Kleine Einblicke in eine Ost-Kindheit
Es gibt also durchaus Dinge, die eine Kindheit im Osten von einer Kindheit im Westen unterscheiden, jeder Verallgemeinerungskritik zum Trotz. Klar unterscheiden sich Kindheiten generell sehr viel, von Familie zu Familie, so wie wir Menschen uns unterscheiden. Aber doch finde ich es spannend, wenn man Parallelen entdeckt, und wahrscheinlich ist eben das ein oder andere in der Erziehung geschichtlich und geographisch beeinflusst.
Geschlossene Türen
Etwas, an das ich mich natürlich nicht mehr bewusst erinnern kann, war die Babyzeit bzw. frühe Kleinkindzeit. Das kenne ich nur aus Erzählungen: Ich habe mir ein Zimmer mit meinem anderthalb Jahre jüngeren Babybruder geteilt. Meistens hätten wir durchgeschlafen. Damals war es wohl ziemlich normal, dass man die Tür zumacht und diese die Nacht über auch zu blieb. Wir hätten wohl nie geweint. Das hatte für die Eltern natürlich den Vorteil, dass Abends dann wirklich Erwachsenenzeit war. Ob wir nun aber wirklich “nie geweint” haben? Nun ja. Die Vorstellung ist für mich jetzt ziemlich absurd und ich frage mich, warum das damals angeblich so gut funktioniert hat? Vielleicht habe ich mich aber auch gerade wegen dieser frühen Erfahrungen, doch dafür entschieden, dass mein Sohn nachts kommen darf, auch wenn ich dafür nun das Bett oft mit einem fast Vierjährigen, der sich nächtlich gern viel bewegt, teilen muss. Natürlich haben sich die Zeiten auch geändert: Heute wird einem schon im Krankenhaus empfohlen, mindestens das erste Jahr mit dem Baby im gleichen Zimmer zu schlafen. Dass man wie früher einfach die Tür zu macht, scheint nicht mehr State Of the Art zu sein. Gott sei Dank.
Krippe
Damit verbinde ich keine angenehmen Gefühle. Ich weiß noch, dass mein Babybruder zur Krippe musste. Ich kann mich daran erinnern, dass er viel geweint hat, dass wir müde waren, dass es manchmal Stress gab. Die Möglichkeit einer Krippe, hatte natürlich im Gegensatz zu den Verhältnissen in Westdeutschland den Vorteil, dass Mütter früh wieder arbeiten gehen konnten. Einen Unterschied, den ich immer noch spüre! Ich ertappe mich oft dabei, wie ich entschuldigende Erklärungen nachschiebe, wenn ich erzähle, dass ich meinen Sohn mit zehn Monaten zu einer Tagesmutter gebracht habe. Zuhause in Brandenburg wäre das überhaupt kein Thema. Dass es damals aber eben auch einen gesellschaftlichen Zwang gab, seine Kinder verhältnismäßig früh abzugeben, ist dann wieder die dunkle Seite der Medaille. Wie froh bin ich, heute Mutter sein zu können und das relativ frei entscheiden zu können!
Kindergarten – oder auch Durst, Durst, Durst!
Hier nicht in die Klischees der “DDR-Kindergärten” zu verfallen ist gar nicht so einfach. Denn ja, auch wir hatten diese offenen Toiletten, die in Reih und Glied nebeneinanderstanden, das fand ich als Kind aber gar nicht so schlimm, sondern eher lustig und irgendwie gesellig. Was ich negativ in Erinnerung habe, sind die strengen Erzieherinnen und die Verpflegungssituation. Ich sage nur: Durst! Ich weiß bis heute nicht, warum es immer zu wenig zu trinken gab. Und dann oft nur säuerlichen Hagebuttentee! Ich erinnere mich, wie ich ganz verdurstet unter dem Wasserhahn hing und heimlich getrunken habe. Auch an das Essen habe ich keine guten Erinnerungen. Das Schlimmste war, dass man aufessen MUSSTE. Egal, ob es tote Oma war (man nannte das tatsächlich so, eine Art breiige Blutwurst) oder zerkochte Milchnudeln. Ich weiß noch, wie wir die Technik entwickelt hatten, uns die Nase zu zuhalten und dann schnell alles herunterzuwürgen – so schmeckte man weniger. Mein größtes Hassgericht war Zuckerbrot in Milch. Bis heute ekelt es mich ein wenig vor eingeweichtem Brot – zum Beispiel Croutons in der Suppe, Hilfe! Aber natürlich war nicht alles doof. Ich weiß noch, dass ich sehr stolz auf meine Lederbrottasche war. Sie war rot und man konnte sie sich umhängen. Und wir haben auch unglaublich viel draußen gespielt oder Wanderungen gemacht.
FKK
Apropos draußen. Nackig sein als Kind war übrigens wirklich normal. Klar, wir sind auf dem Land aufgewachsen, vielleicht war man da eh lockerer. Aber auch im Schrebergarten meiner Großeltern waren wir Kinder im Sommer meist nackt. Sogar bis wir recht groß waren. Und an der Ostsee sowieso! Diese Unbekümmertheit fehlt mir manchmal, besonders bei der Erziehung meines Sohnes. Viel lieber würde ich ihn mehr nackig umherlaufen lassen, es macht ihm solchen Spaß (Isabel hat darüber schon einmal ausführlich geschrieben).
Trabi
Klar hatten wir einen. Meine Eltern haben ja auch lange genug auf das Ding gewartet! Nach der Hochzeit konnte man sich auf die Warteliste setzen lassen. Ein paar Jahre später hat man dann einen bekommen. Planwirtschaft at it’s best! Ich weiß noch, dass mir der Trabi so groß vorkam. Heute muss ich sagen, ich glaube, ich war einfach sehr klein! Außerdem mochte den Geruch des Auspuffs total. Wenn so einer vorbeigefahren ist, habe ich tief eingeatmet. Ich erinnere mich daran, dass die Scheiben so ein geometrisches, lila-grün schimmerndes Muster hatten, wenn man von unten raufgeschaut hat – kann sich da auch noch jemand dran erinnern? Ich fand das damals faszinierend.
Der Sandmann, Pittiplatsch und Schnatterinchen
Natürlich kommt man an denen auch nicht vorbei. Noch heute muss ich sofort gähnen, wenn ich nur an die Melodie des Sandmann Titelliedes denke. Aber auch Hexe Baba Jaga, Väterchen Frost und all die anderen russischen Kindermärchen sind mir in guter Erinnerung geblieben.
Selbst genähte Faschingskostüme
Wie auch heute war Fasching ein Highlight im Kindergarten. Und jeder hatte selbst gemachte Kostüme! Nicht, weil alle übertalentierte Bastelmütter mit viel Zeit zu Hause hatten, sondern weil es einfach nicht wirklich etwas zu kaufen gab. Ich war mal Marienkäfer, dann Tänzerin. Aber immer made by mama.
Ich kann mich noch an den Tag der Wiedervereinigung erinnern. Die Nachrichten kamen im Radio, die Sonne schien und meine Eltern waren irgendwie froh. Kind zu sein in den frühen 90ern in Ostdeutschland hieß eben auch, Kind in einer Umbruchszeit zu sein. Eingeschult wurde ich in meinem Dorf, allerdings habe ich nach der ersten Klasse gewechselt. In der alten Schule gab es noch immer diese vielen Zwänge, überstrenge, unsensible Lehrer, die mich schon zurück auf meinen Platz schickten, nur weil ich die Zahl Fünf der Zahl 25 als erstes an die Tafel schrieb, um dann die Zwei noch davor zu setzten. Man liest ja auch FÜNFundzwanzig, dachte ich als Kind. Wie ungerecht ich das empfand, wenn ich mich mit einem schroffen “Schon falsch!!” wieder hinsetzen musste, ohne, dass ich fertig schreiben durfte. Die neue Schule war weiter weg, mit jungen, engagierten Lehrern (teilweise aus dem Westen.) Ich weiß noch, wie gut mir das getan hat. Wie schön es war, wohlwollende, frische und fördernde Betreuer zu haben.
Dieser Beitrag ist ein kleiner Ausschnitt meiner ganz persönlichen Erfahrungen. Bestimmt gibt es andere da draußen, bestimmt fand der eine etwas toll, was ich als weniger schön erlebt habe! Sicherlich gibt es ein großes Spektrum an Erfahrungen – teilt sie gern mit uns!