Diverse Bücher kaufen ist nicht genug!

...aber ein Anfang. Ich glaube, viele (weiße) Eltern haben sich in den letzten Wochen dabei ertappt, wie ignorant sie bisher gegenüber Hautfarben waren. Und erkannt, dass das nichts Gutes ist. Denn so zu tun, als seien wir alle gleich und würden vor allem gleich behandelt werden, bedeutet auch, Rassismus zu ignorieren, ihn vielleicht sogar zu negieren. Dabei wollen wir doch alle tolerant und vorurteilsfrei, sowie emphatisch durchs Leben gehen. Und unsere Kinder auch genau so erziehen. Ein erster Impuls ist da, das Kinderzimmer diverser zu gestalten. Himmel, wir haben ja nur weiße Puppen! Nur Bücher mit weißen Kindern! Die gute Nachricht: ein paar tolle Bücher gibt es. Die schlechte: es sind viel zu wenige und einige reproduzieren auch Klischees. Eine weitere schlechte Nachricht: Wer seine Kinder wirklich so erziehen will, dass sie Rassismus erkennen und sich auch für Minderheiten einsetzen, muss mehr machen, als nur Bücher lesen. Aber die gute Nachricht wiederum ist: es ist ein Anfang! Eine perfekte Quelle für schöne Dinge, die die Vielfalt feiern, ist Tebalou. Alle meine Freunde of Colour empfehlen diesen Shop und es ist mir ehrlich sehr peinlich, dass ich ihn bis vor Kurzem nicht kannte. Höchste Zeit, die Gründerinnen von Tebalou, Tebbi Nimindé-Dundadengar und Olaolu Fajembola, um Rat zu fragen. Die beiden haben uns einen Gastbeitrag zum Thema "Wie sollen wir mit Kindern über Rassismus sprechen" geschrieben. Bühne frei:

Am 25. Mai 2020 wurde der Afro-Amerikaner George Floyd vor laufender Kamera durch einen Polizisten brutal getötet. Dieser Vorfall hat in den USA zu landesweiten Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus geführt. Weltweite Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen haben auch in Deutschland die Diskussion um Rassismus aufkommen lassen. Für viele Eltern stellt sich die Frage, ob sie mit Ihren Kindern über Rassismus sprechen sollen. Wie sollen wir Kindern diese brutale Wirklichkeit erklären?

Als Schwarze Mütter mit Kindern, die selbst schon Rassismuserfahrungen gemacht haben, stellt sich für uns diese Frage nicht . Rassismus ist Teil unseres Lebens. Schon immer gewesen und lässt sich nicht ausblenden. Wir haben unsere Kinder getröstet, wenn sie nicht mitspielen durften, weil sie „Afrikaner*innen“ sind oder ihre Tränen getrocknet, wenn ihnen gesagt wurde, dass ihre Haut wie „Kacka“ aussieht.

Es stellt sich also nicht die Frage nach dem OB, sondern nach dem WIE in Familien über Rassismus gesprochen werden kann. Dabei gilt das für alle Familien, ob mit oder ohne Rassismuserfahrungen. Uns alle eint der Wunsch nach einer Welt ohne Rassismus. Nicht selten möchten Menschen mit dem Kauf einiger Bücher hier und dem lesen einiger Artikel da, sich dieser komplexen Thematik proaktiv widmen. Verunsicherte Eltern möchten im Wunsch ihre Kinder anti-rassistisch zu erziehen, Anleitungen zu den „richtigen“ Büchern und Spielsachen erhalten. Aber so einfach ist das nicht.

Weil es sich bei Rassismus um ein komplexes und historisch gewachsenes System handelt, gibt es nicht die einfache, schnelle Lösung. Es bedarf des (lebenslangen) Lernens, der Selbstreflexion, des Übens und Zuhörens. Wir erwarten schließlich auch nicht, dass in einem Unternehmen mit sexistischen Strukturen durch einen einzigen Workshop plötzlich Frauen in den Chefetagen sitzen und ohne eine Vielzahl von Maßnahmen Gleichberechtigung herrscht. Seit Jahrzehnten erleben wir, dass es sich anders verhält.

Niemand erzieht sein Kind bewusst und willentlich dazu, rassistische Äußerungen zu machen und wir wünschen uns alle, dass kein Kind Rassismus-Erfahrungen machen muss. Nur: wie erziehen wir insbesondere weiße Kinder dazu, nicht rassistisch zu werden, Empathie zu Kindern of Color zu entwickeln und ihnen bewusst den Raum zu geben, der ihnen, allen Kindern, zusteht?

Bilde Dich weiter!

Wie in allen Erziehungsfragen beginnt die Arbeit bei uns selbst, den Eltern. Wie können wir unseren Kindern etwas beibringen, von dem wir selbst nicht wirklich viel wissen. Eine grundsätzliche Worterklärung, wer ist von Rassismus betroffen – und wer nicht? An dieser Frage scheitern schon die meisten Eltern. Wie ist Rassismus denn eigentlich entstanden? Welche Funktion hat er? Wie hängt er mit dem Deutschen Kolonialismus zusammen und wie wirkt Rassismus bis heute in alle Lebensbereiche hinein? Dies sind komplexe Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzten sollten, wenn wir über Rassismus sprechen wollen. 

Wo stehen wir selbst innerhalb des Systems?

Wie wir mit unseren Kindern über Rassismus sprechen, hängt auch stark davon ab, wo wir und unsere Kinder in diesem rassistischen System verortet sind. Sind wir als Familie oder einzelne Familienmitglieder von Rassismus betroffen? Oder profitieren wir, wenn auch nicht bewusst gewählt, in diesem System, weil wir keine Rassismuserfahrungen machen müssen? Dies sind Überlegungen, die sich auch zusammen mit etwas größeren Kindern anstellen lassen. Wir sollten die Privilegien, die wir genießen, kennen und benennen können. Kinder lernen, wieso unsere Gesellschaft so strukturiert ist, wie sie ist und können neue, andere auf Empathie basierenden Umgangsarten entwickeln.

Wie sieht unsere Umwelt aus?

Mit Kindern lassen sich gut Beobachtungen anstellen. Wer unterrichtet in der Schule und wer putzt die Schule. Wer wohnt im schicken Vorort und wer in der Hochhaussiedlung? Warum ist das so? Diese Beobachtungen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen können Kindern helfen, später soziale Ungerechtigkeiten besser zu erkennen und im Idealfall auch anzuprangern.

Wie sieht euer Umfeld aus?

Habt ihr oder eure Kinder Freunde, Bekannte oder Verwandte, die von Rassismus betroffen sind? Wisst ihr, welche Erfahrungen diese machen? Hört ihr ihnen zu bzw. trauen sie sich, zu erzählen? Falls ja bekommt ihr hier konkretes Wissen, welches sich auch gut mit Kindern teilen lässt. Falls nein, lohnt es sich zu hinterfragen, wieso das so ist.

Wie sieht euer Kinderzimmer aus?

Habt ihr Kinderbücher, in denen Schwarze Menschen und PoC vorkommen? Nehmen diese auch mal die Hauptrolle ein und sind positives Vorbild? Wenn Eure Kinder weiß sind, wird ihnen vermittelt, dass sie die Norm sind oder ist in ihrer Spielwelt Platz für alle Kinder? Wenn Eure Kinder nicht weiß sind, haben sie positive Identifikationsmöglichkeiten?
Wir möchten Euch ans Herz legen, das Thema Vielfalt als freudiges Thema in euren Alltag einfließen zu lassen. Wenn Kinder Vielfalt als Normalität erleben, ist der Weg für eine rassismuskritische Erziehung schon einmal geebnet. Habt keine Angst vor dem Thema. Auch wenn ihr noch nicht alles wisst, könnt ihr gemeinsam Beobachtungen anstellen, Fragen stellen und auch gemeinsam nach Lösungen suchen.

Die folgende Liste enthält eine Auswahl von Kinderbüchern, die die Diversität feiert und diese unaufgeregt und normalisiert präsentieren. Sei es, indem sie Ähnlichkeit und Unterschiede zwischen Kindern nicht entlang voraussehbarer Kriterien herausarbeitet, sondern immer neue Wendungen nimmt. Oder indem lebensweltliche Vielfalt eine Selbstverständlichkeit darstellt, die nicht explizit erwähnt werden muss, da sie für die dazugehörigen Kinder keine Rolle spielt. Kurz: jedes dieser Bücher lädt Kinder dazu ein, in Phantasiewelten abzutauchen und die Welt aus den Perspektiven unterschiedlicher Kinder zu erleben.

Danke, Olaolu und Tebbi!!! 

Und hier kommen die Bücher:

Für Kleinere:

Ich bin anders als du – ich bin wie du

Ein sehr intelligentes Wendebuch, in dem es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede geht. Immer wird mit Erwartungen und vorschnellen Zuschreibungen gespielt – die dann widerlegt werden!

Morgens bei uns

Kinder lieben Alltagsgeschichten, dieses handelt von einem ganz normalen, hektischen Morgen bei einem Mädchen. Sehr schön illustriert und perfekt auch schon für die ganz Kleinen geeignet.

Unsere große bunte Welt – ein Pappbilderbuch

Ebenfalls schon für ganz Kleine geeignet: dies ist ein typisches “Erklär-Buch”, nur sind eben nicht alle Menschen weiß.

Kalle und Elsa

Hier gibt es gleich mehrere Teile: Kalle und Elsa erleben viele aufregende Abenteuer!

Julian ist eine Meerjungfrau

Dieses Buch lieben auch größere Kids noch sehr: Julian will eine Meerjungfrau sein. Sehr schön illustriert und eine absolute Ausnahme im Kinderbuch-Genre: so viel Vielfalt darf selten sein.

Für Größere (etwa ab vier Jahren)

Odo

Eine wunderschöne Geschichte über ein Mädchen in Ghana, das sich eine Puppe wünscht. Und viel Kreativität und Dankbarkeit an den Tag legt, um diese zu bekommen.

Ich bin Yola. Wer bist du?: Meine Freunde aus der ganzen Welt

Ein Buch über Vielfalt: Yolas Familie kommt aus Griechenland, Selma hat türkische Wurzeln und Tayo stammt aus Nigeria. Alle drei sind in Deutschland zu Hause, gehen zusammen in eine Kitagruppe und sind richtig dicke Freunde.

Nelly und die Berlinchen

Gereimte, großartig illustrierte Geschichten über Nelly und ihre kleine Gang. Für Kleine und Große geeignet. Und für Berliner Kinder ganz besonders toll: denn sie erkennen mitunter die Orte!

Wie ist es, wenn man anders ist

Hier geht es mit Hilfe konkreter Beispiele darum, warum Vorurteile die Gesellschaft spalten. Und wie sich schon Kinder gegen Ungerechtigkeiten wehren können!

Little People, Big Dreams: Rosa Parks

Little People, Big Dreams ist einfach eine wahnsinnig wunderbare Serie. Und bei Rosa Parks werden natürlich ganz direkt, und dennoch kindgerecht, Rassismus, Sklaverei und Ungerechtigkeit angesprochen. Die Größeren können sich im hinteren Teil des Buchs noch über die echte Rosa Parks informieren.

Trau dich, sag was

Hier geht es noch mal klarer um das Ansprechen: »Wenn du siehst, dass jemandem weh getan wird, sei mutig und sag was!« Es wird klar, wie wichtig es ist, sich einzumischen und dass jede Stimme zählt, wenn man etwas verändern will.

Für selbst lesende Kinder:

Ich so, du so

Ein Buch für größere Kids voll mit Bildern, Comics, Fotos, lustigen und nachdenklichen Texten und Geschichten. Es geht um all die Unterschiede, die uns vereinen. Diversität as its best!

Akissi

Ein Comic über Akissi, die in der ivorischen Stadt Abidjan lebt und Unglaubliches erlebt. Perfekt für alle Comic-Fans!

100 Kinder

Ein Sachbuch über den Alltag von 100 Kindern, die überall auf der Erde leben. Auf verschiedenen Kontinenten, in unterschiedlichen Religionen, Ländern und Kulturen.

Mama Superstar

Hier sind elf Porträts über bedingungslose Liebe und kulturelle Vielfalt vereint worden. Ehrlich und bewegend!!

Wie siehst du denn aus?

Für alle größeren Kids, die nicht sicher sind, ob bei ihnen “alles normal” ist. Hier darf man gucken! Und es werden Körperteile in all ihrer Unvollkommenheit und Liebenswürdigkeit gezeigt. Außerdem werden Schönheitsideale hinterfragt.

… und natürlich sind auch die Good Night Stories für Rebel Girls und Boys sehr vielfältig aufgestellt! Schön sind übrigens zusätzlich die Hautfarben-Stifte. Deutschland ist bunt! Und, eh klar: ein Blick in die Spielzeug-Auswahl bei Tebalou lohnt sich immer.

Und für die Eltern: exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen von Tupoka Ogette wirkt bei vielen wie ein Augenöffner, und führt zum Auszug aus Happyland. Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten von Alice Hasters ist ebenfalls ein gutes Buch für alle, die sich ernsthaft mit Rassismus auseinander setzen wollen. Weitere Bücher, Dokus und andere Quellen hat Fabienne hier zusammengefasst. Was wir auch toll finden: Wer sich selbst überprüfen will in Sachen Vorurteile, kann auch mal einen oder mehrere Unconscious Bias Tests machen. Dieser Prozess ist möglicherweise unangenehm. Aber er lohnt sich!