Kleine Jahre, große Frage: Warum haben es die meisten Alleinerziehenden so schwer?
Wir leben im Jahr 2020, Frauen sind unabhängig, die Ehe keine gesellschaftliche Verpflichtung mehr. Beziehungen scheitern, und wenn ein Kind mit im Spiel ist, stellt sich die Frage: was tun? In den meisten Fällen bleibt das Kind nach einer Trennung die meiste Zeit bei der Mutter. Laut dem Statistischen Bundesamt waren rund 2,17 Millionen Mütter und etwa 407.000 Väter im Jahr 2018 alleinerziehend in Deutschland.
Wenn wir über „Alleinerziehende“ sprechen, meinen wir also immer noch überwiegend Frauen. Und, was diese Zahlen auch ganz klar aussagen: Ein Kind alleine zu erziehen ist kein gesellschaftlicher Ausnahmezustand, es ist einfach völlig normal. Eine Familienform von vielen!
Anerkannt wird sie aber nicht. Weder gibt es steuerlich eine Nische für Menschen, die alleine ein (oder mehrere) Kind(er) großziehen, noch wird eine Mutter mit Kind als „Familie“ angesehen.
Ich bin selbst mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, Marie war eine ganze Weile lang alleinerziehend, viele meiner Freundinnen sind es. Manche von ihnen erziehen im Wechselmodell, also das Kind zieht wöchentlich, oder anders getaktet, um, bei manchen kümmert sich der Vater am Wochenende, manchmal jedes zweite. So oder so: Dieses Modell ist so häufig, dass wir ihm viel mehr Raum geben sollten!
Anne Dittmann war etwas mehr als zwei Jahre alleinerziehend. Das Gespräch mit ihr war so offen und ehrlich. Am Ende dachte ich: Waren wir zu negativ? Fühlen sich manche da auf den Schlips getreten, weil wir das Alleinerziehend-sein als so hart dargestellt haben? Vielleicht. Aber für ganz ganz viele ist es eben so!
Direkt nach der Trennung war ihr Sohn erst ein Jahr alt, ein Wechselmodell war keine Option. Anne blieb nach der Trennung alleine mit ihm, der Vater kümmerte sich erst an jedem zweiten Wochenende und später zwei Tage pro Woche.
Das erste Jahr mit Kind hat sie als „extrem“ in Erinnerung. Sie musste die Trennung emotional verarbeiten, hatte Liebeskummer. Sie fühlte sich oft richtig einsam, hatte kaum Freunde mit Kindern, kein Netzwerk, auch ihre Mutter war ihr zunächst keine Hilfe. „Mir hat vor allem der Kontakt zu Erwachsenen gefehlt“, sagt sie heute. Dazu empfand sie die finanzielle und organisatorische Last alleine mit Kind als extrem fordernd.
Anne arbeitete damals in Teilzeit als Journalistin in einem Verlag. Mehr als 24 Stunden pro Woche hätte sie nicht geschafft, sagt sie. Denn das Kind war noch klein, und irgendwann muss man ja auch noch Besorgungen und Erledigungen machen. Im Job geriet sie in die klassische „Teilzeitfalle“, bekam keine spannenden Projekte mehr zugeteilt, hatte das Gefühl, nur noch „Hilfsarbeit“ zu leisten. Sie konnte also auch gar keine Kraft mehr aus ihrem Job ziehen, war zunehmend frustriert, ihr fehlte irgendwann die Kraft für alles. Vor allem dafür, ein Netzwerk aufzubauen, das sie so dringend gebraucht hätte.
Es fehlt die Kraft für alles
Als sich bei ihr Burnout-Symptome einstellten, wurde sie zunächst krank geschrieben, entschied sich dann für eine Therapie und schließlich für die Kündigung. Diese Geschichte hat ein Happy End: heute arbeitet Anne als selbstständige Journalistin und Aktivistin, sie setzt sich stark für Alleinerziehende ein, auch auf Instagram. Mit ihrem Ex-Partner hat sie sich vor einem Jahr auf ein Wechselmodell geeinigt, in Absprache mit dem gemeinsamen Sohn, der mittlerweile vier Jahre alt ist. Heute geht es ihr besser denn je. Sie geht wieder aus, sie genießt die Zeiten ohne Kind, genauso wie die Zeiten mit Kind, sie ist beruflich erfüllter denn je.
Aber vielen Frauen da draußen (ich sage Frauen, denn neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen und Männer haben es zumindest wirtschaftlich meist leichter – auch wenn es sicher auch Männer gibt, denen es ganz genauso geht, wie den Frauen, die ich hier anspreche!) stecken noch genau in der Spirale fest, in der auch Anne steckte.
„Heruntergewirtschaftet“ habe sie sich gefühlt, nicht gesehen, nicht wertgeschätzt. Was bräuchte dieses Land, um es Alleinerziehenden einfacher zu machen? Nicht nur Gleichberechtigung, sagt Anne, sondern auch gleiche Chancen. Dann wären es nicht meistens die Frauen, die so auf dem Abstellgleis landen. Wenn Frauen beruflich gleich gestellt wären, wirklich genau so viel verdienen würden, wenn es diese Teilzeit-Problematik nicht gäbe, sondern stattdessen bedürfnisorientierte Arbeitsstrukturen, auf die Alleinerziehende zurückgreifen könnten – dann würde es nach einer Trennung weniger unfair zugehen.
Wenn Arbeitgeber mehr Verständnis hätten, wenn es ein Recht auf Home Office gäbe, dann wäre auch viel getan. Wenn Kindertagesstätten flexibler wären, verständnisvoller – auch das wäre eine große Hilfe.
Sie wünscht sich außerdem eine Reform der Steuerklasse II, sodass es eine echte finanzielle Entlastung für Alleinerziehende gibt. Das ist bisher nicht der Fall!
Und ist es nicht verrückt, dass es in diesem Land Mutter-Kind-Kuren gibt, die vom Staat bezahlt werden, dass aber so wenig in Sachen Prävention gemacht wird? Viele Frauen würden sich lieber eine Haushaltshilfe wünschen, als eine Mutter-Kind-Kur…
Mittlerweile gibt es viele alleinerziehende Frauen, die diesen Weg selbst gewählt haben, die sich damit sehr wohl fühlen und die nicht bemitleidet werden wollen und für mehr Anerkennung für dieses Lebensmodell kämpfen. Einige haben wir hier auch schon vorgestellt und wir finden das eine tolle Entwicklung. Aber es gibt auch genug Frauen, die alleine mit Kind stark zu kämpfen haben. Vor allem solche, die wirtschaftlich schlechter gestellt sind, die vielleicht mehr als ein Kind haben, sind völlig erschöpft und brauchen einfach mehr Hilfe. Alleinerziehende haben keine große Lobby – auch weil ihnen wahrscheinlich einfach die Kraft dafür fehlt. Und für jede Art von Pause, Rückzug, Self Care, fehlen die Zeit und das Geld – abgesehen davon, dass Fürsorge von außen für die mentale Gesundheit mindestens genauso wichtig ist.
Wir brauchen echte Reformen in diesem Land, die alle Familienformen unterstützen, nicht nur die „normale“ Kleinfamilie, verheiratet und mit einem Hauptverdiener! Bis dahin können wir alle auch „im Kleinen“ etwas machen: Hilfe anbieten, Kinder aufteilen, wenn Freundinnen sich trennen, einfach da sein und auch mal abends vorbeikommen, beim Kochen und bei der Wäsche helfen. Im Job Verständnis zeigen, aber auch mehr zutrauen. Einfach da sein und dieses Familienmodell als das sehen, was es ist: ganz normal und doch etwas herausfordernder als die meisten anderen Familienformen.
Foto: Josefine Hüttig