Kinderhaben anderswo: Mark in den Niederlanden

Heute geht’s in die Niederlande! In unserer Reihe “Kinderhaben anderswo” erzählt diesmal Mark, wie das Familienleben in Haarlem so ist. Er ist mit seiner Familie im September 2021 dorthin ausgewandert. Sind die Niederlande kinderfreundlicher als Deutschland? Welche Unterschiede gibt es bei der Kinderbetreuung und Vereinbarkeit? Sieht der Alltag anders aus als in Deutschland? Und wie war ihr Weg nach Haarlem? Wir sind sehr gespannt.

Lieber Mark, ihr lebt seit 2021 in den Niederlanden, in Noord-Holland genauer gesagt. Wie kam es dazu? 

Wir wollten schon lange aus der alten Heimat weg, weil wir uns nicht mehr wohlgefühlt haben. Wiesbaden hat für uns in den letzten 10 Jahren kontinuierlich an Attraktivität verloren. Wir fanden es immer weniger schön und haben uns auch immer weniger wohlgefühlt. Viele unserer Freund:innen sind in den letzten Jahren weggezogen und wir waren fast die Einzigen, die noch die Stellung gehalten haben. Deswegen wussten wir einfach, dass wir weg und unser Kind dort nicht großziehen wollen. Wir haben die Stadt zudem als immer weniger kinderfreundlich wahrgenommen. Meine Frau ist in Wiesbaden geboren und aufgewachsen und so hatten wir einen guten Vergleich – auch was Kindergärten und Schulen angeht. Es gab insgesamt viele Punkte für uns. Da ich aber dort studiert und dann auch promoviert habe, ging das erstmal nicht. Wir beide lieben das Meer und es war immer unser Traum, am Meer zu leben. Das war ein Kriterium für uns. Ein weiteres war, dass meine Schwiegermutter mitkommen sollte. Sie lebt alleine und deswegen war es meiner Frau sehr wichtig, dass sie mitkommen kann.
Wir waren in den letzten Jahren immer mal wieder in Haarlem, da wir dort Verwandtschaft haben. So hat sich das angeboten und wir haben geschaut, ob es möglich ist, dorthin auszuwandern. Mit der Recherche haben wir schon vor einigen Jahren, vor Bennetts Geburt, angefangen. Am Anfang haben wir auch eine Agentin beauftragt, die uns bei der Auswanderung unterstützen sollte. Sie hat dann auch ein Haus für uns gefunden – damals war Bennett dann schon auf der Welt und etwa 4 Monate alt. Als wir schließlich nach Haarlem gefahren sind, um das Haus anzuschauen und den Mietvertrag zu unterschreiben, hat sich das allerdings als Reinfall entpuppt. Es war überall Schimmel. Wir haben der Agentin gekündigt und auf eigene Faust weitergesucht. Allerdings kam dann erstmal gar nichts und dann war auch schon Corona – und dadurch gab es einen richtigen Stillstand. Bennett wurde immer älter und wir haben zwischenzeitlich schon gedacht, dass wir den Zeitpunkt verpasst hätten. Im Mai 2021, als man langsam wieder verreisen konnte, haben wir unseren ersten Urlaub in Haarlem gemacht. Da war Bennett schon zwei Jahre alt. Und genau als wir hier waren, ging eine Anzeige für ein Haus zur Miete online. Wir konnten es uns auch direkt anschauen und es war perfekt. Deswegen haben wir sofort zugeschlagen und es gemietet. Wir sind nach Hause gefahren, haben ein paar Sachen gepackt und sind drei Wochen später wieder nach Haarlem zurück. Den Sommer haben wir dann in dem halb leeren Haus verbracht. Zu dem Zeitpunkt haben wir doppelt Miete gezahlt und dann eben den Sommer hier verbracht, statt irgendwo Sommerurlaub zu machen. All unsere Nachbar:innen kamen sofort und haben uns ganz nett aufgenommen. Wir wurden begrüßt und viele haben uns Spielzeug und andere Sachen geschenkt. Wir haben uns direkt willkommen gefühlt. Dann sind wir nochmal zurückgefahren und haben meine Schwiegermutter geholt. Sie lebt 80% der Zeit bei uns, hat aber noch ihre Wohnung in Deutschland. Im September 2021 sind wir dann komplett mit einem Umzugsunternehmen hergezogen. Seitdem leben wir in Haarlem.

Wie lebt ihr? Wie sieht euer Alltag aus?

Wir sind beide selbstständig. Meine Frau arbeitet schon seit einigen Jahren selbstständig im Marketingbereich und ich habe mich nach meiner Promotion selbstständig gemacht. Uns ist es beiden sehr wichtig, wenig und flexibel arbeiten zu können, da wir nicht nur für die Arbeit leben wollen. Bei mir hat sich das so ergeben. Nach der Geburt wollte ich sowieso zuhause sein und habe nur ein paar Jobs als Webdesigner gemacht, mir aber keine neue Festanstellung gesucht. Parallel habe ich dann mit Instagram angefangen und daraus ist mein Job geworden. Unsere Selbstständigkeit hat das Auswandern natürlich extrem erleichtert. Wir mussten keine Jobs suchen, sondern uns hier nur neu anmelden. Und das ging ganz problemlos. Die Bürokratie ist hier ohnehin so viel unkomplizierter und angenehmer.

Bennett geht hier von Anfang an vormittags in den Kindergarten. Es gibt verschiedene Modelle, ähnlich wie in Deutschland. Er besucht einen Peuterspeelzaal und ist dort von morgens bis ca. 12:00/12:30 Uhr. Wir hatten Glück und er hat damals direkt im Oktober 2021 einen Platz bekommen. Erst ist er nur zwei Tage dorthin gegangen, irgendwann dann vier – das wird ausländischen Familien bezahlt, um die Sprache zu lernen. Seit diesem Jahr geht er alle fünf Tage dorthin. Im März kommt Bennett dann schon in die Vorschule, die startet in Holland direkt nach dem 4. Geburtstag. An den Vormittagen versuchen wir, so viel wie möglich zu arbeiten und nachmittags sind wir dann beide da und unternehmen Sachen zusammen. Wir arbeiten beide Teilzeit und manchmal arbeiten wir abends noch ein bisschen. Für uns geht das gerade und reicht auch finanziell. Und uns ist die Zeit, die wir haben, wichtiger.

Haarlem ist nochmal teurer als Wiesbaden, dafür haben wir aber auch eine viel höhere Lebensqualität. Wir leben jetzt am Meer, haben eine lebendige, kinderfreundliche Stadt und viel Natur. Wir zahlen etwa 400 € mehr Miete als in Wiesbaden und auch die Lebenshaltungskosten sind höher, aber das ist es uns insgesamt alles wert.

Ihr arbeitet also beide Teilzeit. Seid ihr damit eine Ausnahme?

Also wir sind in unserem Umfeld schon die Einzigen, die es genauso machen. Aber generell sind die Menschen viel offener und es gibt sehr viele unterschiedliche Modelle. Vor allem hier in Haarlem und Amsterdam, wo es sehr international ist. Wenn wir von unserem Modell erzählen, finden die meisten das toll oder interessant. In Deutschland waren wir oft Außenseiter mit unserem Modell. Das ist hier definitiv anders.
Die Kinderbetreuung ist hier sehr teuer und wird nach Stunden bezahlt. Das fängt bei 8,90 € und geht bis 14/15 € hoch, je nachdem, welche Betreuung man hat. Es gibt zwei Modelle: den Peuterspeelzaal, also die Vormittagsbetreuung und die Ganztagsbetreuung. Viele niederländische Kinder gehen auch schon sehr früh in die Ganztagsbetreuung, da es so etwas wie Mutterschutz oder Elterngeld hier nicht gibt. Man kann zwar Elternzeit nehmen, aber die ist dann unbezahlt. Die Elternzeit gilt fix 26 Wochen. Das nutzen aber sehr wenige, da es finanziell für sie gar nicht möglich ist. Das wurde allerdings kürzlich geändert. Von den 26 Wochen werden jetzt die ersten 9 Wochen teilvergütet. Frauen müssen aber häufig nach wenigen Wochen schon wieder zurück in den Job. Oft gibt es dann Modelle, bei denen sich die Eltern aufteilen und die Großeltern noch eingespannt werden, auch weil die Kinderbetreuung so teuer ist. Die Kinder gehen also zum Beispiel zwei Tage in die Ganztagsbetreuung, ein Tag ist die Mutter zuhause, ein Tag der Vater und einen Tag noch die Großeltern. So wird die Woche überbrückt. Die Aufteilung ist aber auch unkomplizierter als in Deutschland, da Vollzeit hier 36 Stunden sind – und die kann man an vier Tagen nehmen, was auch viele machen. Manche haben dann den Freitag frei, aber noch häufiger wird der Mittwoch gewählt. So hat man quasi zwei kurze Wochen. Diese typische Woche – „Oh Montag“, Mittwoch = Bergfest und Freitag „Hoch die Hände, Wochenende“ – das gibt es hier kaum. Das macht viel mit der Einstellung zur Arbeit und das ist auch ein großer Unterschied zu Deutschland.

Die Menschen leben hier nicht um zu arbeiten, sondern Arbeit ist nur ein Teil des Lebens.

Oft übernehmen die Väter an ihrem freien Mittwoch die Kinderbetreuung. Deswegen heißt der Mittwoch hier auch „Papatag“. Da sieht man dann immer sehr viele Väter mit ihren Kindern auf den Spielplätzen und in den Cafés – die hier übrigens fast alle Spielecken haben und sehr kinderfreundlich sind.

Am Tag nach dem vierten Geburtstag (wenn nicht gerade Ferien sind) wechseln die Kinder, wie schon erwähnt, in die Vorschule. Das ist schon die richtige Grundschule, aber die ersten zwei Jahre wird noch Vorschule gemacht. Der richtige Schulstart ist dann auch mit 6 Jahren. Die Gruppen (gleichbedeutend mit deutschen Klassen) bleiben weiterhin so zusammen. In der Theorie finde ich das sehr gut und spannend ­­­– wie es dann tatsächlich sein wird, erfahren wir dieses Jahr. Bis zur Gruppe 8 bleiben alle Kinder zusammen in der Grundschule, das entspricht der deutschen 6. Klasse. In der Grundschule werden hier alle Materialien gestellt ­– von Stiften, über Hefte und Büchern – die Kinder haben eine Schublade in der Schule und müssen die Sachen nicht hin- und hertragen. Danach gibt es dann verschiedene weiterführende Schulen, ähnlich wie in Deutschland.

 

Sind die Niederlande wirklich so kinderfreundlich, wie man immer hört?

Man hat das Gefühl, dass hier immer an Kinder gedacht wird. Wie schon gesagt, gibt es hier in fast jedem Café eine Spielecke und es gibt auch Klamottengeschäfte mit Spielecken. Das genießen wir sehr. In Wiesbaden gab es das fast gar nicht. Es gibt zudem ein großes Angebot an Familienaktivitäten – zum Beispiel interaktive Kindermuseen, in denen die Kinder was lernen können und Spaß dabei haben. Und die Natur ist natürlich toll: Wir haben das Meer, Badeseen, Dünen und Wälder. Und auch dort werden Kinder mitgedacht. In einem Stadtpark, in den wir oft gehen, gibt es einen Kabouterpfad. Kabouter sind kleine Zwerge, die sind in dem Park aus Holz aufgestellt und man kann ihnen durch den Park folgen und muss Aufgaben machen. Dort gibt es außerdem zwei schöne Spielplätze. Einer ist ein großer Abenteuerspielplatz mit Seen und Brücken. Und so etwas findet man hier überall. In den Dünen gibt es auch verschiedene Laufwege und einen kleinen, den Fuchsweg, extra für Kinder. Hier gibt es so viel zu erleben, dass wir regelmäßig denken, dass wir gar nicht genug Zeit für alles haben.

Zudem sind Kinder hier auch wirklich willkommen. Die Menschen sind sehr kinderfreundlich und reagieren ganz nett auf Kinder.

Das habe ich in Deutschland oft anders erlebt. In einem Supermarkt, hier um die Ecke, ist Bennett mal mit dem Laufrad durchgerast und ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass wir gleich rausfliegen, aber die Leute haben gelacht und sich gefreut.

Das ist nur ein kleines Beispiel, zeigt aber ganz gut die Stimmung. Was uns aber auch schon aufgefallen ist, dass die ursprünglichen Holländer schon auch sehr streng in der Erziehung sind. Wir sind ja hier in einer sehr internationalen Blase. Man ist extrem darauf bedacht, dass die Kinder früh sehr selbstständig sind. Kinder sollten zum Beispiel sehr früh keine Windeln mehr tragen und sich selbst anziehen können. Das hat aber auch etwas mit der frühen Ganztagsbetreuung und der Vorschule ab 4 Jahren zu tun, denke ich. In der Vorschule werden zum Beispiel auch keine Windeln mehr gewechselt.

Was sind die größten Unterschiede zu Deutschland?

Was hier anders geregelt ist, ist das Krankenkassensystem. Und ich persönlich finde es hier besser. Man kann jedes Jahr den Anbieter oder in neue Tarife wechseln. Man hat außerdem ein eigenes Risiko von etwa 350 €, das man aber bis 850 € aufstocken kann. Dann zahlt man monatlich deutlich weniger Beiträge, muss dafür aber mehr Rechnungen aus der eigenen Tasche zahlen. Wir sind glücklicherweise selten krank und müssen alle keine Medikamente nehmen. Deswegen lohnt sich das für uns sehr. Wir zahlen jetzt für uns alle zusammen weniger, als ich vorher in Deutschland für mich alleine bezahlt habe. Zudem gibt es viele Medikamente hier ganz normal im Supermarkt oder in der Drogerie, ähnlich wie in Amerika. Das heißt, dass man dafür auch nicht zum Arzt oder in die Apotheke muss.

Die allgemeine Stimmung ist auch anders als in Deutschland. Das haben wir ganz besonders während Corona gemerkt. Wir fanden die mediale Berichterstattung sehr viel ruhiger und unaufgeregter und auch den Umgang der Menschen damit. Als wir hierher gekommen sind, war die Stimmung in Wiesbaden gerade extrem schlecht. In Holland waren die Menschen viel lebensfroher und offener, so war unser Gefühl. Man hat sich trotzdem weiterhin getroffen, dann eben draußen und mit Abstand – die Gemeinschaft ist nicht verloren gegangen. Das Lebensgefühl war eher „gemeinsam durch die Krise“. Hier spürt man auch wirklich schon seit einem Jahr im Alltag nicht mehr wirklich was von Corona.

Wie sieht die Zukunft aus ­– bleibt ihr?

Wir wurden hier so freundlich aufgenommen, dass wir am Anfang gar nicht wussten, wie wir damit umgehen sollten. Das kannten wir aus Wiesbaden einfach nicht. Im Gegenteil, dort hatten wir extrem unfreundliche Nachbar:innen. Hier haben wir uns sofort wohlgefühlt. Ich finde es total schön, dass die Menschen sich hier wirklich für dich interessieren und dir zuhören. Das habe ich jetzt schon einige Male erlebt und kannte ich vorher so auch nicht. Wir verstehen uns mit unseren Nachbar:innen sehr gut und auch Bennett hat schon viele Freund:innen gefunden. Die befreundeten Familien leben alle in der Nachbarschaft. Das ist wirklich perfekt. Es ist wie ein Dorf, aber in einer größeren Stadt. Und wir sind auch genau zwischen Stadt und Natur. Wir brauchen 5 Minuten mit dem Fahrrad in die Innenstadt und 5 Minuten in den Wald oder an den See. Das ist alles ideal und wir sind hier sehr gut angekommen. Es gibt also keinen Grund, das zu ändern. Natürlich wissen wir nicht, was in 5, 10 oder 20 Jahren ist, aber wir planen so etwas auch nicht mehr. Dieses planbare Leben – Abi, Studium, Festanstellung – hat für uns bisher nicht gut funktioniert und wir wollen es anders machen. Ich denke auch, dass sich das Leben und die Welt generell verändert haben und alles nicht mehr so planbar ist, wie früher. Wir lassen das also einfach auf uns zukommen. Was wir eventuell in der nahen Zukunft versuchen wollen, ist ein Haus zu kaufen. Wobei das auch nicht so einfach ist, da der Immobilienmarkt hier in den letzten Jahren explodiert ist, wie fast überall. Momentan sind wir aber alle drei sehr happy hier – in unserem Haus und in Haarlem.

Danke, Mark!