Let’s talk about: Mami braucht ‘nen Drink

Ich komme auf diesen Text, weil in meinem Freundes- und Bekanntenkreis immer mehr Menschen aufhören zu trinken. Und ich das eigentlich fast ein bisschen schade finde, ich trinke nämlich gerne ein Glas Wein zum Essen. Auf der anderen Seite: es macht so viel Sinn. Je älter ich werde, umso schlechter vertrage ich Alkohol. Und, nun ja, gesund ist es eben auch nicht. Tatsächlich habe ich auch noch genau so viel Spaß mit diesen Freunden wie vorher, als noch jeder Abend mit vielen leeren Flaschen endete. Also: sollten wir alle aufhören, zu trinken?

Nein, Quatsch. Jede(r) kann das handhaben, wie er/sie will und wie es passt. Aber wenn man mal genauer hinhört, warum die Leute aufhören, Alkohol zu trinken, dann ist das schon auch ganz schön interessant.

“Es ging mir einfach immer schlecht, wenn ich getrunken habe. Ich wachte morgens mit einem Kater und Depressionen auf, ich schämte mich dafür, was ich alles gesagt hatte und fühlte mich elend. Irgendwann habe ich mich gefragt: warum trinke ich dann überhaupt? Die Antwort ist: Gruppenzwang. Und das mit fast vierzig. Da dachte ich: Nein, so ein Quatsch, das kann ja nicht sein. Nicht mehr trinken ist jetzt auch wirklich in den Augen Vieler das Verrückteste, was ich je getan habe. Aber mir geht es so viel besser. Und endlich pfeife ich mal drauf, was die anderen denken!”

“Ich hatte schlicht und ergreifend ein Problem mit Alkohol. Ich konnte nie nur ein Glas trinken, es waren immer gleich richtig viele Gläser. Abendessen, die um 22 Uhr vorbei sein sollten, dauerten bis in die Morgenstunden; wenn ich mittags zum Essen ein Glas trank, wurde daraus oft ein kleines Besäufnis mit meinen Mama-Freundinnen, und die Kinder spielten dabei. Mit meinem Mann war es schon fast ein Ritual, abends eine Flasche zu leeren. Ich dachte immer: ich trinke nicht alleine, also habe ich kein Problem. Aber das stimmte nicht. Ich hatte ein Problem: ich konnte nicht moderat trinken. Es hat lange gedauert, bis ich mir das eingestanden habe. Und ich denke, dass es Vielen so geht. Wenn ich das jetzt offen kommuniziere, kommt oft die Antwort: Oh, du hattest also ein Problem, ICH ABER NICHT! Alle müssen sich sofort rechtfertigen, dabei hat niemand danach gefragt. Ich glaube, dass viel mehr Menschen ein Problem mit Alkohol haben, als man denken würde. Gerade Mütter. Das ist der typische Wohlstandsalkoholismus. Und es ist auch nicht deren Fehler und macht sie auch nicht schwach. Alkohol macht eben süchtig!”

“Wenn ich trinke, kommt bei mir alles raus. Ich habe mein Herz auf der Zunge und all der Stress und die Belastungen rufe ich dann laut nach draußen. Regelmäßig habe ich angetrunken richtig schlimme Streits mit meinem Mann angefangen. Immer habe ich mich am nächstenTag schrecklich geschämt für das, was ich gesagt habe. Irgendwann kam der Moment, wo ich dachte: diese ganzen Dinge, die dann rauskommen, vielleicht sollte ich daran etwas reflektiert arbeiten. Auch an den Konflikten in unserer Ehe. Ich habe eine Therapie gemacht, mein Mann hat auch aufgehört zu trinken. Wir waren keine Alkoholiker! Aber eben das Glas Wein am Abend, aus dem dann mal drei wurden… Das machen wir jetzt einfach nicht mehr. Und wir streiten nicht mehr! Wir sind viel ruhiger miteinander, viel verständnisvoller. Das muss nicht für alle passen, aber uns geht es so um Längen besser. Und mit den Kindern sind wir auch geduldiger.”

“Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich mich abends, wenn ich die Kinder ins Bett bringe, so stark auf mein Glas Wein freue, dass ich es kaum mehr ausgehalten habe. Wein war für mich ein Synonym für Entspannung. Ich dachte: Wann ist das eigentlich passiert, früher habe ich nie getrunken. Und ich habe angefangen, mir andere Entspannungstechniken zu suchen, die weniger ungesund sind. Außerdem ist es ein Teufelskreis: wenn ich abends zwei Gläser Wein getrunken hatte, wachte ich morgens mit Kopfschmerzen und schlechten Nerven auf. Das Leben mit den Kindern war dann noch anstrengender. Und am Abend brauchte ich wieder eine Dosis.”

Interessant, oder? Tatsächlich gibt es unzählige Memes im Internet, die Alkohol als die perfekte Entspannungsstrategie für gestresste Eltern propagieren. Un-Zäh-Lige! Auch meine Freundinnen und ich sagen oft: “Puh, ich brauche einen Drink.” Wir sagen das im Spaß, aber eigentlich ist es gar nicht so richtig witzig, oder? Das mit dem Wohlstandsalkoholismus, da ist schon was dran. Mein Umfeld besteht aus Menschen mittleren Alters, die alle in der Rush Hour of Life fest stecken. Das Leben ist schnell und anstrengend – sich funktionierende Entspannungstechniken zuzulegen ist tatsächlich eine Aufgabe für sich. Alkohol liegt nah – es ist einfach, billig und sozial akzeptiert.

Alkohol ist in unseren Breitengraden so alltäglich, so verbreitet und so normal, wir haben uns so daran gewöhnt, solche Sprüche zu sagen, solche Botschaften zu sehen, dass wir nicht einmal darüber nachdenken, was sie wirklich bedeuten. Denn eigentlich vermitteln sie komplett das Falsche, oder? Erstens sollte man immer die Wurzel des Stresses angehen, anstatt die Folgen zu behandeln. Siehe auch dieser Post. Ich bin immer noch fest überzeugt davon, dass die meisten Mütter, die überfordert sind, das insbesondere sind, weil ihnen die dazugehörigen Väter zu wenig abnehmen – zum Beispiel, aber das ist ein anderes Thema.

Und außerdem: Wir sollten vielleicht keine Witze mehr darüber machen, dass uns das Elternsein zum Trinken verleitet. Nicht nur ist Alkohol einfach ein sehr sehr schlechter Weg, um mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Solche Sprüche vermitteln unseren Kindern doch auch irgendwie – auf die eine oder andere Weise – dass ihr Verhalten und ihre Anwesenheit nur mit Alkohol zu ertragen sind. Das will doch eigentlich keiner, oder?

Was ich auch krass fand: alle, die nun “trocken” sind, berichten, dass sie sich richtig was anhören mussten. Von ihren eigenen Eltern, von Freunden, von Kollegen. “Spaßverderber!”, “Gott, wie langweilig bist du denn?” und so weiter. Sagt das nicht auch viel über unsere Gesellschaft aus?

Ich lasse das jetzt mal einfach so stehen und eröffne die Diskussion. Was meint ihr?

PS: Diesen Ted-Talk finde ich sehr gut zum Thema: