Mütterpflegerin Anna: “Keine Frau muss allein durch die Zeit des Wochenbetts”

Als ich 2015 und 2016 mit meinen Kindern schwanger war, hatte ich noch nie etwas von so genannten „Mütterpflegerinnen“ gehört. Dabei hätte ich sie damals gut gebrauchen können. Nach Kind 1, einer Kaiserschnittgeburt, kämpfte ich einige Zeit lang gegen den Baby-Blues. Nach Kind 2, das nur 18 Monate später kam, mit temporärer Überforderung. Im Geburtsvorbereitungskurs hatte man uns lediglich erzählt, dass man bei der Krankenkasse in der Zeit des Wochenbetts eine Haushalthilfe beantragen könne und dass dieses Prozedere aber recht aufwendig sei. Doch jemanden, der bei mir durchwischt, hätte ich damals nicht gebraucht. Mir hätte eher mentaler Support geholfen, eine Schulter-Nacken-Massage oder jemand, der mit dem Baby tagsüber mal eine Runde spazieren geht, damit ich in Ruhe duschen, essen oder schlafen kann.

Zum Glück war mein Partner die ersten Wochen nach der Geburt mit daheim und ich hatte zwei tolle Großmütter an der Seite, die mich sehr entlasteten. Außerdem hatte ich bei jedem Kind eine großartige Hebamme, die sich meinen Sorgen und Fragen immer geduldig annahm. Andere Frauen haben aber vielleicht nicht so ein Glück und nicht so ein Netzwerk und meinen, sich durch alles alleine durchkämpfen zu müssen. Dabei ist man in der Zeit des Wochenbetts so verletzlich, so sensibel und so angreifbar – und unbedingt auf Unterstützung angewiesen!!! Doch zum Glück gibt es Menschen wie Anna. Die 35-Jährige lebt in Leipzig und hat dort 2017 ein Netzwerk an Mütterpflegerinnen aufgebaut. Auch sie hatte bei ihrer ersten Schwangerschaft 2015 keine Ahnung, dass es Mütterpflegerinnen gibt. Im Interview erzählt die sympathische Zweifach-Mama, was „Mütterpflege“ konkret ist, wie sie selbst dazu gekommen ist und wie sie und ihre Kolleginnen die Mütter im Wochenbett individuell unterstützen. Außerdem erklärt Anna, ob und in welchem Umfang die Krankenkasse für die Mütterpflege aufkommt und was jede Frau bei der Beantragung beachten sollte. Wir wollen mit diesem Interview dazu beitragen, dass wirklich jede werdende oder frischgebackene Mama von der Mütterpflege erfährt – und sich nicht mehr allein und hilflos fühlen muss! (Im Titelbild zu sehen ist Annas Kollegin Anne, l., mit einer frischgebackenen Zwillingsmama)

Liebe Anna, du bist seit fünf Jahren in der Mütterpflege tätig und die Gründerin eines Netzwerks an Mütterpflegerinnen in Leipzig. Erzähl doch mal kurz, was du vorher gemacht hast und wie du dazu gekommen bist?
Ich komme eigentlich aus Sachsen-Anhalt, habe aber bis Ende 2017 elf Jahre lang in Berlin gelebt. Dort habe ich studiert – und zwar Regionalstudien Asien/Afrika und Kulturwissenschaft. Nach dem Studium hab ich in einer Agentur für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet und war in erster Linie für NGOs tätig. 2015 bekam ich mein erstes Kind und habe leider eine recht traumatische Geburt erleben müssen. Durch das Erleben dieser Geburt und der anschließenden Wochenbettzeit, habe ich mich beruflich komplett neu orientiert und bin Mütterpflegerin geworden.

Erklär das mal konkret bitte?
Die Geburt war echt heftig und ich hatte ganz viel Redebedarf. Dazu kam, dass unser Kind in den ersten Nächten ganz viel geweint hat – und ich hab dann ganz oft einfach mitgeweint. Ich wollte also ganz viel besprechen, aber meine damalige Hebamme hat das irgendwie nicht gesehen, verstanden und erspürt. Sie hat mich einfach nicht aufgefangen. Zum Glück war mein Mann in den ersten vier Wochen nach der Geburt komplett zu Hause und hat mich dadurch sehr unterstützt – seelisch und auch praktisch. Ich hab viel mit ihm geredet und dadurch auch verarbeitet und bin nur so ganz knapp an einer Wochenbettdepression vorbeigeschrammt. Im Laufe des ersten Babyjahres wuchs dann der Gedanke in mir, dass Frauen wie ich in den ersten Monaten nach der Geburt eine Begleiterin benötigen. Eine Art Freundin, der ich alles erzählen kann, die zuhört, die tröstet und mich bestärkt – und die auch zu Hause mal anpackt, wenn es nötig ist. Und die mir sagt: “Alles was du fühlst und denkst, selbst wenn es mal negativ ist, ist okay! Du machst das gut!” So etwas hat mir persönlich sehr gefehlt.

Das Problem ist, wir haben in Deutschland keine richtige Wochenbettkultur. Das Wochenbett wird in den Geburtsvorbereitungskursen behandelt, dennoch ist es im Allgemeinen nicht präsent genug. Deswegen fühlen sich viele Frauen nicht richtig vorbereitet auf das, was sie da erwarten kann. Und leider erfahren sie nicht immer vollumfänglich die Hilfe, die sie eigentlich nötig hätten. Dabei sind wir Frauen gerade in dieser Lebensphase sehr verletzlich und brauchen ein gut funktionierendes Netzwerk, das uns auffängt.

Dann habe ich etwas recherchiert und entdeckt, dass es den Beruf der Mütterpflegerin gibt und dass ich mich darin auch professionell weiterbilden kann. Nach meiner Elternzeit habe ich 2017 mit der einjährigen Ausbildung begonnen und habe dann auch recht schnell angefangen, in dem Bereich zu arbeiten. Zu der Zeit lebten wir noch in Berlin. Unterstützt wurde ich dabei von Mütterpflegerinnen, die schon länger dabei waren und die ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben. Das war wirklich toll.

Und wann hast du dann das Mütterpflege-Netzwerk in Leipzig gegründet?
Wir sind im Herbst 2017 nach Leipzig gezogen, vor allem, um wieder näher bei unseren Familien zu sein. Hier gab es noch keine Mütterpflegerin – also habe ich angefangen, aktiv um neue Kolleginnen zu werben, um ein Netzwerk zu etablieren.

Für alle, die noch nie etwas von der „Mütterpflege“ gehört haben: Was genau macht ihr?
Wir begleiten Frauen vor allem im Wochenbett – und ab und zu auch schon während der Schwangerschaft. Wenn nötig, unterstützen wir auch Frauen und deren Familien im Krankheitsfall, also wenn die Mutter beispielsweise an Krebs erkrankt. Die Mütter stehen bei uns klar im Fokus. Denn wir gehen davon aus: wenn es der Mutter gut geht, geht es meist auch der gesamten Familie gut. Unsere Hilfe reicht von praktischer Unterstützung, wie einkaufen, aufräumen, Wäsche waschen oder kochen, bis hin zu mentaler Begleitung und emotionaler Unterstützung. Dazu gehören auch Massagen, Atem- und Körperübungen, die entspannen und die Regeneration unterstützen. Ich mache zum Beispiel gern Fußreflexzonenmassagen, weil das den Müttern unglaublich gut tut… Wir begleiten die Frauen auch zu Terminen, wie zum Kinderarzt / zur Kinderärztin und zum Frauenarzt / zur Frauenärztin. Oder wir kümmern uns um die Geschwisterkinder. Und wir geben der Mutter natürlich eine Hilfestellung, wenn es ums Wickeln oder Baden des Kindes geht oder zeigen, wie ein Tragetuch gebunden wird. Und auch wenn es banal klingt, oft hören wir einfach nur zu und sind da – trösten, bestärken, fühlen mit und klären auf. Ganz wichtig ist uns: Wir begleiten die Mütter, geben kleine Impulse – aber wir stülpen ihnen keine Regeln oder Dogmen über. Denn am Ende kennt die Mutter ihr Kind und dessen Bedürfnisse doch selbst am besten! Daher bestärke ich auch jede Mutter darin, dass SIE die Expertin für ihr eigenes Kind ist und niemand anderes.

Das klingt alles nach einem Fulltime-Job – schon bei einer Mutter. Wie lange seid ihr denn im Schnitt pro Woche bei einer Familie?
Das kann ich nicht pauschal sagen. Das kommt immer auf die Bedürfnisse der Mutter an und was die Krankenkasse ihr für einen Umfang bewilligt hat. Denn die wenigsten Frauen bezahlen uns aus eigener Tasche.

Seid ihr im Schnitt eher bei Erstlingsmüttern?
Nein, nicht nur. Jedes Wochenbett hat seine Herausforderungen. Und wir sind auch viel bei Zwillingsmamas oder bei alleinerziehenden Müttern.

Wie grenzt ihr euch konkret von Hebammen ab?
Ich würde sagen, was die Gesundheit von Mutter und Kind betrifft, da sollte die Hebamme immer die erste Ansprechpartnerin sein. Das können wir nicht ersetzen. Hebammen haben eine medizinische Ausbildung, die haben wir nicht. Aber wir können die Hebammenarbeit sehr gut ergänzen, gerade was die emotionale Begleitung und die praktische Entlastung betrifft. In Leipzig sind wir in der sehr glücklichen Lage, dass die Hebammen, auch die Doulas und wir Mütterpflegerinnen gern zusammenarbeiten, ganz ohne Konkurrenzgedanken. Wir ziehen alle an einem Strang, damit die Mütter und deren Familien bestmöglich umsorgt werden. Leider ist das nicht überall der Fall.

Warum ist das so?
Wir wissen alle, wie sehr Hebammen darum kämpfen, dass ihr Beruf die richtige Anerkennung und Wertschätzung erhält – er ist superwichtig und auch essentiell für die Gesellschaft. Leider bekommen sie noch immer so wenig Geld für ihre Leistungen und sind zeitlich so eng getaktet, dass es unter diesen Bedingungen sehr frustrierend ist, die vielen Familien zu betreuen. Und dann sehen sie aber, wie immer mehr Angebote für Familien rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett hinzukommen. Ich kann mir schon vorstellen, dass dabei ein Gefühl von Ungerechtigkeit aufkommen kann. Aber der Fehler liegt im System und nicht bei uns Mütterpflegerinnen oder den Doulas.

Als ich 2015 und 2016 meine Kinder zur Welt gebracht habe, habe ich nie etwas von der Mütterpflege gehört. Seit wann gibt es dieses Berufsbild? Und woher kommt es?
Mir wurde damals in meinem Geburtsvorbereitungskurs so nebenbei erzählt, dass ich bei meiner Krankenkasse eine Haushalthilfe beantragen könne. Ich hab das zu der Zeit gar nicht so ernst genommen, weil ich niemanden gebraucht hätte, der mir die Wohnung durchsaugt oder die Wäsche macht. Dass sich dahinter aber auch noch viel mehr als eine reine Haushalthilfe verbirgt, das war mir zu dem Zeitpunkt absolut nicht bewusst. Und auch die Hebammen wussten es damals vermutlich nicht besser. Dazu kommt, dass der Beruf der Mütterpflegerinnen zu der Zeit wirklich noch wenig verbreitet war und sie daher auch nicht überall ihre Dienste anbieten konnten.
Bis in die 70er, 80er gab es den Beruf der Wochenpflegerin. Das war im Grunde die rechte Hand der Hebamme und in etwa vergleichbar mit einer Mütterpflegerin heute. Dieser Beruf wurde dann aber abgeschafft. Erst ab 1996 konnten sich Frauen zur Mütterpflegerin ausbilden lassen. Angelehnt hat sich dieses Berufsbild an die so genannte „Kraamverzorgster“. Das ist das niederländische Pendant zur Mütterpflegerin. Die Niederlande sind da ohnehin viel weiter als wir. Dort ist dieser Beruf staatlich voll anerkannt und JEDER Frau steht diese Unterstützung zu und wird staatlich finanziert. Ich hoffe, da kommen wir auch irgendwann einmal hin.

Ich hab den Eindruck, in den letzten zwei, drei Jahren hat euer Beruf sehr an Öffentlichkeit gewonnen und ihr seid deutlich sichtbarer geworden…
Ja, das nehme ich auch so wahr. In den konservativen und vor allem in den sozialen Medien tauchen wir heute öfter auf. Und unser Berufsbild gewinnt immer mehr an Beliebtheit. Es lassen sich auch immer mehr Frauen zur Mütterpflegerin ausbilden. Vor allem, nachdem sie selbst ein Kind bekommen haben und sich beruflich neu orientieren wollen.
Dennoch ist da noch viel zu tun. Der Beruf ist nach wie vor nicht staatlich anerkannt und ich kann dir auch gar nicht sagen, wie viele es von uns in Deutschland überhaupt derzeit gibt. Uns fehlen also die gemeinsame Lobby und auch das Netzwerk. Aber es ist im Entstehen, dauert jedoch seine Zeit.
Was uns helfen würde, wäre, wenn die Frauenärzt*innen ihre Patient*innen über ihr Recht auf Haushaltshilfe aufklären und sie dahingehend unterstützen. Toll wäre auch, wenn die Hebammen bereits während ihrer Ausbildung noch mehr über die Mütterpflege erfahren und aufgezeigt bekommen, wie eine gute Zusammenarbeit zum Wohle der Frau und ihrer Familie aussehen kann.
Aber grundsätzlich muss sich auch an der Einstellung in der Gesellschaft etwas ändern und das Bewusstsein aufkommen, dass eine Frau nach der Geburt eben nicht alles allein schaffen muss.

Um wie viele Mütter kümmert ihr euch in Leipzig in der Regel?
Das kann ich gerade schwer sagen, weil sich einige von uns Mütterpflegerinnen derzeit in Elternzeit befinden. Und einige stecken noch in der Ausbildung zur Mütterpflegerin und werden uns erst im Laufe des Jahres richtig unterstützen können. Wir wachsen also – und dennoch ist der Bedarf riesig. Daher freuen wir uns über jede weitere Mütterpflegerin, die zu uns stößt.
Was ich sagen kann ist, dass ich mich im Schnitt um drei Frauen parallel kümmere. Dann ist meine Woche aber auch gut gefüllt. Es kam aber auch schon vor, dass es zeitweise fünf Frauen waren, weil sich Betreuungszeiten überschnitten haben. Daher ist es von großem Vorteil, in einem Team zu arbeiten, das sich gegenseitig unterstützen kann. Der Fokus unserer Betreuung liegt auf den ersten sechs Wochen nach der Geburt und da kommen wir mehrfach die Woche zu den Frauen. Und oberste Priorität haben dabei Neugeborenen-Familien.

Mütterpflegerin Anna Pietsch aus Leipzig

Wie ist die Nachfrage nach euren Diensten?
Als ich Ende 2017 in Leipzig angefangen habe zu arbeiten, hatte ich mitunter sehr viele Durststrecken. Was sicher auch daran lag, dass viele Frauen gar nichts von uns wussten. Das war damals viel Pionierarbeit. Doch seit etwa zwei Jahren ist die Nachfrage konstant hoch, sodass wir manchmal drei Absagen pro Woche erteilen müssen. Das tut mir immer sehr leid, aber ich hoffe, mit den neuen Mütterpflegerinnen, die zu uns stoßen werden, entspannt sich das ein wenig.

Das klingt, als hätte Corona die Nachfrage nochmal erhöht…
Ganz zu Beginn der Pandemie war eher das Gegenteil der Fall. Da sind mir alle Einsätze weggebrochen, weil sich jeder erstmal abgeschottet hat. Da durfte allenfalls noch die Hebamme das Haus betreten. Da die Kitas zu waren, hätte ich aber ohnehin nur begrenzt arbeiten können, weil mein Mann weiter voll arbeiten war. Im Juni 2020 bin ich dann wieder eingestiegen und seither ist die Nachfrage konstant hoch. Wir spüren, dass viele Frauen unglaublichen Kontakt- und Redebedarf haben, nach den vielen Monaten der Isolation.

Wie sieht das Prozedere für einen Antrag auf Mütterpflege aus? Wie geht eine Frau bestenfalls vor, wenn sie euch engagieren möchte?
Es empfiehlt sich immer, schon sehr früh bei der Krankenkasse nachzufragen, ob einem die Haushalthilfe überhaupt zusteht. Wenn ja, sollten die Frauen gleich ein Formular zur Beantragung anfordern.

Die Kassen nennen das immer noch „Haushalthilfe“?
Ja, so wird es leider immer noch ausschließlich genannt, weil die Mütterpflege nach wie vor kein anerkannter Beruf ist. Aber es kann auch ausschließlich eine Haushalthilfe beauftragt werden, wenn sonst keine weitere Unterstützung benötigt wird. Wir helfen zwar auch im Haushalt aus, sind aber keine reine Putz- und Reinigungskraft. Unsere Dienste gehen weit darüber hinaus.

Okay, wenn der Antrag vorliegt – was macht die Frau dann?
Dann sollte sie sich mit uns in Verbindung setzen – möglichst schon während der Schwangerschaft – um zu schauen, ob wir überhaupt Kapazitäten frei hätten für die Wochenbettzeit. Und es ist immer ratsam, dass wir uns vorab gegenseitig persönlich kennenlernen, um zu sehen, ob die Chemie überhaupt stimmt. Den Antrag selbst darf die Mutter dann erst stellen, wenn das Kind bereits da ist. Vorher geht das leider nicht. Daher ist eine gute Vorbereitung viel wert. In dem Antrag muss sie Fragen beantworten, die dazu dienen, den Kassen einen Überblick über die Familiensituation zu verschaffen. Ganz wichtig: Wenn der Partner in Elternzeit ist, wird der Antrag in der Regel abgelehnt. Und auch die privaten Kassen unterstützen unsere Leistungen leider oft nicht.

Kann bzw. darf euch jede frischgebackene Mutter engagieren oder braucht es dafür bestimmte Voraussetzungen?
Im Grunde sollte es für jede Mutter selbstverständlich sein, uns zu engagieren. Aber noch ist es so, dass die Mutter ein ärztliches Attest benötigt, welches die Notwendigkeit einer Hilfe bescheinigt – egal ob von Mediziner*innen aus Gynäkologie, Allgemeinmedizin oder Psychiatrie. Das bedeutet, die Kassen verlangen eine konkrete Begründung, warum sie die Kosten für die Mütterpflege übernehmen sollen. Ein Beispiel wäre, dass die Mutter Geburtsverletzungen hat, die sie daran hindern, alles allein zu machen. Oder, dass es Schwierigkeiten beim Stillen gibt. Aber auch Überforderungszustände oder psychische Belastungen sind Gründe für einen Anspruch auf unsere Dienste.
In dem Antrag sollte auch genau formuliert sein, in welchem Umfang die Unterstützung stattfinden soll und über welchen Zeitraum. Und dann obliegt es der Kasse, zu entscheiden, ob sie dem Antrag stattgibt oder nicht. Das ist jedes Mal eine Individualentscheidung. Obwohl es eigentlich eine rechtliche Regelung gibt, dass einer Mutter, die den Haushalt nach der Geburt nicht allein führen kann, eine Unterstützung zusteht – nachzulesen im SGB V unter den Paragraphen 24h. Es gibt Kassen, die winken alle Anträge durch und andere, die stellen sich regelrecht quer. Sie lehnen den Antrag ab, kürzen Umfang und Dauer der Betreuung oder sie schicken die Anträge nochmal zum Medizinischen Dienst zur Überprüfung. Es ist also Fall- und Kassenabhängig, ob ein Antrag bewilligt wird oder nicht. Dennoch lohnt es sich, den Versuch zu wagen, wir unterstützen auch sehr gern dabei. Und je mehr Frauen auf ihr Recht pochen, desto eher findet vielleicht auch ein Umdenken statt. Und ich habe auch eine Bitte an die Krankenkassen: Sie mögen doch jede Frau bitte wertschätzend behandeln, wenn sie einen solchen Antrag stellt. Vielen fällt es sehr schwer, um Hilfe zu bitten – da muss ihnen das Leben nicht schwerer als nötig gemacht werden.

Wie lange seid ihr im Schnitt für eine Mutter tätig?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe mal eine Mutter betreut – sie war Erstlingsmutter, psychisch vorbelastet und alleinerziehend – , da war ich die ersten Wochen täglich sechs Stunden. Montag bis Samstag. Und der Einsatz lief über drei Monate. Das war schon extrem. In der Regel versuchen wir die Wochenbettzeit abzudecken, also die ersten sechs Wochen nach der Geburt und in dieser Zeit kommen wir mehrfach die Woche. Bei der einen Frau zweimal die Woche, bei der anderen täglich. Je nachdem, wie der Bedarf ist und was die Kasse bewilligt hat.

Was sind die meist gefragten Leistungen, die sich die Frauen von euch wünschen?
Auch das variiert von Frau zu Frau. Und ebenfalls von Mütterpflegerin zu Mütterpflegerin. Denn auch wir unterscheiden uns in unserer Arbeitsweise und in unseren Angeboten. Ich unterstütze die Frauen gern bei emotionalen Herausforderungen und psychischen Belastungen. Andere Kolleginnen setzen da andere Prioritäten. Aber was sich in der Regel alle Frauen von uns wünschen ist, dass wir zuhören, Impulse geben und sie bestärken. Dass wir sie entlasten und dass wir ihnen das Baby mal abnehmen, sodass sie einfach mal schlafen, duschen oder in Ruhe essen können.

Wenn die Kasse die Kosten nicht übernimmt, kann euch jede Frau ja auch privat finanzieren. Mit welchen Kosten muss sie da rechnen?
Das kommt natürlich auf Dauer und Umfang der Leistungen an. Und es ist auch abhängig von der Region. Die Spanne reicht hier von 25 bis 45 Euro pro Stunde. In einigen Bundesländern ist es auch möglich, nach Ablehnung durch die Krankenkasse, einen Antrag auf finanzielle Unterstützung bei den Jugendämtern zu stellen. Bei uns in Leipzig geht das leider nicht.

Du kommst aus dem PR-Bereich, bist heute Mütterpflegerin. Du hast dich mit der Ergreifung deines Berufs also komplett verändert. Was erfüllt dich heute konkret an deinem Job? Oder sehnst du dich manchmal zurück nach alten Zeiten?
Frauen bzw. Mütter ein Stück auf ihrem eigenen individuellen Weg zu begleiten, ihnen einen geschützten Raum für alle Emotionen geben zu können und sie auch zu bestärken – also das zu tun, was mir damals gefehlt hat -, das erfüllt mich heute total und ich bereue absolut nicht, mich 2017 umorientiert zu haben. Auch wenn mir die Dimension der Mütterpflege damals nicht bewusst war. Dass zudem die Krisenarbeit in der Wochenbettzeit einmal mein Steckenpferd sein wird, das hab ich mir damals ebenfalls nicht vorstellen können.
Meine Arbeit erfüllt mich also total – zumindest was die Einsätze an sich betrifft. Die Bürokratie dahinter, mit der wir täglich umgehen müssen, das finde ich und auch viele Kolleginnen mitunter schon sehr erschöpfend. Vor allem was die Kämpfe mit den Krankenkassen betrifft. Aber das wäre trotzdem kein Grund für mich, diesen Job an den Nagel zu hängen. Stattdessen versuche ich, zusammen mit anderen Mütterpflegerinnen, Verbesserungen zu finden und auch durchzusetzen. Und Stück für Stück wird uns das hoffentlich auch gelingen.

Liebe Anna, hab ganz vielen Dank für die tolle Aufklärung und die guten Tipps!

Fotos: Annabell Engel