Let’s talk about: Consent oder körperliche Grenzen

Ein Küsschen hier, ein Küsschen da. Wenn mein Sohn bei seiner italienischen Familie ist, werden immer ordentlich Baci verteilt. Er hat das quasi schon gelernt, seitdem er ein Baby ist. Ich fand das manchmal ganz süß, ja auch irgendwie herzlich. Und trotzdem kam ich nicht umher, mich auch unwohl dabei zu fühlen. Denn lernt er denn nicht so, dass, egal ob er es möchte oder nicht, diese Körperlichkeit von ihm erwartet wird, ja er sie leisten muss, um dazuzugehören? Laut einem CNN-Artikel, bringen wir so unseren Kindern bei, dass es ok ist oder sogar nötig, seinen Körper hinzugeben, um das Bedürfnis nach Zuneigung und Zärtlichkeit einer anderen Person zu stillen, auch wenn man es selbst nicht möchte. Und: Das Kind würde lernen, dass es verantwortlich ist für den emotionalen Zustand der anderen Person. Klingt irgendwie ziemlich schrecklich, oder?

Ich kann mich noch gut erinnern, an den liebevoll gemeinten “Kniff” mancher Großtanten in meine kindliche Wange, der aber immer auch ein bisschen weh tat und eigentlich unangenehm war. Diese Überschreitung meiner körperlichen Grenzen habe ich nie bewusst wahrgenommen und trotzdem frage ich mich, was das wohl mit mir gemacht hat.

Körperhygiene

Wenn ich jetzt meinen Sohn sehe, weiß ich, es ist höchste Zeit ihm zu erklären, dass er nicht Küsschen geben muss, wenn er es nicht möchte. Dass er niemanden umarmen muss, auch wenn es von ihm gefordert wird. Aber umso länger ich über körperliche Grenzen nachdenke, desto mehr frage ich mich auch: Wo fangen die Grenzen an? Stichwort: Zehennägel schneiden. Die waren wirklich überfällig, und wie wohl bei den meisten kleinen Kindern, findet er das auch nicht so richtig gut. Wenn ich Geduld habe und Zeit, schaffe ich es, ein Spiel daraus zu machen und es funktioniert ohne Probleme. Aber das ist eben nicht immer der Fall. Vor Kurzem musste wirklich was weg, und da er gerade abgelenkt war, dachte ich mir – zack – ich machs einfach schnell. Als er es bemerkte, meckerte er empört drauf los und: Ich finde, völlig zu Recht! Ich habe mich danach bei ihm entschuldigt. Und gedacht: Wenn ich auf einen besseren Moment gewartet hätte, dann hätte es auch mit Einverständnis geklappt. Aber wir sind nicht perfekt, und sicherlich ist dieses Erlebnis auch kein schwerwiegendes, trotzdem hat es mich zum Nachdenken angeregt: Ab wann genau überschreitet man die körperlichen Grenzen des Kindes? Und was sind Notwendigkeiten diese zu überschreiten? Auch beim Baden finde ich es wichtig, Kinder dazu anzuregen sich selbst zu waschen. Das klappt natürlich nicht immer, und manchmal muss man nachhelfen. Und dann denke ich: Eigentlich müsste ich ihn nun jedes Mal fragen: Kann ich dir die Füße waschen? Den Hals? Den Popo? Anstatt einfach zu sagen: So, jetzt Popo waschen! Aber wenn ich jedes Mal frage, ehrlich gesagt, dann würden wir Stunden brauchen. Die ideale Lösung habe ich da auch noch nicht gefunden.

Gewaltfrei

Ein klares Beispiel: Das Kind rennt, ohne richtig zu gucken, auf die Straße. Natürlich kann man in diesem Moment nur eins tun: Es festhalten. Und manchmal ist die körperliche Überlegenheit eben das einzige was man noch hat. Diese so wenig wie möglich einzusetzen, hat viel mit gewaltfreier Erziehung zu tun. Nun ist es aber gar nicht so einfach, das als Mutter auch zu lernen: Denn kamen diese kleinen Wesen nicht aus dem eigenen Körper? Und hat es sich nicht am Anfang noch angefühlt, als wäre man eins? Irgendwann sind unsere Kinder aber eben nicht mehr diese kleinen Babys, die man festhalten muss, damit sie nicht vom Wickeltisch fallen oder ihren Kacka-Po über den Teppich schmieren. Irgendwann werden daraus eigenständige Persönlichkeiten. Deshalb versuche ich immer zu reflektieren, ab wann ist es wirklich nötig, diese Grenzen zu überschreiten? Muss ich wirklich schnell mal das Eis aus dem Gesicht wischen, oder kann ich nicht wenigstens vorher fragen bzw. es am besten einfach ihn selbst machen lassen?

Stop sagen

In der Kita lernen die Kinder, den Arm mit der flachen Hand auszustrecken und laut “Stop” zusagen, wenn sie nicht angefasst werden wollen (oder etwas anderes passiert, das sie als Bedrängung empfinden). Das Konzept, jemanden so einfach und klar und komplett kompromisslos ein Nein oder Stop entgegenzusetzen, habe ich als Kind nie gelernt und finde es umso wichtiger, dass mein Sohn es jetzt tut. Bei Jonna Goddard von ” A Cup of Jo” habe ich über fünf Wege gelesen, Kindern “Consent”, was man vielleicht mit Zustimmung, oder Einwilligung übersetzen könnte, beizubringen:

  1. You’re the boss: Seinen Kids immer wieder sagen, dass sie der Chef ihres Körpers sind und entscheiden können, was damit passiert. Und andere das genauso sind: Wenn das andere Kind nicht gekitzelt werden will, dann muss man das respektieren. Wenn man dann natürlich so ein Schlaumeier-Kind hat wie Isabels Xaver, dass nur noch Erdbeermarmeladenbrote essen will, weil er ja über seinen Körper entscheiden könne, muss man sich wohl auf Diskussionen gefasst machen. But it’s worth it, würde ich mal sagen.
  2. Nicht schmollen: Wenn einem das eigene Kind nicht umarmen oder küssen will, sollte man ihm dafür kein schlechtes Gewissen machen, sondern es einfach akzeptieren. “Du willst jetzt, das ist voll ok! “
  3. Vorher fragen: Wenn sich Kinder voneinander verabschieden, verlangen Eltern (ich auch) manchmal noch einen Abschiedskuss, ist ja auch so niedlich, wenn die Kleinen sich küssen! Besser wäre es, es anders zu formulieren: Willst du Kind XY fragen, ob es ein Küsschen oder eine Umarmung mag? Die Message ist klar und besonders fürs spätere Teenager-Leben in Sachen Sexualität wichtig.
  4. Offen und klar über den Körper sprechen: Scham ist fehl am Platz. Joanna geht sogar so weit, dass sie ihren Jungs erklärt hat, was Tampons sind, als diese welche im Bad entdeckten und fragten. Offenheit und klare Benennungen helfen den Kindern auch offen mit eigenen Problemen oder Sorgen umzugehen. Ich glaube, allerdings dass zufiel Offenheit auch überfordern kann, also wie immer, ist hier auch ein guter Mittelweg nötig und der natürlich altersgerecht angepasst.

Natürlich kann und will ich mein Kind nicht jedes Mal um Einverständnis bitten, wenn ich es umarmen möchte, aber ich glaube ganz fest daran, dass man Kindern helfen kann, ein besseres (Selbst)-Bewusstsein für den eigenen Körper zu entwickeln – und damit auch mehr Respekt anderen Körpern gegenüber zu haben. Und deshalb lohnt es sich mal nachzudenken, ob das Küsschen jetzt wirklich so nötig ist, und welches Bild wir Kindern mit unseren Erwartungen über das Zusammenleben mitgeben.

 

Foto: Aus unserem Porträt mit Ingerid und Neo. Fotografiert von Barbara Klein.