“Mein Sohn wollte auf Biegen und Brechen kein Silvesterknaller werden – sondern lieber ein Christkind!”
Es ist also der 24. Dezember 2016 – und ich bin hochschwanger mit meinem zweiten Sohn. Terminiert ist seine Ankunft für den 31. Dezember. Aber der Knirps hat, allen Anschein nach, keinen Bock ein Silvesterknaller zu werden und will auf Biegen und Brechen ein Christkind werden. (Ganz offenbar hat er nicht darüber nachgedacht, wie blöd so ein Tag zum Geburtstagfeiern ist… Für alle Beteiligten!)
Gegen 5 Uhr morgens wache ich auf und spüre so ein komisches Ziehen. Ich ahne, dass das vielleicht Wehen sein könnten – wissen kann ich es nicht, da mein Erstgeborener aus medizinischen Gründen via geplanter Kaiserschnittgeburt zur Welt kam. Ich habe also keine Ahnung, wie sich Wehen anfühlen und bete inständig, dass das nur Übungswehen oder, besser noch, nur Darmkrämpfe sind.
Gegen Mittag steige ich in die Wanne. Ich hatte irgendwo gelesen, Übungswehen würden sich durch ein warmes Bad abschwächen – echte Wehen verstärken sich. So erkenne man den Unterschied. Kaum sitze ich im Schaumbad, werde ich schon von Uterskrämpfen überrollt. KackMistVerdammter! Ich kann mich gar nicht richtig freuen. Es ist das erste Weihnachten, das mein erst anderthalbjähriger Sohn bewusst wahrnimmt und ich wollte so gern mit ihm feiern – und nicht den Tag im Kreißsaal verbringen.
Ich steige aus der Wanne, trommle die Familie zusammen (die Großeltern sind bereits da) und gebe entschlossen die Parole durch, dass wir jetzt ratzifatzi den Braten essen müssten, um dann die Bescherung für den Kleinen zu machen, um mich dann flott ins Krankenhaus zu fahren. Vorher kläre ich noch bei meiner Hebamme ab, wie lang die Abstände zwischen den Wehen sein müssten, um noch pünktlich ins Krankenhaus zu gelangen. Ich zähle…. Wir haben noch etwas Zeit!
Den Braten kriege ich leider nicht runter, weil mir speiübel ist. Doch auf die Bescherung will ich nicht verzichten: Auf Biegen und Brechen möchte ich selbst meinem Sohn sein Feuerwehrauto und den Kaufmannsladen überreichen. Und möchte noch einmal Single-Zeit mit ihm genießen, ehe er mein Mama-Herz mit Jemandem teilen muss.
Ein heulender Buddha
Am Nachmittag sitze ich da wie ein dicker Buddha zwischen Geschenken und zerfetztem Geschenkpapier, heule vor Glück und vor Schiss und vor Schmerz und vor Was-weiß-ich und gehe zwischendurch immer mal gebückt aus dem Raum, um in Ruhe die nächste schmerzhafte Wehe weg zu japsen. Bis die Abstände so kurz sind, dass mich die ganze Familie zum Aufbruch drängt.
Gegen halb fünf Uhr Nachmittags erreichen der Mann und ich das Krankenhaus. Die Hebamme misst meinen Muttermund. “Oh, er ist schon einen Zentimeter auf!“ Ich denke, die Gute will mich Hops nehmen. Seit fast 12 Stunden werde ich von Wehen durchpeitscht und das Ergebnis ist ein (!) verdammter Zentimeter. Sie so: „Na da haben wir ja noch Zeit, bis wir bei 10 Zentimetern sind.“ Kommt ja gar nicht in die Tüte, dass ich hier noch ewig rumliege, denke ich bei mir, lasse mir einen Einlauf verpassen und watschele aufs Klo. Dort rede ich auf meinen ungeborenen Sohn ein und beschwöre ihn, auf keinen Fall mehr so lange in mir zu bleiben. Wenn mir schon der 24. Dezember durch die ununterbrochenen Wehenpeitschen ruiniert wird, und ich nichts von den Köstlichkeiten essen konnte, dann soll er auch heute noch herauskommen. Ich tätschele meinen prallen Bauch und verspreche ihm das tollste Weihnachts-und-Geburtstagsgeschenk – auf jeden Fall etwas mit vielen Knöpfen und das viel Lärm macht – , wenn er seine Mami nicht mehr so lange quälen möge.
Ich wanke zurück in den Kreißsaal und teile dem Mann meinen Entschluss mit, dass ich unseren Sohn auf jeden Fall heute Abend noch gebären werde. Er lächelt milde, so wie es die Hebamme vorhin getan hat, nickt nur beruhigend, nimmt mich in den Arm und sagt: Nichts! Das muss er auch nicht – denn die Skepsis ist ihm fett ins Gesicht gedruckt. Und ich denke nur: jetzt erst recht. Ihr könnt mich alle mal.
“Ich lass mich scheiden!”
In der nun folgenden, unglaublich schmerzvollen Stunde komme ich kaum zum Durchatmen. Eine Wehe folgt sofort der Nächsten. Ich stöhne, schreie und fluche so laut und niveaulos, dass sich Adolph Knigge und Fräulein Rottenmeier im Grab umgedreht hätten. Und ich denke nur: „Bitte gebt mir irgendeine fiese Droge, egal was. Ich nehme alles. Ich will nur noch, dass das aufhört!“ Aber plötzlich – nach etwa einer Stunde spüre ich einen unbändigen Druck untenrum und brülle, mittlerweile heiser: „ER KOHOMMMMMT!!!!“ Der Mann denkt, ich verschaukle ihn und beruhigt mich, dass das ja gar nicht sein könne. Ich kreischte ihn darauf an: „Wenn du jetzt nicht sofort die verdammte Hebamme holst, lasse ich mich scheiden.“ Er zurück: „Das musst du nicht. Wir sind ja gar nicht verheiratet.“ Aus Angst vor einer Eskalation läuft er dennoch los und holt die Hebamme zurück. Sie schaut mir zwischen die Beine, tastet und wird plötzlich ganz hektisch: denn, ich habe recht. Unser Sohn Nummer zwei hat sich tatsächlich auf den Weg nach draußen gemacht und mir derartig extreme Wehen geschickt, die meinen Muttermund in kürzester Zeit schier aufgerissen haben. Von wegen ein Zentimeter pro Stunde! Ob‘s an meinem Versprechen lag, ihm das tollste Geschenk zu machen oder weil er keinen Bock mehr auf meine vulgären Flüche und mein hysterisches Geschrei hatte – wer weiß das schon. Auf jeden Fall befinden wir uns jetzt auf der Zielgeraden.
Leider fällt mir in diesem Moment auf die Füße, dass ich während meiner zweiten Schwangerschaft nicht noch einmal einen Geburtsvorbereitungskurs besucht habe. Erstens meinte ich, alles, was man wissen muss, schon zu wissen. Zweitens hielt ich es für vertane Zeit. Lieber ging ich in der Zeit Babysachen shoppen, die wir eigentlich schon im Überfluss hatten. Und drittens hatte ich schlicht und einfach keinen Bock. Tja, diese überhebliche Ignoranz am „Hechelkurs“ fälltl mir nun auf die Füße: denn ich habe schlichtweg keine Ahnung, wie man bei Geburtswehen richtig presst. Ende vom Lied: Ich presse statt nach unten in den Schoß, nach oben in den Kopf und denke dabei jedes Mal, mein Schädel zerplatzt gleich. Da können der Liebste und die Hebamme noch so oft im Wechsel brüllen: NACH UNTEN PRESSEN! Ehe mein überfordertes Gehirn diese Info verarbeitet hat, sind mir im Kopf schon sämtliche Äderchen geplatzt und lassen mich aussehen, als hätte ich mir unzählige Akupunkturnadeln ins Gesicht gesteckt und danach mit Wucht herausgezogen. Aber irgendwann, so gegen halb acht Uhr abends, fühl ich mich wie Maria. Denn plötzlich ist es da: unser persönliches Christkind! Alles dran, gesund und munter. Nur ohne Heiligenschein. Dafür ausgestattet mit einem Mundwerk, so laut wie meines und einem gesegneten Appetit.
Fröhliche Weihnachten, mein Kleiner!
Ich bin in diesem Augenblick so glücklich, das es dem Fratz gut geht und so unglaublich erleichtert, dass diese Tortur endlich ihr Ende gefunden hatte. Kurz denke ich an einen Spruch, den ich immer wieder gehört hatte: „Wenn dein Kind erstmal da ist, dann vergisst du die ganzen Schmerzen.“ Wer hat sich diesen Quatsch eigentlich ausgedacht?!? Also ich werde mein Lebtag nicht vergessen, was ich an diesem Weihnachtsabend durchgestanden habe. Dieses Gefühl, als würde in meinem Körper ein Sumo-Ringer sitzen, der mit ganzem Körpereinsatz seinen Weg nach draußen erkämpft. Dennoch, und da schließe ich mich dann doch der Meinung aller Mütter dieser Welt an: Dieser kleine Kerl da in meinem Arm war die Qualen wert. Aber sowas von.
Und genau deshalb proste ich mir seither am Heiligabend zu! Weil ich stolz auf das bin, was ich da vor genau fünf Jahren gemeistert habe. Und weil ich stolz bin, zwei so tolle Kinder haben zu dürfen, für die ich eine nicht zu beschreibende Liebe empfinde.
Und diesmal erhebe ich mein Glas auch auf all die anderen großartigen Mütter dieser Welt, die speziell in den letzten beiden Jahren Großes geleistet haben. Ihr seid toll! Ihr seid so stark! Ihr seid einfach der Knaller! Ohne euch wäre die Welt verloren! Vergesst das niemals!!!
In diesem Sinne: Von ganzem Herzen, frohe Weihnachten! Feiert euch und Eure Lieben, futtert, ohne an irgendwelche blöden Diäten zu denken – und freut euch über und an einander! Denn am Ende sind die Familie und die Liebe doch das Wichtigste, was wir brauchen im Leben!
PS: Den Text habe ich in Teilen aus meinem eigenen Buch „geklaut“. Es heißt „Ich bin keine Super-Mom und will auch keine werden“. Nur, falls Ihr Lust auf noch mehr Geschichten aus meinem Leben habt…
Foto oben: Mein Sohn 3 Tage nach seiner Geburt.
Foto unten: An seinem ersten Weihnachtsfest und seinem ersten Geburtstag.