Drei Kinder – und zwei Schicksalsschläge. Sabines kleine Geburten
Ich habe meinen Mann 2005 im Skiurlaub kennengelernt – wir waren beide gerade mal 25 und wussten dennoch schon ziemlich schnell: mindestens drei Kinder sollten es werden. Eine Greta, eine Marlene und ein kleiner Johann. Im Juni 2007 haben wir geheiratet und ich weiß noch ganz genau, wie ich Ende Juli 2007 den ersten Schwangerschaftstest meines Lebens gemacht habe. Er war gleich positiv und ich fuhr freudestrahlend mit dem Test in der Tasche ins Büro meines Mannes, um ihm von unserem Glück zu berichten. Meinen Eltern muss ich auch noch am gleichen Tag per Telefon von der Nachricht erzählt haben. Es war alles so wunderbar klar. Wir würden Eltern werden. Natürlich. Sie Großeltern. Unsere Tochter Greta kam 9 Monate später gesund zur Welt. 22 Monate später – also recht zügig – kam mehr oder weniger ungeplant ihre Schwester Marlene hinterher.
Drei Mädchen
Mit dann zwei Kleinkindern hatten wir erst mal genug zu tun. Bis wir uns sicher waren, dass es auch tatsächlich noch eine Nummer drei geben sollte, brauchten wir daher etwas länger. Aber auch bei unserer kleinen Liselotte sind wir schnell schwanger geworden, sie kam etwa 3 1/2 Jahre nach Marlene. Also drei Mädchen: März 2008, Januar 2010 und Juni 2013.
Ich muss sagen, dass ich bei allen drei Schwangerschaften wirklich immer sehr entspannt und – im Nachhinein – fast sorglos war. Ich kannte natürlich – je älter ich wurde – immer mehr Geschichten von Fehlgeburten und auch meine Schwester und eine sehr liebe Freundin waren schon “betroffen”. Aber so lange es dich nicht selbst getroffen hat – und das ist auch gut so – ist das Thema Fehlgeburt einfach sehr weit weg. Heute wünsche ich mir diese “Naivität / Sorglosigkeit”, wie ich sie bei meiner ersten Tochter verspürt habe, fast zurück. Wie selbstverständlich ich diese Schwangerschaft angenommen habe. Das einzige, das mir vielleicht im Nachhinein gefehlt hat, war eine tiefe Dankbarkeit, diese auch wirklich als Geschenk zu sehen.
Und Nummer 4?
Mein Mann, hat sich nach der 3. Geburt – nach auch relativ kurzem Abstand – noch eine Nummer 4 vorstellen können. Ich aber brauchte noch Zeit und spürte keinerlei Zeitdruck. Zu dem Zeitpunkt war ich 36 Jahre alt. Wir haben das Thema dann auch erst mal “verschoben” ohne konkret zu planen, ob oder ob nicht ein weiteres Kind hinzukommen soll.
Aber wie es manchmal so ist – auch Dinge, die man nicht plant, holen einen irgendwann wieder ein. Und so kam es, dass ich Weihnachten 2016 auf meine Regelblutung wartete. Das Thema Verhütung war zu der Zeit einfach nicht klar geregelt und irgendwie auch nicht so im Fokus. Lustig, wenn man das so liest. Da denkt man, Menschen mit Ende 30 sollten es besser wissen, aber da wir ein weiteres Kind auch nicht gänzlich ausgeschlossen hatten, fehlte einfach der Plan. Es war unter uns ein unausgesprochenes Thema, zu dem noch eine Entscheidung offen war.
Ich googelte am 2. Weihnachtsabend (dann mit 37 1/2) tatsächlich zu “Wechseljahren” wegen der ausbleibenden Periode. Dass ich wirklich schwanger sein könnte, hielt ich für recht unwahrscheinlich. So als 3-fache Mutter hatte ich den Eindruck zu wissen, wann ich in etwa schwanger werden könnte oder in dem Fall werden konnte. Mein Mann musste am nächsten Tag ins Büro und brachte mir am Abend einfach mal einen Schwangerschaftstest mit. Da ich, wie gesagt, nicht damit rechnete, schwanger zu sein, habe ich diesen auch gleich – während die Kinder noch beim Abendbrot saßen – gemacht, und er war so was von deutlich positiv, dass ich mich erst mal setzen musste. Im ersten Moment habe ich mich noch nicht mal gefreut. Ich wusste nicht, ob ich noch mal mit dem Babykram von vorne anfangen wollte und ich brauchte in der Tat einige Tage, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.
Bis ins Gummibärchenstadium…
Im neuen Jahr haben wir uns mit dem ersten Frauenarzt-Termin bewusst Zeit gelassen – aber als wir das Baby dann in der 9. Woche im Ultraschall zum ersten Mal gesehen haben (mein Mann hatte mich wie bei den anderen Schwangerschaften natürlich wieder begleitet), waren wir sofort hin und weg und alle Zweifel waren wie weggeblasen. Es war natürlich Liebe. Genau wie bei allen Schwangerschaften zuvor. Ich fühlte mich auch recht sicher, da wir es zur Untersuchung schon bis ins “Gummibärchenstadium” der 9. Woche geschafft hatten. Das Herz schlug wie wild und die Größe des Babys passte genau zum Zyklus. Spätestens zu dem Zeitpunkt spürte ich eine ähnliche Sicherheit, wie schon in den drei vorangegangenen Schwangerschaften.
Genau 10 Tage später, am 24. Januar 2017, setzte beim Einkaufen im Supermarkt mit meiner Kleinsten eine Blutung ein. Es war später Nachmittag. Das Blut war hellrot. Ich konnte nicht einschätzen: ist es viel oder wenig? Ist helles Blut besser oder schlechter als dunkles? Ich lud meine Tochter bei Freunden ab, stopfte mir eine halbe Toillettenpapierrolle in die Unterhose und telefonierte mit einer Freundin, die Ärztin ist. Sie riet mir, sofort ins Krankenhaus zu fahren, um die Blutung überprüfen zu lassen. Noch hatte ich Hoffnung, dass es kein Abgang werden müsste. Dass die Blutung also eine andere Ursache hätte. Doch leider musste die Ärztin im Ultraschall feststellen, dass der Embryo sich bereits zurückgebildet hatte. Das Herz schlug nicht mehr – und auch die Form des Gummibärchens war nicht mehr zu erkennen.
Lähmung. Stillstand in meinem Kopf. Ich hatte meinen Mann zwar informiert, ihm gesagt, dass ich wegen einer Blutung ins Krankenhaus fahren würde. Aber so schnell hatte er nicht bei mir sein können. Ich war also ganz alleine mit der Ärztin, die mir zwar nette Worte “Tut mir leid…” entgegenbrachte, aber mich im nächsten Moment auch bereits für den nächsten Tag für eine Ausschabung einplante. Sie trichterte mir noch ein, dass die Blutung über Nacht nicht zu stark werden dürfte und entließ mich freundlich Richtung Krankenhaus-Ausgang.
Nicht ein Wort von ihr, welche Alternativen ich zu dem Zeitpunkt noch gehabt hätte. Mein Kopf leer. Meine Worte und alle Fragen einfach weg.
Und so brachte mich mein Mann – dem ebenfalls alle Worte fehlten – am nächsten Morgen wie bestellt zur Aufnahme der Frauenstation. Ich wurde kurz von einer Ärztin aufgeklärt, der ich noch mal eine kurze Untersuchung und Kontrolle abgerungen hatte. Dann sagte man mir, dass ich irgendwann in den OP-Plan des Tages „eingeschoben“ werden würde. Wann das genau sein würde, könne man mir noch nicht sagen. „Klar”, sagte ich mir, „mir kann ja auch keiner mehr helfen.“ Ist ja für das Krankenhaus an sich kein Unterschied, wann sie mich „ausräumen”. Was mit meinem ungeborenen Baby passieren würde, ob ich es wohl sehen könne – waren Fragen, die ich noch zu stellen wagte. Ich hatte ja einfach keine Ahnung und dachte ich könnte vielleicht “etwas” mit nach Hause nehmen. Im Garten vergraben. Macht man das nicht auch mit der Plazenta? Nein? Ich bis dato nicht! Aber mit dem Embryo vielleicht? Ich wusste es einfach nicht. Mir wurde “erklärt”, dass man zu dem Zeitpunkt gar nicht erkennen kann, was mütterliches und was kindliches Gewebe ist, und alles, was man ausschaben würde, würde zusammen mit anderen Gewebeteilen anderer Fehlgeburten, alle 3-4 Monate „beerdigt“, also vergraben. Ich könnte dann zu einem Gedenkgottesdienst gehen.
Wieviel Raum gebe ich diesem Erlebnis?
Ich war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht sicher, ob ich diese kleine Geburt, als “viertes Kind” ansehen, oder ob ich es lieber einer Fehlentwicklung der Natur zuschreiben wollte. Wieviel Raum würde ich dieser Fehlgeburt geben? Das kann man wahrscheinlich auch erst später für sich entscheiden und ich habe mich für die Natur entschieden. Ich spreche über diesen Embryo an sich nicht als “Sternenkind”, oder “unser Kind”, sondern habe es für mich anders abgelegt. Ich möchte diesen Verlust nicht ständig erklären müssen. Wir sind eine #familyof5 – zumindest noch.
Am meisten Angst hatte ich an diesem 25. Januar vor der Narkose. Ich hatte Angst, meine drei lebenden Kinder zu verlieren – nicht aufzuwachen. Ich kann nicht erklären warum, aber ich war ein Häufchen Elend und bekam sogar eine Beruhigungsspritze, die mich bereits vor der OP einschläferte. Ich hatte Angst. Und wollte ganz dringend nach Hause. Zu meinen Kindern. Ich war so unendlich dankbar, diese drei gesunden Kinder zu haben. Um einigermaßen tapfer zu bleiben, erzählte ich das auch jedem Arzt, Narkosearzt, Pflegekraft .. “…ich habe ein Baby verloren, aber Gott hat mir schon drei gesunde Kinder geschenkt und ich bin dankbar, diese nachher wieder im Arm zu haben.” Für mich im Nachhinein eine traumatische Erfahrung, dieses Krankenhaus-Szenario. Dieses Gefühl “ausgeliefert zu sein”. Im Normalfall darf man sich zu Hause einigeln, wenn es einem schlecht geht. Man muss nicht auf einem Flur warten und die mitleidigen Blicke und Worte fremder Menschen einstecken. Das Personal war ausnahmslos nett, aber ich wollte nicht dort sein. Ich wollte raus.
Und dann?
Mein Körper hat die Ausschabung “gut vertragen”. Ich mich körperlich recht schnell erholt. Zu Hause, im Kreise seiner Liebsten fühlte ich mich schnell wieder wie die Alte. Und dennoch war eine Frage weiter unbeantwortet: wollten wir weiterhin ein viertes Kind? Für mich war diese Frage viel schneller beantwortet als für meinen Mann, der mit Sicherheit Angst um die Gesundheit seiner Frau hatte. Er wusste nicht, ob er dieses Risiko “Schwangerschaft” noch einmal eingehen wollte. Bei mir aber war aus dem Fragezeichen ein dickes Ausrufezeichen geworden. Außerdem fühlte ich mich vom Schicksal durchaus verschaukelt. Da kam ein Baby zu uns, das wir erst gar nicht mehr (zumindest so richtig) auf dem Zettel hatten, und als ich mich gerade in dieses vierte Leben verliebt hatte, wurde es mir auch schon wieder genommen.
Nach ca. sechs Monaten war ich wieder geplant schwanger. Ich war gerade 38 Jahre alt geworden. Wieder ließen wir uns etwas Zeit mit dem ersten Arztbesuch. Ende der 7. Woche stand der erste Termin an. Ich war voller Hoffnung – schließlich hatte das Schicksal ja schon bei mir zugeschlagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jetzt gleich wieder passieren würde, hatte ich schon aus “Gerechtigkeitsgründen” quasi ausgeschlossen. Im Ultraschall sah man auch einen Embryo mit Herzaktivität. Nur die Größe passte nicht. Meine Ärztin meinte, dass ich eher Ende der 6. Woche wäre – und sich ja auch durchaus der Eisprung bzw. die Einnistung hatte verzögern können. Ich hatte auch dieses Mal keine Ahnung, was die Natur gemacht hatte, aber ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl. 10 Tage später sollte das zeitgerechte Wachstum überprüft werden. 10 Tage wiederum, in denen ich manchmal nur die Wand angestarrt habe. Ich war immer wieder zwischen Hoffnung und Resignation. Aber bei einer Sache war ich mich sicher: ins Krankenhaus, zu einer Ausschabung würde ich diesmal nicht gehen. Eine Freundin hatte Jahre zuvor eine kleine Geburt in Absprache mit ihrer Ärztin abgewartet – das wollte ich auch. Zumindest wenn medizinisch nichts dagegen sprechen würde.
Noch an der Anmeldung fing ich an zu weinen. Ich glaube, ich wusste, dass der Embryo es auch diesmal nicht geschafft hatte. Ich wollte es zwar nicht glauben, schließlich hatte ich alle üblichen Schwangerschaftsanzeichen wie Übelkeit und Brustspannen, aber ich konnte auch keine schlüssige Erklärung für die fehlende Größe ausmachen. Schließlich hatte ich mit der Basaltmethode, relativ zuverlässig, meinen Eisprung identifiziert.
Die beste Zeit ist eben vorbei
Bei der Untersuchung schaute ich nicht einmal auf den Ultraschall-Bildschirm, sondern ausschließlich in das Gesicht meines Mannes. Das sprach Bände. Außerdem sagte keiner einer Wort. Weder die Ärztin noch mein Mann, der daraufhin bald den Kopf schüttelte. Im ersten Moment sprang ich vom Untersuchungsstuhl und beschloss, dass es diesmal das letzte Mal gewesen sei. Dieses “Schwangerbleiben” erschien mir plötzlich als unmöglich. Frauen in meinem Alter haben eben die beste / fruchtbarste Zeit schon lange hinter sich gebracht.
Da ich eine leichte Blutgerinnungsstörung habe, fand mein Mann die Entscheidung auf den natürlichen Abgang zu warten, fernab von Ärzten und Krankenhaus, beunruhigend. Aber zusammen mit meiner Ärztin konnte ich ihn überzeugen, dass das diesmal der bessere Weg für mich war. Der Embryo war noch recht klein und wegen der Gerinnungsstörung hatte sie mir ein entsprechendes Präparat verschrieben, welches ich nehmen könnte, falls es zu stark blutet. Zumindest ihre Aussage.
In den folgenden drei Wochen wurde ich noch zwei mal untersucht, aber eine richtig starke Blutung kam erstmal nicht in Gang. Den Abgang hatte ich dann (für viele gruseligerweise) auf Reisen alleine mit meinen drei Kindern. Doch trotz dieser widrigen Umstände war die kleine Geburt für mich ein natürlicher Abschied. Die Zeit des Wartens – die vielen Fragen zum “warum erneute Fehlgeburt” – die Entschlossenheit “jetzt erst recht” in Bezug auf eine weitere erneute Schwangerschaft – das ist alles durch die Zeit, die mir die Natur gegeben hat, entstanden. Auch zu sehen, was der Körper in den Wochen der Frühschwangerschaft schon in mir gebildet, was er geleistet hat – welches Ausmaß einer Blutung nötig war um den wahrscheinlich ungesunden Embryo wieder loszuwerden, hat mich nochmal mehr Hochachtung vor unserem menschlichen Körper und unserer Fruchtbarkeit haben lassen.
Wenige Stunden
Den eigentlichen Abgang hat der Körper innerhalb von wenigen, etwa vier Stunden und aus eigener Kraft hinter sich gebracht. In meinem Fall hieß das, dass ich ganz kurzfristig vor der starken Blutung recht starke Regelschmerzen bekommen habe und dann in relativ kurzen Abständen viel Gewebe und Blut verloren habe. Für mich hat es diese Blutung dann aber auch letztlich begreifbar gemacht. Das Baby ist weg, die Schwangerschaft beendet. Der Embryo war nicht lebensfähig. Die Natur und damit auch mein Körper weiß ganz genau, was sie/er tut. Und ich habe es ihn allein schaffen lassen.
Jetzt, fast 11 Monate später, bin ich in der 27. SSW schwanger – es wird wieder ein Mädchen. Angst habe ich immer noch. Aber ich habe auch das Vertrauen, dass mein Körper gesunde Kinder zur Welt bringen kann. Vertrauen, dass sich Leben letztlich durchsetzt.
Sabine ist bei Instagram unter maedchenhoch3 unterwegs. Sie beantwortet dort sogar Fragen, falls ihr welche habt!