Constanze von Kitzing über Kinderbücher, Toleranz und eine bessere Welt

Wir lieben hier ja alle die wunderbaren Kinderbücher von Constanze von Kitzing – weil sie Diversität abbilden, ohne dabei plump zu sein, weil es immer einen Twist gibt, den man so nicht erwartet, und weil sie einfach so, so liebevoll gestaltet sind. Uns hat brennend interessiert, was Constanze geprägt hat, wie sie anti-rassistische Erziehung sieht und welche Rolle ihrer Meinung nach Kinderbücher dabei haben können. Das erzählt sie im Interview.

Constanze, mit welchen Kinderbüchern bist Du eigentlich aufgewachsen?

“Viele von Astrid Lindgren, Schweden pur! Es gab bei uns zuhause gar nicht mal so viele Bücher mit Kindern, die nicht weiß waren, obwohl meinen Eltern Weltoffenheit wichtig war. Meine Inspiration kommt von künstlerischen Bilderbüchern: Ich habe die im NordSüd-Verlag erschienen Bücher der Illustratorin Bernadette geliebt, und auch den tschechischen Illustrator Štěpán Zavřel fand ich toll.”

Inwieweit ist man denn auch als weltoffener Mensch nicht immun gegen Klischees?

“Die Bilder aus der eigenen Kindheit sind viel stärker in einem verhaftet, als man glaubt. Und in meiner Kindheit in Deutschland gab es eben nicht viele Menschen mit Migrationshintergrund. Man muss sich immer wieder hinterfragen. Vielfältige Begegnungen muss man aktiv verfolgen, und Diversität zu leben ist ein Prozess, der erfordert, über den eigenen Tellerrand zu schauen. In die Zone zu gehen, in der es auch mal unbequem wird.”

Wie wird man Kinderbuchautorin?

“Das werde ich oft gefragt und es ist kein sehr leichtes Brot. Pro Buch verdient man nicht besonders viel und es drängen sehr viele Bücher auf den Markt, die aber auch schnell wieder verschwinden. Auf die Verkäufe kann man sich nicht immer verlassen, oft bleibt es beim Vorschuss. Man muss es also wirklich, wirklich wollen. Bei mir war das sehr früh klar, ich habe schon als Kind stundenlang in meinem Zimmer vor mich hingemalt und Kassetten gehört und hatte nicht wirklich einen Plan B. Aber man muss sich schon zu hundert Prozent sicher und ein bisschen fanatisch dabei sein.”

Foto: Frederic Lezmi

Finden Deine Kinder und ihre Mitschüler es richtig spannend, dass Du Kinderbuchautorin bist?

“Für meine Kinder ist es ein totaler 08/15-Beruf, die fänden es spannender, wenn ich Busfahrerin wäre und sind viel interessierter, wenn sie hören, dass die Eltern eines Kindes Ärzte sind. Andere Kinder schon eher, die fragen dann so Dinge wie: ‘Du malst die ganze Zeit? Das ist ja toll’. Ich lese auch in den Klassen meiner Kinder aus der Erstlesereihe Leonie Looping von Cally Stronk und mir, und die Kinder nennen mich dann auch so, weil ich mich verkleide. Aber größtenteils sind Kinder sehr entspannt und finden das, was ich mache, total normal. Das ist ja das Schöne an Kindern: Dass sie eher darauf schauen: ‘Wie behandelst Du mich?’ und nicht darauf achten, was jemand macht oder darstellt.”

Können Kinderbücher die Welt verbessern? 

“Ich bin sehr davon überzeugt. Natürlich sind sie nur ein Teil dieser Veränderung, und um Kinderbücher zu kaufen, die eine offenere Welt propagieren, muss man auch schon eine solche Sicht auf die Welt haben. Aber sie sind ein wichtiger Teil und können viel bewirken. Mir ist wichtig, dass Kinder sich gesehen und angenommen fühlen. Ich glaube, so werden sie innerlich gestärkt. Früher dachte man, Kinder seien unfertige Erwachsene. Meine Sicht ist, dass sie von der ersten Sekunde an erfahren sollten, dass sie fertige Menschen sind, auch, wenn sie noch in der Entwicklung stecken. Das das aber an ihrem inneren Wert und ihrem Recht darauf, Gehör zu finden, ernst und wichtig genommen zu werden, nichts ändert.”

Aus dem Buch “Ich bin anders als Du”

Inwiefern ist Sichtbarkeit oder Repräsentanz auch bei Kinderbüchern wichtig?

“Früher habe ich das total unterschätzt und dachte, Kinder haben Phantasie und können sich in die unterschiedlichsten Protagonisten hineinversetzen. Aber dann habe ich Feedback bekommen, dass viele Kinder, die nicht der weißen Mehrheit entsprechen, sich in meinen Büchern gesehen haben und sich zuvor noch nie richtig in ihren Büchern widergespiegelt fühlten, und dass das für sie ein totaler Wow-Moment war. Ich glaube schon, dass es etwas mit Kindern macht, wenn sie sich mit einer Figur aus einem ihrer Bücher total identifizieren können. Aber gleichzeitig bin ich auch der Meinung, dass Figuren nicht aus einer falsch verstandenen Quotenmentalität heraus schwarz, asiatisch oder im Rollstuhl sitzend sein sollten. Wenn es sich künstlich und angestrengt oder Alibi-mäßig anfühlt, kann es auch nach hinten losgehen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.”

In Deinen Büchern ist Diversität eher beiläufig, das gefällt uns besonders gut – ist das eine bewusste Entscheidung?

“Für mich war das Thema Vielfalt schon immer normal. Ich wurde  dazu erzogen, weltoffen zu sein und meine Eltern haben mir das Bewusstsein vermittelt, dass Menschen Unterschiede, aber den gleichen Wert haben. Von daher war das in meinen Büchern gar keine bewusste Entscheidung, aber von außen wurde es thematisiert und ich merkte so, dass es anscheinend echt die Ausnahme ist. Meine Lektorin im Carlsen-Verlag kam auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht ein Buch zum Thema Toleranz machen könnte, so entstand dann auch ‘Ich bin anders als Du‘. Das war eine echte Bereicherung und ein schönes Beispiel für gute Zusammenarbeit.”

Findest Du die Debatte um anti-rassistische Kinderbücher wichtig und hat sie sich auf Deine Arbeit ausgewirkt?

“Tatsächlich ist ‘Ich bin anders als Du’ jetzt in der dritten Auflage und war mehrmals ausverkauft, und ich finde es sehr schön, dass durch diese Debatte das Thema viel bewusster in allen Köpfen angekommen ist. Denn es funktioniert nur, wenn wirklich jede*r proaktiv Position bezieht und bewusst überlegt, was man an die Kinder weitergeben will. Ich habe durch meine Arbeit auch viele Menschen kennengelernt, die gegen Rassismus kämpfen und unglaublich engagiert sind. Das sind wertvolle Begegnungen und eine tiefe Verbundenheit. Es gibt eine große Bewegung und es ist jetzt wichtig, dass sie weiter wächst.”

Aus dem Buch: “Unsere große bunte Welt”

Ist Dir in Deiner Erziehung Anti-Rassismus wichtig?

“Mein Mann hat iranische Wurzeln, wir sind also eine interkulturelle Familie und durch diese Art zu leben wird man viele Vorurteile ganz automatisch los. Aber keiner ist frei von Vorurteilen. Ich versuche, darauf zu reagieren, wenn ich sehe, dass meine Kinder etwas wiedergeben, das problematisch ist. Aber bislang war das nur selten der Fall. Kürzlich gab es einen Vorfall in der Kita. Ein Kind behauptete, Corona käme von Menschen mit dunkler Hautfarbe. Darüber haben die Erzieher dann einen ganzen Tag mit den Kindern gesprochen und ihnen wissenschaftliche Erklärungen geliefert, um diesen rassistischen Irrglauben zu entkräften. Für mich war es das erste Mal, dass ich wirklich dachte: ‘Hilfe, was ist das?’ und meine Kinder gleich besorgt gefragt habe, woher sie glauben, dass Corona kommt. Ich war dann sehr erleichtert, als mein Sohn von Fledermäusen erzählte! Es gibt aber auch Stellen, an denen ich rassistische Klischees wahrnehme, sie aber nicht anspreche – wenn im Schulbuch der Dieb einen ‘dunklen Bart’ hat, dann nehme ich das nicht auseinander, obwohl ich diese Formulierung schwierig finde. Es ist eine Gratwanderung zwischen Bewusstsein schaffen und gleichzeitig den Fokus nicht zu sehr auf die Wahrnehmung von Hautfarbe zu legen. Was mir aber besonders weh tut, ist, zu sehen, wie sehr diese rassistischen Haltungen gelernt sind – wenn man Kinder dabei beobachtet, wie unvoreingenommen sie miteinander sind und dann sieht, in was für einer Schieflage unsere Welt ist, kann einen das sehr nachdenklich machen.”

Achtest Du bei Büchern und Spielzeug auch auf Diversität?

“Wir haben nur eine Puppe, die ich schon als Kind hatte, und die hat hellrote Haare. Ich habe überlegt, eine schwarze Puppe zu kaufen, aber eigentlich sind meine Kinder aus dem Puppenalter heraus. Bei Büchern ist es nicht so einfach, denn nicht alle Bücher, die Diversität abbilden, sind auch gut. Meine Kinder haben “Akissi” geliebt und sich total mit ihr und ihren Geschichten identifiziert. Mannheim, wo wir leben, ist sehr divers, und da die Stadt kleiner ist als Köln, wo wir zuvor gelebt haben, durchmischen sich hier verschiedene Lebenswelten auch eher. Es gibt einen sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, viele, die hier aufgewachsen und verwurzelt sind. Und hier gibt es echte Schulbindung, man besucht die Schule um die Ecke und nicht irgendeine besonders gut angesehene, wie in vielen anderen Städten in bestimmten Kreisen üblich. In unserer Nähe ist ein großes Hochhauseinzugsgebiet, und meine Kinder sind mit Mitschüler*innen konfrontiert, deren Lebensrealität viel härter ist als ihre. Dann fühlt man sich auf einmal spießig, seine Kinder vor so einer Lebensrealität bewahren zu wollen. Aber natürlich will man sie schützen. Ich finde es daher auch völlig inakzeptabel, wie wenig soziale Probleme wie Kinderarmut in einem Land wie Deutschland, in dem man sich ständig über die sinkende Zahl von Kindern beschwert, aufgefangen werden. Das ist auch ein großes strukturelles Problem und eines, das viel zu oft ausgeblendet wird.”

Aus dem Buch “Ich bin anders als Du”

Inwiefern erlebst Du durch Deine Ehe Alltagsrassismus?

“Mein Mann ist ziemlich deutsch und war selbst noch nie im Iran. Dazu kommt, dass er ein sehr ruhiger Typ ist und vieles gar nicht als Rassismus wahrnimmt, das ich schon als solchen empfinde. Aber das Thema ist durch ihn und meine Kinder natürlich viel greifbarer. Wir leben in einem sehr toleranten Umfeld, deswegen kommt es kaum zu Erlebnissen mit Alltagsrassismus. Als wir unser Haus kauften, wurde ich sofort zurückgerufen, davor hatte mein Mann zwei Nachrichten hinterlassen und nicht von den Maklern zurückgehört. War es Rassismus? Vielleicht. Was ich wichtig finde: Sich klar machen, wie privilegiert man ist, wie vieles man als normal empfindet, das in Wirklichkeit pures Glück ist, für das man selbst keinen Finger krumm machen musste. Das ist mir sehr bewusst geworden, als ich nach dem Abitur in Südafrika unterwegs war und gesehen habe, dass mein vermeintlich normales Leben eines mit vielen Vorteilen und offenen Türen ist.”

Danke, Constanze!

Einige von Constanzes Büchern könnt ihr hier bestellen:

“Ich bin anders als Du” 

“Unsere große bunte Welt”