Normale, ambivalente Gefühle: das Märchen vom ewigen Mutterglück

Es gibt Tage, da möchte ich gerne mein Leben tauschen. Da würde ich lieber kinderlos in einer Großstadt leben, morgens in Ruhe duschen und frühstücken, meiner Arbeit nachgehen und mich abends auf einen Feierabend-Drink mit meinen Freundinnen treffen. Am Wochenende würde ich Sport treiben, ins Kino gehen und das neue Restaurant ausprobieren, das um die Ecke aufgemacht hat. Sonntags schliefe ich bis in die Puppen und würde den Tag lesend am See verbringen. Aber warum gestatten wir es uns selbst kaum, solche Gedanken zu spinnen? Und was hat das mit einem völlig falschen Bild von Mutterliebe zu tun?

Ich glaube, fast jeder Mensch, der Kinder hat, denkt an manchen Tagen daran, wie das Leben ohne sie wäre. Manchmal fühlt es sich an wie eine verpasste Chance, und manchmal ist es einfach nur ein Gedankenspiel. Aber es gibt auch Menschen, die es langfristig bereuen, Kinder bekommen zu haben. Bei Müttern spricht man dann vom Phänomen „Regretting Motherhood“. Die israelische Soziologin Orna Donath hat mit ihrer 2015 veröffentlichten Studie „Regretting Motherhood: A Sociopolitical Analysis“ diesen Begriff etabliert, indem sie Frauen befragte, die ihre Mutterschaft langfristig bereuen. Vor allem in den deutschen Medien sind die Ergebnisse auf ein großes (oft sehr negatives) Echo gestoßen, denn nach wie vor ist das Thema ein Tabu. Eine Frau, die es bereut, Kinder bekommen zu haben? Wie ist das überhaupt möglich? Was stimmt mit ihr nicht? So schienen die Fragen zur Studie überall zu lauten.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt, wie stereotyp wir denken. Wir meinen, eine Frau könnte nur glücklich sein, wenn sie Kinder hat. Wir sind uns außerdem sicher, dass es jede Frau glücklich macht, Mutter zu werden. Ist dem nicht so, halten wir diese Frau für nicht der Norm entsprechend. Dabei ist es nicht sie, die nicht „normal“ ist, sondern unser Denken über Mutterschaft, Weiblichkeit und Kinderwunsch sollte hinterfragt werden.

Was stimmt nicht mit mir?

Die Annahme, als Mutter immerzu glücklich über die Tatsache zu sein, Kinder zu haben, setzt uns alle unter Druck, egal ob Frauen mit oder ohne Kinder. Ich selber habe so oft an mir gezweifelt. Zum Beispiel, als ich vor neun Jahren mit meinem wenige Wochen alten Baby weinend zuhause saß. Ich hatte mir vorgestellt, dass alles wunderbar sein wird, sobald mein Sohn auf der Welt wäre. Warum ich das dachte? Weil ich einfach keine Ahnung vom Kinderhaben hatte! Ich war nie zuvor mit so kleinen Babys in Kontakt gewesen und war selber eine der ersten, die in meinem Freundeskreis Mutter wurde. Was ich kannte, waren Bücher mit selig lächelnden Müttern auf dem Cover, Blogeinträge, die vom großen Elternglück handelten, (Werbe-)Filme, die kichernde Babys mit nackten Füßen zeigten und vom großen Glück des Elternwerdens handelten. Niemand sprach über Heultage nach der Geburt, Schmerzen beim Stillen oder den Verlust eines selbstbestimmten Lebens. Hätte ich ein realistischeres Bild vom Muttersein gehabt, wäre ich niemals so enttäuscht von mir gewesen, dass ich ein gesundes Baby hatte, und dennoch ab und an sehr unglücklich war.

Vom Druck, eine glückliche Mutter werden zu müssen

Die Soziologin Christina Mundlos hat in ihrem Buch „Wenn Mutter sein nicht glücklich macht“ beschrieben, wie sehr der Glaube an das ausnahmslose Mutterglück Frauen unter Druck setzt. Und das betrifft sie auch dann, wenn sie sich bewusst gegen das Muttersein entscheiden. Denn Menschen können sich nicht vorstellen, dass es völlig normal sein könnte, sich als Frau keine Kinder zu wünschen. Gewollt kinderlosen Frauen wird sogar Egoismus vorgeworfen, kinderlose Männer dagegen scheinen nicht mit solchen Vorwürfen konfrontiert zu sein. Sinnbildlich war für mich neulich ein Gespräch unter Freundinnen: Die eine schwärmte vom Leben ihrer Nichte. Sie sei gerade 18 geworden, hat ihren Schulabschluss gemacht und geht nun auf Reisen. „Ich beneide sie ein wenig, ist das nicht die beste Zeit des Lebens?“, fragte meine Freundin. „Sie soll es genießen“, meinte die dritte in unserem Bunde. „Sobald sie 25 Jahre alt ist, fragen die Leute sie nach einem festen Freund, ab 27 dann nach der Familiengründung.“ Wir nickten. Uns wurde klar, wie ätzend es manchmal ist, eine Frau zu sein.

„Unser Mutterbild ist frauenfeindlich und antifeministisch“, schreibt Christina Mundlos (S. 17), und das zeigt sich in vielerlei Hinsicht anhand der Erwartungen an eine Frau. Sie sollte finanziell unabhängig sein und ihren Beruf nicht vernachlässigen, aber sich auch im richtigen Moment mit der Familiengründung beschäftigen. Nach der Geburt eines Kindes darf sie nicht zu früh arbeiten gehen, aber auch keine zu lange Pause machen. Es sollte bald ein weiteres Kind folgen, um das sie sich liebevoll kümmert, und nebenher die Familie organisieren. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, an dem Millionen von Frauen täglich scheitern und sich am Ende selbst unfähig fühlen, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Zu wenig Unterstützung

In Mundlos Buch kommen Frauen zu Wort, die ihre Mutterschaft bereuen. Die Gründe sind vielfältig und allesamt plausibel, der Mut der Frauen ist beeindruckend. Dabei wird eines klar: Die tiefe Liebe zu ihren Kindern ist von dem Gefühl des Bereuens zu trennen. Sie alle lieben ihre Kinder von Herzen, würden sich aber nicht noch einmal für Kinder entscheiden. Die eine vermisst ihre Freiheit und ihre Individualität, die andere findet einfach ihr Glück nicht im Muttersein. Viele der Frauen, darunter auch alleinerziehende Mütter, sind erschöpft und vermissen Unterstützung. Denn so wie wir erwarten, dass jede Frau einen Kinderwunsch verspürt, so erwarten wir auch von ihr, dass sie es ist, die sich anschließend um die Kinder kümmert – und das oft ohne Familie, Freunde, Nachbarn oder andere Formen der Unterstützung. Selbst institutionelle Betreuung wird bei uns in Deutschland nicht als gleichwertig anerkannt und manche Mütter werden, ganz im Gegensatz zu Vätern, dafür kritisiert, früh wieder arbeiten zu gehen und das Kind in einer Krippe betreuen zu lassen.

Weg mit dem Mythos!

Mittlerweile haben meine Schuldgefühle nachgelassen. Denn ich finde es nicht weiter schlimm, dass ich ab und an über ein Leben ohne Kinder nachdenke und mich sogar gelegentlich danach sehne. Ich liebe meine Kinder über alles, aber sie fordern mich sehr und ich erlebe auch, dass die Ansprüche an mich als Frau und Mutter von außen oft anmaßend und unmöglich zu erfüllen sind. Christina Mundlos zitiert im Buch die Psychologin Brigitte Ramsauer, die die ambivalenten Gefühle einer Mutter sogar als Kompetenz bewertet: „Es geht um die Fähigkeit, diese gegensätzlichen Gefühle anzuerkennen, zu tolerieren, in sich und in den eigenen Alltag zu integrieren. Darin besteht der Reifeprozess. Die Ambivalenz der Mütter ist ganz normal.“ (S. 15)

Wir sollten weiterhin gegen den Muttermythos kämpfen um, wie von Mundlos und vielen anderen Feminist:innen gefordert, die alte Vorstellung von Mutterliebe zu dekonsturieren, also auseinanderzunehmen. Denn Frauen, die bewusst kinderlos bleiben wollen, können ebenso glücklich werden wie Mütter, deren Wunsch vom Kind in Erfüllung ging. Dann sind da noch die vielen Frauen, die sich Kinder wünschen, aber keine bekommen. Auch sie könnten dann hoffentlich etwas besser mit ihrem Schicksal umgehen, wenn sie wissen, dass es ein erfülltes Leben als Frau auch ohne Kinder geben kann.