Nach einigen Schleifen des kleinkindlichen Aufbegehrens ist Katharina mit ihrem Sohn inzwischen in der Vorschulpubertät angekommen. Das findet sie gar nicht schlimm. Eher amüsant. Vor allem aber: wichtig.
Vakuum und Pubertät – Aus dem Chaos entsteht die Identität
Ich erzähle immer gerne, dass ich die Pubertierende aus der Hölle gewesen sein muss: Radikal, rabiat, ruhelos. Ich stellte meine Eltern mit allem, was sie waren, in Frage. Ich sehnte mich nach Konfrontation und Diskurs, nach Aufbruch und Aufklärung. Meine Eltern hingegen nicht so sehr. Sie zogen das Schweigen vor – also zog ich mit 16 Jahren aus und in die Welt.
Nun will ich hier heute nicht über das schreiben, was war – stattdessen vielmehr über das, was sein soll. Und da wären wir dann bei meinem Sohn.
Denn, wenn ich mir eines für meinen Sohn wünschen dürfte, dann, dass er zu einem mündigen Menschen heranwächst, bzw. vielmehr sich beibehält, was er schon immer war und ist.
Was ich damit meine? Im Wesentlichen Unabhängigkeit – er soll um sich selbst wissen und dementsprechend bestimmen können, was und wie er sein Leben gestalten will. Er soll aber auch und gleichsam erkennen können, wo seine Freiheit und die aller anderen bedroht ist. Wo es gilt, sich einzusetzen.
Nichts scheint mir wichtiger – insbesondere dieser Tage, in der die Welt so sehr aus den Fugen geraten ist, in der es eben kein „Ende der Geschichte“ gibt, wie in den 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch der UDSSR geschrieben hat (aus einer sehr westlich überheblichen, sehr liberalen Perspektive). Unsere Demokratie ist ganz offenbar nicht in Stein gemeißelt. Wir sollten uns hüten zu glauben, es bedürfte keines Aufwandes, keines kritischen Geistes, sie zu schützen: Eine Gesellschaft ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Mitglied.
Die Verhältnisse infrage stellen zu können, fängt ganz sicher zwischen Eltern und Kind an. Oder wie Susanne von „Geborgen Wachsen“ einmal schrieb: „Unsere Gesellschaft braucht sicher gebundene Kinder. […] Tief verwurzelt sind die Stimmen unserer eigenen Kindheit. Sie sind es, die unser Handeln auch heute noch lenken und unseren Alltag bestimmen. Unser Handeln in der Gesellschaft ist geprägt von den Prinzipien, die wir als Kinder erlernt haben.“
Und insofern jubele ich inzwischen über alle Versuche meines Kindes, gegen mich als Person aufzubegehren. Protestiert wird nämlich gerade viel bei uns:
„Komm, wir müssen jetzt endlich los. Hau mal rein!“
„Bla bla bla!“
„Wir müssen noch einkaufen gehen.“
„Du musst gar nichts. Du kannst!“
„Es gibt kein Eis zum Frühstück!“
„Du hast das gar nicht zu bestimmen. Ich bestimme über mich. Ich bin sechs und nicht mehr Null!“
„Ich würde wirklich gerne einen Moment schweigen, nur einen Moment mal nichts hören bitte.“
„šuti!“ („sei leise!“ auf Serbisch)
„Ich kaufe nicht jedem deiner Geburtstagsgäste einen Lego-Drachen. Das ist unverhältnismäßig.“
„Du bist echt die allergemeinste Mama auf der ganzen Welt!“
Nun unterscheidet sich der akute Widerstand meines Sohnes gegen meine „Obrigkeit“ im Wesentlich von allen bisherigen Phasen insofern, als dass ich mit meinem inzwischen Sechsjährigen nicht nur rationale Gespräche führen kann. Wir führen kleine Wortschlachten gegeneinander und ich liebe es.
Seine Motive, nun, da er sie so gut in Worte zu kleiden und sie so vielschichtig zu betrachten weiß, sind einfach immer begründet und nachvollziehbar, ja regelrecht stichhaltig. Natürlich nicht während er „bla bla bla“ brüllt, aber immer dann, wenn er nach meiner Rückfrage versucht zu erklären, was eigentlich der Anlass ist. Nun waren seine Motive sicher immer schon wesentliche. Ich verstehe sie heute lediglich besser als früher, wenn einmal wieder mit der Banane die Stimmung brach.
Eines ist diesen Momenten damals wie heute gemein: mein Versichern, dass ich mit meinem Herzen immer bei ihm bin.