Let’s talk about: Erziehung in der Kita – wie viel Schimpfen ist okay?

Den realen Betreuungsschlüssel in den meisten deutschen Kindertagesstätten finde ich ehrlich gesagt ziemlich gruselig. Bei Krankheiten oder Urlaubszeiten einzelner Erzieher*innen kommen in einigen Bundesländern schnell mal 18 Kinder auf eine(n) Erzieher(in). Ich muss mit Zweien schon regelmäßig meine Grenzen neu erfinden, sechzehn weitere würden mich schnell auf ein kleines Häufchen Elend reduzieren. Wenn Erzieher*innen also nicht immer den „richtigen“ Umgangston treffen, kann ich das gut nachvollziehen.

Als eine Freundin, deren zweijährige Tochter eine Kita in unserer Nachbarschaft besucht, mir neulich von ihren Bedanken bezüglich der „konservativen” Methoden einer dort beschäftigten Erzieherin berichtete, bin ich dennoch erschrocken. Dabei will ich gleich vorwegnehmen, dass nichts vorgefallen ist, was eindeutig gegen Vorschriften verstoßen hätte. Und sicherlich bin ich bei dem Thema auch sensibler als andere Mütter oder Väter, die am Umgangston in besagter Kita vielleicht gar nichts auszusetzen hätten…

Schimpfen und am Arm Packen – ist das noch okay?

Die Erzieherin, um die es geht, schreit und schimpft wohl täglich mit den Kindern; oft auch in genervtem bis leicht aggressivem Ton. Außerdem kommt es vor, dass sie die Mädchen und Jungen beim Schimpfen festhält oder am Arm packt und mitzieht.

Dieser Post soll kein Plädoyer für eine gänzlich schimpffreie Erziehung sein, die sich vom Elternhaus nahtlos auf die Kita auszuweiten hat. Ich denke aber, dass Erziehungsberechtigte – also Eltern wie Erzieherinnen und Erzieher in Kitas – zumindest versuchen sollten, so oft wie möglich ohne Schimpfen auszukommen. Dabei muss ich betonen, dass ich Isabels Schimpf-Definition teile: ein lautes, aggressives und potentiell einschüchterndes Einreden auf ein Kind, dass sich nicht an gewünschte Regeln oder Forderungen hält. Das heißt keineswegs, dass ich dafür bin, Kinder ohne Grenzen zu erziehen. Im Gegenteil, ich denke, sie brauchen unbedingt Grenzen. Nur halte ich es für wichtig, diese möglichst ruhig und respektvoll zu etablieren und aufrechtzuerhalten. (Dazu hat Isabel auch hier und hier schon etwas geschrieben.)

Regeln und Ausnahmen

Wenn ich also sage, ich habe Verständnis und werde auch mal lauter, dann meine ich: Das ist für mich die Ausnahme. Wenn es mir passiert, dass ich meine Kinder anschreie oder sie körperlich dazu bewege, meinen Anweisungen zu folgen, dann ist das in meinem Fall eine Affekthandlung in einer Situation, die mich überfordert. Das passiert selten und sobald mir das möglich ist, erkläre ich die Situation und entschuldige mich gegebenenfalls. Bei der Erzieherin, von der meine Freundin erzählt hat, scheint das allerdings die Regel, bzw. eine bewusst eingesetzte Maßnahme zu sein. Und das ist für mich nicht akzeptabel. Die Botschaft, die in diesem Zuge an das Kind getragen wird, ist dann doch: Ich habe das Recht, dich anzuschreien und anzufassen – auch, wenn du das offensichtlich nicht willst.

Vorbildfunktion der Erzieherinnen

Bekanntlich lernen ja insbesondere Babys und Kleinkinder am Modell (Stichwort: Sozialkognitive Lerntheorie), also dadurch, dass ihnen Verhaltensweisen vorgelebt werden und eben weniger dadurch, dass ihnen Sachverhalte theoretisch erklärt werden. Wenn eine Erzieherin die Kinder also regelmäßig mit lauter Stimme anfährt: “Ich will nicht, dass du hier so rumschreist!” – dann wird das kaum dazu führen, dass die Kinder zukünftig weniger rumschreien. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Die Kinder speichern das Schreien der Erzieherin als gängigen Umgangston ab und nutzen diesen auch im Umgang mit ihren Altersgenossen. Das Gleiche gilt für Festhalten und Zerren. Bekommt ein Kind diese „Maßnahmen“ von seinen Erziehungsberechtigten vorgelebt, wird es wahrscheinlich auch seine Freunde oder Geschwister „rumschubsen“, um seine Ziele zu erreichen.

Natürlich sind 2-Jährige keine kleinen Erwachsenen und so sollten sie auch nicht behandelt werden. Sie müssen erst lernen, sich selbst zu regulieren und sich an soziale und gesellschaftliche Regeln (z.B. in der Kita) zu halten. Auch wenn ich denke, dass dieses Lernen durch gewaltfreie und wenn möglich nicht-körperliche Methoden von statten gehen sollte, sehe ich die Notwendigkeit für bestimmte Ausnahmen. Wenn ein Kind im Begriff ist, sich selbst oder andere zu verletzen oder mutwillig Gegenstände zerstört, dann darf die Kindergärtnerin das Kind auch einfach mal schnappen, wegtragen und schimpfen. Diese Reaktion fällt dann aber, wie schon ausgeführt, in die Kategorie der Ausnahmen. Und diese wird das Kind auch als solche abspeichern.

Respekt, von Anfang an

Dass in der Regel auf Schreien und körperliche Erziehungsmaßnahmen verzichtet wird, scheint mir auch in sofern folgerichtig, als dass jedes Kind von Anfang an Respekt verdient hat. Und nicht nur verdient hat, sondern tatsächlich auf Respekt von außen angewiesen ist, um später Respekt für sich selbst entwickeln zu können, diesen, wenn nötig, gegenüber Anderen einzufordern und auch seinem Umfeld Respekt entgegenzubringen. Wie soll das möglich sein, wenn ein Kind in der Kita erfährt, dass über über bestimmte Wünsche, Eigenarten und (körperlichen) Grenzen hinweggegangen wird?

Erzieherinnen sind keine Eltern

Also, viele Erzieher*innen sind sicherlich selbst Eltern, aber eben nicht die von unseren Kindern. Das Verständnis, das ich als Mutter für die Hilflosigkeit und möglicherweise einschüchternden Erziehungsmaßnahmen mancher Erzieher*innen habe, können und dürfen diese deswegen auch nicht entschuldigen. Wie gesagt, ich bin schon mit zwei Kindern oft genug überfordert – und deswegen ist es auch gut, dass ich nicht als Erzieherin arbeite. Denn bei aller Überbelastung: Praktizierende Erzieher*innen haben diesen Beruf gewählt und gelernt – und tragen eine Verantwortung. Und in Situationen, in denen sie nicht auf pädagogisch akzeptable Art und Weise mit den Kindern umgehen können, sollten sie dennoch ihrer Verantwortung gerecht werden, z.B. in dem sie sich Hilfe von einer Kollegin holen.

Raum für Kritik

Ich denke nicht, dass es sich beim Verhalten der laut schimpfenden und auch mal zupackenden Erzieherin um ein dramatisches Problem handelt. Dennoch bin ich der Meinung, dass Eltern in Situationen, die dieser ähnlich sind, Kritik äußern dürfen und auch sollten, und zwar ohne – von anderen Eltern, Erzieher*innen oder der Kita-Leitung – dabei als überbeschützende Helikopter-Eltern abgestempelt zu werden.

Wir wissen mittlerweile, wie wichtig die ersten 18 Monate und auch noch der Rest der frühen Kindheit für die Entwicklung des Kindes ist – diese Zeit bestimmt maßgeblich, welcher Beziehungsstil entwickelt wird und inwiefern die eigenen Affekte reguliert werden können. Wenn also Nähe und Distanz, Erziehungsstil und Vorbildfunktion der Bezugspersonen die Entwicklung des Kindes bestimmen, dann gilt das nicht nur für Mutter und Vater, sondern genauso für die Erzieherinnen und Erzieher – ganz besonders in den Fällen, in denen die Kleinkinder einen großen Teil des Tages in der Kita verbringen. Ich habe den Eindruck, dass das manchmal nicht ausreichend gewürdigt wird. Wenn es also zu subtileren, nicht strafbaren Übergriffen kommt – dazu würde ich auch einen gehässiger Umgangston, kräftiges Anpacken oder ausbleibenden Trost zählen – kann es doch zweifellos zu einer emotionalen Belastung der Kinder kommen. Deswegen, denke ich, dass es sich lohnt, genauer hinzuschauen, beim Abholen auch mal länger vor Ort zu bleiben sowie Interesse und Fragen zu äußern.

Wie würde ich mich verhalten?

Wie gesagt habe ich die Situation nur am Rande mitbekommen. Und da wir in unserer Kita (bis jetzt) nicht mit vergleichbaren Problemen konfrontiert waren, weiß auch ich nicht genau, wie ich mich verhalten würde. Wahrscheinlich hätte ich in einem ersten Schritt die Erzieherin direkt angesprochen und mir ihre Sicht der Dinge angehört. Darüber hinaus hätte ich wohl Hilfe angeboten. Direkt vor Ort, wenn gerade mal wieder eine Erzieherin oder Küchenkraft ausgefallen ist. Oder in Bezug auf das Problem der Personalnot, das ganz sicher nicht von den ohnehin überarbeiteten Erzieherinnen behoben oder ausgeglichen werden muss. Vielleicht ist es da an uns Eltern, neben einem respektvollen Umgangston aktiv einen besseren Betreuungsschlüssel und dessen praktische Umsetzung einzufordern.

Wie steht ihr zu dem Thema? Wie würdet ihr euch verhalten? Und wart ihr vielleicht schon mal in einer vergleichbaren Situation?