Wo bleibt die Revolution der Väter?

Foto: Max Zerrahn

Der Autor, Vater von vier Töchtern und Stellvertretende Chefredakteur des ZEITmagazins, Tillmann Prüfer, hat ein neues Buch geschrieben “Vatersein – Warum wir mehr denn je neue Väter brauchen”. Tillmann geht es dabei vor allem um eins: Deutlich zu machen, was Männer davon abhält, aktive Väter zu sein. Aber auch, wie sie glücklicher sein könnten. Wir haben uns mit Tillmann über das gängige Männerbild unterhalten, das dem verbreiteten Mutterbild in Sachen Menschenfeindlichkeit in nichts nachzustehen scheint.

Festgefahrene Rollenbilder beengen nicht nur Mütter, sondern auch Väter. Du hast jetzt ein Buch darüber geschrieben. Warum sind die meisten Väter immer noch so still?

Ich glaube, das hat vor allem damit zutun, dass viele es noch gar nicht verstanden haben. Männer insgesamt und Väter im Speziellen blicken auf die Emanzipationsbewegung der Frauen häufig so, als würde ihnen jemand etwas wegnehmen wollen. Als würde nun alles in Frage gestellt werden, als würde es unbequem werden. Männer verbinden damit etwas Negatives, vielleicht auch Angst – oder sind sogar ein wenig beleidigt.

Sie sind gewohnt: Wir machen etwas, und dafür bekommen wir Lob. Dann gibt’s eine Beförderung oder in der Werbung ein Kuss auf die frischrasierte Backe. Daraus ziehen wir unsere Selbstbestätigung. Und nun sollen wir etwas abgeben, obwohl wir doch immer das Beste für unsere Familien wollten? Wir verlieren die Orientierung, finden es übertrieben.  Dabei könnte man sich ja auch die Frage stellen: „Was ist da eigentlich für mich drin?“

In meinem Buch sollen Väter nicht dazu angehalten werden, “jetzt mal etwas für die Partnerin” zu tun. Es geht viel eher um: „Macht etwas für euch!“ Hier liegt das Problem, weshalb Väter so passiv sind: Väter haben noch nicht verstanden, dass es bei dieser ganzen Thematik auch um sie geht – um ihre Lebensqualität, um die Qualität der Beziehung zu ihren Kindern. Ich bin überzeugt, wenn Männer das für sich realisieren würden, dann wären sie wesentlich lauter.

Glaubst du, dass Männer dein Buch kaufen werden? 

Natürlich, würde ich mich freuen, wenn Männer es kaufen. Ich wollte ein Buch schreiben, wie ich es gebraucht hätte, als ich das erste Mal Vater wurde. Denn für Väter gibt es nicht viele Wege, sich aufs Vaterwerden vorzubereiten. Es gibt keine Tradition, dass man mit seinen Kumpels darüber spricht. Generell spricht man als Mann selten über Unsicherheiten und Ängste. Es gibt dafür gar keine Sprache.

Wenn man einen Mann fragt, wie geht‘s dir eigentlich? Dann bekommt man meist nur ein „Joa, gut. Geht schon.“ Mehr Resonanzraum gibt es oft nicht. Die Anforderungen innerhalb der Familie, die Partnerin, das Kind – da werden Männer schnell überrollt und plötzlich sind sie nur noch in einer Situation, in der sie reagieren, aber nicht mehr gestalten.

Wenn eine Frau Mutter wird, gibt es sehr viele, die dazu etwas sagen, Ratgeber und andere Literatur. Aber bei Vätern ist da noch großer Nachholbedarf. Es gibt allenfalls „Betriebsanleitungen“ als Ratgeber, „Kind von A bis Z“ in einfacher Männersprache. Viele Väter versäumen es heute noch immer, sich angemessen auf die Vaterschaft vorzubereiten. Sie rennen im Anschluss der emotionalen Entwicklung hinterher, deshalb gibt es auch gerade in jungen Familien in den ersten zwei Jahren so schwere Krisen.

In Deutschland stolpern viele junge Familien nach der Geburt des ersten Kindes in die neue Situation und finden sich plötzlich in konservativen Rollenverteilungen wieder…

Ja, dabei hatten die meisten hatten das gar nicht so vor! Als junges Elternpaar gibt es so viele Konflikte und Herausforderungen. Aber oft wird das verdrängt. Da sind zwei junge Menschen, beide gleich gebildet, beide mit den gleichen Ansprüchen an Entwicklung, gleiche Potenziale. Dann entscheiden sie, dass er „erst mal“ weiter arbeiten geht und sie „erst mal“ Zuhause bleibt. Dann aber arbeitet der Mann eher 60 als 40 Stunden, verbeißt sich in seine Karriere und die Frau geht allenfalls halbtags zurück in die Arbeit. Und plötzlich befindet man sich in der Situation, in der die Frau die Überexpertin fürs Kind ist und der Mann sich in die Arbeit flüchtet, weil er da Bestätigung bekommt und in der Familie emotional nicht mehr hinterherkommt. Da wieder rauszukommen ist sehr schwer.

Man kämpft als Paar gegen unsichtbare Riesen – und dafür muss man sich zusammen rüsten, sonst treibt einen das auseinander.

Wenn die Frau etwas entscheidet, schon nach einem halben Jahr wieder arbeiten zu gehen, während der Vater zuhause bleibt, kommen schon mal Kommentare wie: „Ach, was wirklich? Und wie steht er dazu?“ oder auch Andeutungen, ob das dann eigentlich noch ein attraktiver Mann sei. Man kämpft als Paar gegen unsichtbare Riesen – und dafür muss man sich zusammen rüsten, sonst treibt einen das auseinander.

Du beschreibst in deinem Buch das Phänomen “der Heldenfahrt” des Mannes, welches die Idee des Mannwerdens als Krieger bezeichnet. Muss man sich von solchen Männerbildern verabschieden, um ein guter Vater zu sein?

Ich will niemanden sagen, ob er ein guter Vater ist oder nicht. Aber ich glaube, dass das Männerbild in dem wir sozialisiert werden, ein großes Potenzial dafür birgt, dass man später im Leben nicht glücklich wird. Dieses Credo: Da ist das Ziel! Hier die Challenge! Hier ist das „next Level!“ Da musst du durch, dann gibt‘s die Belohnung. Also dieses Heroische, was wir überall sehen, in der Werbung, in jeder Managementtask, in Männermagazinen. Es geht immer darum, nachher in Unterhose durch den Wald zu springen und mit einer selbstgebauten Axt ein Mammut zu erlegen.

Es geht immer darum, nachher in Unterhose durch den Wald zu springen und mit einer selbstgebauten Axt ein Mammut zu erlegen.

Das Problem an diesen Bildern ist, dass wir keine Worte für unsere Gefühle erlernen und so den Kontakt zu einem großen Teil von uns selbst verlieren. In einem Stress-Test Experiment wurden Männer und Frauen in die gleiche, hochstressige Situation gebracht. Frauen berichteten danach von dem Stress, Männer hingegen hatten die Situation eher nicht als stressig erlebt. Die Messdaten sagten aber aus, dass beide den gleich hohen körperlichen Stress erlebt hatten. Männer haben oft, wenn sie in seelische Not geraten, nicht die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen. Sie können ihre Not nicht definieren, auch nicht, was helfen würde. Sie können oft nicht mal genau sagen, was sie jetzt gerade fühlen oder wollen. In meinem Buch versuche ich, deutlich zu machen: Es geht nicht darum, dass wir jetzt alle Ayuveda-Kuren machen sollen, sondern darum, dass uns das Männerbild, mit dem wir aufgewachsen sind, irgendwann unfähig macht, zu erkennen, was wir wollen und dass es uns von unseren Kindern isoliert.

Bei Männern gibt es auch eine höhere Suizidrate, als bei Frauen.

Ja, es ist dreimal so wahrscheinlich, dass Männer sich in der zweiten Lebenshälfte umbringen, als Frauen. Wir nennen solche Krisenzustände gerne Midlife-Crisis, aber in Wirklichkeit ist das Problem, viel tiefgehender. Männer erleben dann den Entzug ihrer diese Droge, die ihnen bislang Bestätigung gegeben hat. Ihr bekloppter Job, die Schulterklopfer ihrer Kollegen, das nächste Ziel: Irgendwann kommt da nicht mehr viel. Und dann geraten sie in Not. Und der Kontakt, zu den Menschen, die ihnen dabei helfen könnten, ihre Kinder, ist nicht tief und vertrauensvoll genug. Wenn es dann noch Probleme in der Beziehung gibt, ist die Heldenfahrt endgültig vorbei und der Mann sitzt in der emotionalen Sackgasse.

Können wir als Eltern diesem Bild entgegenwirken?

Wir können unser eigenes Verhalten überprüfen. Ein Beispiel: Jungen weinen nicht weniger als Mädchen – bis zu einem bestimmten Alter. Dann hören sie plötzlich auf. Die Unfähigkeit, zu weinen ist wahrscheinlich ein soziologisches Konstrukt. Eltern finden es ab einem bestimmten Alter komisch, wenn Jungs weinen. Das Kind lernt, wenn es Hilfe braucht, bekommt es diese nicht. Die Belohnung kommt, wenn sie „tapfer“ sind, sich zusammenreissen. Jungs merken relativ schnell, was gesellschaftlich von ihnen erwartet wird. Hier können sich Eltern einfach mal selbst beobachten, wie sie mit ihren Kindern umgehen.

Laut einer Studie wählen viele Frauen schon vor der Mutterschaft eher Berufe aus, mit denen sie weniger Geld verdienen. Müssen sie vielleicht auch umdenken, damit Männer mehr Zeit mit den Kindern verbringen können?

Mein Mitleid mit den Männer ist begrenzt. Diese armen Männer, denen muss man nur mal Raum geben und eigentlich sind Frauen das Problem?! Nein. Wir sehen doch, was Männer fähig sind zu tun, wenn sie etwas wirklich wollen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass der Großteil darunter leidet, dass ihre Partnerin sie nicht lässt. Aber, wenn Männer einen Beruf ergreifen, haben sie häufig im Kopf: Ich muss Geld für drei oder vier verdienen. Nicht jeder Beruf, den sie wählen, hat dabei etwas mit großer Selbstentwicklung zu tun. Bei Frauen ist die Motivation eher, dass sie unabhängig sein wollen. Durch die Berufswahl werden schon Grundlagen gelegt, die nachher schwierig sind. Aber das ist nur ein kleiner Teil des Problems.

Die Versorgerrolle stellt Männer unter Druck, ist es wichtig, dass wir mehr darüber sprechen?

Das Erste was du mechanisch als Mann machst, wenn sich ein Baby ankündigt, ist die Versorgerrolle zu übernehmen. Das fühlt sich richtig an und du glaubst auch, du unterstützt deine Familie. Später gibt es dann oft ein großes Ungleichgewicht, das für alle schwierig wird. Trotzdem gibt es nicht diesen Spießrutenlauf und den Druck, den Mütter durchleben müssen. Es gibt “Rabenmütter”, aber keine “Rabenväter”. Es ist also auch manches einfacher für Väter.

Es wird sich nichts ändern, wenn wir die Arbeit nicht generell anders aufteilen. Es wird sich nichts ändern, wenn Männer sich nicht davon befreien, als Teil einer Unternehmensmaschine zu funktionieren und Geld nach Hause bringen zu müssen. Es wird sich nichts ändern, wenn Frauen es sich nehmen lassen, sich nicht noch woanders zu entwickeln als zu Hause. Es gibt zwar in Großstädten viele stolze Väter, die mit dem Baby vorm Bauch durch den Kiez laufen. Aber gucken wir uns doch mal die Zahlen an! Wie viele dieser stolzen Väter arbeiten Teilzeit oder gehen in Elternzeit? Das ist doch nicht die Revolution des Vaterseins! Ganze 93 Prozent der Väter kleiner Kinder arbeiten nach wie vor Vollzeit, und 72 der Mütter arbeiten Teilzeit. Da hat sich nach all den Jahren Diskussion um neue Vaterschaft nichts getan! Ich rate: Holt die Männer raus aus der reinen Erwerbsarbeit und schiebt sie in das richtige Leben.

Dazu möchte ich in meinem Buch ermutigen, dass man sich das greift. Dass man es sich nicht nehmen lässt, von irgendwelchen Dingen, die man glaubt, gelernt zu haben. Es ist nur eine gewisse Zeit, in der man die Chance hat, als Vater dieses Leben zu haben und viele verstehen erst später, dass es die wichtigste Zeit ihres Lebens war.

“Vatersein” von Tillmann Prüfer, erschienen im Rowohlt Verlag.