In Berlin müssen Eltern von Vorschulkindern in diesen Wochen ihre Kinder für das nächste Schuljahr einschreiben – an der Einzugsschule, denn so ist es Gesetz. Für Viele beginnt danach eine Zeit der Ungewissheit: Kommt das Kind auf die Wunschschule? Klappt der Antrag auf Schulwechsel? Denn gerade in Berlin haben sehr, sehr viele Schulen einen schlechten Ruf und die Eltern möchten ihre Kinder deshalb nicht dort hinschicken. Oft ist der letzte Ausweg dann: Privatschule. Ich habe viele solche Geschichten im Bekannten- und Freundeskreis und denke, dieses Thema sollten wir ruhig noch öfter besprechen. Denn ist die Wahl der Schule nicht auch ein Politikum? Wir wünschen uns eine freie, tolerante, offene und diverse Gesellschaft – welches Zeichen setzen wir, wenn wir unsere Kinder dann nicht auf die Einzugsschule gehen lassen, sondern sie bewusst in einem sehr privilegierten Rahmen aufwachsen lassen?
Let’s talk about: Warum ich meine Kinder nie auf eine Privatschule schicken würde
Ich möchte noch mal auf den Artikel: “Es geht immer um die Angst der weißen Mittelschicht” von Mareice Kaiser hinweisen, der das Thema sehr direkt anspricht – so wie es eben Mareices Art ist. Hier bei uns fände ich es aber schön, wenn sich eine Diskussion ergeben würde, die alle Positionen zulässt. Denn ich kenne auch viele Fälle, da kann ich es am Ende sehr gut verstehen, dass man sich gegen die Einzugsschule entschieden hat. Es gibt in Berlin Schulen, da würde ich meine Kinder auch nicht hinschicken wollen. Und es gibt vielleicht auch Privatschulen, die viel weniger elitär sind, als man sich das vorstellt. Außerdem gibt es sicher auch Kinder, die wirklich besser auf einer Nicht-Regelschule aufgehoben sind.
Ist es vielleicht bei euch so? Habt ihr euch gegen die Schule, die euch zugeteilt wurde, entschieden? Warum? Seid ihr nun auf einer Privatschule und seht ihr das auch kritisch? Oder seid ihr mit eurer Schule (welche auch immer) unzufrieden und aus welchen Gründen? Mich interessieren einfach wirklich die Beweggründe und ich möchte zum Nachdenken anregen. Denn obwohl der Ruf sicher auch oft berechtigt ist, denke ich, genau wie Mareice, dass viele “Kiezschulen”, wie sie in Berlin heißen, eigentlich besser sind als ebendieser Ruf. Und dass sie mit etwas mehr Eltern-Engagement und ja, vielleicht auch mit mehr Bildungsbürger-Input, sogar so richtig gut werden könnten. Siehe dieser Artikel über eine Schule aus Neukölln. Neu ist das Thema übrigens nicht: Meine Mutter setzte sich in den 80ern schon dafür ein, dass ich auf eine andere Schule gehen konnte, als es der “Sprengel”, so heißt das in Bayern, vorgab. Damals gab es in München-Schwabing nämlich noch ähnlich berüchtigte Schulen wie heute in Berlin-Kreuzberg. Und ich frage mich umso mehr: Dieser “RUF”, nach dem Eltern seit Jahrzehnten entscheiden, ist das ein sinnvolles System?
Passend zum Thema gibt es heute einen Gastbeitrag einer Leserin, der mich sehr berührt hat. Stefka hat sich nach viel Zögern für die Einzugsschule entschieden, ihre erstes Kind geht dort nun seit fünf Jahren hin. Sie ist mittlerweile begeistert und auch Fan des “geschlossenen” Ganztagskonzepts, nicht nur weil in den Ganztagsklassen die Diversität oft höher ist. Auch Stefka hat eine klare Meinung – pro Kiezschule – aber wie gesagt: ich freue mich vor allem auf euer Feedback, auch und gerade dann, wenn ihr nicht mit ihr einer Meinung seid. Los geht’s:
Am Anfang ging es mir genau wie vielen Eltern: Ich musste mich bei meinem ältesten Sohn lange mit der Frage der richtigen Grundschule auseinandersetzen, genauso wie ich es ständig bei meinen Freunden und Bekannten mitbekomme. Bei uns wurde es dann doch einfach die Einzugsschule in Kreuzberg. Und was ich aus fünf Jahren Grundschulzeit in Berlin gelernt habe ist, dass Kinder zusammengehören wollen – Kinder mit und ohne Akademikereltern, mit und ohne Geld für das Späti-Eis am Nachmittag, Fernsehen, Ninjagokarten oder Verwandten in Deutschland. Kinder aus dem Kiez vereint! Unteilbar – wie wir es erst vor kurzer Zeit in Massen demonstriert haben.
Und Regelschulen bieten genau das – Schulen ohne Rassismus und mit Courage. Meine beiden Söhne besuchen eine Grundschule in Kreuzberg und lernen (neben den „klassischen“ Fertigkeiten) vor allem eins: achtsam, rücksichtsvoll und kritisch zu sein. Mein großer Sohn macht seit einem Jahr eine Mediationsausbildung als Konfliktlotse in der Schule und berichtet am Abend oft von Streitigkeiten und Problemen, welche es zu klären gab. Dabei staune ich immer wieder über sein tiefes Gerechtigkeitsverständnis und den Blick für die Anderen. Auch schaut die Klasse mehrmals die Woche die Logo-Nachrichten und diskutiert dann gemeinsam gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Welt. Häufig ist mein ältester Sohn tatsächlich beim Abendessen besser informiert als ich. Filme wie Billy Elliot, etliche Bücher über Flucht oder Mut sowie Besuche in Moscheen, Synagogen und Kirchen gehören zudem zum täglichen Lehrplan.
Viele Kinder meiner Freunde besuchen Privatschulen in Berlin – Freie Schule, Waldorf, Montessori oder Skandinavisch. Erschreckend stelle ich immer wieder fest, dass genau solche wichtigen gesellschaftlichen Themen dort kaum Platz finden und wenn, dann „aus der Ferne“. Schließlich sind die Kinder ja quasi alle nicht selbst betroffen. Natürlich sind auch viele Privatschulen relativ divers und die Gebühren nach Einkommen gestaffelt, aber bildungsferne Familien, die vielleicht auf Hartz 4 angewiesen sind, die findet man dort eben doch so gut wie nie. Das stimmt mich immer wieder traurig, macht mich jedoch auch zunehmend wütend. An dieser Stelle sind die Kinder dann eben doch „teilbar“. Auch leben die Schüler dieser Schulen meist verstreut in ganz Berlin und werden größtenteils von ihren Eltern morgens und nachmittags auf dem Schulweg begleitet bzw. gebracht und geholt. Auch diesen Punkt sehe ich, vor allem auch als Psychotherapeutin, extrem kritisch. Nehmen wir den Kindern damit nicht einen wichtigen Teil ihrer Autonomie? Viele Lehrer und Direktoren sagen ja ganz richtig: “Das Wichtigste lernt man nicht in der Schule, sondern auf dem Weg dorthin und zurück”.
Und ist es am Ende nicht egal, mit welchem Konzept sie lesen lernen und ob es manchmal „Frontalunterricht“ gibt? Eine kurze Anekdote aus dem ersten Schuljahr meines großen Sohnes: Einige Monate nach der Einschulung fragte ich ihn, was er denn heute so im Unterricht gemacht habe. Daraufhin seine Antwort: „Unterricht. Das hatten wir ja noch gar nicht.“ Auch auf den allermeisten Regelschulen gibt es das, was wir unter Frontalunterricht verstehen, also gar nicht mehr ausschließlich. Es hat sich viel getan, seit wir damals in die Schule gingen! Ich bin mittlerweile nicht nur zufrieden, sondern richtig glücklich mit unserer Schulwahl. Jeden Morgen habe ich ein Glücksgefühl, wenn beide Söhne los marschieren, am besten schon um 7.40 Uhr, um auf dem Schulhof nicht die letzten News aus dem Kiez zu verpassen. Seit August hat sich nun auch noch meine Tochter dazugesellt und ich bin so unendlich froh über diese Schule; sie ist ein Geschenk auf dem Weg meiner Kinder! Und auch ich habe so viel dazugelernt.
Auf unserer Schule gibt es viele männlichen Erzieher, auch das finde ich einfach wunderbar. Und es gibt ein Ganztagskonzept – so werden die Kinder eben nicht nur nachmittags “verwahrt”, sondern sie nutzen meist das ganze Schulgelände, um (auch gemeinsam mit den älteren Kindern) ihre Zeit frei zu verbringen. Meine Jungs spielen dann viel Fussball, haben Klavierunterricht oder gehen zu ihren AGs (wie z.B. Konfliktlotsenausbildung, Yoga, Theater oder Basketball). Mittlerweile bleiben sie sogar noch länger auf dem Gelände und kommen manchmal erst gegen 18 Uhr nach Hause. Oder sie gehen selbstständig zu Freunden, bewegen sich frei im Kiez. Auch ermöglicht es das Ganztagskonzept, dass die Klassen längere Ausflüge machen. Besonders in den größeren Klassen sind die Kinder manchmal von 8-16 Uhr unterwegs. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel die Lehrer diese Möglichkeit auch nutzen. Aufgrund der musikalischen Prägung der Schule stehen Besuche in der Oper oder Philharmonie genauso auf dem Plan wie Brotbacken beim Biobäcker oder die Waldschule in Brandenburg. Auch kennen sich meine Jungs oft besser mit aktuellen Ausstellungen in Berlin aus als ich.
Auch bietet die Schule für alle Kinder (eben auch aus bildungsfernen Familien) die Voraussetzung, an vielen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Dafür diskutiere ich gern am Elternabend mit einem konservativ muslimischen Vater darüber, dass gleichgeschlechtlicher Sex im Sexualkundeunterricht seinen berechtigten Platz hat oder wie die Kinder trotz Klassenfahrt gemeinsam das Zuckerfest feiern können. Sicher kommt jetzt das Argument, diese Schule sei aber eben auch besonders gut. Das ist sie auch. Aber viele Kiezschulen in Kreuzberg und Neukölln sind eigentlich sehr gut und haben engagierte Lehrer. Sie sind besser als ihr Ruf! Gerade die Schulen, in denen viele Kinder mit “Migrationshintergrund” sind, haben oft ein großartiges Programm und Konzept. Natürlich steht und fällt es aber am Ende mit dem Personal, also mit den Lehrern, die man erwischt und – vor allem – mit dem Engagement der Eltern. Ich denke, unsere Schule ist ein super Beispiel, was mit viel Engagement der Eltern, Erzieher und Lehrer geschafft werden kann.
Ja, unsere Bildungspolitik ist größtenteils absolut überholt, das Bildungssystem ist unterfinanziert, Lehrer müssen vielerorts zu viel ausbaden und über die Sauberkeit der Schulgebäude brauchen wir gar nicht sprechen. Aber es gibt in ganz Deutschland unglaublich tolle Regelschulen, mit wunderbaren Lehrern, Kindern und einer engagierten Elternschaft. Und einbringen kann man sich selbst überall, egal an welcher Schule!