Let’s talk about: “Muttersein ist kein Ausnahmezustand” – eine Replik

Ich habe eine kurze Weile überlegt, ob man zu Mirna Funks neuester Vogue Mum-Kolumne wirklich etwas sagen muss. Es ist eine Kolumne, sie ist persönlich und provokant. Das liegt in der Natur der Sache. Eigentlich wollte ich also gar nicht reagieren, aber, es lässt mich einfach nicht ganz los.

Erst dachte ich nämlich, Hach, wie schön! Mal jemand, der Schwangerschaft genauso gelassen sieht, wie ich; Sushi isst, sich nichts aus all den strengen Regeln macht. Auch finde ich den Ansatz richtig, Schwangerschaft und Mutterschaft als etwas ganz Normales zu sehen und nicht als Ausnahmezustand. Dass man sich nicht ständig darüber definieren sollte, dass man Mutter ist, warum ich also Begriffe wie Mompreneur scheue, habe ich hier und hier auch schon mal festgehalten. Ein gelassener Umgang mit Mutterschaft – klar, kann und sollte man dafür plädieren!

Aber dann bekam ich beim Lesen doch ein beklemmendes Gefühl. So nett der Text geschrieben ist, so gelungen manch philosophische Anwandlungen sind, so gibt es doch ein paar Dinge, bei denen ich gern auch meinen Senf hinzugeben würde. Besonders bei diesem Satz: “Schwangersein als Ausnahmezustand anzusehen, ist ein Zeichen von existenzieller Langeweile.” wurde mir ein wenig anders. Nun könnte ich mich auch erheben und erzählen wie aktiv ich bin in meiner Schwangerschaft, wie viel ich schaffe mit Kind und Arbeit und Babybauch. Aber: Es läuft halt auch ziemlich gut. Ich habe das Glück einer unkomplizierten Schwangerschaft und dazu bin ich mental auch an einem Punkt, wo ich genug Erfahrung und Stabilität in mir habe, mit den Hormonen und der Veränderung umzugehen. Das war jedoch bei meiner ersten Schwangerschaft nicht so. Da stimmte vieles nicht und ich nahm die Schwangerschaft sehr wohl als Ausnahmezustand wahr. Und: Was ist eigentlich mit all den vielen Frauen, die die ein oder andere Fehlgeburt hatten (es gibt sehr, sehr viele da draußen) und für die Schwangerschaft durchaus emotional und auch körperlich Ausnahmezustand bedeutet? Dass eine Schwangerschaft nebenher laufen kann, klar, gibt es das auch. Dafür braucht es aber eine unkompliziert verlaufende Schwangerschaft. Wenn es einem gut geht, sich die Wehwehchen in Grenzen halten, ist es wesentlich einfacher, alles gelassener zu sehen.

Und dann geht es auch um die Beschaffenheit der Menschen: Manche sind stark und resilient, andere haben nicht die Kraft und das Werkzeug mitbekommen, machen sich mehr Sorgen, sind schneller verunsichert, oder stecken einfach in einer anderen Phase ihres Lebens. Diesen Menschen “existenzielle Langeweile” vorzuwerfen, ist hart. Menschen sind unterschiedlich, haben andere Lebensgeschichten und andere Kindheiten hinter sich.

Genau wie Kinder nicht als leeres Blatt geboren werden, haben auch Erwachsene unterschiedliche Fähigkeiten mit bestimmten Dingen und Herausforderungen umzugehen. Den einen wirft die erste Schwangerschaft aus den Schuhen, für die andere läuft es easy nebenher.

Mirna schreibt, dass es die “vermeintliche Entität Gesellschaft”, die Mütter angeblich bewertet und beobachtet, so gar nicht gibt. Ich kann mir gut vorstellen, wie das gemeint ist. Ja, wir berufen uns manchmal zu leicht auf die “böse” Gesellschaft, die es uns Müttern so schwer machen würde. Ja, vieles findet in unseren Köpfen statt und ja, vielleicht ist der ominöse “Druck der Gesellschaft” manchmal auch eine Ausrede.

Aber – jeder der mal ein wenig aus der urbanen Kreativ-Bubble geschaut hat oder nicht in ihr lebt, sich mit anderen Müttern unterhalten hat, Freundinnen hat, die anders leben, selbst ganz anders lebt, ja jeder der mal in die Mainstream-Medien geschaut hat und gesehen hat, wie dort über Mütter kategorisierend und bewertend geschrieben wird, wird feststellen: Der Druck ist da. Die Rollenerwartungen sind da. Die Bewertungen sind da. Sei es ganz konkret der Arbeitgeber, der in der Schwangerschaft kündigt (ja, das darf man nicht, machen aber doch viele). Seien es die Verwandten. Oder auch, wie ich es erlebt habe, offizielle Instanzen wie ein Familiengericht und die Strukturen drum herum. Da ist man als Mutter, die ihr Kind (“schon”) mit einem 11 Monaten in eine Tagespflege gab, schnell eine Rabenmutter. Nur weil man die gläserene Decke (noch) nicht berührt hat, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt.

“Vielleicht ist das aber vielmehr eine Projektion als Realität.”, schreibt Mirna. Ja, sicherlich ist es auch Projektion der eigenen tief verankerten Vorstellungen, die meist aus Sozialisierung resultieren. Nicht alle hatten eine selbstverständlich arbeitende (und alleinerziehende) Mutter. Manche kommen aus ganz anderen Verhältnissen. Sich von seiner eigenen Sozialisierung zu emanzipieren schaffen vielleicht manche, aber auch hier: nicht alle.

Im siebten Monat noch eine Festanstellung zu bekommen ist klasse – und in Deutschland wohl leider eher die Ausnahme.
Und dann, wenn das Baby da ist, kann es gut sein, dass es eben nicht einfach unkompliziert läuft, es nicht so einfach ist, das Kind überall hin mitzunehmen. Isabels und mein Sohn waren als Babys ziemliches Mittelmaß, was das Level an Bedürftigkeit anging, wir konnten trotzdem arbeiten und nur so Little Years aufbauen. Das hätte aber auch anders laufen können.

Mirna schreibt, man könne die Gesellschaft nicht für seine Entscheidungen verantwortlich machen. Dem stimme ich zu. Eigenverantwortung zu lernen ist wichtig. Sie gehört zum Erwachsenwerden dazu. Konsequent sein, zu sagen, das ist meine Entscheidung und jetzt lebe ich damit, statt zu lamentieren. I agree. Aber, es gibt durchaus Rahmenbedingungen, die mir diese Entscheidungen und das Dazu-stehen auch ermöglichen. Dass man für sein eigenes Glück nur selbst verantwortlich ist, es also komplett losgelöst von gesellschaftlichen Zwängen zu sehen ist, ist eine neoliberale Utopie. Allein wenn man sich die Klassiker der Sozialwissenschaften anschaut, wie das Konzept des Kapitals von Bourdieu, wird klar, dass der Mensch nicht allein für sich steht, sondern dass wir in Umstände hineingeboren werden, aus denen auszubrechen nicht immer möglich ist. Mit dem Hinweis auf ihre Ost-Sozialisation schreibt Mirna ja selbst, dass ihre Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit unter anderem darin ihre Ursache haben.

Und dann dieser schöne Satz: “Freiheit ist das Anerkennen von Grenzen, nicht das Sprengen dieser.” Ich möchte laut ja rufen. Ja, vor allem wenn man seine eigenen Grenzen kennt. Wenn man weiß, wie belastbar man ist. Und auch Kinder haben von Anfang an ihre Eigenheiten. Manche trauen sich trotz aller Ermutigung noch mit vier Jahren nicht, ihr Eis selbst zu bestellen. Das ist auch ok so, unser Einfluss als Eltern ist manchmal gar nicht so groß, wie wir denken. Kinderhaben als etwas Normales und Natürliches anzusehen ist wichtig. Das bringt eine gewisse Gelassenheit mit sich und von der profitieren alle. Aber das tut jeder, so wie es ihm möglich ist.

Photo by Kelly Sikkema