Vom Regen in die Traufe? Alltagsrassismus in Deutschland und den USA

Als deutsch-amerikanische Mama zweier Kinder mit afroamerikanischen Wurzeln frage ich mich regelmäßig, in welchem Land – Deutschland oder USA - ich meine Kinder am sichersten aufwachsen lassen kann. Deutschland ist meine Heimat, Amerika seit Jahren mein zu Hause. Rassismus gibt es überall, er manifestiert sich jedoch von Land zu Land unterschiedlich. Bisher lebte meine Familie in New York und Kalifornien, und das durchaus angenehm. Dennoch denke ich immer wieder an eine eventuelle Rückkehr in meine Heimat. Doch wie sieht das aus mit Alltagsrassismen in Deutschland? Muss ich in meiner alten Heimat wirklich weniger Angst um meine Familie haben? Oder kommen wir mit so einem Umzug wohlmöglich vom Regen in die Traufe?

Die tägliche Angst

“Hast Du keine Angst um deinen Mann und deine Kinder?” und “Warum zieht Ihr nicht nach Deutschland zurück?” Diese Fragen von besorgten Familienmitgliedern und Freunden haben mich in den letzten Jahren in den USA oft erreicht. Und ich stelle sie mir ungelogen jeden Tag selbst. Wenn es mal wieder ein Massen-Shooting gibt, grübele ich doch sehr, was wir uns im Land der unbegrenzten Möglichkeiten eigentlich vormachen. Aber besonders hinterfrage ich unsere Entscheidung zum Leben in den USA an unzähligen anderen Tagen, die nicht zwingend internationale Aufmerksamkeit erwecken. Das sind die Tage, an denen schon wieder ein dunkelhäutiger Mann von einem Polizisten erschossen wird, oder ein dunkelhäutiger Junge vom Kiosk nicht lebendig zurückkommt, oder ein dunkelhäutiges Mädchen brutal von Sicherheitsbeamten behandelt wird. Das könnten mein Mann und meine Kinder sein! Ja, besonders an diesen Tagen frage ich mich, warum wir denn nicht einfach gehen, zurück nach Deutschland. Aber so einfach ist das auch wieder nicht. Abgesehen von dem logistischen Aufwand – neue Jobs, neue Schulen, neue Wohnung, einfach alles neu – und der emotionalen Bindung, die wir doch auch zu unserer Wahlheimat aufgebaut haben, bin ich mir oft nicht sicher, ob unsere Erfahrungen in Deutschland so viel besser wären, als die in den USA.

Unsere kleine, heile Welt

Auf den ersten Blick sieht es in unserer kleinen Welt eigentlich ganz rosig aus. Unsere Jahre in New York und Kalifornien sind geprägt von Freundschaften mit Menschen aus aller Welt. Meine Tochter besuchte eine schwedische Kita an der Ostküste und geht jetzt zu einer bilingualen Grundschule, an der Kinder aller möglichen Nationalitäten vertreten sind. Unsere Nachbarschaft ist recht progressiv und somit sieht man häufig Schilder, die “Black Lives Matter” und “Refugees Welcome” propagieren. Diese Diversität muss man in Deutschland erstmal finden, sage ich mir oft.

Dennoch sitzt Rassismus tief in den USA, ist integriert in jeder Struktur. Man muss sich nur mal die Demographie der Insassen amerikanischer Gefängnisse ansehen, welche übrigens ein Millionen-Geschäft sind. Wenn man als Person mit dunklerer Haut unterwegs ist, stehen die Chancen statistisch gesehen einfach nicht gut in punkto Sicherheit. Im Straßenverkehr ist man der Polizei ausgeliefert. In Vorgärten werden Wasserpistolen unter Umständen mit gefährlichen Schusswaffen verwechselt. Nachbarn fühlen sich von Kindern auf dem Weg zum Kiosk bedroht. Und diese Fälle häufen sich. Studien haben auch gezeigt, dass afroamerikanische Kinder für älter und weniger unschuldig gehalten werden; dies hat mitunter fatale Auswirkungen (hier und hier). Wie wächst man denn in so einem Umfeld als Kind einer deutschen Mutter und eines afro-amerikanischen Vaters auf? Viele Jugendstreiche werden sich meine Kinder einfach nicht erlauben können – aufgrund ihrer Hautfarbe. Noch sind sie jung und ich halte gravierende Nachrichten von ihnen fern. Doch wie erkläre ich ihnen eines Tages, dass die Polizei nicht ihr Freund und Helfer ist, wie es mir in meiner Kindheit so beruhigend eingebläut wurde?

Aber Deutschland?

Deutschland ist allerdings auch kein unschuldiges Pflaster für alle nicht-Weißen. Und hinzu kommt, dass meine Kinder trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit in ihrer Identität oft hinterfragt werden würden. Ironischerweise sind es in meinem Umfeld meistens die weißen Deutschen, die behaupten, für Menschen anderer Herkunft gäbe es in Deutschland doch keinerlei Probleme. Ich empfehle an dieser Stelle gerne das Buch “Deutschland Schwarz Weiß” von Noah Sow. “Wo kommst Du her?” – “Nein, wo kommst Du wirklich her?” sind Fragen, mit denen nicht-weiße Deutsche immer wieder konfrontiert werden. Diese sind vorderrangig nicht böswillig gemeint, aber suggerieren doch wie exklusiv Deutschsein ist.

Wie oft musste ich mir schon anhören musste, meist im Kontext von Kinderreimen oder beliebten Schokosüßigkeiten, dass das doch nicht böse gemeint sei. Sowas sei halt Tradition. In solchen Situationen versuche ich ruhig zu bleiben und zu erklären, dass es vielleicht erstmal gar nicht darum geht, wie was gemeint ist, sondern dass man sich fragen sollte, wie etwas aufgenommen wird. Und wenn eine Tradition, ein Wort oder ein Lied als diskriminierend empfangen wird, dann sollte man doch ohne Probleme von jener Tradition Abstand nehmen können und nicht von seinem Gegenüber verlangen, weniger empfindlich zu sein, nicht wahr? Ich finde solche Debatten sehr ermüdend. Ähnlich verhält sich die Diskussion um die Überholung der Sprache in deutschen Kinderbüchern. Warum das überhaupt zur Debatte steht, zeigt mir, wie wenig es viele Menschen gelernt haben, ihre eigene Perspektive und Subjektivität zu hinterfragen.

Wie integriert Rassismus in der deutschen Struktur ist, darüber lässt sich streiten (Marie hat sich schon einmal mit dem Thema auseinandergesetzt). Was mich hier mehr besorgt, sind die Alltagsrassismen. Von gut gemeinten Fragen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen – die Message ist dieselbe: Du bist anders, Du gehörst hier nicht hin. Klar, diese Art von Rassismus tötet nicht, ganz platt gesagt, aber wie wirkt sie sich auf heranwachsende Kinder aus? Ich möchte vermeiden, dass meine Kinder als exotisch betrachtet werden und sich als anders wahrnehmen. Und ich finde auch, dass es an der Zeit ist, dass wir unsere eigene, weiße Perspektive kritisch durchleuchten und uns unseren eigenen Vorurteilen stellen. Denn wenn wir als Eltern nicht dazu bereit sind, können wir auch von unseren Kindern nicht mehr erwarten. Und hiermit meine ich nicht, dass wir die “postracial” Message “Alle Menschen sind gleich” propagieren sollen, denn in der Realität werden eben nicht alle Menschen gleich behandelt. Es ist viel mehr ausschlaggebend, unseren Kindern alle Fragen offen zu beantworten und ihnen das richtige Vokabular mit auf den Weg zu geben, damit sie nicht nur ihre Umwelt besser verstehen, sondern lernen, sich mit Themen wie Vorurteile und Diskriminierung auseinanderzusetzen. Denn das Vakuum, das entsteht, wenn diese Themen zu Hause nicht diskutiert werden, füllen sie ansonsten mit Informationen und Werten aus ihrer Umwelt. Und zu unserer heutigen Zeit, finde ich das sehr beängstigend.

Zurück zur Heilen-Welt-Blase

Auf einer akademischen Konferenz fragte ich kürzlich eine Schwarze deutsche Frau, die ich seit Jahren kenne, zu ihrer Meinung – Deutschland oder USA. Ihre Antwort: Der beste Ort für meine Kinder sei der, an dem ich bereit bin, für sie zu kämpfen. Diese Antwort hilft mir nicht weiter, was meine Wahl zwischen Deutschland und den USA betrifft. Darüberhinaus ist es beängstigend, dass es wohl wahrscheinlich wirklich in unserer jetzigen Welt keinen Platz gibt, an dem sich Menschen mit dunkler Haut so sicher fühlen können wie ihre weißen Mitmenschen. Und dennoch finde ich die Antwort auf eine Art sehr beruhigend. Denn sie bedeutet, dass ich als Mutter doch einen gewissen Einfluss haben kann. Zwar ist das mit mehr Arbeit und Sorgen verbunden, aber so lange ich es schaffe, eine sichere “Blase” zu kreieren, so wie es mir bisher all die Jahre gelungen ist. Und vielleicht ist gerade dieser Prozess ausschlaggebend. Vielleicht geht es nicht um das Wo, sondern um das Wie.

 

Foto: Aus unserem Porträt mit Felicitas.