Let’s talk about: Kann jedes Kind innerhalb von 10 Minuten einschlafen?

Augenringe, Gereiztheit, Unkonzentriertheit… Ich glaube, die meisten Eltern werden mir zustimmen, wenn ich behaupte: Eines der herausforderndsten Dinge der Elternschaft ist der chronische Schlafmangel. Zumindest in den ersten Jahren. Man kriegt als Mama und Papa ja viel von seinem Baby zurück – langer, nicht unterbrochener Schlaf gehört in der Regel nicht dazu. Entweder schläft es ewig nicht ein und will bis 23 Uhr geschuckelt werden. Oder es wird achtmal pro Nacht wach und möchte an Mamis Brust…

Daher gehört das Thema Babyschlaf auch zu einem der am meisten diskutierten und besprochenen Elternthemen. Tippt man bei Google “Babyschlaf” ein, spuckt die Suchmaschine rund 1,5 Mio. Einträge aus. Darunter sind auch Beiträge über Schlaflerntrainings. Vor allem die Ferber-Methode gilt dabei als hochumstritten – die einen schwören darauf. Andere, wie ich, finden sie einfach unmenschlich. Was tun, wenn man solche Trainingsmethoden ablehnt, das Baby aber Nacht für Nacht unruhig schläft, häufig erwacht und man selbst nur noch auf dem Zahnfleisch kriecht, weil man seit Monaten keine Nacht mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen hat? Genau hier kommt Babyschlaf-Coachin Miriam Ende ins Spiel. Sie behauptet, dass jedes Baby und Kleinkind auf sanfte Art, das Schlafen lernen kann – abseits von Ferber & Co. Seit fünf Jahren schon begleitet sie Familien auf dem Weg zu besserem Schlaf. Über ihre Erfahrungen und Methoden hat sie mit uns gesprochen.

Liebe Miriam, ich gebe zu, dass ich dem Thema „Schlaf-Coaching bei Kindern“ ein bisschen skeptisch gegenüber stehe. Das liegt sicher in erster Linie an dem Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ und den darin promoteten Methoden: Kind schreien lassen, Tür zu, erst nach ein paar Minuten wieder reingehen, ein paar Tage durchhalten. Ich hab das Experiment, als mein Erstgeborener sehr klein war, genau einmal probiert – und nach zwei Minuten Schreien für immer abgebrochen. Auch weil ich es komplett unmenschlich fand und es sich falsch angefühlt hat. Wie nimmst du mir die Ängste, dass dein Schlaf-Coaching ähnlich abläuft?
Ja, dieses Buch wirft seine Schatten voraus, obwohl die Allermeisten es gar nicht gelesen haben sondern eher die kontroversen Diskussionen darüber mitbekommen. Wenn Eltern mit Ängsten auf mich zukommen, dann ist es mir wichtig, dass wir diese lösen bevor wir in das gemeinsame Coaching starten. Wenn du dir Sorgen machst, dass du all deine Überzeugungen über Bord werfen müsstest, dass du dein Kind nicht trösten darfst, wenn es weint oder es sogar schreien lassen musst, damit es schlafen lernt, kann ich dich beruhigen. Zum Glück sind wir heutzutage weiter und wissen wie wichtig es ist, das Urvertrauen zu stärken und dass es für jeden Erziehungsstil, für jede Überzeugung und für jedes Familienmodell einen Weg gibt, der sich gut und richtig anfühlt. Ich gebe im Coaching alles an die Hand, was benötigst wird und am Ende entscheiden die Eltern, was für sie und das Kind am besten passt.

Warum schlafen Babys bzw. Kleinkinder überhaupt „schlecht“? 
Neben den offensichtlichen Gründen wie Hunger, volle Windel, zu warm, zu kalt, usw. spielen häufig versteckte Gründe eine Rolle für erschwertes Ein- und altersentsprechendes Durchschlafen. Zu den häufigsten Gründen für erschwertes Einschlafen gehört tatsächlich, dass das Schlafangebot zum falschen Zeitpunkt gemacht wird. Einer der häufigsten Gründe für wiederholtes Erwachen ist eine ungünstige Schlafassoziation. Einfach erklärt ist dies eine Einschlafhilfe, die immer und immer wieder benötigt wird, um in den Schlaf zu finden. So kommt es vor, dass Kleinkinder jede Nacht acht Mal gestillt werden oder nachts ganz oft hochgenommen und in den Schlaf getragen werden müssen.

Wann hat ein Kind eigentlich ein Schlafproblem? Ist dreimal wach werden pro Nacht schon zu viel?
Jedes Kind ist anders und jede Familie empfindet auch die eigene Schlafsituation als unterschiedlich herausfordernd. Während es für die eine Mutter vollkommen okay ist, ihr 18 Monate altes Kind jeden Abend in den Schlaf und dreimal pro Nacht zu stillen, kann das für jemand anderen zur Belastungsprobe werden. Jede Familie hat individuelle Bedürfnisse und definiert für sich, wann sie sich eine Veränderung wünscht.

Sind die Erwartungen der Eltern an ihr sechs Monate altes Kleinkind auch manchmal zu hoch?
Die Familien, die sich bei uns in der Regel melden, bringen eine sehr realistische Erwartungshaltung mit. Auch wir haben keinen Zauberstab und „Durchschlafen“ bedeutet natürlich für jedes Alter etwas anderes.

Wie alt sind die Kinder, die du betreust? 
Meistens zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Ein Schlafcoaching macht Sinn, sobald der Schlaf eines Babys zyklisch wird und ein Schlafmuster erkennbar wird, was meistens mit etwa vier bis fünf Monaten der Fall ist.

Nun durchleben Kinder in den ersten Lebensjahren diverse Phasen, die auch den Schlaf und auch den Schlafbedarf mit beeinflussen. Ein sechs Monate altes Kind braucht vermutlich mehr Schlaf als ein Dreijähriges. Wie berücksichtigst du das in deinen Beratungen? Denn ich glaube nicht, dass Methoden, die man wenige Monate nach Geburt anwenden kann auch noch bei einem Dreijährigen wirken. Oder?
Natürlich ist es wichtig, zunächst auf den altersgerechten und auch individuellen Schlafbedarf des Kindes zu schauen und das Schlafangebot dann so zu machen, dass es sich überhaupt die Menge an Schlaf nehmen kann, die es benötigt. Im nächsten Schritt gibt es dann nicht nur DIE EINE Methode, die zu jedem Baby oder Kleinkind und zu jeder Familie passt. Es gib immer verschiedene Wege. Eltern können nur einen Weg gehen, der sich für sie gut anfühlt.

Um gut in den Schlaf zu finden, sollte ein Kind nicht zu müde, aber auch nicht zu wach sein. Wie findet man als Eltern da den besten Zeitpunkt?
Es gibt Kinder, die überhaupt keine Müdigkeitszeichen senden und dann ist es zu Beginn nicht immer einfach, den passenden Zeitpunkt zu finden. Die gute Nachricht ist: Eltern können lernen, es zu erkennen. Eine Möglichkeit ist es, einen Tagesplan als Rahmen zu nutzen, dessen Zeiten sich für viele Kinder gleichen Alters bewährt haben. Wenn du jeden Tag die gleichen Zeiten anbietest, kannst du daran ablesen, was gut klappt und wo noch etwas verändert werden kann.

Was ist mit Einschlafhilfen bzw. Einschlafritualen (Fläschchen, Wippstuhl, Trage)? 
Es gibt viele Babys und Kleinkinder, die mit Einschlafritualen und auch Einschlafhilfen in den Schlaf begleitet werden und gleichzeitig wunderbar altersentsprechend durchschlafen. Wir helfen den Eltern, deren Kinder sich an genau dieses Tragen, Wippen, Stillen gewöhnt haben und jede Nacht unzählige Male genau diese Einschlafhilfe erneut benötigen, um wieder in den Schlaf zu finden. Jede Einschlafhilfe kann also zur Herausforderung werden – muss sie aber auch nicht.

Und was hältst du von dem viel gepriesenen Familienbett: hilfreich oder störend für den Schlaf aller Familienmitglieder?
Ich bin weder für noch gegen das Familienbett. Jede Familie ist anders, hat unterschiedliche Werte und individuelle Bedürfnisse. Wenn Eltern und Kinder entspannt gemeinsam in einem Bett schlafen können, ist das eine Variante, die sich für viele Familien gut und richtig anfühlen kann. Ebenso gibt es Familien, in denen Eltern als Paar entspannter in einem Bett schlafen und deren Baby oder Kleinkind daneben im eigenen Bett besser zur Ruhe findet. Ich finde es wichtig, dass natürlich die Bedürfnisse des Kindes, aber auch die der Eltern betrachtet werden, sodass sich alle mit der Schlafsituation wohlfühlen.

Was ist mit den Phasen, in denen Kinder zahnen, geimpft wurden oder einen Infekt ausbrüten? 
In diesen Phasen ist alles erlaubt, was dem Kind guttut. Besonders während des Zahnens oder eines Infektes wird oftmals noch viel mehr Nähe und Liebe benötigt, die dann natürlich auch unbedingt von Mama und Papa gegeben werden darf. Eltern brauchen sich in dem Moment nicht über mögliche Rückschritte sorgen, sondern dürfen die Situation möglichst entspannt annehmen und flexibel sein. Gut ist es aber, nach überstandener Krankheit wieder dort anzuknüpfen, wohin man als Familie vorher schon gelangt war. In unserem Coaching sind wir bis zu sechs Monate für die Familien da, um genau diese Phasen gemeinsam zu meistern.

Babyschlaf-Coachin Miriam Ende
Babyschlaf-Coachin Miriam Ende

Wie bist du überhaupt zum Schlaf-Coaching gekommen?
Als ich selbst Mutter wurde und mit meinem Sohn durchschnittlich 13 Mal in der Nacht wach war, bin ich zusehends an meine Grenzen gestoßen. Ich wusste, dass das so nicht weitergehen kann, da nicht nur mein Kind, sondern auch ich als Mutter und mein Partner und ich als Paar massiv unter dem Schafmangel gelitten haben. So habe ich angefangen zu recherchieren, verschiedene Ausbildungen gemacht und ein einzigartiges Coaching-Konzept entwickelt. Das ist nun über fünf Jahre her. Mittlerweile ist das Thema so groß geworden, dass ich mit einem tollen Team zusammenarbeiten darf. Gemeinsam unterstützen wir Familien auf ihrem Weg zur entspannten Schlafsituation und bilden als Marktführer seit drei Jahres sogar selbst Schlafcoaches aus.

In deinem Podcast hast du mal gesagt: „Jedes Kind kann innerhalb von 10 Minuten einschlafen.“ Ist das nicht ein gewagtes Versprechen?
Unsere Erfahrung zeigt, dass es verschiedene Faktoren gibt, die die Einschlafdauer eines Kindes beeinflussen. Wenn Eltern das Schlafangebot zum passenden Zeitpunkt machen und die Gewohnheiten so gestaltet werden, dass zügiges Einschlafen begünstigt bzw. überhaupt ermöglicht wird, ist eine Einschlafdauer von zehn Minuten absolut machbar. Selbstverständlich gibt es Familien, die am Abend noch gerne lange miteinander kuscheln und die die Einschlafbegleitung auch über zehn Minuten hinaus genießen. Alles ist okay. Es geht hier um die Eltern, die sich eine Veränderung wünschen. Zum Beispiel wenn ein Elternteil allein mehrere kleine Kinder in den Schlaf begleitet und eine kürzere Einschlafdauer eine große Portion Entspannung für die gesamte Familiensituation bedeutet.

Wie reagierst du, wenn Schlafcoaches/innen wie dir vorgeworfen wird, ihr würdet mit euren Methoden das Urvertrauen zwischen Mutter und Kind stören und Bindungen kaputt machen, weil ihr in etwas Naturgegebenes eingreift… Und dass die Zeit das vermeintliche Schlafproblem schon von allein richten würde?
Ich finde es fatal, dass verzweifelte Eltern nicht ernst genommen werden und ihnen gesagt wird, dass sie die Schlafherausforderung irgendwie aushalten müssen, obwohl sie vielleicht seit Wochen, Monaten oder Jahren über ihre körperlichen und nervlichen Grenzen hinaus gehen. Niemand, der das nicht selbst durchgemacht hat, kann nachempfinden, was der Schlafmangel mit einer Familie macht. Eltern sind nicht mehr die Eltern, die sie gerne sein möchten und genau an dieser Stelle wird Unterstützung benötigt, damit die Bindung zwischen Eltern und Kind so eng bleibt, wie die Natur es vorgesehen hat.

Das Kind und dessen Schlafproblematik ist ja das Eine – inwiefern spielt aber das Verhalten der Eltern eine Rolle? Überträgt sich Angespanntheit?
Das Verhalten der Eltern spielt eine ganz entscheidende Rolle. Hierbei geht es gar nicht darum, ob Mamas oder Papas von Tag eins besonders entspannt oder besonders angespannt sind. Oftmals führt eher eine angespannte Schlafsituation zu einem Überaktionismus in der Einschlafbegleitung, der dann später zur Herausforderung wird (Thema Einschlafhilfe). Dann kommt der Punkt an dem es Eltern (verständlicherweise) schwerfällt, entspannt zu bleiben. Auch Babys und Kleinkinder haben bereits ganz feine Antennen und spüren Stresssituationen. So entsteht ein Kreislauf. Um diesen zu durchbrechen, ist es hilfreich, Gewohnheiten Stück für Stück so zu verändern, dass sich die Schlafsituation entspannen kann.

Bist du dann eigentlich auch häufig Eltern-Coachin – und nicht nur Schlaf-Coachin?
Das ist das Schöne an meiner Tätigkeit als Schlafcoach: Ich nehme Eltern an die Hand. Im Mittelpunkt steht immer das Thema Baby- und Kleinkinderschlaf, aber selbstverständlich hilft es manchmal auch, die Familiensituation mit all ihren Emotionen zu betrachten. In einigen Coachinggesprächen ist es das Beste, einfach ein offenes Ohr zu haben, den Mamas und Papas neue Kraft zu geben und sie mit den passenden Worten auf dem Weg zu begleiten.

Gibt es eine goldene Grenze, ab der man sagt: Ab diesem Zeitpunkt schläft ein Kind „normal“ und altersgerecht?
Auf diese goldene Grenze fiebern viele Eltern hin, obwohl ich sie so pauschal gar nicht benennen mag. Es gibt schon kleine Babys, die mit wenigen Wochen bereits entspannt schlafen und auch langfristig nur selten Phasen haben, in denen die Nächte holprig sind. Dann erleben wir immer wieder Kinder, die von Geburt an leicht in den Schlaf gefunden und bei denen sich die Herausforderungen erst später mit mehreren Monaten eingeschlichen haben… Im Anschluss an das Schlafcoaching bekomme ich unglaublich oft die Rückmeldung, dass Familien sich fragen, warum sie sich nicht schon früher Unterstützung geholt haben. Niemand erhält einen Orden dafür, dass er herausfordernde Nächte über Wochen, Monate oder Jahre durchgehalten hat. Immer wieder melden sich auch Familien bei uns, deren Kinder deutlich über drei Jahre alt sind, regelmäßig schwer in den Schlaf finden und mehrfach in der Nacht wach werden.

Auch sechs Jahre nach Geburt leiden viele Eltern – vermehrt Frauen – noch unter Schlafproblemen. Was rätst du ihnen? Und kannst du ihnen Hoffnung machen, dass es irgendwann besser wird?
Auch für Erwachsene gibt es wunderbare Schlafcoaches. Ich bin mir sicher, dass jede Frau / jeder Mann die/der sich auf Lösungssuche begibt, den für sich richtigen Wegbegleiter findet, der ihm / ihr helfen kann.

Liebe Miriam, hab ganz vielen Dank für diese Einblicke und die vielen Informationen!

Titelfoto: Tara Raye