Mein Pandemie-Partner – oder: was macht Corona eigentlich mit der Liebe?
Sonntagmorgen, gegen acht Uhr: Ich wache verkatert auf der Couch im Arbeitszimmer auf und höre im Wohnzimmer, wie mein Freund unserem Sohn aus einem Buch vorliest, auf dem Xylophon spielt, lautstark so tut, als würde er mit ihm telefonieren. Der Kleine gluckst. Auf meinem Handy lese ich mit verquollenen Augen eine WhatsApp von meinem Freund: „Sag Bescheid, wenn ich Frühstück machen soll.“ Was für ein Service! Ich schleiche mich in die Küche, mache mir schnell einen Kaffee und trinke ihn im Bett. Am Vorabend war ich bei meiner besten Freundin zum Wein eingeladen. Eines der wenigen Highlights, mein einziger regelmäßiger Corona-Kontakt außerhalb unseres Haushalts. Ich scrolle ein bisschen auf dem Handy rum, trinke meinen Kaffee und als ich fit genug bin, setze ich mich an den gedeckten Tisch in der völlig verwüsteten Küche. Ich bin so glücklich, wie man es eben sein kann, wenn die Welt Kopf steht. Denn mein Freund gibt mir das, was jetzt so wertvoll ist, wie noch nie: Freiräume. Zeit, zumindest ein paar Stunden die Woche auch mal ich zu sein. Eine kleine Pause vom Aufreiben zwischen Mutter sein, selbstständig sein, und der To-Do-Liste, die nie kürzer wird.
Liebe in Zeiten der Häuslichkeit
Der Mensch in meinem Haushalt – ein Titel, der heute eine sehr viel größere Tragweite hat als noch vor einem Jahr – hat mich in den vergangenen zwölf Monaten erbost, überrascht, erfreut, verärgert, unendlich oft genervt und mir genauso oft das Gefühl gegeben, geliebt zu sein, nicht alleine zu sein, angekommen zu sein. Das ist ein großes Glück, und das heißt nicht, dass wir immer glücklich waren – im Gegenteil. Aber trotz aller Alltagsstreits und Krisen, weiß ich: Mein Pandemie-Partner ist ein ziemlich großartiger Mensch. Dieser Ausnahmezustand ist wie ein Brennglas, das alles, das Gute und das Schlechte, vergrößert. Das ist die Herausforderung. Vielleicht auch eine Chance, klarer zu sehen.
Unsere große Krise kam nach Weihnachten, als wir merkten, dass wir uns stritten, statt zu entspannen, und trotz mehrmaliger Bemühungen nicht zu einer versöhnlichen Sprache finden konnte. Wir redeten viel und beschlossen, an uns zu arbeiten. Seitdem ist es besser, aber natürlich gibt es Tage, an denen wir verzweifeln. Tage, an denen ich mir nicht vorstellen kann, jemals wieder in einer Bar mit ihm zu sitzen, Tage, an denen ich realisiere, dass wir jetzt schon ein Jahr und vier Monate nicht mehr zu zweit waren, ohne das Kind. Wegen Corona haben wir uns nie einen Babysitter gesucht, schließlich galt es meist, Kontakt zu vermeiden. Wie es ist, mit ihm irgendwo anders zu sein als zu Hause? Ich bin ehrlich: Nach diesem Jahr (und dem Wochenbett, das drei Monate vor dem ersten Lockdown endete) weiß ich das nicht mehr. Wirklich, keine Ahnung. An schlechten Tagen macht mir das Sorge und ich frage mich, zu wie vielen Teilen wir noch Partner sind und zu wie vielen ein Krisenstab aus zwei Personen, die den Irrsinn irgendwie gemeinsam wuppen müssen
Kleine Welt, große Welt
Manchmal gelingt es mir, ganz im Moment zu sein und gleichzeitig einen Schritt aus mir heraus zu tun, als würde ich mein eigenes Leben aus der Vogelperspektive sehen. Wie neulich, als ich fast vergaß, dass es Corona gibt. Wir waren mit unserem kleinen Sohn im Kinderbauernhof an der Hasenheide sind und sahen ihm dabei zu, wie er voller Freude in einer Pfütze planschte und sämtliche Tiere ignorierte. Wir mussten beide lachen und alles fühle sich so wunderbar normal an.
Auch, wenn gerade weiß Gott nicht alles rosig ist (auch bei Menschen wie uns nicht, die so wahnsinnig privilegiert sind, gesund, nicht arm, nicht einsam), bin ich doch sehr viel dankbarer für das, was gut ist. Ich habe mir meinen Freund nicht danach ausgesucht, was für ein Vater er wohl sein würde und wie gleichberechtigt er seine Partnerschaft gestaltet – in die Beziehung bin ich eher hineingestolpert. Aber gerade in der jetzigen Zeit, wenn die Kita schließt und ich trotzdem Aufträge zugesagt habe, bin ich unendlich erleichtert, dass mein Freund nicht der Meinung ist, meine Arbeit sei weniger wert.
Unsere Beziehung muss gerade so viel mehr sein – Ersatz für Freundschaften, gegenseitige Seelsorge, dazu noch die Orga, die Eltern ohnehin immer im Blick haben müssen. Deswegen fühlt es sich bei Beziehungskrisen wirklich so an, als würde mir alles, mein ganzes Leben entgleiten. Das ist ganz selbstverständlich. Ich glaube, deswegen waren wir auch viel engagierter, als es darum ging, unsere Probleme zu lösen. Die Pandemie hat unsere Welt kleiner gemacht, und in dieser kleinen Welt lassen sich Schwierigkeiten und Konflikte nicht mehr so leicht ignorieren. Ich freue mich darauf, wenn die Welt wieder größer wird. Und wenn ich irgendwann wieder ausgehen kann, dann weiß ich schon ganz genau, mit wem.