemlich normal, wenn man ein Kind hat, das eben genau diese Nähe ständig einfordert. Damit habe ich mich lange getröstet und mir selber immer wieder gesagt, dass auch wieder andere Zeiten kommen werden. Die Ironie dabei ist, rein räumlich gesehen, haben wir mehr als genug Nähe. Für meinen Geschmack sogar zu viel. Dank Corona, Homeoffice und einer zu kleinen Wohnung ist es gerade nicht einfach, Freiräume zu schaffen. Sich am Abend dann gemeinsam hinzusetzen, um mal wieder ausführlich zu reden oder ein romantisches Dinner im Kerzenschein zu verbringen, ist einfach momentan nicht so wirklich attraktiv. Und so leben wir ein bisschen nebeneinander her. Lieb, nett und wohlwollend miteinander. Fast wie in einer Wohngemeinschaft…

Das erste Jahr – „Autsch“

Das erste Jahr nach der Geburt war krass. Wir sind an ganz vielen Ecken gescheitert. Dabei hatten wir doch im Vorfeld allerhand besprochen, Absprachen gemacht und ein Elternzeit-Modell gewählt, von dem wir dachten, dass wir damit die klassischen Stolpersteine umfahren würden. Er bleibt ein Jahr zu Hause und nimmt Elternzeit, ich arbeite nach zwei Monaten wieder freiberuflich. Also alles in allem ein Jahr, das wir zu dritt erlebt haben – und in dem wir meistens auch eine gute Zeit hatten. Wenn es nicht gerade Streit gab. Über das erste Jahr und unsere Einsteiger-Probleme habe ich hier bereits ausführlich geschrieben.

Das zweite Jahr – „Wir müssen mal reden!“

Das zweite Jahr fing gut an. Mit 13 Monaten begann die Eingewöhnung in der Kita und jeder, der sein Kind in der Betreuung eingewöhnt, kennt dieses Gefühl: „Life is back!“ Wir sind die ersten Monate wahnsinnig happy und jeder kann wieder mehr Seins machen. Bis … ich spule ein paar Monate weiter vor….bis zum ersten Lockdown im März 2020. Es folgt ein Jahr voller Überraschungen, wenig Planung und noch weniger Romantik. Definitiv gibt es schöne Momente, und wir wachsen als Familie noch mal viel enger zusammen, doch als Paar bleiben wir auf der Strecke. Und so denke ich immer öfter im letzten Jahr über eine Paartherapie nach. Aber wo bitte jemanden finden, der zu uns passt? Einfach los googeln und hin da? Und kostet so was nicht ein Vermögen? Sind Paar-Therapien am Ende nicht was für reiche Leute? Meine Recherchen zu dem Thema machen mich nicht wirklich schlauer und auch im Freundeskreis kennt sich eigentlich niemand mit dem Thema aus. Bis mir wieder einfällt, dass ich doch einer Paartherapeutin und Coachin auf Instagram folge. Ich glaube, ich hatte ein Interview mit ihr in einem Podcast gehört. Super sympathisch, „down to earth“ und aus Berlin. Aber warte mal, ist ja gerade Lockdown, wahrscheinlich kann das Ganze gerade eh nicht stattfinden, oder? Ich finde Miriam Dialo in meinem Feed wieder und weiß jetzt auch, warum sie mir so positiv aufgefallen war – mit einfachen Fragestellungen und simplen Aussagen in Form von Posts, trifft sie bei mir genau den Nerv und lässt mich kurz innehalten. Ihre Worte, die mich eiskalt erwischen, bestätigen mir, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind. Das macht schon mal Mut, und die Hemmschwelle sinkt. Bescheuert, oder? Dass da überhaupt so etwas wie eine Hemmschwelle existiert. Wir sind fast auf den Tag genau zehn Jahre zusammen, sind seit zwei Jahren Eltern und haben genau diese beiden Jahre kaum ein Tag Pause voneinander gehabt. Plus Corona, plus Lockdown, plus 14 Tage Quarantäne.
Schwer vorzustellen dass es einen Menschen gibt, dem man nach all der gemeinsamen Zeit nicht ab und zu tierisch auf den Nerv geht. Platz für Scham sollte es also an dieser Stell schon mal nicht geben. Eher Stolz, dass wir es bereits so weit geschafft haben. Ich meine: zehn Jahre!!! Bei anderen Wehwehchen gehen wir ja auch zum Arzt, oder zum Yoga oder tun uns etwas Gutes. Wieso also so eine Sitzung nicht auch einfach als „Wellness“ für die Beziehung sehen… Der Gedanke gefällt mir gut – Selfcare für uns als Paar. Lieber jetzt was ändern, bevor es irgendwann zu spät ist.

Das erste Gespräch und viele viele Tränen

Wir entscheiden uns also dafür, Miriam zu kontaktieren. Ich schreibe absichtlich „wir“, denn schließlich bringt es nichts, wenn nur ich Gefallen an der Vorstellung finde, dass wir an uns arbeiten. Mein Freund ist skeptisch, findet unsere Probleme „normal“, nicht ungewöhnlich für junge Eltern, möchte es aber gerne probieren. Dass das Coaching nicht face to face abläuft, sondern wir uns das Ganze selber, über einzelne Module erarbeiten, macht es für ihn sehr viel leichter. Schließlich würde in „real life“ Sympathie und Vertrauen eine extra Rolle spielen. Und natürlich ist eine virtuelle Paartherapie doppelt praktisch, wenn Kontaktbeschränkungen zur Tagesordnung gehören. Wir entscheiden uns für das Modul „Kommunikation in der Partnerschaft“, weil das wie gesagt irgendwie zu kurz gekommen ist in letzter Zeit. Gibt aber eigentlich für jedes Bedürfnis was Passendes: „Gegenseitiges Verständnis schaffen“, „Rollen in der Familie&Partnerschaft, „Nähe&Sexualität“, „Aufgaben abgegeben&annehmen“ – 14 Module insgesamt. Ein Modul kostet um die 50 Euro. Perfekt zum Kennenlernen. Natürlich kann man auch das komplette Paket kaufen, da sind dann noch Live-Videos dabei, Worksheet, jede Menge Tipps usw. Kostenpunkt 339 Euro pro Paar. Kann man immer und überall nutzen und wird auch in den nächsten Jahren nicht schlecht. Ziemlich fairer Preis, wie ich finde, wenn man bedenkt, was eine einzige Sitzung normalerweise kosten würde.

Ich merke wie wir es noch ein paar Tage rausschieben und rumeiern, bis wir uns endlich an einen Tisch setzen und anfangen. Der erste Tag ist ein Dienstag, das Kind ist in der Kita, wir haben uns lecker Frühstück gemacht und öffnen das erste Modul. Kaum habe ich die erste Frage laut vorgelesen, sitze ich bereits weinend am Frühstückstisch. Mein Freund völlig perplex. Bei mir entlädt sich hier gerade eine über Monate angehäufte Anspannung. Viel zu lange wusste ich, dass wir dringend darüber reden müssen, wie es uns geht und wir uns fühlen. Doch der Alltag ließ wenig Zeit dafür und eine Serie am Abend zu gucken war einfacher als DAS Gespräch zu suchen. Klassische Verdrängung! Etwas, was vor dem Eltern sein eher untypisch für uns war, aber wie so vieles mit einem Kleinkind, hat sich auch das bei uns geändert. 
Zurück zum Frühstückstisch, zurück zum weinenden Ich. Ich heule wie ein Schlosshund und wir liegen uns schon in den Armen, bevor wir überhaupt einen graden Satz gesprochen haben. Das alleine tut schon wahnsinnig gut.
Irgendwann habe ich mich sortiert, die Tränen getrocknet und wir fangen mit den Übungen an. Übungen klingt irgendwie abschreckend, vielmehr handelt es sich um Fragestellungen. Zum Beispiel: „Welche Charaktereigenschaft man am anderen besonders bewundert?“ Was so simpel klingt, lässt uns fast zwei Stunden über allerhand reden und in Erinnerungen schwelgen. Wir reden darüber, was in der letzten Woche besonders gut gelaufen ist und was hätte besser laufen können, über Momente in denen wir uns gesehen fühlen und wofür wir dankbar sind.
Hätte mir jemand im Vorfeld davon erzählt, hätte ich glaube ich genervt mit den Augen gerollt und mich gefragt, was DAS bitte für eine Beziehung tun soll. Denn ehrlich gesagt entsteht bei mir bei Sätzen wie „Kommunikation ist der Schlüssel einer jeden Beziehung“ direkt eine Abwehrhaltung. Kalendersprüche, Glückskeks-Weisheiten oder wie man es sonst nennen möchte, lösen bei mir nämlich leider das absolute Gegenteil von Neugierde aus.

Und? Das Fazit!

Drei Wochen am Stück haben wir uns hingesetzt, dann wurde die Routine durch den vorweihnachtlichen Lockdown und die Feiertage unterbrochen. Immer zum Anfang der Woche haben wir es uns gemütlich gemacht und geredet, uns ausgetauscht und vor allem zugehört. Das ist nämlich besonders wichtig, wenn der eine spricht, hört der andere zu. So lange es eben dauert. Und sind wir mal ehrlich, im Alltag hört man ziemlich oft nicht richtig zu. Man fällt sich ins Wort, hat es eilig, oder beendet gedanklich die Sätze des Partners. Jetzt hören wir uns richtig zu, weil wir uns Zeit dafür nehmen. Wir können uns ineinander hineinversetzen und verstehen einige Situationen im Nachhinein besser. Und das alles schafft wahnsinnig viel Nähe. Ich merke, wie ich raus aus dem „Mach-und-Funktionier-Modus“ komme, mich wieder viel mehr fallen lassen kann und nach körperlicher Nähe suche. Wir sind leichter, freier und lustiger miteinander. Machen ganz viel Quatsch und haben einfach eine gute Zeit. Zugegeben lassen wir es auch gleich wieder etwas schleifen, sobald die Routine raus ist, umso wichtiger also, dass wir sie wiederfinden. Auch mein Freund scheint das gemerkt zu haben, denn gestern Abend fragte ER, ob wir unsere „Sitzung“ nicht mal wieder machen wollen. Aus Müdigkeit habe ich es verschoben, dabei reichen ziemlich sicher auch schon 20 Minuten am Tag oder pro Woche (realistischer!) um sich kurz abzuholen und eben nicht nur ein Team zu sein, sondern ein liebevolles Paar.

Mein Fazit, ich sag es nur ungern, aber „Kommunikation ist der Schlüssel einer jeden Beziehung“. Surpriiiiise! Super langweilig, ich weiß. Aber irgendwie auch ganz schön gut, dass es eigentlich gar nicht so viel mehr braucht. Manchmal reicht ein leckeres Frühstück, ein ordentlicher Arschtritt und eine externe Person, die einen als Paar ein ganz bisschen anleitet. Hoffentlich bleiben wir dran…