Liebe Caroline! Wie kam es denn überhaupt zu “Learning with Caroline”?
Meine Seite ist tatsächlich aus der Not heraus entstanden. Ich hatte damals ein kleines Baby und bin mit meinem Mann von Berlin nach Niederbayern gezogen. Dort ist mit ziemlich schnell die Decke auf den Kopf gefallen. Mein Mann hat den ganzen Tag gearbeitet, ich hatte keine Freund_innen und war ziemlich einsam. Dann habe ich irgendwann bei Instagram ein Profil gefunden, das wertvolle Baby-Tipps gegeben hat und ich habe mir gedacht, dass ich genau das für Schulkinder machen kann. Also habe ich damit angefangen und es hat richtig, richtig lange gedauert, bis das irgendjemanden interessiert hat. Tatsächlich hat mir Corona Glück gebracht. Zu dem Zeitpunkt waren dann plötzlich alle zuhause und mussten mit ihren Kindern lernen. Da habe ich dann sehr viele Fragen beantwortet und gepostet und mittlerweile habe ich so eine tolle große Community und durfte auch dieses Buch schreiben.
Wie bist du überhaupt zum Lerncoaching gekommen?
Lernen war schon immer ein Thema für mich. Ich habe bereits im Kindergarten am liebsten Lehrerin gespielt und in der Schule habe ich sehr früh angefangen, Nachhilfe zu geben. Dadurch wurde mir bewusst, dass ich das sehr gut kann. Ich habe gesehen: Wenn ich mit Kindern lerne, tut das ihnen und mir gut. So habe ich relativ schnell eine kleine Nachhilfeschule aufgebaut und habe mir damit das Studium finanziert. Außerdem habe ich schon immer viel zu dem Thema gelesen, weil es mich einfach sehr interessiert. Ehrlich gesagt lernt man Unterrichten auch vor allem by doing. Es braucht sehr viel Erfahrung. Dann habe ich noch Teach First gemacht, das ist ein zweijähriges Programm, bei dem man an einer Brennpunktschule unterrichtet. Das war für mich nochmal eine ganz tolle Ausbildung. Ich habe dort gelernt, auch mit Kindern mit ganzen anderen Hintergründen zu arbeiten. Dort haben wir so tolle Methoden kennengelernt. Und da habe ich mich gefragt, warum man nicht in allen Schulen mit solchen Methoden arbeitet. Das würde allen Kindern so gut tun: Bewegung, Aktivierung und auch die Mindset-Arbeit, die mir so wichtig ist. Und jetzt erzähle ich genau davon auf meinem Profil und in meinem Buch und freue mich, dass immer mehr Menschen diese Methoden kennenlernen.
Sprechen wir mal über Hausaufgaben – ein schwierigen Thema in vielen Familien. Wie stehst du dazu?
Ich finde Hausaufgaben nicht gut, weil ein großer Bildungsauftrag der Schule nach Hause verlagert wird. Das hat ursprünglich in der BRD super gut funktioniert, denn da waren immer Hausfrauen zuhause, die nachmittags Zeit hatten. Das hat sich aber in den letzten 30 Jahren verändert und die meisten Mütter arbeiten. Trotzdem haben wir noch immer das gleiche Schulsystem wie früher und in dem ist es so, dass ein Großteil der Übungszeit, die extrem wichtig ist, nach Hause verlagert wird. Das ist wiederum extrem ungerecht für die Kinder, die den Support (aus den unterschiedlichsten Gründen) zuhause nicht haben. Außerdem sind Eltern nicht immer besonders gute Lehrpersonen für ihr Kind.
Vor dem Hintergrund sind Hausaufgaben in Deutschland der Treiber für Bildungsungerechtigkeit. Denn Hausaufgaben sind wichtig. Übungszeit ist wichtig. Dass Eltern mit ihren Kindern zuhause lernen ist wichtig – aber das sollte so nicht sein.
Ich gebe also keine Absolution und sage „Macht keine Hausaufgaben. Die sind sowieso nicht wichtig.“ Oft liegt nämlich der ganze Lernerfolg von Kindern darin, dass nachmittags nochmal in Ruhe mit ihnen gelernt wird. Mütter und Väter leisten extrem viel.
Zu den konkreten Hausaufgaben – Das ist auch schwierig. Es hat sich so eingebürgert, dass Hausaufgaben aufgegeben werden und deswegen haben Lehrkräfte das Gefühl, sie müssen das auch tun. Es ist also nicht jede Hausaufgabe relevant und wichtig. Und das ist ein Problem.
Und es gibt noch ein drittes großes Problem mit Hausaufgaben. Lernen findet nur statt, wenn ich genau an dem Punkt, an dem ich gerade gedanklich bin, weiterlerne. Jetzt werden aber Hausaufgaben für eine ganze Klasse aufgegeben. Manche Lehrkräfte geben zwei verschiedene Aufgaben für unterschiedliche Level auf, aber da hört es dann schon auf. Eigentlich bräuchten wir 5-10 verschiedene Level. Dass die Hausaufgabe zum Lernstand deines Kindes passt, ist also relativ unwahrscheinlich. Da wäre es viel sinnvoller, wenn Kindern individuell an Aufgaben weiterarbeiten könnten, bei denen sie gerade sind.
Deswegen sieht es dann so aus, dass zuhause Eltern sitzen, die nicht wissen, wie man Kinder unterrichtet. Die Kinder machen dann Hausaufgaben, die ihnen wahrscheinlich zu leicht oder zu schwer sind – was beides zu Langeweile oder Widerstand führt. Und dann haben wir ein großes Problem.
Abschließend muss ich deswegen sagen: In dem Schulsystem, das wir haben, mit vielen Kindern und wenig Lehrkräften, muss ich leider empfehlen, so viel wie möglich mit Kindern zuhause zu lernen. Wenn das Kind es braucht. Wenn das Kind einfach so durch die Schule segelt, haltet euch zurück. Aber wenn ihr als Eltern merkt, dass Kind segelt nicht einfach durch, dann unterstützt.
Schule ist kacke, wenn man es nicht kann. Dann geht man da nicht gerne hin. Und dann muss man im Zweifel 13 Jahre dorthin gehen und hat keinen Spaß.
Das ist ein riesiger Mangel unseres Bildungssystems und wir müssen da dringend ran. Aber die Eltern, die jetzt Kinder in der Schule haben, können darauf nicht warten und brauchen jetzt individuelle Lösungen.
Hast du vielleicht ein paar Tipps, wie man die Hausaufgabensituation entschärfen kann?
Es gibt diesen Spruch: Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch. Und der stimmt auch für viele Familien. Man kann als Eltern daran drehen. Eltern können zum Beispiel das Setting bestimmen, in dem Hausaufgaben gemacht werden. Besonders für Erstklässler_innen können Hausaufgaben sehr herausfordernd sein. Sie sind noch klein und wollen viel spielen und haben dadurch schnell das Gefühl, dass Hausaufgaben ihnen die Spielzeit wegnehmen.
Deswegen ist mein allerwichtigster Tipp: Hausaufgabenzeit begrenzen.
Bitte sitzt nicht den ganzen Nachmittag an den Hausaufgaben. Wenn das regelmäßig passiert, ist es kein Wunder, wenn Kinder anfangen, Hausaufgaben zu hassen. Erst hassen sie die Hausaufgaben und dann die Schule. Das geht ganz schnell und dann ist es schwer, das wieder zu verändern. Bei Erstklässler_innen sollte man nach 30 Minuten Hausaufgabenzeit aufhören, ab der dritten Klasse sind es 45 Minuten und ab der fünften Klasse eine Stunde. Das ist auch für die Kinder überschaubar.
Aber natürlich sollte diese Zeit effektiv und ohne Ablenkungen genutzt werden. Das verstehen auch Lehrkräfte, wenn man ins Heft schreibt, dass das zu viel war und das Kind es nicht geschafft hat. Es ist sowieso wichtig, mit den Lehrkräften bei dem Thema ins Gespräch zu gehen, da sie oft nicht wissen, wie es zuhause klappt. Eltern sollten außerdem nie die Hausaufgaben der Kinder machen. Das führt nur dazu, dass es weiterhin die gleiche Menge an Hausaufgaben gibt, weil die Lehrkräfte denken, dass die Kinder es gut bewältigen können. Co-Teaching gemeinsam mit den Lehrkräften ist an der Stelle total wichtig.
In einer Klasse sitzen ganz viele unterschiedliche Kinder – mit verschiedenen Lernständen, unterschiedlichsten Geschichten, Voraussetzungen und Unterstützung. Wie kann man aber all die Kinder mit Lerntipps unterstützen, die Zuhause kaum Support bekommen (können)? Wie kann man auch in der Schule etwas ändern?
Was ich ganz wichtig finde: kleine Schritte zu machen und im Kleinen anzufangen. Wenn es Familien möglich ist, die sowieso nachmittags zuhause sitzen und Hausaufgaben machen, können sie ja zum Beispiel noch ein Kind dazu einladen. Und wenn es nur ab und zu ist. Das macht einen großen Unterschied. Es gibt so viele Kinder, denen wurde noch nie vorgelesen und diese Lesekompetenz fehlt ihnen dann. In dem Bereich kann man sich auch engagieren und Lesepatin oder Lesepate werden. Besonders auch bei geflüchteten Kindern, deren Eltern vieles einfach gar nicht leisten können.
Und im Großen brauchen wir laute Stimmen, die immer wieder sagen, dass unser Bildungssystem kaputt gespart wurde und noch immer nicht angepackt wird. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland einfach 16 verschiedene Bildungssysteme haben und jedes einzelne System auch Interesse daran hat, dass es so bleibt.
Aber ich kann auch etwas Positives sagen: Ich betreibe seit drei Jahren quasi täglich Aufklärungsarbeit und merke, dass sich etwas verändert. Wenn Eltern sich informieren und beim Elternabend kritisch nachfragen, dann kommt das auch an und kann etwas bewirken. Und wir brauchen ein Sondervermögen für die Bildung, das würde ich mir wünschen.
Und noch ein Tipp: Lest und verschenkt das Buch „Der tanzende Direktor“ von Verena Friederike Hasel. Das ist ein schönes Buch über das neuseeländische Schulsystem und es zeigt Menschen, wie Schule auch sein kann.
Bei uns hat man manchmal das Gefühl, dass wir das so hingenommen haben. „Schule ist scheiße.“ Hausaufgaben sind doof.“ „Lernen ist blöd.“ – All diese Sätze. Dabei freuen sich alle Kinder auf die Schule, aber sobald sie dann da sind, tauchen ziemlich schnell diese Sätze auf.
Das ist so schade. Viele Kinder verlieren so schnell die Freude und Motivation.
Ja, genau. Und dabei muss man sich klar machen, dass man nur lernen kann, wenn es einem gut geht und man dabei ein bisschen glücklich ist. Sonst kann der Kopf nicht lernen. Das ist von der Wissenschaft bewiesen.
Ein Gehirn, das gerade Angst hat oder traurig ist, kann nicht lernen.
Und trotzdem haben wir in der Schule jede Menge Praktiken, die Angst machen und traurig stimmen. Da brauchen wir ein Umdenken. Das muss sich dringend in den Köpfen ändern.
Apropos Umdenken. In deiner Arbeit und in deinem Buch geht es viel um das Growth Mindset. Was ist das?
Das Growth Mindset ist, im Gegensatz zum Fixed Mindset, eine Einstellung, die ich gegenüber mir und meinen Fähigkeiten habe. Es gibt Menschen, die glauben, dass ihre Fähigkeiten festgesetzt sind. Sie gehen davon aus, dass sie einen festen IQ haben und entweder etwas können oder eben nicht. Sie machen vor allem die Dinge, die sie können. Das entspricht dem Fixed Mindset. Beim Growth Mindset glauben Menschen, dass ihre Fähigkeiten veränderbar sind und dass sie durch Anstrengung neue Fähigkeiten erwerben können. Wenn sie etwas nicht können, strengen sie sich mehr an und sie sehen Fehler und Misserfolge eher als Chance. Das gelingt Menschen mit einem Fixed Mindset nicht. Für sie sind Fehler die Grenze ihrer Fähigkeiten. Diese zwei unterschiedlichen Mindsets sind maßgeblich bestimmend für den Schul- und Lernerfolg.
Die amerikanische Psychologin Carol Dweck, auf die die Begriffe zurückgehen, hat dazu viel geforscht und hat tausende Schüler_innen in Richtung des Growth Mindsets gecoacht. Die Lehrkräfte haben den Kindern immer wieder gesagt: „Super Fehler, daraus kannst du ganz viel lernen.“ „Toll, dass du es versucht hast.“ Sie haben nicht gesagt „Du bist ja schlau.“, sie haben gesagt „Du hast dich total angestrengt.“ – und das hat bei den Kindern die Sicht auf ihr Handeln verändert. Sie hatten keine Angst mehr davor, neue Dinge auszuprobieren, denn sie wurden immer dafür gelobt. Selbst wenn es falsch war. Aktuell machen wir in den Schulen genau das Gegenteil. Dweck hat bei diesen Untersuchungen dann festgestellt, dass sich die Leistungen der Kinder wirklich verbessert haben.
Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, ist das auch total logisch. Und Growth Mindset ist kostenlos. Wir könnten das heute in unseren Schulen implementieren, dass alle Lehrkräfte diesen Growth Mindset-Gedanken im Hinterkopf haben und davon wegkommen, Kinder vorschnell zu beurteilen. Niemand weiß, was in irgendjemanden steckt. Es ist anmaßend zu glauben, dass man weiß, was in einem Kind steckt und was es lernen kann oder nicht. Wenn wir alle das Growth Mindset nutzen würden, würde das ganz viel verändern.
Im Buch gibst du dafür ja auch einige Beispiele. Wie zum Beispiel zu sagen, dass man etwas NOCH nicht kann. Und dass man seinem Kind nicht sagen sollte, dass es schlau ist. Warum?
Es ist ganz klar, dass niemand das mit böser Absicht sagt. Eltern wollen ihr Kind ja damit loben. Das Problem ist aber, wenn ich einem Kind immer wieder sage, dass es schlau ist und dann kommt der Tag, an dem etwas nicht gelingt, dann glaubt das Kind, dass es nicht mehr schlau ist. Dabei ist es ziemlich egal, wie schlau jemand ist. Intelligenz ist bis zu einem gewissen Grad veränderbar, aber man kann sein Gehirn nicht austauschen. Das heißt du hast die Voraussetzung, die dir mitgegeben wurde, aber ich kann dir helfen, das Beste rauszuholen. Da hilft es aber nicht zu sagen, dass du schlau bist. Solche Sätze bewirken viel, viel mehr: „Du hast ja gut nachgedacht.“ „Du hast dir so viel Mühe gegeben.“ Und auch wenn es dem Kind leicht fällt, kann man sagen: „Das macht dir gerade total viel Spaß, oder? Deswegen bist du darin so gut.“ Es sowieso immer hilfreich, Kindern zu erklären, warum sie in etwas gut sind. Dafür müssen nämlich viele Dinge aufeinander treffen: Motivation, Interesse, Freude – und die führen dann dazu, dass jemand in etwas gut ist. Die Aussage, dass jemand einfach etwas kann, stimmt so gar nicht. Das ist Quatsch. Niemand kann einfach so etwas.
Du schreibst auch im wieder, dass wir Erwachsenen eine Vorbildfunktion haben. Dass Kinder sich natürlich abschauen, wie wir selbst mit unseren eigenen Fehlern umgehen. Gibt es eine Sache, die du gerne allen Eltern mit auf den Weg geben würdest – zum Thema Lernen?
Sorgt dafür, dass ihr euch beim Lernen wohlfühlt.
Das ist mein bester Tipp. Das ist natürlich leichter gesagt, als getan. Wenn ihr dafür sorgt, dass ein Kind beim Lernen gute Gefühle hat, ist das die Lösung für ganz vieles. Also ohne Streit, ohne Meckern, ohne Vorwürfe. Immer wenn die Stimmung kippt, macht lieber einen Stopp.
Alle Kinder lieben Lernen, Lernen ist wunderschön. Und wenn ihr es schafft, den Zauber des Lernens zu sehen und mit eurem Kind zu teilen, dann habt ihr schon ganz viel erreicht. Wenn ihr mit dieser Grundannahme herangeht, wir sich alles verändern. Und dafür muss man sich auch immer wieder stark machen. „Ich erlaube nicht, dass mein Kind Lernen scheiße findet, nur weil ich die Hausaufgaben durchziehen will.“ Man kann sich darum kümmern, dass gelernt wird, aber man kann diesen anderen Weg dabei gehen.
Danke, Caroline!
Am 15. August ist außerdem noch „Mein Lerntagebuch“ erschienen. Es ist ähnlich wie ein klassisches Hausaufgabenheft aufgebaut und enthält Lerntipps, Motivations- und Planungshilfen.
Mehr zum Buch erfahrt ihr hier. Für Kinder ab 9 Jahren.
Foto: Paula Winkler