Kindheit reloaded: Über den heilenden Aspekt des Kinderkriegens
Als ich mit meinem Monolog fertig war, überlegte er kurz und erzählte mir dann, dass er so eine traurige Kindheit gehabt hatte, dass er sich nicht in der Lage fühle, jemals ein guter Vater sein zu können. Er habe sich deshalb ganz bewusst in seinem Leben gegen Kinder entschieden. Obwohl ich das traurig fand, konnte ich seine Entscheidung verstehen und respektieren. Menschen, die sich gegen Kinder entscheiden, aus den unterschiedlichsten Gründen, empfinde ich absurderweise manchmal als Kritik an meiner eigenen Entscheidung Kinder zu haben. Natürlich ist das Quatsch, aber ich ertappe mich doch das ein oder andere Mal beim Rechtfertigen. Es gab allerdings etwas, dass ich ihm sagen musste: Für mich ist das eigene Kind haben wie eine zweite Chance – auf eine tolle Kindheit.
Ich hatte keine schlimme Kindheit, es gab viele schöne Dinge. Aber dennoch war ich froh, das Kindsein so schnell wie möglich hinter mir zu lassen, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich war nicht gerne Kind und es war nicht immer ganz einfach. Bevor ich Mutter wurde, hatte ich unheimlichen Respekt vor der Herausforderung und der Verantwortung für ein Kind alles zu sein. Konnte ich ein Kind so unendlich und bedingungslos lieben, wie man es von anderen Eltern erzählt bekommt?
Auseinandersetzung mit dem kindlichen Ich
Als ich mein Sohn dann auf der Welt war, war für mich klar: Ich wünsche mir für ihn die schönste Kindheit, voller Liebe, Abenteuer und Zauber. Ich hoffe, dass er gern Kind ist und er es auch lange bleiben kann. Und die Liebe zu ihm war einfach da, überwältigend, schön und eben genau das: bedingungslos.
Ihm eine schöne Kindheit ermöglichen zu können, hatte aber auch einen überraschenden Effekt auf mich: Es heilt. Ich habe das Gefühl die eigene Kindheit noch einmal zu erleben und wieder gut machen zu können – durch die Augen meines Sohnes das Kind-Sein noch einmal zu erfahren. Manchmal fühle ich mich wie zurückversetzt; ich erinnere mich an meine eigenen Wahrnehmungen, Ängste und Wünsche. Es hilft Erfahrungen noch einmal anders zu verarbeiten.
Natürlich ist mein Sohn nicht die Marie vor 20 Jahren, das weiß ich auch. Und ich versuche auch nicht zu projizieren. Aber ich habe durch diesen Schritt noch einmal ganz anders zu mir gefunden. Die Verantwortung für ein neues Leben zu übernehmen ist eine große Sache. Viele Dinge sieht man objektiver, viel weniger dreht sich um einen selbst. Und doch hat so vieles mit mir zutun. Ich reflektiere – und finde durch das eigene Kind zu mir selbst. Ein Hoch auf unsere Kinder – und den Mut noch einmal von vorne anzufangen.