Liebes Corona-Tagebuch… das Leben zu dritt in Quarantäne

„Zeit mit ein paar Freunden verbringen, neue Ohrringe, ein Wintermantel, vielleicht ein gutes Buch, etwas für die Pflege“ – das waren so die Dinge, die für dieses Jahr auf meiner Geburtstags-Wunschliste standen. Stattdessen bekam ich einen positiven Corona-Test. Traurig, aber wahr. Und doch auch schon wieder lustig. Willkommen im Jahr 2020. Willkommen in der Quarantäne!

Freitagmorgen: Eigentlich alles wie immer. Kind ist in der Kita, ich im Homeoffice und die Laune ist top-notch. Ich hatte eine richtig gute Woche, war super produktiv und überhaupt habe ich das Gefühl, dass gerade alles wieder ins Laufen kommt und wir eine richtig gute Alltagsroutine haben… HAHAHAHAHA – hört ihr das auch, dieses laute, fast teuflische Lachen im Hintergrund?! Ein paar Stunden später sieht nämlich plötzlich alles ganz anders aus.

Ich weiß, was du die letzten 48 Stunden getan hast!

Eigentlich will ich mir nur schnell etwas zum Mittag kochen und während der Knoblauch und die Zwiebeln vor sich hinbrutzeln, wundere ich mich, warum ich den sonst so vertrauten Geruch nicht riechen kann… Leichte Panik macht sich breit. Also schnüffele ich mich durch alles durch, was mir in die Hände kommt. Bis ich beim Nagellackentferner lande – nichts. Ich rieche NICHTS! Verdammte Kack-Scheiße. Ich ahne es eigentlich schon, rufe aber noch schnell eine Ärztin-Freundin an, die unumwunden ausspricht, was ich vermute: „Du hast auf jeden Fall Corona! So fängt es meistens an.“ UND JETZT?
„Die letzten 48 Stunden warst du am ansteckendsten! Hast du da viele Leute getroffen?“
Öhm. Ja. Ein paar schon. Noch gab es ja keine Kontaktbeschränkungen. Ich hatte zwar immer darauf geachtet, andere Menschen nur draußen zu treffen, aber es waren nicht wenige. Mein persönliches Kopfkino mit dem Trailer namens „Ich weiß, was du die letzten 48 Stunden getan hast“, läuft vor meinem inneren Auge ab. Ich brauch wohl nicht zu erwähnen dass es sich dabei um einen 1A Horrorfilm handelt.

„Ich muss euch was sagen…“

Samstag und Sonntag bin ich damit beschäftigt, mich bei den Leuten zu melden, die ich, auch genannt „Die Super-Spreaderin“ in den letzten Tagen getroffen habe. Mir ist selten etwas so schwer gefallen wie diese Anrufe. Da hätten wir zum einen die befreundete Kita-Familie, die vor einigen Tagen ihr zweites Kind bekommen hat und die uns gebeten hatten, ein paar Stunden mit dem großen Kind auf den Spielplatz zu gehen. Haben wir natürlich gerne gemacht. Und an diesem Nachmittag wurden auch Snacks, Küsse und Umarmungen zwischen den Kindern ausgetauscht – und das nicht zu knapp. Dann ist da die Bekannte, ebenfalls aus der Kita, wir wollten uns schon länger mal zum Spielen treffen. Hatten wir nun endlich mal geschafft. Wie sagt man also jemandem, den man kaum kennt, von dem man aber weiß, dass er in zwei Tagen eine wichtige Prüfung hat, dass diese wohl besser absagt werden sollte? Und dann ist da natürlich noch die Freundin, die am Tag danach in den Urlaub fliegen wollte – und die ich auch noch kurz getroffen hatte. Zwar hatte ich – wie gesagt – alle nur draußen getroffen, aber ich wusste ja selbst nicht, wo ich mich angesteckt hatte. Ich hatte schon seit Wochen im Innenraum nur mit meiner kleinen Familie Zeit verbracht, arbeitete im Home Office – und das zeigte mir noch mal deutlich, WIE ANSTECKEND dieses Virus sein kann. Und so werde ich also nicht nur zum Übermittler extrem schlechter Nachrichten, sondern ich fühle mich wie das Virus persönlich. Als hätte ich Corona in der Reisetasche zum Prenzlauer Berg gebracht. Auch wenn fast alle relativ entspannt reagieren und mir bestätigen, dass das nicht meine Schuld ist, wachsen das schlechte Gewissen und die Scham. Ich höre mich nur noch „Sorry, Tschuldigung, mir tut das so leid“ stammeln und meine es auch so. Sonntagnachmittag kippt dann endgültig die Stimmung. Das waren zu viele Nachrichten, Chats und Telefonate… ich brauche eine Pause.

Nichts schmecken, nichts riechen, aber zu viel fühlen.

Montag: Ich warte immer noch auf mein Test-Ergebnis, auch wenn ich die Antwort schon kenne. Ich konnte mich, Gott sei Dank, am Samstag direkt noch testen lassen und checke seitdem alle 20 Minuten meine Corona-App. Die Nachrichten, Anteilnahme und Neugier brechen nicht ab, ich hänge eigentlich ständig am Telefon, was mein Sohn merkt – und umso mehr Aufmerksamkeit einfordert. Recht hat er. Die Kita weiß natürlich auch schon Bescheid und wartet ebenfalls auf mein Ergebnis. Natürlich bekomme ich heute auch noch meine Tage, habe starke Schmerzen und am Morgen muss ich dann doch auch zum ersten Mal eine kleine Träne verdrücken. Ich hatte den emotionalen Stress und den Rattenschwanz, den so eine Infektion trotz harmlosen Verlaufs mit sich ziehen kann, komplett unterschätzt. Denn uns ging es ja allen Dreien eigentlich total gut. Wir fühlten uns fit und gesund, nur der Geschmacks- und Geruchssinn machten sich weiterhin rar. Ich brauche nicht erwähnen, wie frustrierend das ist, wenn man eh nur zu Hause hockt und sich dann noch nicht mal aufs Essen freuen kann, weil alles gleich schmeckt. Nämlich nach nichts. Und hatte ich schon erwähnt, dass ich am nächsten Tag Geburtstag haben würde…?!

Happy Corona-Birthday!

Dienstag: Natürlich bekomme ich direkt morgens, pünktlich zum Geburtstagsfrühstück, mein positives Testergebnis. Cheers! Auf mich. Danke Gesundheitsamt. Während ich zum Frühstück Kuchen essen, den ich nicht schmecken kann, führe ich erneut Telefonate, schreibe dem Kita-Chat und bestätige also allen das, was ich eh schon wusste. Zwischendurch bekomme ich von Amazon noch ein komplett LEERES Paket geliefert (wie sich später rausstellt, sollte das eine Buch-Sendung von einer Freundin sein, zum Geburtstag) und ich frage mich, wer mir eigentlich dieses Jahr so richtig doll ans Bein pissen möchte? Trotz allem bin ich selber überrascht, wie entspannt ich bleibe und ich denke schon kaum mehr an die ursprünglich geplante Corona-konforme Geburtstags-Feierei. Vielleicht ist die entspannte Stimmung auch auf das CBD-Öl zurückzuführen, das auf dem Geschenke-Tisch landete. Ich nehme jedes Hilfsmittel für gute Laune jedenfalls sehr gerne an. Deshalb fange ich auch am frühen Abend bereits mit Weinschorle an, die zwar ebenfalls nach NICHTS schmeckt, aber trotzdem ihre Wirkung zeigt. Ist ja schließlich Geburtstag… Während ich mir also gemütlich einen antrinke, wir das Kinderdisco-Licht anmachen und dazu 80ies Mucke hören, fühlt es sich fast nach Party an. Aber auch nur mit sehr sehr viel Fantasie und Augen zu.

Mittwoch/Donnerstag: Ich erinnere mich schon gar nicht mehr, was wir im weiteren Verlauf der Woche gemacht haben. Die Tage verschwimmen, ziehen sich wie Kaugummi und sind am Abend dann doch erstaunlich schnell vorbei. Nur wir drei. Nur zu Hause. Unser Sohn macht bei allem extrem gut mit, und wir sind wahnsinnig dankbar dafür, dass er sich zwischendurch alleine beschäftigen kann. Mit seinen zwei Jahren können wir ihm nicht so wirklich erklären, warum er gerade nicht in die Kita gehen kann, dafür gucken wir täglich Fotos von den anderen Kindern an und facetimen mindestens ein Mal am Tag mit Familie und Freunden. Während wir die ersten Tage noch versucht haben, halbwegs normal auszusehen (an meinem Geburtstag hatte ich mich noch motiviert in ein Kleid geschmissen und mir die Nägel frisch lackiert!), fangen wir nun langsam, aber sicher an, zu verwahrlosen. Das fällt immer dann besonders auf, wenn sich beim Video-Anruf die Kamera öffnet und ich mich über mein eigenes Spiegelbild wundere. Wozu aber der ganze Aufwand? Außerdem wollte ich eh schon immer mal testen, wie lange ich es eigentlich aushalte, mir die Haare nicht zu waschen.
Auch die anfängliche Euphorie, sich jeden Tag in Form von Sport wenigstens für eine halbe Stunde zu bewegen, lässt extrem schnell nach. Schließlich habe ich ja Corona und sollte mich besser schonen, oder? Klar, da würde mir sicher jeder zustimmen. Trotz der ganzen Ironie sind wir natürlich jeden Tag dankbar, dass das Virus bei uns in so harmloser Form eingezogen ist und wir wohl ohne schlimme Konsequenzen aus der ganzen Sache herausgehen werden. Mein Freund und Sohn werden zwischendurch getestet, haben bisher keine Symptome. Und sind wir mal ehrlich: Es gibt gerade sehr,sehr viele Menschen da draußen, die froh wären, wenn sie 14 Tage in einer warmen Wohnung, mit Essen und Trinken, verweilen dürften. Es wird mal wieder sehr deutlich, dass Gesundheit und ein Dach über dem Kopf das Einzige sind, was wirklich zählt. So kitschig das auch klingt.

Heute ist ein guter Tag!

Freitag: Heute ist ein mehrfacher Hinsicht ein richtig guter Tag. Am Morgen erfahren wir, dass unser Sohn negativ getestet wurde und wir somit in der Kita – pünktlich zum Wochenende -Entwarnung geben können. Ein riesiger Stein fällt uns vom Herzen. Auf das Ergebnis meines Freundes warten wir aber weiterhin. Eine Kita-Mutter versorgt uns mit einem kleinen Wochenend-Einkauf, über den ich mich doppelt und dreifach freue, weil ich nämlich seit heute endlich wieder schmecken kann. Hallelujah! Außerdem kommt ein Paket mit frischen Blumen bei uns an, ein verspätetes Geburtstagsgeschenk  – und ich freue mich so, so sehr. Endlich wieder Leben in der Bude! Genauso freuen wir uns über Spielzeug-Lieferungen von Kita-Freunden und frisch gekochtes Essen. Fast wie im Wochenbett, nur irgendwie anstrengender.
Wenn ihr also Leute kennt, die ebenfalls gerade zu Hause hocken müssen, dann überrascht sie mit kleinen Gesten und Geschenken, die Freude ist riesig, das kann ich euch versprechen!

Und zu guter Letzt erreichen wir am Freitag auch endlich einen Mitarbeiter beim Gesundheitsamt und können alle Fragen stellen, auf die wir seit Tagen keine Antwort finden. Allen voran natürlich die Frage aller Fragen: WANN DÜRFEN WIR WIEDER RAUS? 10 Tage nach Test, also am Dienstag. Ok, das ist überschaubar, das schaffen wir.

Schon wieder Wochenende?

Samstag/Sonntag: Schon wieder Wochenende? Macht für uns alles keinen Unterschied mehr. Zum Glück regnet es gefühlt zwei Tage durch, wir würden also so oder so viel zu Hause sein. Zumindest rede ich mir das ein. Was würde ich für einen Spaziergang im Regen geben! Frische Luft und Bewegung fehlen mir sehr. Uns allen. Stattdessen erfinden wir irgendwelche Spiele, basteln Häuser aus Kartons und kennen nun definitiv alle Folgen von Peppa Wutz. Abends kann ich kaum fassen, wie müde ich bin. Trotz täglichem Mittagsschlaf. Wovon bitte?

Das Quarantäne-Fazit

Montag: Letzter Tag zu Hause. Ich bin ganz aufgeregt. Male mir immer wieder den nächsten Tag aus, was ich wohl alles machen werde… Geburtstags-Gutscheine einlösen, Kaffee trinken gehen, Freunde treffen… ah Moment, da war ja was. Stimmt ja, wenn bei uns das Leben offiziell wieder los geht, legt Deutschland sich in einen vierwöchigen Winterschlaf. Super Timing!
Mein Freund hat zwischenzeitlich nun auch sein Ergebnis: positiv. Er muss also noch ein paar Tage ausharren, aber das Kind und ich dürfen morgen wieder raus. Theoretisch. Mit Abstand. Aber an die frische Luft!
Und obwohl es mir wirklich vor den nächsten Monaten graut, ich Angst vor weiteren Kita-Schließungen habe und wirklich WIRKLICH hoffe, dass wir für diesen Winter bitte, bitte immun gegen das Virus sind, muss ich ehrlich sagen, dass die Zeit zu Hause nicht so schlimm war, wie ich anfänglich befürchtet hatte. Wir haben das ganz schön gut hinbekommen, uns weder tierisch auf die Nerven zu gehen, noch in schlechter Laune zu ertrinken. 

Es hilft, wenn man jeden Tag einzeln betrachtet und sich nicht immer das große Ganze vor Augen führt. Ich würde sogar fast sagen, dass ich mich erholt fühle, denn außer Kochen und Kinderbetreuung gab es nicht besonders viele To-Dos, die meinen Kopf angestrengt hätten. Stattdessen habe ich endlich mal wieder in drei Tagen ein Buch durchgelesen – und wir haben einfach in den Tag gelebt. Was anderes blieb uns auch nicht wirklich übrig.